TE OGH 2009/9/30 7Ob139/09f

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Veröffentlicht am 30.09.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Benjamin D*****, vertreten durch Dr. Horst Brunner und andere Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei A*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen 14.000 EUR (sA), über den Rekurs des Klägers (Rekursinteresse 11.550 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. April 2009, GZ 4 R 41/09t-37, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 2. Dezember 2008, GZ 18 Cg 209/06h-33, infolge Berufung der Beklagten aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 3.002,80 EUR (darin enthalten 305,80 EUR USt und 1.168 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 15. 6. 2002 durch einen tätlichen Angriff des Armin H***** schwer verletzt. Mit rechtskräftigem Versäumungsurteil wurde der Schädiger (unter anderem) zur Zahlung eines Schmerzengelds von 14.000 EUR an den Kläger verpflichtet. Dessen Fahrnis- und Forderungsexekution gegen den Schädiger blieb erfolglos.

Der Kläger ist aufgrund eines von seinem Vater abgeschlossenen Versicherungsvertrags bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Die Versicherung umfasst neben Privatrechtsschutz als Zusatzleistung auch eine „Ausfallsversicherung für gerichtlich bestimmte Ansprüche aus Körperschäden", deren Bedingungen in einer Nachtragspolizze aufgeführt sind. Diese Bedingungen enthalten unter anderem folgende Bestimmungen:

„2. Was ist versichert?

2.1. In Ergänzung des in ARB Art. 6 vorgesehenen Versicherungsschutzes ersetzt der Versicherer in Versicherungsfällen des Schadenersatz-Rechtsschutzes mit Personenschäden diejenigen Ansprüche des Versicherungsnehmers auf Schmerzengeld (§ 1325 ABGB) und Verunstaltungsentschädigung (§ 1326 ABGB), die beim Schädiger uneinbringlich sind.

2.2. Ersatzfähig sind Ansprüche gemäß Pkt. 2.1., die im Rahmen eines Zivilprozesses durch gerichtlich beauftragte Sachverständige festgestellt und durch ein staatliches Gericht zuerkannt werden; ..."

Der Kläger begehrte von der Beklagten aus der Ausfallsversicherung 14.000 EUR (sA). Sein gerichtlich in dieser Höhe festgestellter Schmerzengeldanspruch gegen den Schädiger sei uneinbringlich.

Die Beklagte wendete ein, das in Punkt 2.2. der Bedingungen der Ausfallsversicherung (im Folgenden Klausel 2.2.) enthaltene weitere Erfordernis der Feststellung des Anspruchs durch einen im Rahmen eines Zivilprozesses gerichtlich beauftragten Sachverständigen sei nicht erfüllt. Die Forderung gegen den Schädiger sei auch nicht uneinbringlich.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte die vom Berufungsgericht zur Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens verfügte Aufhebung des im ersten Rechtsgang gefällten klagsstattgebenden Ersturteils (7 Ob 243/07x JusGuide 2008/12/5513). Der Sinn der Klausel 2.2. der Ausfallsversicherung für gerichtlich bestimmte Ansprüche aus Körperschäden liege in einem den Versicherer vor ausufernder Geltendmachung solcher Ersatzansprüche sichernden Objektivierung. Diese solle nach dem Wortlaut der Klausel durch ein entsprechendes gerichtliches Erkenntnis gewährleistet werden, das auf dem Gutachten eines vom Gericht beauftragten Sachverständigen beruhe. Im Fall eines Versäumungsurteils müsse, wenn der Versicherer Bedenken gegen die Höhe der gerichtlich zuerkannten Forderung habe, die Möglichkeit bestehen, durch Beiziehung eines gerichtlich beeideten Sachverständigen im Deckungsprozess die „Feststellung" der Höhe des Schmerzengelds im Sinn der Klausel 2.2. nachzuholen; die Vorlage eines Privatgutachtens genüge nicht. Da die „Nachholung des Sachverständigen-Beweises" zur Objektivierung des gesicherten Anspruchs erforderlich sei, verstoße sie nicht gegen den Rechtssatz, dass der Deckungsprozess einen Haftpflichtprozess nicht vorwegnehmen dürfe. Die Bestimmung Punkt 2.1. letzter Halbsatz der Ausfallsversicherung (Klausel 2.1.) könne aus dem Blickwinkel eines durchschnittlich versierten Versicherungsnehmers nur bedeuten, dass die Schmerzengeldforderung gegen den Schädiger in absehbarer Zeit nicht durchsetzbar sein dürfe, was angesichts vergeblicher Exekutionsversuche anzunehmen sei. Die Möglichkeit, der noch junge Schädiger könnte innerhalb der verbleibenden Verjährungszeit doch noch zu Geld kommen, reiche nicht aus.

