TE Vfgh Erkenntnis 2012/10/4 B916/12

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Veröffentlicht am 04.10.2012
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Index

41 INNERE ANGELEGENHEITEN
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht,
Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Niederlassungs- und AufenthaltsG (NAG) §14a, §41a Abs7, §81 Abs17

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" mangels Erfüllung der Integrationsvereinbarung; verfassungskonforme Auslegung der Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes im Sinne des Bestehens von Ausnahmen bei Unzumutbarkeit des Besuches eines Deutschkurses aus gesundheitlichen Gründen geboten

Spruch

              I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

              Der Bescheid wird aufgehoben.

              II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.420,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

              I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

              1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise ins Bundesgebiet am 30. November 2004 einen Asylantrag. Diesen wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. März 2011 rechtskräftig ab. Seit der Entscheidung des Bundesasylamtes vom 19. Jänner 2006 ist der Beschwerdeführer jedoch als subsidiär Schutzberechtigter im Bundesgebiet aufhältig; seine befristeten Aufenthaltsberechtigungen wurden jährlich verlängert.

              2. Am 21. März 2011 stellte der Beschwerdeführer

durch seinen Sachwalter beim Magistrat der Stadt Linz einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" gemäß §43 Abs6 iVm Abs2 Z3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I 100/2005, in der Fassung vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I 38/2011 (im Folgenden: FrÄG 2011). Betreffend die Voraussetzung der Erfüllung der Integrationsvereinbarung gemäß §14 Abs5 NAG in der damaligen Fassung brachte der Beschwerdeführer schon im Antragszeitpunkt vor, auf Grund seines Gesundheitszustands die Integrationsvereinbarung nicht erfüllen zu können.

Diesbezüglich legte er eine auf den 20. Dezember 2010 datierte Stellungnahme einer ärztlichen Sachverständigen vor, wonach er "gesundheitlich auf derzeit absehbare Zeit nicht in der Lage" wäre, an einem Deutschkurs teilzunehmen.

              2.1. Nach In-Kraft-Treten des FrÄG 2011 wurde das Verfahren dahingehend weitergeführt, dass sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß §41a Abs7 NAG, idF BGBl. I 38/2011, bezog.

              2.2. Mit Bescheid vom 28. Dezember 2011 wies der Magistrat der Stadt Linz den Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, dass die Bestimmung des §43 Abs6 Z2 iVm Abs2 Z3 NAG in der Fassung vor dem FrÄG 2011 die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" von der tatsächlichen Erfüllung der Integrationsvereinbarung nach §14 Abs5 Z2 - 5 oder 7 leg.cit. abhängig mache. §14 Abs4 Z2 leg.cit., wonach Drittstaatsangehörige von der Erfüllung der Integrationsvereinbarung ausgenommen waren, denen dies unter

anderem - durch ein ärztliches Gutachten nachweislich - auf

Grund ihres Gesundheitszustandes nicht zugemutet werden konnte, wäre nicht anzuwenden gewesen. Daran hätte sich auch durch das FrÄG 2011 nichts geändert, weil §41a Abs7 NAG, BGBl. I 38/2011, ebenfalls die tatsächliche Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §14a leg.cit. voraussetzte.

              2.3. Die dagegen erhobene Berufung wies die Bundesministerin für Inneres mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. Juni 2012 ab und hielt dabei fest, dass es sich bei der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung um eine besondere Erteilungsvoraussetzung handelte, von der Ausnahmen nicht zulässig wären.

