TE OGH 2009/1/28 40R260/08v

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Veröffentlicht am 28.01.2009
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Das Landesgericht für ZRS Wien als Berufungsgericht erkennt durch HR Dr. Garai als Vorsitzenden sowie die weiteren Richter des Landesgerichts Mag. Dr. Hörmann und Dr. Kodek in der Rechtssache des Klägers Dr. Christian W*****, Privater, *****Graz, vertreten durch Dr. Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwältin in Graz, wider die Beklagte Carola H*****, Angestellte, *****Wien, vertreten durch Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Aufkündigung infolge Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt vom 21.7.2008, 42 C 326/07i-9, nach mündlicher Berufungsverhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat:

"Die Aufkündigung vom 23.7.2007, 42 C 326/07i-1, wird aufgehoben. Das Begehren auf geräumte Rückgabe der Wohnung ***** Wien, *****, wird abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten deren mit EUR 1.392,91 (darin enthalten EUR 229,95 USt) bestimmte Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten deren mit EUR 708,16 (darin enthalten EUR 108,36 USt) bestimmte Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

Text

Mit dem angefochtenen Urteil erklärte das Erstgericht die auf Nichtbenützung und gänzliche Weitergabe gestützte Aufkündigung vom 23.7.2007 aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG (gänzliche Weitergabe) für wirksam.

Dazu traf es die auf Seiten 5-12 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen.

In rechtlicher Hinsicht erwog das Erstgericht, dass sich aus § 87 Abs 2 EheG die Zulässigkeit einer Vereinbarung der Übertragung der gemeinsamen Bestandrechte auf einen der Ehegatten im Scheidungsvergleich nach § 55a EheG, und zwar auch ohne Zustimmung des Bestandgebers, ergebe. Es sei auch der Vermieter an diese Vereinbarung gebunden gewesen. Die von den früheren Ehegatten drei Tage nach der Scheidung getroffene Vereinbarung, wonach in Abweichung vom Scheidungsvergleich doch beide frühere Ehegatten Mieter der streitgegenständlichen Wohnung bleiben sollen, welche Vereinbarung der Hausverwaltung nie zur Kenntnis gebracht wurde, habe in die Rechte des Vermieters nicht mehr eingreifen können. Durch den Wiedereinzug des früheren Ehegatten der Beklagten in die Wohnung, dessen Zinszahlungen oder behördliche Anmeldung, sei kein neues Mietverhältnis mit diesem (konkludent) eingegangen worden. Die Beklagte als alleinige Mieterin habe bei ihrem neun Jahre nach der Scheidung erfolgten Auszug aus der Wohnung diese ihrem früheren, inzwischen wieder eingezogenen Ehegatten, also einem nicht Eintrittsberechtigten überlassen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem Abänderungs-, hilfsweise einem Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist berechtigt.

In ihrer Beweisrüge bekämpft die Beklagte die erstgerichtlichen Feststellungen hinsichtlich des Gespräches der Beklagten mit dem Hausverwalter nach der Scheidung. Das Erstgericht folgte in diesem Zusammenhang der Darstellung des Hausverwalters, die von der Darstellung der Beklagten abwich. Es ist nachvollziehbar, wenn das Erstgericht durch die unmittelbare Wahrnehmung beider Aussagen zum Schluss kommt, dass die Darstellung des Hauverwalters glaubwürdiger ist als die der Beklagten. Die diesbezüglichen Ausführungen im erstgerichtlichen Urteil sind einwandfrei. Immerhin wurden die Mietzinsvorschreibungen, zeitlich nicht mehr genau zuordenbar, auch geändert. Dass unabhängig davon die Mitteilung der Jahresbetriebskosten an beide Exgatten adressiert war, ist hiebei nicht relevant. Wie vom Erstgericht erkannt, wäre diese Umstellung nicht erfolgt, hätte die Beklagte dem Hausverwalter nicht mitgeteilt, dass sie aufgrund ihrer Scheidung nun alleinige Mieterin ist. Im Übrigen entsprach die Mitteilung über den Inhalt des Scheidungsvergleichs ohnehin den Tatsachen, auch wenn die von der Beklagten verschwiegene Abänderungsvereinbarung den Verbleib der Mietrechte wieder anders zu regeln versucht. Die Berufungsbeantwortung weist zu Recht darauf hin, dass ohne diese Mitteilung der Kläger mangels früherer Kenntnis vom Inhalt des Scheidungsvergleichs die Aufkündigung nicht darauf stützen hätte können.

