TE Vfgh Erkenntnis 2012/10/9 B539/12

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Veröffentlicht am 09.10.2012
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Index

32 STEUERRECHT
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
EStG 1988 §1, §17
LuF PauschVO 2006 §1, §2, §13

Leitsatz

Keine Präjudizialität von Bestimmungen über die land- und forstwirtschaftliche Vollpauschalierung bei der Gewinnermittlung in einem Einkommensteuerverfahren betreffend Einkünfte aus selbständiger Arbeit; keine mit dem Grundtatbestand der Steuerpflicht in systematischem Zusammenhang stehenden Ausnahmebestimmungen

Spruch

              Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

              Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

              I. Sachverhalt und Beschwerdevorbringen

              1. Der Beschwerdeführer ist als selbständiger Steuerberater tätig und hat als solcher für das Jahr 2009 seinen Gewinn im Wege der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung im Sinne des §4 Abs3 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) ermittelt. Seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit wurden vom Finanzamt Baden Mödling mit Einkommensteuerbescheid 2009 in bestimmter Höhe festgesetzt. Die dagegen an den Unabhängigen Finanzsenat (UFS), Außenstelle Wien, erhobene Berufung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Beschwerdeführer in gleichheitswidriger Weise die Vollpauschalierung, wie sie für Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft vorgesehen ist, vorenthalten werde. Der UFS wies die Berufung mit der Begründung ab, dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die Einkünfte als selbständiger Steuerberater auf Grundlage einer Vollpauschalierung wie bei Land- und Forstwirten im Sinne des §17 Abs5 Z3 EStG 1988 zu ermitteln, könne nicht gefolgt werden, da diese Art der Einkünfteermittlung bei Einkünften aus selbstständiger Arbeit nicht zulässig sei.

              2. Dagegen richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach Art7 B-VG und Art2 StGG sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet wird, weil eine Vollpauschalierung auf Grundlage der Einheitswerte nur für Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, nicht aber für Einkünfte aus selbständiger Arbeit vorgesehen sei. §17 Abs5 Z2 lita und Z3 EStG 1988 und die §§1 f. und 13 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für die Ermittlung des Gewinnes aus Land- und Forstwirtschaft (land- und forstwirtschaftliche Pauschalierungsverordnung 2006, kurz: LuF PauschVO 2006), BGBl. II 258/2005, seien verfassungs- bzw. gesetzwidrig. Diese Bestimmungen seien für die Beschwerde insofern präjudiziell, als es sich bei §1 EStG 1988 um den Grundtatbestand und bei §17 EStG 1988 sowie der LuF PauschVO 2006 jeweils um Ausnahmen von diesem Grundtatbestand handle. Die belangte Behörde habe ihren abweisenden Bescheid nämlich darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer sein Einkommen nicht im Wege der Vollpauschalierung ermitteln dürfe (Hinweis auf VfSlg. 14.805/1997, 15.267/1998 und 16.223/2001). Zusätzlich wird eine Prüfung des Grundtatbestandes der Einkommensteuer angeregt.

              In der Sache legt die Beschwerde ausführlich die - ihres Erachtens - gegen die Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsermächtigung des §17 Abs5 EStG 1988 einerseits bzw. gegen die Gesetzmäßigkeit der LuF PauschVO 2006 andererseits sprechenden Gründe dar.

              3. Der UFS, Außenstelle Wien, legte als belangte

Behörde fristgerecht die Verwaltungsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragt die Abweisung der Beschwerde.

              II. Rechtslage

              1. Der im vorliegenden Fall als verfassungswidrig gerügte §17 EStG 1988, BGBl. 400 idF BGBl. I 100/2006, lautet auszugsweise:

"Durchschnittssätze

              §17. (1) - (3) [...]

              (4) Für die Ermittlung des Gewinnes können weiters mit Verordnung des Bundesministers für Finanzen Durchschnittssätze für Gruppen von Steuerpflichtigen aufgestellt werden. Die Durchschnittssätze sind auf Grund von Erfahrungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse bei der jeweiligen Gruppe von Steuerpflichtigen festzusetzen. Solche Durchschnittssätze sind nur für Fälle aufzustellen, in denen weder eine Buchführungspflicht besteht noch ordnungsmäßige Bücher geführt werden, die eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich ermöglichen.

              (5) In der Verordnung werden bestimmt:

              1. Die Gruppen von Betrieben, für die Durchschnittssätze anzuwenden sind.

              2. Die für die Einstufung jeweils maßgeblichen Betriebsmerkmale. Als solche kommen insbesondere in Betracht:

              a) Bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben die Betriebsart und der Einheitswert.

              b) Bei anderen Betrieben die örtliche Lage, die Ausstattung, der Wareneingang oder Wareneinsatz, die Zahl der Arbeitskräfte und die Stabilität der Erträge und Aufwendungen.

