TE OGH 2009/3/17 10ObS34/09m

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Veröffentlicht am 17.03.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Boindl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Sieglinde Brigitte M*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Witwenpension, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Dezember 2008, GZ 7 Rs 141/08v-19, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Witwenpension gebührt gemäß § 258 Abs 4 Z 1 lit a - c ASVG nach Maßgabe der dieser Bestimmung vorangehenden Absätze auch der Frau, deren Ehe mit dem Versicherten für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) aufgrund eines gerichtlichen Urteils, eines gerichtliches Vergleichs oder einer vor Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte. Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage führen dazu aus, dass diese Sicherungen (Vorliegen qualifizierter formeller Unterhaltstitel) eingebaut wurden, um eine spekulative Ausnützung dieser Einrichtung auszuschließen. Nach dem Gesetzeswortlaut „zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) zu leisten hatte", hängt der Anspruch auf Witwenpension nach dieser Gesetzesstelle nur davon ab, ob dem hinterbliebenen geschiedenen Ehegatten aufgrund eines der drei im Gesetz angeführten rechtsbegründenden Tatbestände im Zeitpunkt des Todes des Versicherten ein Anspruch auf Unterhalt zustand. Es ist daher nicht von Bedeutung, ob der Unterhalt im Zeitpunkt des Todes auch tatsächlich gewährt wurde oder ob dessen Leistung - aus welchen Gründen immer - unterblieb (stRsp seit 10 ObS 120/87 = SSV-NF 1/63). Die Frage der tatsächlichen Unterhaltsleistung wäre nur für das Vorliegen eines Anspruchs auf Witwenpension nach § 258 Abs 4 lit d ASVG maßgebend. Der Zweck der erwähnten formalen Voraussetzungen des § 258 Abs 4 lit a - c ASVG ist neben der bereits erwähnten Verhinderung von Manipulationsmöglichkeiten zu Lasten der Sozialversicherungsträger auch darin zu erblicken, dass den Sozialversicherungsträgern die materielle Prüfung des Grundes und der Höhe des Unterhaltsanspruchs möglichst erspart bleiben soll (vgl 10 ObS 370/01m = SSV-NF 16/41 mwN ua). Der Anspruch auf Witwenpension stellt also nicht auf den zur Zeit des Todes des Versicherten tatsächlich geleisteten, sondern auf den bloß geschuldeten Unterhalt ab. Der Gefahr eines Missbrauchs kann nur dadurch begegnet werden, dass der Versicherungsträger den Abschluss einer Unterhaltsvereinbarung zum Schein oder den - vollständigen oder teilweisen - Verzicht auf den vereinbarten Unterhaltsanspruch behauptet und nachweist (10 ObS 276/89 = SSV-NF 3/121).

Im vorliegenden Fall war der Versicherte aufgrund des bei der einvernehmlichen Scheidung der Ehe vor dem Bezirksgericht Amstetten am 9. 2. 1995 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 7.000 ATS, wertgesichert nach dem Index der Verbraucherpreise 1986, Stand Februar 1995, an die Klägerin verpflichtet. Es ist auch nicht mehr strittig, dass es sich bei diesem Unterhaltsvergleich um kein Scheingeschäft (vgl dazu 3 Ob 7/95 = JBl 1996, 578) gehandelt hat und die Klägerin auf ihren Unterhaltsanspruch nicht (auch nicht schlüssig) verzichtet hat.