Im fortgesetzten Verfahren erstattete die Beklagte ein „ergänzendes Vorbringen" dahin, der Kläger habe sich ein „Mitverschulden" von 50 % zuzurechnen, weil er den Schädiger provoziert habe.

Das Erstgericht ging darauf nicht weiter ein, sondern wies den Mitverschuldenseinwand und das betreffende Beweisanbot der Beklagten als verspätet und unzulässig zurück. Gestützt auf das Gutachten des beigezogenen medizinischen Sachverständigen stellte das Erstgericht fest, dass der Kläger vorfallskausal 3 bis 4 Tage starke, 7 Tage mittelstarke und 12 bis 14 Wochen leichte Schmerzen gehabt habe. Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass der Anspruch des Klägers aus der Ausfallsversicherung 11.550 EUR betrage und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung dieses Betrags. Das Mehrbegehren von 2.450 EUR wies es ab.

Das Berufungsgericht behob den (prozessleitenden) Beschluss des Erstgerichts auf Zurückweisung des Mitverschuldenseinwands und der Beweisanträge der Beklagten ersatzlos. Dieser Beschluss, auf den nur mehr die Beklagte in der Rekursbeantwortung Bezug nimmt, ist angesichts der Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos. Auf die betreffenden Ausführungen der Rekursgegnerin muss daher hier nicht mehr eingegangen werden.

In der Hauptsache hob das Berufungsgericht das im zweiten Rechtsgang gefällte (ungeachtet der Erklärung der Beklagten, es „dem gesamten Inhalte nach" anzufechten, tatsächlich nur in seinem klagsstattgebenden Teil bekämpfte) Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Der Einwand eines Mitverschuldens sei nicht im Sinn des § 179 ZPO verspätet erhoben worden; er betreffe auch keine bereits im ersten Rechtsgang abschließend behandelte Problematik und sei daher zu beachten. Zum Schutz des Rechtsschutzversicherers vor ausufernden Ansprüchen habe der Rechtsschutzversicherte als Obliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls den Versicherer vollständig zu informieren. Dadurch werde der Versicherer in die Lage versetzt, etwa auch die Mitverschuldensfrage abzuschätzen und allenfalls auch zu erkennen, dass der Versicherte einen weit überhöhten Anspruch gerichtlich durchgesetzt habe, weil sich der Schädiger aus welchem Grund immer nicht auf das Verfahren eingelassen oder erfolgversprechende Einwände nicht erhoben habe. Im Fall einer Obliegenheitsverletzung durch unvollständige Information über den Vorfallshergang sei der Mitverschuldenseinwand auch nach Abschluss des Verfahrens gegen den Schädiger zulässig. Dies werde mit den Parteien zu erörtern sein. Sollte sich eine Obliegenheitsverletzung herausstellen, werde das Erstgericht die beantragten Beweise aufzunehmen haben und unabhängig vom Ausgang des gegen den Schädiger angestrengten Verfahrens dem Kläger nur jene Ansprüche zuerkennen können, die seiner Mitverschuldensquote entsprächen. Es wäre nämlich unbillig, die Versichertengemeinschaft mit überhöhten Ansprüchen zu belasten, die der Versicherte bei sorgfältiger Prozessführung ohne ausdrückliche Zustimmung des Versicherers nicht oder nur auf eigenes Risiko geltend gemacht hätte.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil die nunmehr hervorgekommenen Rechtsfragen zum Umfang des Ersatzanspruchs im Rahmen der Ausfallsversicherung bisher vom Obersten Gerichtshof noch nicht zu beurteilen gewesen seien.

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Berufung der Beklagten gegen das im zweiten Rechtsgang gefällte Ersturteil keine Folge gegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt in der Rekursbeantwortung, das Rechtsmittel ihres Prozessgegners als unberechtigt abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Überprüfung aus folgenden Gründen nicht stand:

