TE OGH 2009/8/11 10ObS90/08w

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Veröffentlicht am 11.08.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Hoch und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Monika Kemperle (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christine N*****, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Witwenpension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Februar 2008, GZ 10 Rs 142/07m-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 16. April 2007, GZ 21 Cgs 86/07a-5, teilweise aufgehoben und teilweise bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Erich N*****, der Ehegatte der Klägerin, verstarb am 3. 7. 2006. Er war als Gewerbetreibender selbständig erwerbstätig gewesen. Sein Einkommen hatte zur Gänze aus Einkünften aus Gewerbebetrieb bestanden. Im Jahr 2004 hatte er Einkünfte von 38.564,97 EUR und im Jahr 2005 Einkünfte von 45.133,98 EUR bezogen. Im Jahr 2006 hätte seine Bruttopension zum Stichtag 1. 8. 2006 monatlich 2.001,62 EUR zuzüglich eines besonderen Steigerungsbetrags von 6,83 EUR betragen.

Die Klägerin war in den Jahren 2004 und 2005 als Angestellte der H***** GmbH & Co KG beschäftigt und bezog im Jahr 2004 47.777,36 EUR und im Jahr 2005 49.724,74 EUR. Sie ist dort weiterhin beschäftigt und bezieht ein Bruttogehalt von monatlich 2.610 EUR 14mal (im Jahr).

Mit Bescheid vom 21. 12. 2006 hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Anspruch der Klägerin auf Witwenpension nach ihrem verstorbenen Ehemann ab 4. 7. 2006 anerkannt und die Pension mit monatlich 701,62 EUR zuzüglich der Höherversicherung von 4,10 EUR, insgesamt daher 705,72 EUR festgesetzt. Die Witwenpension entspreche 35,05258 vom Hundert der Pension, auf die der Verstorbene zum Zeitpunkt des Todes Anspruch gehabt habe bzw hätte. Aufgrund des weiteren Einkommens der Klägerin liege derzeit die Voraussetzung für eine Erhöhung der Hinterbliebenenpension nicht vor.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte die Klägerin - soweit hier noch von Bedeutung -, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr ab 4. 7. 2006 eine höhere Witwenpension als 705,72 EUR zu bezahlen. Im Rahmen des Einkommensvergleichs seien beim Einkommen zu Unrecht die (vom Erwerbseinkommensbegriff des § 264 Abs 5 Z 1 ASVG iVm § 91 Abs 1 Z 2 ASVG mitumfassten) gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge des Versicherten nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen worden. Das Einkommen der Witwe, mit dem dieses Einkommen laut Steuerbescheiden verglichen worden sei, enthalte hingegen die Sozialversicherungsbeträge. Die dem Verstorbenen vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge müssten seiner Bemessungsgrundlage hinzugerechnet werden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und sprach der Klägerin nur die bereits bescheidmäßig zuerkannte Pensionsleistung zu. Seiner rechtlichen Beurteilung legte es zugrunde, dass sich ein Hundertsatz von 35,052588, also die von der beklagten Partei errechnete Witwenpension ergebe. Dafür, dass zur Berechnungsgrundlage des Verstorbenen die von ihm bezahlten Sozialversicherungsbeiträge hinzuzurechnen seien, finde sich im Gesetz keine Grundlage. Da in § 91 Abs 1 ASVG zwischen unselbständigem und selbständigem Erwerbseinkommen unterschieden werde, seien die Begriffe „Entgelt" und „Einkünfte" auslegungsbedürftig: Das Entgelt sei in § 49 ASVG definiert. Gemäß § 44 Abs 1 Z 1 ASVG sei im System des ASVG die Beitragsgrundlage im Wesentlichen mit dem Entgelt identisch. Im Zusammenhalt mit den Bestimmungen der §§ 51 ff ASVG ergebe sich, dass im Entgelt, soweit es mit der Beitragsgrundlage identisch sei, die Dienstnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge enthalten seien.

