TE OGH 2009/8/11 10ObS100/09t

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Veröffentlicht am 11.08.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Hoch und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Monika Kemperle (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Dusan-Stephan T*****, HNO-Facharzt, *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Birgit Fink, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen vorzeitiger Alterspension bei langer Versicherungsdauer, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. April 2009, GZ 23 Rs 4/09y-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Oktober 2009, GZ 65 Cgs 61/08v-7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger wurde am 30. 3. 1946 in dem in der ehemaligen CSSR - nunmehr Slowakei - gelegenen K***** geboren. Nach dem Besuch einer Mittelschule begann er ein Hochschulstudium an der Universität in Bratislava (AS 16 des Anstaltsaktes). Im Jahr 1968 flüchtete er aus der ehemaligen CSSR nach Österreich, wo er an der Universität Wien für das Wintersemester 1968/69 (ab 12. 11. 1968 bis 31. 3. 1969) für die 6 Wochenstunden umfassende Lehrveranstaltung „Deutsche Unterstufe" und sodann im Sommersemester 1969 (1. 4. 1969 bis 31. 10. 1969) für die Lehrveranstaltungen „Deutsch für Ausländer (vorgeschrieben)", „Pathologische Anatomie" und „Pharmakologie und Toxikologie 2" (zusammen insgesamt 14 Wochenstunden) inskribiert war. Während des Sommersemesters 1969 war der Kläger (in der Zeit vom 1. 4. 1969 bis 30. 6. 1969) überdies als so genannter Spielmitwirkender beim Burgtheater in Wien beschäftigt. Nachfolgend studierte er in der Bundesrepublik Deutschland Medizin und arbeitete dort schließlich als HNO-Facharzt. Der Kläger ist nunmehr deutscher Staatsbürger und ständig in Deutschland wohnhaft.

Am 23. 11. 2007 hat der Kläger bei der Bayerischen Ärzteversorgung einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente gestellt, worauf ein zwischenstaatliches Rentenantrags- und Bescheidverfahren eingeleitet wurde.

Mit Bescheid vom 3. 3. 2008 hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer an den Kläger mit der wesentlichen Begründung abgelehnt, dass er in der österreichischen Pensionsversicherung insgesamt lediglich drei Versicherungsmonate erworben habe.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger sinngemäß, die beklagte Partei zur Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer in gesetzlicher Höhe ab 1. 1. 2008 zu verpflichten. Im erstinstanzlichen Verfahren brachte er zusammengefasst vor, er sei in der Zeit vom 8. 11. 1968 bis 31. 10. 1969 an der Universität Wien als ordentlicher Hörer (Deutsch und Medizin) inskribiert gewesen, wodurch er gemäß § 227 Abs 1 ASVG Ersatzzeiten im Ausmaß von 12 Monaten erworben habe.

Die beklagte Partei wendete ein, der Kläger sei an der Universität Wien sowohl im Wintersemester 1968/69 als auch im Sommersemester 1969 nicht als ordentlicher, sondern lediglich als außerordentlicher Hörer inskribiert gewesen; Studienzeiten als außerordentlicher Hörer seien aber nicht als Ersatzzeiten im Sinne des § 227 Abs 1 ASVG anrechenbar.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Über den eingangs dargestellten unstrittigen Sachverhalt hinaus stellte es fest, dass der Kläger an der Universität Wien für die eingangs erwähnten Lehrveranstaltungen im gesamten Studienjahr 1968/69 lediglich als außerordentlicher Hörer inskribiert gewesen sei, wobei jedoch nicht festgestellt werden könne, ob er die inskribierten Vorlesungen auch tatsächlich besucht habe.

Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das Erstgericht nach einem Hinweis auf Art 48 der Verordnung (EWG) 1408/71 und § 227 Abs 1 ASVG zum Schluss, dem Kläger seien für die von ihm begehrte vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer zwar die drei Monate seiner Beschäftigung beim Wiener Burgtheater als Beitragsmonate der Pflichtversicherung, die Zeiten seiner Inskription an der Universität Wien jedoch nicht (auch nicht teilweise) als Ersatzzeiten gemäß § 227 Abs 1 ASVG anzurechnen. Diese Bestimmung stelle nämlich hinsichtlich des Besuches einer inländischen Hochschule darauf ab, dass der Pensionswerber dort als ordentlicher Hörer und nicht bloß als außerordentlicher Hörer inskribiert gewesen sei. Nur im Falle einer Inskription als ordentlicher Hörer, nicht aber auch als außerordentlicher Hörer liege ein in § 227 Abs 1 Z 1 ASVG geforderter Besuch eines normalen Studienganges vor. Überdies habe der - nach § 227 Abs 1 Z 1 ASVG hierfür beweispflichtige - Kläger nicht einmal behauptet, die von ihm an der Universität Wien inskribierten Lehrveranstaltungen auch tatsächlich besucht zu haben, sodass auch aus diesem Grund eine Anrechenbarkeit der Zeiten seiner Inskription als Ersatzzeiten zu verneinen sei. Dazu komme, dass der Kläger in der Zeit vom 1. 4. 1969 bis 30. 6. 1969 durch eine unselbständige Beschäftigung drei Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben habe; dieser Zeitraum könne gemäß § 231 ASVG nicht zugleich auch als Ersatzzeit gemäß § 227 Abs 1 Z 1 ASVG angerechnet werden.

Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung nicht Folge.

Ausgehend von der Ansicht, dass der kurz zuvor aus der (damaligen) CSSR geflohene Kläger im Wintersemester 1968/69 an der Universität Wien lediglich die Lehrveranstaltung „Deutsche Unterstufe" (mit 6 Wochenstunden) inskribiert habe und der Besuch einer solchen Lehrveranstaltung im Hinblick auf das beabsichtigte Medizinstudium zweckmäßig, allenfalls nach § 7 Abs 8 des damals geltenden Allgemeinen Hochschul-Studiengesetzes 1966 auch notwendig gewesen sein möge, jedoch nicht Teil des Studienplans für das Studium der Medizin an der Universität Wien gewesen und somit nicht als Ersatzzeit im Sinn des § 227 Abs 1 Z 1 ASVG anzurechnen sei, erledigte das Berufungsgericht die Mängel- und die Tatsachenrüge nicht. Bei Entfall des Wintersemesters 1968/69 als Ersatzzeit könne im Hinblick auf die in Art 48 der VO (EWG) 1408/71 mit einem Jahr zugelassene Mindestdauer der in einem Mitgliedstaat zu berücksichtigenden Versicherungszeiten eine allfällige Anrechenbarkeit der Dauer des Sommersemesters 1969 ebenso auf sich beruhen wie der unstrittige Umstand, dass der Kläger während des Sommersemesters 1969 drei Beitragsmonate der Pflichtversicherung (durch seine unselbständige Beschäftigung in der Zeit vom 1. 4. 1969 bis 30. 6. 1969) erworben habe.

Die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO wurde nicht zugelassen, weil eine in dieser Bestimmung angeführte Rechtsfrage nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn.

Die beklagte Partei hat von der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung nicht Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht nicht berücksichtigt hat, dass der Kläger in erster Instanz auch ein Deutsch-Studium behauptet hat, was im Sinne der Rechtssicherheit aufzugreifen ist. Die Revision ist im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

In seiner Revision stellt der Kläger folgende Punkte in den Vordergrund:

- Abgesehen davon, dass der Besuch der Lehrveranstaltung „Deutsche Unterstufe" offenbar für das Medizinstudium notwendig gewesen sei, was auch vom Berufungsgericht akzeptiert werde, fordere § 227 Abs 1 Z 1 ASVG („besucht wurde") für die Anrechnung einer Ersatzzeit nicht, dass das vorgesehene Bildungsziel erreicht bzw das Studium in der in der Studienordnung vorgesehenen Art beendet worden sei.

- Selbst wenn die Lehrveranstaltung „Deutsche Unterstufe" nicht Teil des Studienplans des Medizinstudiums gewesen sei, wäre davon auszugehen, dass der Kläger durch Inskription der Lehrveranstaltung „Deutsche Unterstufe" zunächst ein anderes Studium belegt und sodann im Sommersemester 1969 auf das Medizinstudium gewechselt sei.

