TE OGH 2009/3/17 10ObS5/09x

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Veröffentlicht am 17.03.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Boindl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Regina S*****, vertreten durch Dr. Robert Schuler, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Versicherungszeiten, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Oktober 2008, GZ 23 Rs 54/08z-11, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Juni 2008, GZ 16 Cgs 90/08y-6, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die 1953 geborene Klägerin ist deutsche Staatsbürgerin und seit 13. 10. 1978 mit einem Österreicher verheiratet. Sie hat sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Österreich Versicherungszeiten in der Renten- bzw Pensionsversicherung erworben. Sie lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Österreich.

Am 19. 2. 2008 brachte die Klägerin bei der beklagten Partei einen Antrag auf „Feststellung der Versicherungszeiten" sowie auf „Prüfung der versicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistung aus den Versicherungsfällen des Alters zum frühestmöglichen Zeitpunkt" - unter Verwendung eines von der Beklagten aufgelegten Formblatts - ein. Aufgrund der im Versicherungsakt erliegenden „Bescheinigung des Versicherungsverlaufs in Deutschland" (Formular 205d) war der beklagten Partei schon bei der Antragstellung bekannt, dass die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland vom 1. 10. 1970 bis 30. 6. 1974 für die Rentenversicherung (Pensionsversicherung) insgesamt 47 Monate erworben hat.

Mit Bescheid vom 26. 3. 2008 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin bis zum Feststellungszeitpunkt 1. 3. 2008 nach den österreichischen Rechtsvorschriften insgesamt 403 Versicherungsmonate (hievon 354 Beitragsmonate der Pflichtversicherung, 13 Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung und 36 Ersatzmonate) erworben habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, „in die mit Bescheid vom 26. 3. 2008 ... ermittelte Gesamtzahl nachgewiesener Versicherungsmonate von insgesamt 403 zusätzlich die von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin, für den Zeitraum 1. 8. 1970 bis 30. 6. 1974 bestätigten Pflichtversicherungszeiten von 47 Monaten zum Feststellungszeitpunkt 1. 3. 2008 mitaufzunehmen und sohin 450 Versicherungsmonate für den Feststellungszeitraum 1. 3. 2008 festzustellen".

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es die nach den österreichischen Rechtsvorschriften zum Stichtag 1. 3. 2008 zu berücksichtigenden Versicherungszeiten wie im Spruch des bekämpften Bescheids feststellte und das auf Feststellung der in der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Versicherungszeiten abwies. Es stützte seine Entscheidung auf den vom Gesetzgeber mit der Neufassung des § 247 Abs 1 ASVG durch die 55. ASVG-Novelle (BGBl I 1998/138) verfolgten Zweck und die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 244/03k und 10 ObS 55/05v.

Aus der Erwägung, dass § 247 ASVG die Gefahr einer zumindest mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Staatsbürgerschaft berge, sah sich das Berufungsgericht veranlasst, die ordentliche Revision zuzulassen, damit „die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität der Bestimmungen des § 247 ASVG neuerlich an das Höchstgericht herangetragen werden" könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels einer im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Die Revisionswerberin vertritt weiter ihren Standpunkt, die Auslegung des § 247 Abs 1 ASVG dahin, dass ausschließlich die in Österreich zurückgelegten Pensionsversicherungszeiten vom zuständigen österreichischen Pensionsversicherungsträger bescheidmäßig festzustellen seien, führe jedenfalls regelmäßig zu einer mittelbaren Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die neben österreichischen auch ausländische Pensionsversicherungszeiten erworben hätten, weil diesen eine frühzeitige vollständige Information über den Stand ihrer Pensionsanwartschaft in Österreich versagt bleibe. Hingegen kämen ausschließlich in Österreich versicherungspflichtig tätige Personen, die auch regelmäßig die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen, in den Genuss eines vollständigen und umfassenden Feststellungsrechts über den aktuellen Stand ihrer Pensionsanwartschaftszeiten. Aufgrund der aus Art 12 EG bzw Art 39 Abs 2 EG erfließenden gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbots bzw der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die jedenfalls auch im Fall der Anwendung des § 247 Abs 1 ASVG zu berücksichtigen seien und wozu der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 10 ObS 244/03k und 10 ObS 55/05v nicht Stellung bezogen habe, liege die im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage.

Dem ist zu erwidern:

Gemäß § 247 Abs 1 ASVG hat der leistungszuständige Pensionsversicherungsträger „die nach den österreichischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Versicherungszeiten festzustellen, wenn dies der (die) Versicherte beantragt".

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 244/03k (= SSV-NF 18/33) mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass

- diese Regelung nur „innerstaatliche Versicherungszeiten" erfasst und

- unter dem Blickwinkel des Gebots der Gleichbehandlung unter den EU-Bürgern „europarechtskonform" formuliert ist.

In Art 12 Abs 1 EG ist das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit niedergelegt. Er gilt nur „unbeschadet besonderer Bestimmungen" des EG-Vertrags. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften (EuGH) kann daher Art 12 Abs 1 EG autonom nur in durch das Gemeinschaftsrecht geregelten Fällen angewendet werden, für die der Vertrag kein besonderes Diskriminierungsverbot vorsieht (EuGH 25. 6. 1997, Rs C-131/96, Mora Romero, Slg 1997, I-3659 Rz 10 mwN).