Die Berufungsbeantwortung bekämpft in ihrer Beweisrüge sämtliche Feststellung über den zweiten, drei Tage nach dem Scheidungsvergleich abgeschlossenen Vergleich. Die Angaben der Beklagten und ihres früheren Ehegatten über diese Vereinbarung sind lebensnah. Scheidungsvergleiche können fallweise überhastet und ohne Reflexion anhand von Formblättern abgeschlossen werden, sodass ein nachträglicher Änderungsbedarf gegeben sein kann. Die damals nicht vertretene Beklagte betonte selbst, über den Verbleib der Mitmietrechte schon beim Scheidungsvergleich nicht informiert gewesen zu sein. Ihre diffusen Äußerungen gegenüber dem Hausverwalter zeigen, dass auch die Auswirkungen der Änderungsvereinbarung für sie nicht von gesteigertem Interesse waren. Es war auch nachvollziehbar, dass der frühere Ehegatte der Beklagten als "Ausgleich" für die Zinszahlung nach juristischem Rat seine Mitmietrechte behalten wollte. Beide bestätigten den Abschluss der Änderungsvereinbarung. Das Erstgericht schenkte ihnen Glauben. Dies ist unbedenklich. Ebenso bekämpft der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte am 18.12.2005 der Hausverwaltung ein Schreiben übermittelt habe, wonach der frühere Ehegatte der beklagten wieder in die streitgegenständliche Wohnung eingezogen sei und der Mietvertrag nach wie vor auf beide frühere Ehegatten laute. Die Beweiswürdigung des Erstgerichts ist auch in diesem - vom Erstgericht freilich richtig als nicht entscheidungswesentlich erkannten - Zusammenhang nicht zu beanstanden. Dass ein Meldezettel übersandt (wohl nicht kommentarlos!) und rückgesandt wurde, ist unstrittig, aber ebenso rechtlich irrelevant, worauf das Erstgericht bereits verwies. Das Berufungsgericht übernimmt somit die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung.

Allerdings ist die Rechtsrüge der Beklagten im Ergebnis berechtigt. Mitmieter waren beide Ehegatten *****.

Ein Mitmieter kann auf verschiedenen Wegen Alleinmieter werden.

1) Durch Dreiparteieneinigung:

Dieser Weg scheidet hier aus, weil die akzeptierte Mitteilung über den Inhalt des Scheidungsvergleichs an den Hausverwalter erst lange nach abweichender Einigung über die Scheidungsfolgen erfolgte. Eine solche außergerichtliche Einigung während des Scheidungsverfahrens ist zulässig (SZ 53/150, 8 Ob 611/92) und bedarf nicht eines Notariatsaktes (§ 97 Abs 2 EheG).

Selbst wenn der Scheidungsvergleich inter partes bereits wirksam gewesen wäre, stünde inter partes einer abweichenden Einigung nichts entgegen.

Der Hausverwalter akzeptierte also eine nicht mehr vorliegende Vereinbarung.

Zu Unrecht vermeinte das Erstgericht, der Scheidungsvergleich binde im Außenverhältnis den Vermieter bereits im Zeitpunkt des Abschlusses (offenbar ebenso aufschiebend bedingt wie der Vergleich). Wie das Erstgericht an anderer Stelle zutreffend ausführte, kann eine Vereinbarung nach § 97 Abs 2 EheG Dritte (Vertragspartner) nicht binden (für viele Stabentheiner in Rummel³ Rz 5 zu § 97 EheG). Daher kann ohne Zustimmung des Vermieters die Vereinbarung im Scheidungsvergleich für sich allein (hiezu unten Pkt 3) an der Mitmieterstellung beider Gatten nichts ändern.

2) Durch gerichtliche Zuweisung im Aufteilungsverfahren (§ 87 Abs 2 EheG):

Diese liegt hier nicht vor. Ein Aufteilungsverfahren unterblieb ja, weil sich die Scheidungswilligen im Sinne des § 55a Abs 2 EheG über die vermögensrechtlichen Ansprüche im Verhältnis zueinander einigten.