              3. Die Art der Gewinnermittlung für die einzelnen Gruppen von Betrieben durch Aufstellung von Reingewinnsätzen und Reingewinnprozentsätzen vom Einheitswert oder vom Umsatz oder von anderen, für einen Rückschluß auf den Umsatz und Gewinn geeigneten äußeren Betriebsmerkmalen. In der Verordnung kann bestimmt werden, daß für die Gewinnermittlung nur die Betriebsausgaben oder Betriebsausgabenteile nach Durchschnittssätzen ermittelt werden.

              4. Der Veranlagungszeitraum, für den die Durchschnittssätze anzuwenden sind.

              5. Der Umfang, in dem jenen Steuerpflichtigen, die den Gewinn nach Durchschnittssätzen ermitteln, Erleichterungen in der Führung von Aufzeichnungen gewährt werden.

              (6) [...]"

              2. Die auf Grund des §17 Abs4 und 5 EStG 1988

erlassene, im Beschwerdezeitraum geltende LuF PauschVO 2006, BGBl. II 258/2005, regelt die Ermittlung des Gewinns eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes, dessen Inhaber hinsichtlich dieses Betriebes weder zur Buchführung verpflichtet ist noch freiwillig Bücher führt. Die Anwendung der Verordnung ist dabei nur auf den gesamten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zulässig. Gemäß §2 Abs1 LuF PauschVO 2006 ist der Gewinn bei einem Einheitswert des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes bis € 65.500,- mittels eines Durchschnittssatzes von 39 % vom maßgebenden Einheitswert zu ermitteln ("Grundbetrag"), soweit die §§3 bis 6 leg.cit., die die Gewinnermittlung aus Forstwirtschaft, Weinbau, Gartenbau und land- und forstwirtschaftlichen Nebenerwerb, Be- und/oder Verarbeitung und Almausschank betreffen, nichts Gegenteiliges bestimmen.

              Mit der LuF PauschVO 2011, BGBl. II 471/2010, wurde der maßgebliche Einheitswert auf € 100.000,- angehoben.

              III. Erwägungen

              1. Der Beschwerdeführer erachtet sich im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz deshalb verletzt, weil die belangte Behörde es unterlassen habe, seine Einkünfte aus selbstständiger Arbeit einer Vollpauschalierung, wie sie gemäß §17 Abs5 EStG 1988 und der dazu ergangenen LuF PauschVO 2006 für Land- und Forstwirte vorgesehen ist, zu unterziehen und dementsprechend festzusetzen. In der Sache behauptet er allerdings die Verfassungs- bzw. Gesetzwidrigkeit jener Normen, die die land- und forstwirtschaftliche Vollpauschalierung betreffen. Er regt an, einerseits ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten und §17 Abs5 Z2 lita und Z3 EStG 1988, in eventu §1 Abs1 und 2 EStG 1988 aufzuheben, andererseits ein Verordnungsprüfungsverfahren einzuleiten und die §§1 und 2 sowie §13 LuF PauschVO 2006 aufzuheben.

              2. Der Verfassungsgerichtshof kann über die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes bzw. über die Gesetzwidrigkeit einer Verordnung einer Bundesbehörde nur dann von Amts wegen erkennen, wenn er ein solches Gesetz bzw. eine solche Verordnung in einer anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte (Art140 Abs1 bzw. Art139 Abs1 B-VG). Im Sinne dieser Verfassungsnormen sind nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes jene Bestimmungen präjudiziell, die von der belangten Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides in denkmöglicher Weise - wenn auch vielleicht zu Unrecht - angewendet wurden oder die die belangte Behörde anzuwenden verpflichtet war (zB VfSlg. 5373/1966, 8318/1978, 8999/1980, 10.925/1986, 12.677/1991, 14.078/1995, 15.267/1998 mwN).

              Im vorliegenden Fall liegen dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid unstrittig ausschließlich Einkünfte aus selbständiger Arbeit zugrunde. Die vom Beschwerdeführer als verfassungs- bzw. gesetzwidrig erachteten Regelungen des §17 Abs5 Z2 lita EStG 1988 und der LuF PauschVO 2006 betreffen jedoch ausschließlich land- und forstwirtschaftliche Betriebe bzw. deren Gewinnermittlung. Es ist daher von vornherein ausgeschlossen, dass die belangte Behörde im Einkommensteuerverfahren des nunmehrigen Beschwerdeführers diese Bestimmungen anzuwenden hatte. Wenn sie sich dessen ungeachtet in der Begründung des Bescheides mit diesen Vorschriften auseinandersetzt, dann ist dies daraus zu erklären, dass vom Beschwerdeführer in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid geltend gemacht wurde, dass ihm die land- und forstwirtschaftliche Vollpauschalierung vorenthalten werde. Der Abspruch, dass für die Anwendung dieser Regelungen die gesetzlichen Voraussetzungen fehlen, bedeutet bei der gegebenen Sachlage, bei der es dem Beschwerdeführer ersichtlich darauf ankommt, (verfassungs)rechtliche Bedenken gegen Vorschriften geltend zu machen, von denen er selbst nicht betroffen ist, keine Anwendung der betreffenden Normen im Sinne des Art140 Abs1 bzw. Art139 Abs1 B-VG.

