TE AsylGH Erkenntnis 2011/10/28 D7 265421-2/2008

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Veröffentlicht am 28.10.2011
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Spruch

D7 265421-2/2008/8E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. STARK als Vorsitzende und die Richterin Mag. SCHERZ als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX, Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.04.2008, Zahl 05 05.997-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.07.2011 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wird gemäß

 

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), in Verbindung mit § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG 1997), als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Die (nunmehrige) Beschwerdeführerin reiste am 26.04.2005 mit ihrer Familie unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet und stellte einen Asylantrag. Am selben Tag wurde die Beschwerdeführerin vor dem Grenzüberwachungsposten Weikertschlag in Anwesenheit einer sprachkundigen Person zu ihrer Person, ihrem Reiseweg und kurz zu ihren Ausreisegründen befragt.

 

Am 28.04.2005 wurde die Beschwerdeführerin beim Bundesasylamt niederschriftlich in Anwesenheit einer Dolmetscherin der Sprache Russisch einvernommen.

 

Die Beschwerdeführerin wurde am 02.05.2005 erneut im Zulassungsverfahren beim Bundesasylamt niederschriftlich in Anwesenheit einer Dolmetscherin der Sprache Russisch und eines Rechtsberaters einvernommen.

 

Am 28.04.2005 erfolgte eine ärztliche Untersuchung im Zulassungsverfahren.

 

Die Beschwerdeführerin wurde am 20.09.2005 nach Zulassung des Verfahrens beim Bundesasylamt niederschriftlich in Anwesenheit eines Dolmetschers der Sprache Russisch einvernommen.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.10.2005, Zahl 05 05.997-BAT, wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin vom 26.04.2005 gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, in Spruchpunkt I. abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. für zulässig erklärt und die Beschwerdeführerin in Spruchpunkt III. gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

 

In Erledigung der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.10.2005, Zahl 05 05.997-BAT, erhobenen Berufung wurde dieser mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19.11.2007, Zl. 265.421/0/2E-XIX/63/05, behoben und die Angelegenheit gemäß

 

§ 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

Die Beschwerdeführerin wurde am 11.02.2008 im fortgesetzten Verfahren beim Bundesasylamt niederschriftlich in Anwesenheit einer Dolmetscherin der Sprache Russisch und einer Vertrauensperson einvernommen und ihr Länderfeststellungen zu Tschetschenien zur Kenntnis gebracht.

 

Am 14.03.2008 wurde die Beschwerdeführerin abermals beim Bundesasylamt niederschriftlich in Anwesenheit einer Dolmetscherin der Sprache Russisch und ihrer rechtsfreundlichen Vertretung einvernommen.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.04.2008, Zahl 05 05.997-BAT, wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin vom 26.04.2005 gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, in Spruchpunkt I. abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Russland gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. für nicht zulässig erklärt und der Beschwerdeführerin in Spruchpunkt III. gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.04.2009 erteilt.

 

I.2. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 15.04.2008, Zahl 05 05.997-BAT, zugestellt am 19.04.2008, richtet sich gegenständliche fristgerecht am 30.04.2008 eingebrachte Berufung (nunmehr Beschwerde).

 

I.3. Mit 01.07.2008 wurde die ursprünglich zuständige Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, aufgelöst und an seine Stelle trat der neu eingerichtete Asylgerichtshof. Nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes wurde gegenständlicher Verwaltungsakt einer Gerichtsabteilung zur Weiterführung des Beschwerdeverfahrens zugewiesen.

 

I.4. Gegenständlicher Verwaltungsakt wurde am 19.01.2009 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zur Weiterführung des Beschwerdeverfahrens zugewiesen.

 

I.5. Für den 05.07.2011 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem zur Entscheidung berufenen Senat des Asylgerichtshofes anberaumt, an welcher die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte mit ihrem rechtsfreundlichen Vertreter teilnahmen. Das Bundesasylamt wurde ordnungsgemäß geladen, teilte jedoch mit Schreiben vom 10.05.2011 mit, dass die Teilnahme eines Vertreters aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei und beantragte zugleich die Abweisung gegenständlicher Beschwerde.

 

In der Verhandlung brachte der Ehegatte der Beschwerdeführerin einen Befund von XXXX in Vorlage und wurden nach ausführlicher Erörterung des Vorbringens der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten die im Verfahren herangezogenen Erkenntnisquellen zur Kenntnis gebracht und nach Schluss des Beweisverfahrens auch die Verhandlung geschlossen. Die Verkündung des Erkenntnisses entfiel und es wurde angekündigt, dass den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zugestellt werden würde.