Dem Berufungsgericht ist zwar darin Recht zu geben, dass es dem aus der Ausfallsversicherung in Anspruch genommenen Versicherer gestattet sein muss, Obliegenheitsverletzungen (insbesondere auch die Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit im Sinn des § 6 Abs 3 VersVG) geltend zu machen, die etwa auch den Zuspruch von Schmerzengeld durch ein staatliches Gericht im Sinn der Klausel 2.2. in Frage stellen können. Zweifellos muss dem Versicherer zum Beispiel der Einwand möglich sein, das zivilgerichtliche Erkenntnis, mit dem dem Versicherten Schmerzengeld zuerkannt wird, beruhe auf kollusivem Zusammenwirken mit dem (angeblichen) Schädiger. Vom Berufungsgericht wird aber übersehen, dass die Beklagte ein derartiges Vorbringen und namentlich das Vorliegen und die Verletzung einer (Aufklärungs-)Obliegenheit nicht geltend gemacht hat. Sie hat - ohne in diesem Zusammenhang ein Informationsdefizit in irgendeiner Weise anzusprechen - lediglich behauptet, den Kläger treffe ein mindestens 50%iges Eigenverschulden, weil er den Schädiger provoziert und auch seinerseits angegriffen habe. Im Fall eines Versäumungsurteils sei im Deckungsprozess der objektive Haftungsumfang und daher auch jener Sachverhalt zu ermitteln, der zur Körperverletzung des Klägers geführt habe.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Notwendigkeit der Überprüfung und Feststellung des dem Schmerzengeldzuspruch zugrunde liegenden Tathergangs im Deckungsprozess aus den Klauseln 2.1. und 2.2. nicht abzuleiten ist. Es ist neuerlich (wie schon in 7 Ob 243/07x) darauf hinzuweisen, dass diese Klauseln wie alle Allgemeinen Versicherungsbedingungen nach Vertragsauslegungsgrundsätzen (§§ 914 f ABGB) auszulegen sind. Nach ständiger Rechtsprechung hat sich die Auslegung daher am Maßstab eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS-Justiz RS0050063). Die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen sind, wenn sie - wie hier - nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901). Stets ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0112256). Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln müssen daher so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten im Sinn des § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der Allgemeinen Vertragsbedingungen, also des Versicherers, gehen (7 Ob 262/07s; 7 Ob 125/08w; 7 Ob 232/08f uva).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Klauseln 2.1. und 2.2. entsprechend dem Verständnis eines durchschnittlich versierten Versicherungsnehmers dahin zu interpretieren, dass der Versicherungsanspruch von drei Voraussetzungen abhängt: 1. dass der Anspruch auf Schmerzengeld und/oder Verunstaltungsentschädigung dem Versicherten mit einem gerichtlichen Erkenntnis zugesprochen wurde, welches sich 2. auf das Gutachten eines vom Gericht beauftragten Sachverständigen stützt und 3. der Anspruch beim Schädiger uneinbringlich ist. Nur weil im Fall eines Versäumungsurteils die zweite Voraussetzung fehlt und es gleichermaßen unbillig wäre, auf diese der Objektivierung des Anspruchs dienende Voraussetzung zu verzichten wie den Anspruch deshalb ohne weiteres zu verweigern, ist der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis gelangt, dass der Sachverständigenbeweis in diesem Fall im Deckungsprozess nachgeholt werden muss. Diese ausnahmsweise Durchbrechung des Grundsatzes, dass der Deckungsprozess den Haftpflichtprozess nicht vorweg nehmen dürfe, rechtfertigt es aber entgegen der Ansicht der Beklagten nach dem Wortlaut der Klausel 2.2. nicht, den mit Versäumungsurteil rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzengeld (oder Verunstaltungsentschädigung) im Deckungsprozess weiter zu überprüfen. Schon in der (Vor-)Entscheidung 7 Ob 243/07x wurde darauf hingewiesen, dass ein Schädiger in aller Regel nur dann auf Einwendungen verzichten und ein Versäumungsurteil gegen sich ergehen lassen wird, wenn er annimmt, der gegen ihn klagsweise geltend gemachten Forderung dem Grund und auch der Höhe nach nicht aussichtsreich entgegentreten zu können. Während die in der betreffenden Klausel als Anspruchsvoraussetzung genannte Beiziehung eines Sachverständigen durch das Gericht im Fall eines Versäumungsurteils eine entsprechende Maßnahme im Deckungsprozess notwendig macht, besteht daher kein Anlass, den im Versäumungsurteil zuerkannten Anspruch im Deckungsprozess noch weiter zu überprüfen. Zumindest im Zweifel (§ 915 ABGB) ist die Klausel 2.2. zugunsten des Versicherten dahin auszulegen, dass der Zuspruch von Schmerzengeld (oder Verunstaltungsentschädigung) durch ein staatliches Gericht - und sei es auch mit Versäumungsurteil - bei Vorliegen der beiden weiteren erwähnten Voraussetzungen genügt, den Anspruch auf Versicherungsleistung zu begründen.

Wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, sind im vorliegenden Fall demnach alle Voraussetzungen für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch gegeben. Die vom Berufungsgericht für notwendig erachtete Verfahrensergänzung ist daher entbehrlich. Die Frage der Uneinbringlichkeit der Forderung beim Schädiger wurde bereits im ersten Rechtsgang abschließend beantwortet.

Einwände gegen die Höhe des dem Kläger vom Erstgericht zuerkannten Versicherungsanspruchs hat die Rekursgegnerin nicht erhoben.

Dem Rekurs ist daher Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass das vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang gefällte Urteil im klagsstattgebenden Teil wiederherzustellen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 50 Abs 1 und 41 ZPO.

Textnummer

E92150

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00139.09F.0930.000

Im RIS seit

30.10.2009

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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