3) Durch Analogie zu § 12 Abs 1 MRG:

Gemäß § 12 Abs 1 MRG kann ein Mieter seine Hauptmietrechte an der Wohnung seinem Ehegatten oder Verwandten in gerader Linie einschließlich der Wahlkinder oder Geschwister abtreten. Aus einem Größenschluss (entgegengesetzt MietSlg 40.279, 47.221) muss dies auch für die Übertragung der Mitmietrechte auf den in der Wohnung verbleibenden Mitmieter gelten, sofern er ein dringendes Wohnbedürfnis an dieser Wohnung hat. Das Interesse, allein über die Hauptmietrechte der benutzten bisherigen Wohnung verfügen zu können und nicht vom Wohlwollen dessen abzuhängen, von dem man sich trennen will, begründet ein solches, zumindest wenn nicht eine weitere (zweite) gesicherte Wohnmöglichkeit des in der Wohnung Verbliebenen besteht. Im vergleichbaren Fall des Todes eines Mitmieters (§ 14 Abs 3 MRG) wurde das Eintrittsrecht von Angehörigen in das bloße Mitmietrecht des Verstorbenen bejaht (1 Ob 155/63 zu § 19 Abs 2 Z 11 MG). Ebenso die Überlassung der Mitmietrechte des Ausziehenden an einen Angehörigen (MietSlg 17.460/19 zu § 19 Abs 2 Z 10 MG). Es wurde also die Eintrittsregelung auch auf das bloße Mitmietrecht angewendet.

Mag auch der OGH in SZ 21/17 sogar die Meinung vertreten haben, dass die Mitmietrechte des Verlassenden (ohne Bedarfsprüfung beim Verbliebenen) erlöschen, hätte im konkreten Fall 1996 das noch nicht beheizbare Gartenhaus der Beklagten auf einem Grundstück eines Kleingartenvereins ohnehin kein Hindernis für die Annahme des dringenden Wohnbedürfnisses dargestellt.

Obwohl das Gesetz die Anzeige beider Vertragspartner an den Vermieter ausdrücklich als konstitutiv ansieht (daran würde es hier mangeln), ist die Rechtsprechung immer schon der Ansicht, dass die Anzeige bloß deklarativen Charakter hat.

Es kann daher unter den Voraussetzungen des § 12 Abs 1 MRG, auch ohne oder gar gegen den Willen des Vermieters, die uneingeschränkte Mieterstellung auf den in der Wohnung verbliebenen Mitmieter übertragen werden. Diese Vereinbarung ist auch (noch) in einem Scheidungsvergleich möglich (MietSlg 37.606/9 - noch zu § 19 Abs 4 MG).

Der Ehegatte, *****, war bereits aus der Ehewohnung ausgezogen. Wäre daher der Scheidungsvergleich mit Abschluss auch wirksam gewesen, wäre tatsächlich die Beklagte seit 15.11.1996 alleinige Mieterin gewesen. Der Einwand der Klägerin, damit hätte die Beklagte drei Tage danach den Zeugen nicht mehr ohne Zustimmung der Klägerin als Mitmieter aufnehmen können, träfe dann zu. Die Beklagte wäre demnach als alleinige Mieterin für die Kündigung passiv legitimiert. Tatsächlich wurden jene vermögensrechtlichen Vereinbarungen des Scheidungsvergleichs vom 15.11.1996, insbesondere über die bisherige Ehewohnung, denen die abweichenden Vereinbarungen vom 18.11.1996 entgegenstehen, nie wirksam: Die Ehe ist erst mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung, hier des Scheidungsbeschlusses aufgelöst (§ 46 EheG). Jeder Scheidungsvergleich steht unter der aufschiebenden Bedingung der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung (SZ 60/95; Schwimann/Weitzenböck in Schwimann I³ Rz 25 zu § 55a EheG). Der Scheidungsbeschluss 4 C 149/96m betreffend die Ehegatten ***** wurde am 18.12.1996, also erst ein Monat nach der abweichenden vermögensrechtlichen Vereinbarung rechtskräftig. Das ergibt sich aus der Rechtskraftbestätigung der vom Berufungsgericht beigeschafften Ausfertigung des Scheidungsbeschlusses. Damit ist die im Scheidungsvergleich zu erblickende aufschiebend bedingte Abtretung der (Mit-)Mietrechte an die Beklagte gemäß § 12 Abs 1 MRG nie wirksam geworden, weil sie bereits vor ihrer mit Rechtskraft der Scheidung eintretenden Wirksamkeit widerrufen war.

Zusammengefasst waren daher die früheren Ehegatten ***** im Zeitpunkt der Kündigung nach wie vor gemeinsam Mieter der streitgegenständlichen Wohnung, worauf schon die Einwendungen verwiesen, sodass die Aufkündigung aufzuheben war.

Die Entscheidung über die Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens gründet sich auf § 41 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich zusätzlich auf § 50 ZPO. Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage der dort genannten Qualität vorliegt. Landesgericht für ZRS Wien

1016 Wien, Schmerlingplatz 11

Anmerkung

EWZ0014340R260.08v

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00003:2009:04000R00260.08V.0128.000

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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