Der Begriff der Einkünfte im Sinn des § 91 Abs 1 Z 2 ASVG sei im ASVG nicht definiert. Nach dem System der Sozialversicherungsgesetze und der dadurch geschaffenen Versichertengemeinschaften seien die Rechtsgrundlagen für die Sozialversicherung der gewerblichen Selbständigen grundsätzlich im GSVG geschaffen. Nach § 25 Abs 1 GSVG seien für die Ermittlung der Beitragsgrundlagen die im Durchschnitt auf einen Kalendermonat entfallenden Einkünfte aus einer (gewerblichen) Erwerbstätigkeit heranzuziehen. In § 25 Abs 1 GSVG sei definiert, dass als Einkünfte die Einkünfte im Sinn des EStG 1988 gelten. Im EStG werde in § 2 Abs 2 zunächst definiert, dass das Einkommen der Gesamtbetrag der Einkünfte sei. In § 2 Abs 3 Z 3 EStG seien die Einkünfte aus Gewerbebetrieb gesondert erwähnt und in § 23 EStG noch genauer definiert. Gemäß § 2 Abs 4 Z 1 EStG seien Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Gewinn. Aus § 4 Abs 4 Z 1 EStG ergebe sich, dass Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Unfall-, und Pensionsversicherung jedenfalls nicht im Gewinn enthalten seien. Damit korrespondiere § 25 Abs 2 Z 2 GSVG. Dort werde festgelegt, dass die Beitragsgrundlage nach dem GSVG die Einkünfte (also der Gewinn) zuzüglich der Beiträge zur Kranken- und Pensionsversicherung seien. Daraus ergebe sich, dass der Begriff der Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne des EStG offensichtlich im Wesentlichen identisch sei mit dem Begriff der Einkünfte nach dem GSVG und dass darin keine Kranken- und Pensionsversicherungsbeiträge enthalten seien. Aus systematischen Erwägungen und auch weil dem Sozialversicherungsgesetzgeber zu unterstellen sei, dass er den Begriff der Einkünfte in diesem Zusammenhang in verschiedenen Gesetzen grundsätzlich gleich verwende, sei der Begriff der Einkünfte gemäß § 91 Abs 1 Z 2 ASVG daher ebenfalls so zu definieren, dass es sich dabei um die Einkünfte im Sinne des EStG handle.

Das Argument der Klägerin, dass in ihrer Berechnungsgrundlage Sozialversicherungsbeiträge enthalten seien, während die Berechnungsgrundlage des Verstorbenen keine Sozialversicherungsbeiträge beinhalte, könne für sich genommen nicht zu einer anderen Auslegung der Begriffe Entgelt und Einkünfte führen. Wie sich aus dem gesamten systematischen Zusammenhang des Beitragsrechts der Sozialversicherung einerseits und des Steuerrechts andererseits ergebe, habe der Gesetzgeber zwei unterschiedliche Systeme für die Aufbringung der Sozialversicherungsbeiträge geschaffen. Diese Systeme seien durch Jahrzehnte gewachsen und allgemein bekannt. Warum im Falle der Berechnung der Witwenpension eine systemfremde Vorgangsweise gewählt werden sollte und ein von diesen Systemen völlig abweichendes neues Berechnungsverfahren anzuwenden wäre, sei nicht ersichtlich. Ob sich in der unterschiedlichen Behandlung der Sozialversicherungsbeiträge bei der Ermittlung der Berechnungsgrundlagen nach § 264 ASVG eine unsachliche Ungleichbehandlung verberge, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz der österreichischen Bundesverfassung nicht vereinbar sei, habe das Gericht I. Instanz nicht zu erörtern.