              3. In der gegen diesen Bescheid gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts nach Art7 Abs1 zweiter und dritter Satz B-VG, wegen einer Behinderung nicht benachteiligt zu werden, geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Begründend führt der Beschwerdeführer aus, die belangte Behörde sei überhaupt nicht auf die widerstreitenden Argumente eingegangen, sondern habe sich pauschal auf die Aussage beschränkt, dass es sich bei der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung um eine besondere Erteilungsvoraussetzung handle und Ausnahmen davon nicht zulässig seien. Der angefochtene Bescheid verstoße schon deshalb gegen das Willkürverbot. Art7 Abs1 zweiter und dritter Satz B-VG gelte für jeden Menschen und biete einen Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit genereller Rechtsvorschriften. Wäre die Bestimmung des §41a Abs7 Z2 NAG zwingend so zu interpretieren, dass die Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nur dann möglich ist, wenn der antragstellende Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung tatsächlich erfüllt, widerspräche sie Art7 Abs1 zweiter und dritter Satz B-VG, weil Menschen mit Behinderung von der Erlangung dieses Aufenthaltstitels überhaupt ausgeschlossen wären, wenn sie auf Grund ihrer Behinderung diese Vorgabe gar nicht erfüllen können. Für diesen Fall beantragt der Beschwerdeführer die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens. Er geht jedoch davon aus, dass eine verfassungskonforme Interpretation des §41a Abs7 Z2 NAG möglich sei, weil diese Bestimmung in einem Klammerausdruck allgemein auf §14a leg.cit. verweise. Damit sei klargestellt, dass auch die Ausnahmebestimmung des §14a Abs5 leg.cit. anzuwenden sei. Die belangte Behörde habe überdies die Übergangsbestimmung des §81 Abs17 NAG, wonach das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §14a leg.cit. auch dann als erfüllt gelte, wenn der Drittstaatsangehörige gemäß §14 in der Fassung vor dem FrÄG 2011 von der Erfüllung der Integrationsvereinbarung ausgenommen war, nicht berücksichtigt.

              4. Die Bundesministerin für Inneres sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab und übermittelte dem Verfassungsgerichtshof die Verwaltungsakten.

              II. Rechtslage

              1. Im Antragszeitpunkt bezog sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlangung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt". Die diesbezüglich maßgeblichen Bestimmungen des NAG in der Fassung vor dem FrÄG 2011 lauteten (Hervorhebung durch den Verfassungsgerichtshof):

"Integrationsvereinbarung

              §14. (1) Die Integrationsvereinbarung dient der Integration rechtmäßig auf Dauer oder längerfristig im Bundesgebiet aufhältiger oder niedergelassener Drittstaatsangehöriger. Sie bezweckt den Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache, insbesondere der Fähigkeit des Lesens und Schreibens, zur Erlangung der Befähigung zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich.

              (2) Im Rahmen der Integrationsvereinbarung sind zwei aufeinander aufbauende Module zu erfüllen, wobei

              1. das Modul 1 dem Erwerb der Fähigkeit des Lesens und Schreibens und

              2. das Modul 2 dem Erwerb von Kenntnissen der

deutschen Sprache und der Befähigung zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich

dient.

              (3) Drittstaatsangehörige sind mit Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels zur Erfüllung einer Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen. Keine Verpflichtung besteht, wenn er schriftlich erklärt, dass sein Aufenthalt die Dauer von zwölf Monaten innerhalb von 24 Monaten nicht überschreiten soll. Diese Erklärung beinhaltet den Verzicht auf die Stellung eines Verlängerungsantrages.

              (4) Ausgenommen von der Erfüllung der Integrationsvereinbarung sind Drittstaatsangehörige,

              1. die zum Zeitpunkt der Erfüllungspflicht (Abs8) unmündig sind oder sein werden,

              2. denen auf Grund ihres hohen Alters oder Gesundheitszustandes die Erfüllung der Integrationsvereinbarung nicht zugemutet werden kann; Letzteres hat der Drittstaatsangehörige durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen.

              (5) Die einzelnen Module der Integrationsvereinbarung sind erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

              1. einen Nachweis über Kenntnisse des Lesens und Schreibens vorlegt (für Modul 1);

              2. einen Deutsch-Integrationskurs besucht und erfolgreich abschließt (für Modul 2);

              3. einen mindestens fünfjährigen Besuch einer Pflichtschule in Österreich nachweist und das Unterrichtsfach 'Deutsch' positiv abgeschlossen hat oder das Unterrichtsfach 'Deutsch' auf dem Niveau der 9. Schulstufe positiv abgeschlossen hat (für Modul 2);