Die Beklagte macht nunmehr in ihrer außerordentlichen Revision im Wesentlichen geltend, eine zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten grundsätzlich bestehende Unterhaltspflicht, die sich auf einen formal aufrechten Unterhaltstitel gründet, sei zum Entstehen eines Anspruchs auf Witwenpension gemäß § 258 Abs 4 Z 1 lit a - c ASVG allein nicht ausreichend, sondern es sei auch der materielle Bestand des Unterhaltsanspruchs zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten zu prüfen. Das alleinige Abstellen auf den formalrechtlich unveränderten Titel widerspreche dem Institut der Witwenpension als Ersatz für entfallenden Unterhalt. Es sei daher trotz Vorliegens eines ursprünglich gültig zustande gekommenen Unterhaltstitels auf die „wahren" Verhältnisse zur Zeit des Todes des Versicherten in der Weise abzustellen, dass bei jahrelang bestandener wirtschaftlicher Unmöglichkeit Unterhalt zu leisten, der Unterhaltsanspruch materiell nicht mehr bestanden habe und sohin untergegangen sei bzw „faktisch" immer geruht habe. Es wäre daher zu erheben gewesen, ob für die Klägerin die grundsätzliche Möglichkeit der Realisierung ihres Unterhaltsanspruchs zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten bestanden habe.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes der Anspruch auf Witwenpension nach § 255 Abs 4 lit a - c ASVG (allein) davon abhängt, ob dem hinterbliebenen geschiedenen Ehegatten aufgrund eines der drei im Gesetz angeführten rechtsbegründenden Tatbestände im Zeitpunkt des Todes des Versicherten ein Anspruch auf Unterhalt zustand. Es wird in dieser Gesetzesstelle hingegen nicht auf einen materiell-rechtlich zu beurteilenden und nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen zu berechnenden Unterhaltsanspruch abgestellt, zumal der Gesetzgeber, wie bereits erwähnt, dem Sozialversicherungsträger durch die getroffene Regelung eine materielle Prüfung des Grundes und der Höhe des Unterhaltsanspruchs möglichst ersparen wollte (vgl auch 10 ObS 120/99s = SSV-NF 13/67). Wie bereits das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausgeführt hat, ist das aufrechte Bestehen einer Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt im Todeszeitpunkt etwa dann nicht erfüllt, wenn der titulierte Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Versicherten beispielsweise wegen einer Lebensgemeinschaft der geschiedenen unterhaltsberechtigten Gattin geruht hat (10 ObS 53/90 = SSV-NF 4/28) oder eine aufrechte Verpflichtung des Versicherten zur Unterhaltsleistung im Zeitpunkt des Todes deswegen nicht bestanden hat, weil der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehegattin aus einem früheren Vergleich aufgrund eines später ergangenen Urteils wegen Änderung der Sachverhaltsgrundlage gehemmt war (10 ObS 66/92 = SSV-NF 6/43). Dasselbe gilt, wenn der vertraglich geschuldete Unterhalt nach dem übereinstimmenden Willen der geschiedenen Ehegatten etwa nur für die Dauer der kindererziehungsbedingten Erwerbslosigkeit der Ehefrau zu zahlen war und danach einvernehmlich eingestellt wurde, sodass die Unterhaltsverpflichtung zum Todeszeitpunkt bereits wieder weggefallen war (10 ObS 285/99f = SSV-NF 13/128). Gegen die Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall liege ein vergleichbarer Anlass für ein Ruhen oder eine Hemmung des titulierten Unterhaltsanspruchs der Klägerin nicht vor, werden auch in der Revision keine inhaltlichen Argumente vorgetragen.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es bei der vom Gesetzgeber gewählten formellen Betrachtungsweise nach der ständigen Rechtsprechung nicht darauf ankommt, ob aufgrund der im Gesetz angeführten Unterhaltstitel tatsächlich auch Unterhalt geleistet wurde. Entscheidend ist vielmehr allein der Anspruch, wie er aufgrund eines der in § 258 Abs 4 lit a - c ASVG angeführten Verpflichtungsgründe - also aufgrund eines gerichtlichen Urteils, eines gerichtlichen Vergleichs oder einer vor der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe schriftlich eingegangenen Verpflichtung - gegen den verstorbenen Versicherten an dessen Sterbetag konkret bestanden hat (vgl in diesem Sinne auch VwGH Zl 2004/12/0144 vom 30. 5. 2006 mwN zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 19 PG). Bestand eine Verpflichtung zur Unterhaltsleistung aufgrund eines formellen Titels im Sinn des § 258 Abs 4 lit a - c ASVG, erhält die Witwe daher auch dann eine Witwenpension, wenn aufgrund dieses Titels tatsächlich kein Unterhalt geleistet wurde. Die gegenteiligen Ausführungen der Beklagten lassen insbesondere unberücksichtigt, dass auch geänderte Verhältnisse einen Unterhaltsvergleich nicht außer Kraft treten lassen, sondern dass - abgesehen von einer Parteienvereinbarung - ein gerichtlicher Unterhaltsvergleich so lange in Kraft bleibt, bis er durch eine andere gerichtliche Entscheidung abgeändert oder außer Kraft gesetzt wird. Für die Feststellung des Anspruchs auf Witwenpension dem Grunde und der Höhe nach sind eventuell geänderte Umstände, die nicht zu einer Änderung bzw zur Beseitigung des Unterhaltsurteils, des Unterhaltsvergleichs oder der Unterhaltsvereinbarung geführt haben, daher unbeachtlich (vgl auch Teschner/Widlar, MGA, ASVG 56. Erg-Lfg 1334 mwN; VwSlg 7.098/A). Schließlich bestehen auch keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, dass die Bestimmungen über den öffentlich-rechtlichen Anspruch der Klägerin auf Witwenpension an die zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche des Betreffenden anknüpfen.

Da somit die Entscheidung des Berufungsgerichts im Einklang mit der zitierten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht, wonach bei Vorliegen eines formellen Unterhaltstitels im Sinn des § 258 Abs 4 lit a - c ASVG selbst dann Anspruch auf Witwenpension besteht, wenn tatsächlich kein Unterhalt geleistet worden ist, war die außerordentliche Revision der beklagten Partei mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Textnummer

E90567

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00034.09M.0317.000

Im RIS seit

16.04.2009

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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