Das Berufungsgericht gab der Berufung - soweit hier noch von Bedeutung - nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es schloss sich der Beurteilung des Erstgerichts an, dass - entgegen der von der Klägerin zur Auslegung des § 264 Abs 5 Z 1 iVm § 91 Abs 1 Z 2 ASVG vertretenen Meinung - zu den Einkünften aus einer selbständigen Tätigkeit (nur) der Gewinn und nicht auch die vorgeschriebenen und geleisteten Sozialversicherungsbeiträge gehöre. Maßgebend für die Höhe der Witwenpension sei die Relation der Einkommen. Daher habe gesetzlich auch normiert werden müssen, was dazu zu zählen sei. Dabei habe sich der Gesetzgeber im Falle zu berücksichtigender selbständiger Erwerbstätigkeit für den steuerrechtlichen Einkommensbegriff entschieden, wonach Einkünfte von den Einnahmen sowie vom Einkommen zu unterscheiden seien. Einkünfte seien die Einnahmen abzüglich der Betriebsausgaben (= Gewinn). Für die Berücksichtigung von abzuführenden Sozialversicherungsbeiträgen bleibe demnach, unter Berücksichtigung des klaren Wortlauts der gesetzlichen Bestimmungen, kein Raum. Eine einheitliche Definition des Einkommensbegriffs in allen Bereichen aller Sozialversicherungssysteme möge wünschenswert erscheinen; eine Verpflichtung des Gesetzgebers, über alle Systeme hinweg beitrags- und leistungsrechtlich denselben Einkommensbegriff zu statuieren, bestehe aber nicht. Die Witwenpension habe die Aufgabe, den Lebensunterhalt der Witwe zu gewährleisten, und zwar dahingehend, dass ihr auch nach dem Ableben des Ehepartners „eine dem zuletzt erworbenen Lebensstandard nahekommende Versorgung" gesichert sei. Dem verfassungsgemäßen Sachlichkeitsgebot sei Genüge getan, wenn der für die Bestimmung des Einkommens gewählte Anknüpfungspunkt für sich genommen sachlich zu rechtfertigen sei. Dem einfachen Gesetzgeber sei es aufgrund des demokratischen Prinzips nicht verwehrt, seine jeweiligen rechtspolitischen Vorstellungen im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verwirklichen. Innerhalb des ihm zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraums sei der Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz (nur) insoweit an inhaltliche Schranken gebunden, als sachlich nicht begründbare gesetzliche Regelungen verfassungsrechtlich verboten seien. Dabei sei unter der „Sachlichkeit" einer Regelung nicht ihre „Zweckmäßigkeit" oder „Gerechtigkeit" zu verstehen; die Zweckmäßigkeit einer Regelung unterliege in der Regel nicht der verfassungsrechtlichen Überprüfung. Nicht einmal der Umstand, dass durch eine gesetzliche Regelung Härtefälle entstehen können, mache das Gesetz per se gleichheitswidrig. Da die hier jeweils vorzunehmende Einkommensermittlung das wesensbestimmende Ziel der Regelungen über die Witwenpension in ausreichendem Maß erfülle, sei die Anregung, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten, nicht aufzugreifen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil „zur beantwortenden Rechtsfrage" [ob nach § 264 Abs 5 Z 1 iVm § 91 Abs 1 Z 2 ASVG zu den Einkünften aus einer selbständigen Tätigkeit neben dem Gewinn auch die vorgeschriebenen und geleisteten Sozialversicherungsbeiträge zu zählen sind], deren Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs - soweit ersichtlich - nicht vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt und angeregt, dem Verfassungsgerichtshof die unterschiedliche Bewertung von Erwerbseinkommen aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit nach § 264 Abs 1 Z 5 iVm § 91 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung vorzulegen.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