              4. einen positiven Abschluss im Unterrichtsfach

Deutsch an einer ausländischen Schule nachweist, in der die deutsche Sprache als Unterrichtsfach zumindest auf dem Niveau der 9. Schulstufe einer österreichischen Pflichtschule gelehrt wird (für Modul 2);

              5. einen Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse vorlegt (für Modul 2);

              6. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des §64 Abs1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120, oder einem Abschluss in einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (für Modul 2);

              7. über eine Lehrabschlussprüfung gemäß dem Berufsausbildungsgesetz, BGBl. Nr. 142/1969, verfügt (für Modul 2);

              8. eine 'Niederlassungsbewilligung - Schlüsselkraft' (§41) besitzt oder eine besondere Führungskraft im Sinne des §2 Abs5a AuslBG ist; dies gilt auch für seine Familienangehörigen (für Modul 2).

              Die Erfüllung des Moduls 2 beinhaltet das Modul 1.

              (6) - (9) [...]

              [...]

Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt

              §43. (1) [...]

              (2) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen (§44a) oder auf begründeten Antrag (§44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt' zu erteilen, wenn

              1. kein Erteilungshindernis gemäß §11 Abs1 Z1, 2 oder 4 vorliegt,

              2. dies gemäß §11 Abs3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK geboten ist, und

              3. der Drittstaatsangehörige die Integrationsvereinbarung nach §14 Abs5 Z2 bis 5 oder 7 erfüllt hat, oder im Falle der Minderjährigkeit,

              a) noch nicht der allgemeinen Schulpflicht

unterliegt;

              b) im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Primarschule (§3 Abs3 des Schulorganisationsgesetzes, BGBl. Nr. 242/1962) besucht oder im vorangegangenen Semester besucht hat oder

              c) im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Sekundarschule (§3 Abs4 des Schulorganisationsgesetzes) besucht und der Unterrichtsgegenstand 'Deutsch' im vorangegangenen Schuljahr positiv beurteilt wurde oder die Schulnachricht am Ende des ersten Semesters des laufenden Schuljahres im Unterrichtsgegenstand 'Deutsch' eine positive Leistung ausweist oder er bis zum Entscheidungszeitpunkt die positive Beurteilung im Unterrichtsgegenstand "Deutsch' durch das zuletzt ausgestellte Jahreszeugnis oder die zuletzt ausgestellte Schulnachricht nachweist.

              (3) - (5) [...]

              (6) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann auf Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt' erteilt werden, wenn sie

              1. die Voraussetzungen des 1. Teiles und

              2. die Voraussetzungen des Abs2 Z3 erfüllen und

              3. seit mindestens fünf Jahren über eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (§8 Abs4 AsylG 2005) verfügen.

              (7) [...]"

              2. Die nach dem FrÄG 2011 nunmehr maßgeblichen Bestimmungen des NAG haben folgenden Wortlaut (Hervorhebung durch den Verfassungsgerichtshof):

"Modul 1 der Integrationsvereinbarung

              §14a. (1) Drittstaatsangehörige sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §8 Abs1 Z1, 2, 4, 5, 6 oder 8 zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

              (2) - (3) [...]

              (4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

              1. einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt,

              2. einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß §14 Abs2 Z1 vorlegt,

              3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des §64 Abs1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht oder

              4. einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot - Karte'

gemäß §41 Abs1 oder 2 besitzt.

              Die Erfüllung des Moduls 2 (§14b) beinhaltet das Modul 1.

              (5) Ausgenommen von der Erfüllungspflicht gemäß Abs1 sind Drittstaatsangehörige,

              1. die zum Ende des Zeitraumes der Erfüllungspflicht (Abs2) unmündig sein werden;

              2. denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes die Erfüllung nicht zugemutet werden kann; der Drittstaatsangehörige hat dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen;

              3. wenn sie schriftlich erklären, dass ihr Aufenthalt die Dauer von zwölf Monaten innerhalb von zwei Jahren nicht überschreiten soll; diese Erklärung beinhaltet den Verzicht auf die Stellung eines Verlängerungsantrages.

              (6) - (7) [...]

              [...]

Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot - Karte plus'

              §41a. (1) - (6) [...]