- Insgesamt seien daher aus dem Inskriptionszeitraum Wintersemester 1968/69 und Sommersemester 1969 neun Monate als Ersatzzeiten im Sinne des § 227 Abs 1 Z 1 ASVG zu berücksichtigen, sodass zuzüglich der sich zeitlich deckenden Pflichtversicherungszeit im Ausmaß von drei Monaten die für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer erforderliche Anzahl von zwölf Versicherungsmonaten erfüllt sei. Ausgehend von seiner dem entgegenstehenden Rechtsansicht habe es das Berufungsgericht zu Unrecht unterlassen, sich mit der in der Berufung enthaltenen Verfahrens-, Beweis- und Rechtsrüge auseinanderzusetzen, was eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens begründe.

Dazu wurde erwogen:

1. Als Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 und vor dem 1. Jänner 2005 gelten nach § 227 Abs 1 Z 1 ASVG unter anderem Zeiten, in denen nach Vollendung des 15. Lebensjahres „eine inländische Hochschule bzw. Kunstakademie oder Kunsthochschule in dem für die betreffende Schul(Studien)art vorgeschriebenen normalen Ausbildungs(Studien)gang besucht wurde". Die Anrechnung von Ersatzzeiten ist auf höchstens zwölf Semester begrenzt, wobei jedes Studiensemester mit sechs Monaten gerechnet wird.

Nach dem Gesetzeswortlaut ist nicht erforderlich, dass das vorgesehene Bildungsziel erreicht oder das Studium auf die in der Studienordnung vorgesehene Art beendet wurde; gefordert wird lediglich, dass während der Hochschulzeit keine Pflichtbeitragszeiten erworben wurden und eine sonstige Versicherungszeit der Hochschulzeit nachfolgt (10 ObS 88/95 = SSV-NF 9/49 = RIS-Justiz RS0084606). Der anrechenbare Zeitraum von höchstens 12 Semestern nimmt sowohl auf einen allfälligen Wechsel der Studienrichtung als auch auf ein zweites (nachfolgendes) Studium Bedacht (VwGH 92/08/0205).

2. In Bezug auf die Qualität des Studiums legt § 227 Abs 1 Z 1 ASVG drei Voraussetzungen fest:

- die Hochschule muss tatsächlich „besucht" worden sein (wenn auch nicht im Sinne einer täglichen „physischen Anwesenheit": Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG [98. Erg-Lfg] § 227 Anm 3a [1111]),

- und zwar im „normalen" Studiengang,

- wie er für das betreffende Studium vorgeschrieben war.

Im Hinblick auf die Bezugnahme auf den vorgeschriebenen normalen Studiengang kann nur ein Studium als ordentlicher Hörer (§ 6 AHStG, BGBl 1966/177) zu einer Ersatzzeitenanrechnung führen. Die Zeit, in der die deutsche Sprache in einem für das Studium genügenden Ausmaß erlernt wird, zählt nicht zum ordentlichen Studium (§ 7 Abs 8 AHStG).

3. Das Berufungsgericht hat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt, dass der Kläger im Wintersemester 1968/69 keine Lehrveranstaltung besucht hat, die zu dem für das Medizinstudium vorgeschriebenen normalen Studiengang gehört. Dabei wurde aber außer Acht gelassen, dass der Kläger möglicherweise vor dem Medizinstudium ein anderes Studium begonnen hat. Die beklagte Partei weist in ihrer Klagebeantwortung (nicht näher determiniert) darauf hin, dass sich der Kläger auf ein Deutsch-Studium (Germanistik?) beruft.

Es wurde bereits ausgeführt, dass ein Studienabbruch oder Studienwechsel die Möglichkeit der Anrechnung einer Ersatzzeit nicht verhindert. Da dem Studienplan für das Studium der Medizin keine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommt, sondern auch ein anderes Studium als Anrechnungsgrundlage in Betracht kommt, kann der Hinweis des Berufungsgerichts, dass die im Wintersemester 1968/69 besuchte Lehrveranstaltung nicht dem Studienplan entsprochen habe, für sich allein nicht dazu führen, dass dem Kläger die Anrechnung versagt wird.

4. Ausgehend von seiner unrichtigen Rechtsansicht hat das Berufungsgericht die in der Berufung des Klägers enthaltene Mängel- und Tatsachenrüge nicht erledigt, was im fortgesetzten Verfahren nachzuholen ist.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E91617

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00100.09T.0811.000

Im RIS seit

10.09.2009

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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