 

II. Der Asylgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

 

II.1. Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 28 Abs. 5 AsylGHG, in der Fassung BGBl. I Nr. 147/2008, treten in der Fassung des Bundesgesetztes BGBl. I Nr. 147/2008 in Kraft:

 

das Inhaltsverzeichnis, § 13 Abs. 2 und Abs. 4 letzter Satz, § 14 Abs. 3, § 17 Abs. 5, § 23 und § 29 Abs. 6 mit 1. Juli 2008;

 

§ 24 mit Ablauf des Tages der Kundmachung dieses Bundesgesetzes. Auf vor diesem Zeitpunkt ergangene, zu vollstreckende Entscheidungen Abs. 2 dieser Bestimmung mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass der Asylgerichtshof mit Beschluss nachträglich eine Vollstreckungsbehörde bestimmen kann.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 Asylgesetz 2005, Art. 2 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

II.2. Gemäß § 23 Abs. 1 AsylGHG, in der Fassung BGBl. I Nr. 147/2008, sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 23 Abs. 2 AsylGHG, in der Fassung BGBl. I Nr. 147/2008, sind die Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 51/1991 (AVG), hat die Berufungsbehörde außer in dem in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, sind alle am

 

31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 mit der Maßgabe zu Ende zu führen, dass in Verfahren, die nach dem 31. März 2009 beim Bundesasylamt anhängig sind oder werden, § 10 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009 mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass eine Abweisung des Asylantrages, wenn unter einem festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in seinen Herkunftsstaat zulässig ist, oder eine Zurückweisung des Asylantrages als Entscheidung nach dem Asylgesetz 2005 gilt. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2009 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde.

 

§ 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

 

Die Beschwerdeführerin hat ihren Asylantrag am 26.04.2005 gestellt. Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, werden Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt.

 

II.3. Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in den dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes, in das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens in Vorlage gebrachte Beweismittel, Befragung der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten in der am 05.07.2011 durchgeführten mündlichen Verhandlung und Erörterung der in der Verhandlung eingeführten Länderdokumente.

 

Der Asylgerichtshof geht von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

 

II.3.1. Frau XXXX ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an.

 

II.3.2. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten bezüglich jener Gründe, die für die Ausreise der Beschwerdeführerin und ihrer Familie aus der Russischen Föderation maßgeblich gewesen sein sollen, ist nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war oder sein wird.

 

II.3.3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.04.2008, Zahl 05 05.997-BAT, wurde in Spruchpunkt II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für nicht zulässig erklärt und der Beschwerdeführerin in Spruchpunkt III. gemäß § 8 Abs. 3 iVm

 

§ 15 Abs. 2 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.04.2009 erteilt. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde vom Bundesasylamt verlängert und ist aktuell gültig.

 

II.3.4. Zur aktuellen Lage in der Russischen Föderation wird festgestellt:

 

1. Allgemein

 

Die Tschetschenische Republik ist eines der 83 Subjekte der Russischen Föderation. Die sieben mehrheitlich moslemischen Republiken im Nordkaukasus wurden jüngst zu einem neuen Föderationsbezirk mit der Hauptstadt Pjatigorsk zusammengefasst. Die Tschetschenen sind bei weitem die größte der zahlreichen kleinen Ethnien im Nordkaukasus. Tschetschenien selbst ist (kriegsbedingt) eine monoethnische Einheit (93% der Bevölkerung sind Tschetschenen), fast alle sind islamischen Glaubens (sunnitische Richtung). Die Tschetschenen sind das älteste im Kaukasus ansässige Volk und nur mit den benachbarten Inguschen verwandt. Freiheit, Ehre und das Streben nach (staatlicher) Unabhängigkeit sind die höchsten Werte in der tschetschenischen Gesellschaft, Furcht zu zeigen gilt als äußerst unehrenhaft. Sehr wichtig ist auch der Respekt gegenüber älteren Personen und der Zusammenhalt in der (Groß-)Familie, den Taips (Clans) und Tukkums (Tribes). Eine große Bedeutung hat auch das Gewohnheitsrecht Adat. Es gibt sprachliche und mentalitätsmäßige Unterschiede zwischen den Flachland- und den Bergtschetschenen.