In ihrer ausführlichen Revision beruft sich die Klägerin vor allem auf die Einkommensersatz- bzw Unterhaltsersatzfunktion der Pensionsversicherung, die darin bestehe, dem Versicherten einen Lebensstandard zu sichern, der dem zuletzt erworbenen nahe komme. Sie gesteht zwar zu, dass nach den steuerrechtlichen Bestimmungen durch die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen der Gewinn der selbständigen Erwerbstätigen geschmälert werde; dennoch müsse das Geld, um die Beiträge zur Sozialversicherung der selbständig Erwerbstätigen bezahlen zu können, von diesen erst erworben werden. Die Revision beruft sich daher darauf, dass die geleisteten Sozialversicherungsbeiträge in die Beitragsgrundlage miteinbezogen würden, und führt - kurz zusammengefasst - aus, dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, dass er „nicht erzielte und daher letztlich nicht existierende Einkünfte" im Wege der Einbeziehung in die Bemessungsgrundlage als „schützenswert erachtet" und „der Einkommensersatzfunktion zuführt". Daher könne nur der Schluss gezogen werden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch bei selbständig erwerbstätigen Personen die aufgrund dieser Tätigkeit abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zu den „schützenswerten" Einkünften zählten und daher vom Erwerbseinkommensbegriff des § 264 Abs 5 Z 1 ASVG iVm § 91 Abs 1 Z 2 ASVG mitumfasst seien.

Im Übrigen wiederholt die Klägerin ihre Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 264 Abs 5 Z 1 iVm § 91 Abs 1 Z 2 ASVG: Werde bei Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit auf das steuerpflichtige Einkommen abgestellt, bei Einkommen aus einer unselbständigen Tätigkeit, aus der gesetzlichen Sozialversicherung und aus den Beamtensystemen hingegen das sozialversicherungspflichtige Einkommen zugrundegelegt, dann sei der Zweck der Witwen-/Witwerpension - eine dem zuletzt erworbenen Lebensstandard nahekommende Versorgung zu sichern - in unsachlicher Weise nicht erfüllt; die Berechnungsgrundlagen spiegelten dann nämlich nicht „den zuletzt erworbenen Lebensstandard" wider. Diese Ungleichbehandlung aufgrund des unterschiedlichen Einkommensbegriffs werde durch die Regelungen des § 264 Abs 6 ASVG, § 146 Abs 6 GSVG, § 136 Abs 6 BSVG und § 15b Pensionsgesetz 1965 über den so genannten Schutzbetrag im Effekt zwar etwas gemildert, nicht aber beseitigt. Da von der gegenständlichen Regelung alle Hinterbliebenen mit Anspruch auf Witwen-/Witwerpension nachteilig betroffen seien, bei denen zur Ermittlung des Prozentausmaßes der Witwen-/Witwerpension ein im Beobachtungszeitraum erworbenes selbständiges Erwerbseinkommen mit einem im Beobachtungszeitraum erworbenen Einkommen eines unselbständig Tätigen oder eines Pensionisten bzw mit einem beitragspflichtigen Gehalt nach dem GehG 1956 oder mit einem Ruhebezug verglichen werden, lägen nicht bloß „einzelne atypische Härtefälle" vor. Die vom Erstgericht angeführten, über Jahrzehnte gewachsenen unterschiedlichen Systeme zur Aufbringung der Sozialversicherungsbeiträge könnten die unterschiedliche Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen bei der Berechnung vom Prozentausmaß der Witwen-/Witwerpension nicht rechtfertigen, weil die konkrete Ungleichbehandlung erstmals in der Novelle BGBl I 2004/78 geschaffen worden sei.

Dazu wurde erwogen (im Folgenden wird im Hinblick auf das Geschlecht der Klägerin zur Vereinfachung lediglich der Ausdruck „Witwenpension" und nicht auch „Witwerpension" verwendet):