              (7) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann auf Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot - Karte plus' erteilt werden, wenn sie

              1. die Voraussetzungen des 1. Teiles,

              2. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§14a) erfüllen und

              3. seit mindestens fünf Jahren über eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (§8 Abs4 AsylG 2005) verfügen.

              (8)- (11) [...]

              [...]

Übergangsbestimmungen

              §81. (1) - (16) [...]

              (17) Drittstaatsangehörige, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung gemäß §14 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 verpflichtet sind, aber diese noch nicht erfüllt haben, haben die Integrationsvereinbarung gemäß §14 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 38/2011 bis zum 30. Juni 2013 zu erfüllen oder binnen fünf Jahren nach Beginn der Erfüllungspflicht, wenn dieser Zeitraum vor dem 30. Juni 2013 endet.

              (19) - (22) [...]"

              III. Erwägungen

              Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

              1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,

nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

              Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

              Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg. 11.436/1987, 11.840/1988, 17.716/2005, 18.091/2007, 19.283/2010).

              2. Im vorliegenden Fall gab der besachwalterte Beschwerdeführer bereits im Zeitpunkt der Antragstellung an, die Integrationsvereinbarung aus gesundheitlichen Gründen nicht erfüllen zu können, und legte eine Stellungnahme einer ärztlichen Sachverständigen vor, wonach der Beschwerdeführer "auf derzeit nicht absehbare Zeit" keinen Deutschkurs belegen könne. Die Bundesministerin für Inneres geht in dem bekämpften Bescheid davon aus, dass es sich bei der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung um eine besondere Erteilungsvoraussetzung handle und Ausnahmen nicht zulässig seien.

              2.1. Mit dieser Rechtsansicht unterstellt die

belangte Behörde den angewendeten gesetzlichen Bestimmungen im Ergebnis einen verfassungswidrigen Inhalt. Der Beschwerdeführer könnte nämlich bei Fortdauer seiner Erkrankung, die es ihm nachweislich unmöglich macht, einen Deutschkurs zu besuchen und damit das Modul 1 der Integrationsvereinbarung zu erfüllen, aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen überhaupt nie den begehrten Aufenthaltstitel einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß §41a Abs7 NAG erlangen, worin jedenfalls eine unsachliche Benachteiligung gegenüber physisch und psychisch gesunden Drittstaatsangehörigen läge.

              2.2. Wie in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt

wird, gebietet aber das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz bei verfassungskonformem Verständnis insoweit eine andere Interpretation, als §41a Abs7 NAG in einem Klammerausdruck allgemein auf §14a leg.cit. verweist. Gemäß Abs5 dieser Bestimmung sind von der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung Drittstaatsangehörige ausgenommen, denen dies - nachgewiesen durch ein ärztliches Gutachten - auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes nicht zugemutet werden kann. Der Beschwerdeführer zeigte zudem im Zuge des Verwaltungsverfahrens auf, dass schon das NAG in seiner Fassung vor dem FrÄG 2011 in §14 Abs4 eine Ausnahme von der Erfüllung der Integrationsvereinbarung vorsah, wenn einem Drittstaatsangehörigen dies nicht zugemutet werden konnte. Durch die Übergangsbestimmung des §81 Abs17 NAG, idF BGBl. I 38/2011, gilt nunmehr das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §14a leg.cit. unter anderem auch dann als erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige von der Erfüllung ausgenommen war.

              2.3. Der Wortlaut und die Systematik der §§41a Abs7 und 14a Abs5 NAG ermöglichen es, diese Bestimmungen bei verfassungskonformem Verständnis so auszulegen, dass sie im vorliegenden Fall zu keiner unsachlichen Benachteiligung des Beschwerdeführers, dem auf nicht absehbare Zeit aus gesundheitlichen Gründen der Besuch eines Deutschkurses nicht möglich ist, führen. Indem es die belangte Behörde verabsäumte, eine derartige Interpretation vorzunehmen, unterstellte sie §41a Abs7 NAG einen Inhalt, der diesen in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, setzte.

              IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

              1. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

              2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den begehrten und zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-

enthalten.

              3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht, Auslegung verfassungskonforme, Übergangsbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:B916.2012

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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