 

In Tschetschenien hatte es nach dem Ende der Sowjetunion zwei Kriege gegeben. 1994 erteilte der damalige russische Präsident Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention. Fünf Jahre später begann der zweite Tschetschenienkrieg, russische Bodentruppen besetzten Grenze und Territorium der Republik Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny wurde unter Beschuss genommen und bis Januar 2000 fast völlig zerstört. Beide Kriege haben bisher 160.000 Todesopfer gefordert. Zwar liefern sich tschetschenische Rebellen immer wieder kleinere Gefechte mit tschetschenischen und russischen Regierungstruppen, doch seit der Ermordung des früheren Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, durch den russischen Geheimdienst FSB im März 2005 hat der bewaffnete Widerstand an Bedeutung verloren.

 

Laut Ministerpräsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramzan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten. Er hat seine Macht in der Zwischenzeit gefestigt und zu einem Polizeistaat ausgebaut. Seit 2. September 2010 trägt Kadyrow den Titel "Oberhaupt" Tschetscheniens.

 

Der von Russland unterstützte Präsident Ramzan Kadyrow verfolgt offiziell das Ziel Ruhe, Frieden und Stabilität in Tschetschenien zu garantieren und den Einwohnern seines Landes Zugang zu Wohnungen, Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung und Kultur zu bieten.

 

Der russische Präsident Medwedew versucht Tschetschenien auch durch Wirtschaftshilfe zu "befrieden".

 

Neben der endgültigen Niederschlagung der Separatisten und der Wiederherstellung bewohnbarer Städte ist eine wichtige Komponente dieses Ziels die Wiederbelebung der tschetschenischen Traditionen und des tschetschenischen Nationalbewusstseins. Kadyrow fördert das Bekenntnis zum Islam, warnt allerdings vor extremistischen Strömungen wie dem Wahabismus. Viele Moscheen wurden wiederaufgebaut, die Zentralmoschee von Grosny ist die größte in Russland. Jeder, der in Verdacht steht, ihn und seine Regierung zu kritisieren, wird verfolgt. Eine organisierte politische Opposition gibt es daher nicht. Die 16.000 Mann starken Einheiten Kadyrows sind für viele Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien bis heute verantwortlich.

 

(Tschetschenien, http://de.wikipedia.org/wiki/Tschetschenien, Zugriff 11.01.2011, Ramzan Kadyrow, http://de.wikipedia.org/wiki/Ramsan_Achmatowitsch_Kadyrow, Zugriff 11.01.2011, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus:

Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 25.11.2009, Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, Adat-Blutrache vom 5.11.2009, Martin Malek, Understanding Chechen Culture, Der Standard vom 19.01.2010, Eurasisches Magazin vom 03.05.2010, Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010)

 

2. Allgemeine Sicherheitssituation

 

Präsident Ramzan Kadyrow hat in Tschetschenien ein repressives, stark auf seine Person zugeschnittenes Regime etabliert, was die Betätigungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft auf ein Minimum reduziert. Trotz deutlicher Wiederaufbauerfolge ist die ökonomische Lage in Tschetschenien desolat, es gibt kaum Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des staatlichen Sektors. Nach zwei Jahren mit deutlichen Fortschritten sowohl bei der Sicherheitsals auch bei der Menschenrechtslage hatte sich die Situation in beiden Bereichen in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt wieder verschlechtert. Berichtet wurde von verstärktem Zulauf zu den in der Republik aktiven Rebellengruppen und erhöhter Anschlagstätigkeit. Im gesamten Nordkaukasus soll es nach Angaben des FSB 600 bis 700 aktive Rebellen geben. Nach glaubhaften Angaben von Menschenrechts-NROs reagierten die Behörden in einigen Fällen mit dem Abbrennen der Wohnhäuser der Familien von Personen, die sich den Rebellen angeschlossen haben. Die Entführungszahlen stiegen wieder an: Memorial hat 74 Entführungsfälle für die erste Jahreshälfte 2009 registriert (im Gesamtjahr 2008 waren es im Vergleich 42). Die Entführungen wurden größtenteils den (vor allem republikinternen) Sicherheitskräften zugeschrieben. Weiterhin werden zahlreiche Fälle von Folter gemeldet. Unter Anwendung von Folter erlangte Geständnisse werden (nach Informationen von Memorial) - auch außerhalb Tschetscheniens - regelmäßig in Gerichtsverfahren als Grundlage von Verurteilungen genutzt.