1. Zur Entwicklung der Rechtslage in Bezug auf die Berechnung der Höhe der Witwenpension:

1.1. Ausgangspunkt der Berechnung der Höhe der Witwenpension war ab 1. 1. 1995 das zu Lebzeiten des Versicherten erzielte Haushaltseinkommen und dessen Verteilung auf die beiden Ehepartner. Verglichen wurden die Pensionsbemessungsgrundlagen des Verstorbenen und des überlebenden Ehepartners. Die Witwenpension betrug (auf der Grundlage eines komplizierten Berechnungsvorgangs) mindestens 40 %, höchstens 60 % der Pension des Verstorbenen. Mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 (SRÄG 2000 - BGBl I 2000/92) wurde die Formel zur Ermittlung der Höhe der Witwenpension neu geregelt: Um sowohl Aktiv- als auch Pensionseinkommen berücksichtigen zu können, war für jeden der beiden Ehepartner eine „Berechnungsgrundlage" zu ermitteln. Bei gleicher Höhe der Berechnungsgrundlagen hatte die Witwenpension ein Ausmaß von 40 % der Pension des Verstorbenen. Die maximale Witwenpension betrug 60 % (wenn die Berechnungsgrundlage des Verstorbenen mindestens dreimal so hoch war wie die des überlebenden Ehegatten). War hingegen die Berechnungsgrundlage der hinterbliebenen Ehegatten größer, dann verminderte sich die Pensionshöhe pro 1 % Unterschied um 0,3 % bis auf 0 %. Durch das SRÄG 2000 wurde daher mit Wirkung ab 1. 10. 2000 eine Spreizung zwischen 0 % und 60 % der Pension des verstorbenen Ehegatten bei gleichzeitiger Änderung der Berechnungsformel eingeführt.

Der Oberste Gerichtshof hegte gegen diese Neuregelung keine verfassungsmäßigen Bedenken (10 ObS 382/02b = RIS-Justiz RS0117422: Höhe der Witwenpension 0 EUR).

1.2. Aufgrund eines Drittelantrags von Nationalratsabgeordneten auf Aufhebung der Pensionsreform 2000 hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 27. 6. 2003, G 300/02 ua (VfSlg 16.923), § 264 Abs 2 bis 5 ASVG idF BGBl I 2001/67 als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 30. Juni 2004 in Kraft tritt. Diese Entscheidung wurde mit Unsachlichkeit begründet, weil dem für die Spreizung maßgeblichen Vergleich die in § 264 Abs 3 und 4 ASVG geregelten Berechnungsgrundlagen zugrunde gelegt würden, die nicht die tatsächliche „Pensionshöhe" widerspiegelten.

1.3. Als Reaktion auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs hat der Nationalrat am 16. 6. 2004 mit dem 2. SVÄG 2004 eine Novellierung der Abs 2 - 6 des § 264 ASVG beschlossen. Nach den Absätzen 3 und 4 werden die Berechnungsgrundlagen der Witwe und des Verstorbenen von ihrem jeweiligen Einkommen in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Todes des Versicherten gebildet. Angesichts des Inhalts des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 6. 2003, G 300/02 ua, hielt der Oberste Gerichtshof die Neuregelung für verfassungskonform (RIS-Justiz RS0121071). Mit dem SVÄG 2006, BGBl I 2006/130, wurde § 264 Abs 4 ASVG um eine Regelung ergänzt, wonach beim Verstorbenen als Berechnungsgrundlage das Einkommen der letzten vier Kalenderjahre vor dem Zeitpunkt des Todes, geteilt durch 48, heranzuziehen ist, wenn die Verminderung des Einkommens in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten auf Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist oder in dieser Zeit die selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit wegen Krankheit, Gebrechen oder Schwäche eingeschränkt wurde und dies für die Witwe günstiger ist.

1.4. Dagegen, dass die Witwenpension auf der Grundlage eines Einkommensvergleichs bemessen wird, bestehen aus Sicht des Obersten Gerichtshofs nach ständiger Rechtsprechung keine verfassungsrechtlichen Bedenken; eine solche Regelung liegt auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers (jüngst: 10 ObS 81/09y).