Im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist das Diskriminierungsverbot durch die Art 39 bis 42 EG und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane, insbesondere durch die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, konkretisiert worden (EuGH 25. 6. 1997, Rs C-131/96, Mora Romero, Rz 11 mwN).

Nach Art 39 Abs 2 EG umfasst die Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten im Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

Die aufgrund Art 42 EG erlassene Verordnung (EWG) Nr 1408/71 hat kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit geschaffen, sondern eigene nationale Systeme bestehen lassen. Sie soll nur die nationalen Systeme koordinieren. Mangels einer Harmonisierung auf der Ebene der Gemeinschaft sind die Mitgliedstaaten daher zwar weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig, jedoch müssen sie dabei gleichwohl das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beachten (EuGH 11. 9. 2008, Rs C-228/07, Petersen, Rz 41 f).

Art 3 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 bestimmt, dass die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats haben, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen. Diese Bestimmung konkretisiert für die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 12 EG (Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4, Art 3 Rz 4 mwN aus der Rechtsprechung des EuGH).

§ 247 Abs 1 ASVG enthält keine direkte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Eine direkte Diskriminierung liegt vor, wenn die Staatsangehörigkeit als Unterscheidungsmerkmal benutzt wird (EuGH 27. 11. 1997, Rs C-62/96, KOM/Griechenland Slg 1997, I-6725 Rz 17 mN der Rechtsprechung). § 247 Abs 1 ASVG benützt aber als Unterscheidungsmerkmal nicht die Staatsangehörigkeit.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich der Sozialleistungen verbietet - ebenso wie in seinen allgemeinen Ausprägungen - sowohl unmittelbare (direkte, offene) als auch indirekte (mittelbare, versteckte) Diskriminierungen (Becker in Schwarze, EU-Kommentar², Art 42 EG Rz 19 f; Scheuer in Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, Art 42 EG Rz 22; Eichenhofer aaO Art 3 Rz 4 ff, je mwN aus der Rechtsprechung des EuGH).

Nach der Rechtsprechung des EuGH im Zusammenhang mit sozialrechtlichen Bestimmungen diskriminiert eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht objektiv gerechtfertigt ist und nicht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt (Becker aaO Art 42 Rz 21 mN der Rechtsprechung des EuGH).

Die durch Art 44 ff der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 vorgenommene Koordinierung des Rentenrechts (Pensionsrechts) der Mitgliedstaaten dient dem Ausgleich möglicher sozialrechtlicher Nachteile, die durch die Wahrnehmung der Freizügigkeit entstehen (vgl 10 ObS 55/05v). Das gemeinschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgebot im Bereich der Pensionsversicherung führt dazu, dass Art 45 Abs 1 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 die Träger der Mitgliedstaaten verpflichtet, bei der Prüfung der Voraussetzungen des Pensionsanspruchs eine Zusammenrechnung der nach den gesetzlichen Pensionsversicherungsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und Wohnzeiten mit den innerstaatlichen Zeiten vorzunehmen, soweit keine zeitliche Überschneidung vorliegt. Maßgebend für das Ob und den Umfang der Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Zeiten ist das Pensionsrecht jenes Mitgliedstaats, unter dessen Geltung die Zeiten zurückgelegt wurden. Der danach zuständige Träger entscheidet hierüber grundsätzlich verbindlich und einheitlich für alle Mitgliedstaaten, das heißt mit Tatbestandswirkung (10 ObS 244/03k; Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4, Art 45 Rz 21 mwN).

Die Regelung des § 247 Abs 1 ASVG findet - wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 244/03k (SSV-NF 18/33) festgehalten hat - darin Deckung, dass auch für den Bereich des europäischen Gemeinschaftsrechts über die Feststellung und das Ausmaß ausländischer Versicherungszeiten ausschließlich der zuständige Versicherungsträger des Mitgliedstaats zu entscheiden hat (vgl 10 ObS 357/99v; RIS-Justiz RS0113185).

Soweit sich die Revisionswerberin auf Art 26 Abs 2 des Abk-SozSi Österreich-Deutschland vom 22. 12. 1966 (BGBl 1969/382) bezieht, ist sie darauf zu verweisen, dass dieses Abkommen, die erste Zusatzvereinbarung vom 10. April 1969 (BGBl 1969/382), die zweite Zusatzvereinbarung vom 29. März 1974 (BGBl 1975/281) und die dritte Zusatzvereinbarung vom 29. 8. 1980 (BGBl 1982/300) mit Inkrafttreten des Abk-SozSi Österreich-Deutschland vom 4. 10. 1995, BGBl III 1998/138, am 1. 10. 1998 außer Kraft getreten sind (Art 14 Abs 3 des Abkommens).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 2 lit b ASGG.

Textnummer

E90569

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00005.09X.0317.000

Im RIS seit

16.04.2009

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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