 

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 18)

 

Den Machthabern in Russland ist es gelungen, den Konflikt zu "tschetschenisieren", das heißt, es kommt nicht mehr zu offenen Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen, sondern zu Auseinandersetzungen zwischen der Miliz von Ramzan Kadyrow und anderen "pro-russischen" Kräften/Milizen - die sich zu einem erheblichen Teil aus früheren Rebellen zusammensetzen - einerseits sowie den verbliebenen, eher in der Defensive befindlichen Rebellen andererseits. Die bewaffnete Opposition wird mittlerweile von islamistischen Kräften dominiert, welche allerdings kaum Sympathien in der Bevölkerung genießen. Die bewaffneten Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf entlegene Bergregionen.

 

Seit Jahresbeginn 2010 ist es in Tschetschenien jedoch zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt, was teilweise ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien bewirkt. Die Macht von Ramzan Kadyrow, ist in Tschetschenien unumstritten. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe, über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Ministerpräsident Putin verfüge und sich großer Beliebtheit unter der Bevölkerung erfreue.

 

(Asylländerbericht Russland der Österreichischen Botschaft in Moskau, Stand 21.10.2010, Seite 15)

 

Der stetige Rückgang der föderalen Streitkräfte nach Ende der "heißen" Phase des zweiten Krieges ab 2002 kann als Zeichen für die verbesserte Sicherheitslage verstanden werden. Der Rückzug der russischen Truppen war nicht nur durch die Stabilisierung der Sicherheitslage, sondern auch durch die sukzessive Übergabe der Verantwortung auf lokale tschetschenische Streitkräfte, die erst in den letzten Jahren anwuchsen, möglich. Die andauernde Stationierung föderaler Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der trotz der Beendigung der von 1999 bis 2009 dauernden Anti-Terror-Organisation (ATO) nicht erfolgte Abzug zeigen, dass die tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin föderale Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen benötigen. Andererseits kann auch davon ausgegangen werden, dass Moskau seine Truppen vermutlich aus mangelndem Vertrauen in Kadyrow weiterhin dort stationiert lässt. Die in den letzten Monaten ergriffenen Maßnahmen und die Wortwahl der Präsidenten Medwedew und Kadyrow sowie des Ministerpräsidenten Putin zeigen jedenfalls, dass man zur Bekämpfung des "Terrorismus" im Nordkaukasus insgesamt weiterhin eher auf militärische Gewalt setzt, und soziale und wirtschaftliche Maßnahmen eine untergeordnete Rolle spielen.

 

Medwedew fordert weiterhin "brutale Maßnahmen" gegen Terroristen und spricht von einem "schonungslosen Kampf" gegen die Rebellengruppen. Auch in Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Moskauer U-Bahn im März 2010 oder den Anschlag auf ein Kaffeehaus in Pjatigorsk im August 2010 sprach sich Medwedew für die "Zerstörung" der Kämpfer aus. In Anbetracht der 2014 in Sotschi stattfindenden olympischen Winterspiele wird gemutmaßt, dass Medwedew meinen könnte, allein die Anwendung roher Gewalt könne die Region genügend stabilisieren um die Abhaltung der Spiele nicht zu gefährden.

 

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14)

 

Zusammenfassend ist auszuführen, dass nach Beendigung der Anti-Terror-Organisation 2009 temporär wieder vermehrt Anschläge in Tschetschenien zu verzeichnen waren. Die 2009 sprunghaft angestiegene Anzahl an Selbstmordanschlägen ist 2010 wieder stark eingebrochen. Der jüngste Angriff auf die Heimatstadt Kadyrows Zenteroi am 29. August 2010 lässt keine Zweifel, dass die tschetschenischen Rebellen auch zu taktisch herausfordernden Aktionen fähig sind. Von einer Stärkung der Widerstandsbewegung, die in der nächsten Zeit zu einem Ausbruch größerer Kamphandlungen führen könnte, ist jedoch nicht auszugehen.

