TE OGH 2009/8/27 12Os106/09v (12Os107/09s)

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Veröffentlicht am 27.08.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin in der Strafsache gegen u. T. an Eva C***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. März 2009, GZ 335 HR 168/09d-12, und des Oberlandesgerichts Wien vom 28. April 2009, AZ 20 Bs 171/09g, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, und des Sachverständigen ao Univ.-Prof. Dr. R***** als Partei zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. März 2009, GZ 335 HR 168/09d-12, und des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 28. April 2009, AZ 20 Bs 171/09g, verletzen das Gesetz im § 43 Abs 1 Z 2 lit d GebAG.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien wird zur Gänze, jener des Landesgerichts im Umfang des abweisenden Teils aufgehoben und die Gebühren des Sachverständigen ao Univ.-Prof. Dr. Daniele R***** werden mit aufgerundet 3.372,30 Euro bestimmt.

Unabhängig davon ist die allenfalls entstehende Kostenersatzpflicht eines später ausgeforschten Täters insoweit mit 3.293,70 Euro begrenzt.

Text

Gründe:

In der Strafsache AZ 335 HR 168/09d des Landesgerichts für Strafsachen Wien (Ermittlungsverfahren AZ 34 uT 1401/08g der Staatsanwaltschaft Wien) gegen u. T. an Eva C***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 StGB wurden mit Beschluss vom 25. März 2009 die Gebühren des Sachverständigen ao Univ.-Prof. Dr. Daniele R***** für das - von der Staatsanwaltschaft Wien am 9. November 2008 angeordnete (ON 3) - Obduktionsgutachten zur Todesursache der am 5. November 2008 im Bereich einer U-Bahn-Haltestelle in Wien verstorbenen Eva C***** sowie zur Frage eines Fremdverschuldens mit (aufgerundet) 3.293,70 Euro bestimmt und das Mehrbegehren von 78,54 Euro (darin enthalten 13,09 Euro USt) abgewiesen (ON 12).

Gegen diesen Beschluss erhob der Sachverständige Beschwerde mit der Begründung, eine im Vorfeld veranlasste virologische Untersuchung von Leichenproben am Klinischen Institut für Virologie der Medizinischen Universität Wien habe ergeben, dass Eva C***** an Hepatitis, einer hoch infektiösen und im medizinischen Alltag gefürchteten Leberentzündung, erkrankt gewesen sei, sodass bei der Obduktion spezifische Vorsichtsmaßnahmen, nämlich die Verwendung schnittsicherer Kettenhandschuhe und einer spritzsicheren Gesichtsmaske, getroffen wurden, wodurch das Diktieren in das Diktaphon deutlich verzögert und erschwert worden sei. Aus diesen Gründen seien erschwerende äußere Umstände im Sinne des § 43 Abs 1 Z 2 lit d GebAG vorgelegen (ON 13).

Dieser Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 28. April 2009, AZ 20 Bs 171/09g, nicht Folge gegeben. Aufgrund der festgestellten Infektion der Leiche seien vom Sachverständigen zusätzliche, schnittsichere Kettenhandschuhe und eine spritzsichere Gesichtsmaske verwendet worden. Das Vorliegen einer ansteckenden Infektionskrankheit erfordere - zum Schutz des Sachverständigen - Vorkehrungen, um eine Infektion zu verhindern, stelle jedoch keinen äußeren Umstand dar, der die Leichenöffnung und die Feststellung der Todesursache an sich - „mag auch durch das Tragen des Gesichtsschutzes das Diktieren verzögert werden" - erschwert, sodass die Voraussetzungen des § 43 Abs 1 Z 2 lit d GebAG für die Abgeltung widriger äußerer, die Obduktion des Leichnams erschwerender Umstände und somit eines Zuschlags in der Höhe von 50 % der Grundgebühr nicht vorliege (ON 15).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien stehen - wie die Generalprokuratur in der von ihr zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 43 Abs 1 Z 2 lit d GebAG gebührt dem Sachverständigen für die Leichenöffnung (Untersuchung von Leichenresten oder -teilen) samt Befund und Gutachten „bei erschwerenden äußeren Umständen, wie etwa bei großer Kälte oder sonstigen widrigen Wetterverhältnissen, bei einer Veränderung der Leiche durch Fäulnis oder nach Enterdigung", das Eineinhalbfache der in den Buchstaben a bis c festgesetzten Gebühren. Der Begriff „erschwerende äußere Umstände" erfährt durch die beispielhafte Aufzählung lediglich insoweit eine Konkretisierung, als klargestellt wird, dass sowohl die Rahmenbedingungen der Obduktion (Wetter) als auch der Zustand der Leiche - bei jeweiligem Abweichen vom klinischen Durchschnittsfall - ins Kalkül zu ziehen sind.

Wenngleich bei Gerichtsmedizinern schon von Berufs wegen ein erhöhter Toleranzpegel gegenüber Ekel erregenden Umständen angenommen werden darf, wird diesem durch die Erhöhung der Gebühr bei „Fäulnis" Rechnung getragen, sodass eine nicht unwesentliche Erhöhung des Selbstinfektionsrisikos durch einen - gleichfalls als „äußeren" Umstand für den Sachverständigen zu bewertenden - hoch infektiösen Zustand einer Leiche nicht anders gesehen werden kann. Dies hat zumindest bei Infektionen mit besonderer Ansteckungsgefahr (HIV, Hepatitis) zu gelten, bei deren Vorliegen nach der für Pathologen geltenden lex artis spezielle Sicherheitsmaßnahmen zu treffen sind.

Während Fäulnisveränderungen des Leichnams überwiegend als Ekel erregender Umstand, der den Gerichtsmediziner grobsinnlich belastet, oder Kälte bzw Witterung als durch Bekleidung ausgleichbar zu betrachten sind, ist dem infektiösen Zustand des Leichnams mit potentieller Infektionsgefahr (zB virale Infekte wie Hepatitis oder HIV, aber auch Tuberkulose) ein unverhältnismäßig höheres Belastungspotential beizumessen. Die vom Oberlandesgericht Wien ins Treffen geführte bloße „Verzögerung" des Diktierens zufolge Tragens des Gesichtsschutzes tritt demgegenüber in den Hintergrund.

Die gerichtliche Überprüfung derartiger Erhöhungsansätze wird um so genauer erfolgen müssen, je pauschaler die Widrigkeiten bezeichnet werden, je auffälliger sie von gesetzlichen Vorgaben mit ihren Beispielsfällen abweicht. Im konkreten Fall waren allerdings auf Basis der Feststellungen, wonach eine Hepatitisinfektion der Leiche vorlag, die Voraussetzungen für die erhöhte Gebühr jedenfalls erfüllt. Schon das Erstgericht wäre bei dieser Sachlage verpflichtet gewesen, den Gebührenanspruch nach § 43 Abs 1 Z 2 lit d GebAG zu bejahen.

Diese Gesetzesverletzung wirkte sich zum Vorteil eines unbekannten Täters, jedoch zum Nachteil des Sachverständigen aus. Aus diesem Grund sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Feststellung der Gesetzesverletzung konkrete Wirkung zuzuerkennen, jedoch zugleich sicherzustellen, dass sich daraus keine nachteiligen Auswirkungen für einen später ausgeforschten Täter ergeben können (vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 29; RIS-Justiz RS0059218).

Textnummer

E91827

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00106.09V.0827.000

Im RIS seit

26.09.2009

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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