2. Zur Einbeziehung bzw Nichteinbeziehung der Sozialversicherungsbeiträge in die Berechnungsgrundlage bei unselbständig bzw selbständig Erwerbstätigen:

2.1. Nach § 264 Abs 5 ASVG gelten als Einkommen nach Abs 3 und 4 ua Erwerbseinkommen gemäß § 91 Abs 1 ASVG. Nach dieser Bestimmung, die im Ersten Teil, Abschnitt VI („Leistungsansprüche") des ASVG enthalten ist, gilt als Erwerbseinkommen bei unselbständig Erwerbstätigen grundsätzlich „das aus dieser Tätigkeit gebührende Entgelt". Das ASVG geht von einem vom Arbeitsrecht und Lohnsteuerrecht abweichenden Entgeltbegriff aus (vgl OGH 10 Ob S 126/06m = SSV-NF 20/56; W. Geppert in W. Geppert [Hrsg], Sozialversicherung in der Praxis [3. ErgLfg] Kap 4.8.1). Nur dasjenige, das unter diesen Entgeltbegriff fällt, ist - im Rahmen der Höchstbeitragsgrundlage - beitrags- und meldepflichtig sowie leistungswirksam. § 49 ASVG regelt aber für den Bereich des Sozialversicherungsrechts gesondert, was unter „Entgelt" eines Dienstnehmers aus unselbständiger Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn zu verstehen ist. Auch wenn sich die Begriffsbestimmung des § 49 ASVG im Unterabschnitt über die Beitragsgrundlagen findet, ist nicht davon auszugehen, dass dem Beitragsrecht und dem Leistungsrecht des ASVG von vornherein unterschiedliche Entgeltbegriffe zugrunde liegen würden (zu allem jüngst: 10 ObS 81/09y).

2.2. Insoweit gelangt daher die Bestimmung des § 49 ASVG zur Anwendung, wonach unter „Einkommen" im Sinn des § 264 Abs 5 ASVG das aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gebührende Bruttoentgelt gemäß § 49 ASVG inklusive Sonderzahlungen zu verstehen ist (RIS-Justiz RS0121584 = 10 ObS 156/06y = SSV-NF 20/87; 10 ObS 126/06m = SSV-NF 20/56).

2.3. Auch gegen dieses Ergebnis bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es dem Gesetzgeber des ASVG durchaus freisteht, innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen einen eigenständigen Entgeltbegriff zu normieren, der sowohl im Beitrags- als auch im Leistungsrecht gilt (stRsp;10 ObS 81/09y mwN).

2.4. Was nun den Bereich der selbständig Erwerbstätigen betrifft, ist - nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs - speziell der im § 25 GSVG (für die Ermittlung der Beitragsgrundlage) verwendete Begriff „Einkünfte" dem Einkommensteuerrecht entnommen, wobei im Bereich der Alterspensionen (wie der erkennende Senat ebenfalls bereits wiederholt ausgesprochen hat [10 ObS 170/89 = SSV-NF 3/98 und 10 ObS 2064/96 = SSV-NF 10/57]) kein Anlass besteht, den Begriff des „Erwerbseinkommens" grundsätzlich anders als nach den steuerrechtlichen Vorschriften zu verstehen (RIS-Justiz RS010519310 ObS 113/01t). Demnach richtet sich die Beitragsgrundlage nach den im Sinn des EStG im jeweiligen Kalenderjahr zugeflossenen Einkünften (10 ObS 166/06v mwN).

2.5. Davon ausgehend kann die Revision auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Z 2 ZPO); dass bei Heranziehung des steuerrechtlichen Einkommensbegriffs eine Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge nicht in Betracht kommt, zieht die Klägerin nämlich gar nicht in Zweifel.

3. Zur Frage der Verfassungskonformität der Einbeziehung bzw Nichteinbeziehung der Sozialversicherungsbeiträge in die Berechnungsgrundlagen nach § 264 Abs 5 Z 1 iVm § 91 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG:

3.1. Wie der Senat schon ausgesprochen hat, besteht - nach dem Erkenntnis des VfGH vom 27. 6. 2003, G 300/02 ua (VfSlg 16.923) - für den Gesetzgeber ein weiter Spielraum, was er als Einkommen bezeichnet, das für die Ermittlung der Hinterbliebenenpension relevant ist. Dem Gesetzgeber ist es daher zB unbenommen, bei der Ermittlung der Hinterbliebenenpension nur Einkommen aus unselbständiger bzw selbständiger Erwerbstätigkeit bzw Einkünfte aus der sogenannten ersten Säule anzurechnen (RIS-Justiz RS0121105 = 10 ObS 41/06m).