 

Wenngleich sich die Sicherheitslage im Sinne dessen, dass keine großflächigen Kampfhandlungen stattfinden und es zu keiner Vertreibung der Zivilbevölkerung kommt stabilisiert hat, so zeigt sich also, dass dies nicht zuletzt auf die repressive Machtausübung Ramzan Kadyrows und seiner Sicherheitskräfte zurückzuführen ist. Das teilweise brutale und in einigen Fällen als menschenrechtswidrig zu bezeichnende Vorgehen der Sicherheitskräfte (für das diese kaum belangt werden) bringt zwar auch Resultate mit sich, da immer wieder auch führende Kämpfer "neutralisiert", also getötet oder verhaftet werden. Dadurch konnte die Sicherheitslage in Tschetschenien weitgehend stabilisiert werden. Andererseits trägt dieses Vorgehen dazu bei, dass sich auch junge Menschen, die sich zunächst nicht mit radikal-islamischem Gedankengut identifizieren, der Widerstandsbewegung anschließen. Deshalb wird die Rebellenbewegung auch in nächster Zeit nicht an Schlagkraft verlieren. Eine nachhaltige Befriedung ist also weiterhin nicht absehbar, die in Zusammenhang mit Tschetschenien so oft zitierte Gewaltspirale dreht sich weiter.

 

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 4-5)

 

3. Verfolgungsgefahr

 

Zivilbevölkerung

 

Glaubwürdigen Berichten von NROs, internationalen Organisationen und der Presse zufolge haben sich auch nach dem von offizieller Seite festgestellten Abschluss des "politischen Prozesses" zur Überwindung des Tschetschenienkonflikts dort erhebliche Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung fortgesetzt.

 

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 18)

 

Bei Sondereinsätzen der Anti-Terror-Organisation geraten gelegentlich auch Zivilisten ins Schussfeld, wie etwa ein Vorfall im inguschetisch-tschetschenischen Grenzgebiet im Februar 2010 zeigt:

Bei diesem Sondereinsatz kamen je nach Angaben zwischen vier und 14 Zivilisten ums Leben. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass Sicherheitskräfte getötete Zivilisten manchmal als Kämpfer bezeichnen würden, um die Statistik zu schönen. Die derzeit stattfindenden Kämpfe führen jedoch nicht zu einer Vertreibung der Zivilbevölkerung.

 

In den letzten Jahren kehrten nicht nur tausende Binnenflüchtlinge in ihre Häuser zurück, sondern auch Tschetschenen, die nach Europa flüchteten. Das subjektive Unsicherheitsgefühl verhindert eine solche Rückkehr scheinbar nicht. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in Tschetschenien weiterhin Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen oder unmenschliche Behandlung durch Sicherheitskräfte stattfinden und fragwürdige Maßnahmen wie die Kollektivbestrafung von Kadyrow und anderen tschetschenischen Amtsträgern gutgeheißen werden.

 

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 5)

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Bisher gibt es nur sehr wenige Verurteilungen. Im April 2006 verurteilte ein Gericht in Rostow den Vertragssoldaten Kriwoschenok zu 18 Jahren Haft wegen der Erschießung dreier tschetschenischer Zivilisten im November 2005. Im Juni 2007 verhängte dasselbe Gericht in der "Sache Ulman" Haftstrafen zwischen neun und 14 Jahren gegen vier Offiziere wegen der Erschießung von sechs tschetschenischen Zivilisten im Dezember 2002. Ulman und Mittäter waren zuvor zwischen 2002 und 2005 zweimal von Geschworenengerichten freigesprochen worden, bis der russische Verfassungsgerichtshof diese Freisprüche kassierte und eine erneute gerichtliche Prüfung des Falls anordnete. Drei der Verurteilten sind allerdings untergetaucht. Für Aufsehen sorgte die vorzeitige Entlassung von Ex-Oberst Budanow. Er war 2003 zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, weil er im Jahr 2000 eine 18-jährige Tschetschenin getötet hatte, und ist im Januar 2009 vorzeitig aus der Haft entlassen worden.

 

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 19)

 

Eine Gefahr für Zivilisten stellen nicht nur die Kämpfe zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften dar, sondern auch die in der Republik verbreiteten Anti-Personenminen. Rund 14.000 Hektar, etwa 1% des gesamten Territoriums sollen weiterhin vermint sein. 2008 starben 39 Personen, zwischen 2005 und 2008 insgesamt 171 Personen durch Anti-Personenminen und Blindgänger. Die Zahl der Todesfälle ging in diesen drei Jahren mit jedem Jahr zurück. Des Problems der Minen ist man sich bewusst, zuletzt sprach sich Präsident Medwedew im August 2010 für weitere Minenräumungen in Tschetschenien aus. (Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 19-20)

 

Rebellen und deren Familienangehörige

 