              3. Die Präjudizialität der angegriffenen Vorschriften lässt sich aber auch nicht aus den von der Beschwerde zitierten hg. Entscheidungen VfSlg. 14.805/1997, 15.267/1998 und 16.223/2001 ableiten:

              3.1. Dem Erkenntnis VfSlg. 14.805/1997 lag ein Kommunalsteuerbescheid zugrunde, der sich explizit auf §1 Kommunalsteuergesetz 1993 (KommStG 1993) stützte, weshalb der Verfassungsgerichtshof von der Präjudizialität dieser Norm ausging. Da sich der normative Gehalt dieser Bestimmung jedoch erst in Zusammenschau mit den Ausnahmen von der (persönlichen) Steuerpflicht voll erschließe, nahm der Verfassungsgerichtshof - in einem zweiten Prüfungsbeschluss - weiters an, dass er die Vorschrift des §1 leg.cit. nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit den die persönliche Steuerpflicht einschränkenden Bestimmungen der §§8 und 16 leg.cit. anzuwenden hätte. Denn in Verbindung mit diesen Bestimmungen ordne §1 KommStG 1993 an, dass der Kommunalsteuer die Arbeitslöhne unterliegen, die an Dienstnehmer einer inländischen Betriebsstätte von Unternehmen gewährt worden sind, die nicht Unternehmen im Sinne des §8 leg.cit. sind. Diese Annahme der Präjudizialität sah der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis selbst als bestätigt an:

Die belangte Behörde habe nämlich den Bescheid darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer nach §1 leg.cit. zur Leistung von Kommunalsteuer verpflichtet und nicht nach §8 oder §16 leg.cit. von der Steuerpflicht ausgenommen sei. Insofern habe die belangte Behörde auch die Ausnahmen sozusagen als negatives Tatbestandselement mit angewendet. Angesichts dessen seien auch diese Bestimmungen präjudiziell.

              3.2. Eine gleichartige Konstellation, bei der sich der normative Gehalt des Grundtatbestandes hinsichtlich der persönlichen Steuerpflicht erst in Zusammenschau mit den Ausnahmebestimmungen von der (persönlichen) Abgabepflicht erschloss, lag jeweils auch den Erkenntnissen

VfSlg. 15.267/1998 (zur Befreiung der ÖBB von der Kärntner Fremdenverkehrsabgabe) und 16.223/2001 (zur Befreiung der ÖBB von der Körperschaftsteuer gemäß §5 Z1 KStG 1988) zugrunde. In dem zuletzt genannten Erkenntnis hält der Verfassungsgerichtshof fest, dass die Unsachlichkeit einer Ausnahmebestimmung dann den Grundtatbestand berühre, wenn ein systematischer Zusammenhang zwischen Grundtatbestand und Ausnahmetatbestand bestehe. Auf der anderen Seite hatte der Verfassungsgerichtshof mit dem Beschluss VfSlg. 15.673/1999 das Verfahren zur Prüfung von §5 Z1 KStG 1988 betreffend die Steuerbefreiung der ÖBB von der Körperschaftsteuer mangels Präjudizialität deswegen eingestellt, weil es im Anlassverfahren (nur) um Steuervorauszahlungen auf Basis der Mindestkörperschaftsteuer ging, von welcher die ÖBB aber von vornherein nicht erfasst waren.

              3.3. Im nunmehr zu beurteilenden Fall wurde von der belangten Behörde zwar der Grundtatbestand des EStG 1988 angewendet. §17 EStG 1988 ist jedoch keine den §1 leg.cit. einschränkende Bestimmung, die mit letzterer in einem systematischen Zusammenhang steht. Diese Vorschrift nennt lediglich alternative (und nicht abschließend aufgezählte) Kriterien für die Erlassung von Verordnungen, die der Verordnungsgeber dann zu beachten hat, wenn er die Ermittlung von Einkünften mit einem Durchschnittssatz ermöglichen will. Der normative Inhalt des §1 EStG 1988 erschließt sich somit nicht erst durch zusätzliche Berücksichtigung des §17 leg.cit. Gleiches gilt umso mehr für die LuF PauschVO 2006. Diese kann daher im Abgabenverfahren nicht einmal als "negatives Tatbestandsmerkmal" angewendet worden sein. Das wird durch die Überlegung bestätigt, dass eine allfällige Gesetzwidrigkeit der fraglichen Verordnung zwar zur Aufhebung der Verordnung führen würde, keinesfalls aber eine Aufhebung des §1 EStG 1988 begründen könnte.

              3.4. Für eine amtswegige Prüfung der vom Beschwerdeführer angegriffenen Normen fehlen somit die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen.

              IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

              1. Da der Beschwerdeführer der Sache nach nur die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet hat, war nicht darauf einzugehen, ob die Verletzung eines anderen (verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechtes vorliegt (zB VfSlg. 15.432/1999, 16.553/2002).

              Die Beschwerde war daher abzuweisen.

              2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Einkommensteuer, Gewinnermittlung, Einkünfte, Einkunftsarten, Land- und Forstwirtschaft, Arbeit selbständige, Ausnahmeregelung - Regel, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:B539.2012

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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