3.2. Nichts anderes kann für die Frage der Einbeziehung bestimmter Einkommensteile gelten; steht es doch - wie bereits zu Punkt 2.3. ausgeführt - dem Gesetzgeber des ASVG durchaus frei, innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen einen eigenständigen Entgeltbegriff zu normieren, der sowohl im Beitrags- als auch im Leistungsrecht gilt (vgl 10 ObS 69/04a = SSV-NF 18/72; 10 ObS 81/09y [zum Fehlen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Nichteinbeziehung einer an den verstorbenen Ehegatten ausbezahlten Abfertigung in die Berechnungsgrundlage für den Anspruch auf Witwenpension]).

3.3. Demgemäß bestehen dagegen, dass unter dem Begriff „Einkommen" im Sinn des § 264 Abs 5 ASVG die aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte" im Sinn des Einkommensteuerrechts (ohne Einbeziehung der vorgeschriebenen und bezahlten Sozialversicherungsbeiträge) zu verstehen sind, keine verfassungsrechtlichen Bedenken:

3.4. Handelt es sich doch bei den Versicherungen nach dem ASVG, dem GSVG, dem BSVG und den anderen Sozialversicherungsgesetzen jeweils um geschlossene Systeme, die Regelungen für die in den einzelnen Gesetzen einbezogenen Risikogemeinschaften treffen, wobei auch die Finanzierung des Aufwandes unterschiedlich ist. Demgemäß ist ein Vergleich der Lage der nach dem GSVG und dem BSVG Versicherten mit den nach dem ASVG Versicherten in Bezug auf einzelne Rechtsfolgen nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur unter besonderen Umständen zulässig (stRsp; 10 ObS 159/01g = SSV-NF 15/83 = RIS-Justiz RS0053309 [T3]; 10 ObS 120/05b mit Hinweis auf 10 ObS 199/01i = RIS-Justiz RS0053309 [T4] sowie RIS-Justiz RS0108283 [zur stRsp, dass für den Gesetzgeber keine Verpflichtung besteht, zB die Voraussetzungen für eine Pensionsleistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit für alle Systeme gleichartig zu regeln, und keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser unterschiedlichen Regelungen bestehen]).

3.5. Solche „besonderen Umstände" sind hier nicht zutage getreten (vgl auch 10 ObS 10/98p und 10 ObS 248/98p mwN [zu den unterschiedlichen Voraussetzungen für den Berufsschutz nach § 133 GSVG]). Da sich an den dargelegten Grundsätzen auch durch die festzustellende Tendenz zu einer Angleichung der Systeme - etwa in Form des Pensionsharmonisierungsgesetzes, BGBl I 2004/142 - nichts geändert hat (10 ObS 120/05b), war der von der Klägerin angestellte Vergleich in der vorliegenden Konstellation (zwischen selbständig und unselbständig Erwerbstätigen bzw Pensionisten) also schon von vornherein nicht zulässig.

3.6. Hegt das Gericht aber - wie hier - keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung, besteht kein Anlass zur Antragstellung gemäß Art 140 B-VG (10 ObS 123/08y; 10 ObS 126/06m = SSV-NF 20/56 jeweils mwN).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Für einen Kostenersatz nach Billigkeit sind neben den rechtlichen (oder tatsächlichen) Schwierigkeiten des Verfahrens auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Versicherten maßgebend. Aktuelle berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, welche einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

Textnummer

E91624

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00090.08W.0811.000

Im RIS seit

10.09.2009

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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