Innerhalb der Rebellen ist es zu einer Spaltung in zwei Gruppen gekommen. Während einige Gruppierungen nach wie vor am Ziel der Ausrufung der tschetschenischen Republik Itschkerien festhalten, haben zwischenzeitig eindeutig radikalislamistische Kräfte die Oberhand gewonnen. Trotzdem gehen immer wieder vor allem Jugendliche, auch aus Rache und Verzweiflung, in die Wälder, um sich den Rebellen anzuschließen. Nach dem Tod zahlreicher Anführer (z.B. Shamil Bassajew), der Flucht bzw. dem Überwechseln von Kämpfern auf die Seite Kadyrows ist es einerseits zu einer Schwächung und anderseits zu einer Verjüngung der Kämpfer gekommen. Die Zahl der Kämpfer ist unklar, Schätzungen reichen von 70 - 1500. Der ehemalige Präsident der "Tschetschenischen Republik Itschkeria" rief 2007 das "Nordkaukasische Emirat" bestehend aus Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Tschetschenien, Nordossetien, Karatschajewo-Tscherkessien und dem Gebiet Stawropol aus und ernannte sich selbst zu dessen Emir. Die Zelle des "Emir" Doku Umarow umfasst jedoch lediglich nur mehr 25-50 Kämpfer.

 

Nach wie vor sind die Rebellen bzw. Personen, die für Rebellen oder deren Sympathisanten gehalten werden, einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, in bewaffnete Auseinandersetzungen zu geraten, festgenommen, verschleppt, verhört, gefoltert und ermordet zu werden.

 

Eine dauerhafte Befriedung der Lage in Tschetschenien ist somit noch nicht eingetreten. Die Aktivitäten der Sicherheitskräfte gegen die Rebellen, insbesondere in den tschetschenischen Grenzgebieten zu den nordkaukasischen Nachbarrepubliken, wurden auch 2009 fortgesetzt.

Seit 1999 forderte der Konflikt erhebliche Opfer: 10.000-20.000 getötete Zivilisten (Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial"), 5.000 bis 7.000 getötete und ca. 18.000 verletzte Angehörige der Sicherheitskräfte (Zahlen des Verteidigungsministeriums, die teilweise widersprüchlich sind).

 

Die Rebellen und ihre Unterstützer werden im Zuge von Spezialoperationen "neutralisiert", die von den unter direktem Befehl von Ramzan Kadyrow stehenden Sicherheitskräften sowohl in den Bergregionen, als auch in städtischen Gebieten durchgeführt werden. In der Zeit um den Jahreswechsel 2007-2008 wurden bei solchen Operationen mindestens 16 Rebellen und Sicherheitskräfte getötet, mindestens 49 Personen in Grosny verhaftet, zwei sind verschwunden. Es kam zu sechs bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Sicherheitskräften sowie zu Anschlägen auf letztere.

 

Im gesamten Jahr 2007 wurden laut tschetschenischem Innenministerium über 70 Rebellen getötet und 325 verhaftet, 139 Bandenmitglieder haben sich freiwillig ergeben, und die Zahl der Anschläge hat sich um 72 % reduziert. Das Innenministerium hat 82 seiner Mitarbeiter verloren.

 

Nach Beobachtungen des Berichterstatters der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist die Geiselnahme von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen, um sie zur Aufgabe zu zwingen, eine neue besorgniserregende Entwicklung.

 

Ende 2008 hatten hochrangige tschetschenische Regierungsvertreter öffentlich bekundet, dass Familien von Aufständischen mit Bestrafung zu rechnen haben, wenn sie nicht ihre Verwandten zur Aufgabe bewegen. Präsident Kadyrow sagte im August 2008 ausdrücklich im Fernsehen, dass Familienmitglieder der Rebellen, die diese unterstützen würden, "Terroristen, Extremisten, Wahhabiten und Teufel" seien. Er wies die Polizei und Verwaltung an "in diese Richtung zu arbeiten", womit er die Sicherheitskräfte zumindest ermutigt hat, hart gegen Familienangehörige von (aktiven) Kämpfern vorzugehen.

 

Es ist zumindest unwahrscheinlich, dass Personen, die während des ersten Krieges Kämpfern nichtmilitärischen Beistand geleistet haben, gegenwärtig aufgrund dieser Unterstützung noch Verfolgung ausgesetzt sind.

 

Am 22. September 2006 beschloss die Duma eine neue Amnestieverordnung. Sie erfasst Vergehen, die zwischen dem 13. Dezember 1999 und dem 23. September 2006 im Nordkaukasus (Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Tschetschenien, Nordossetien, Karatschajewo-Tscherkessien, Gebiet Stawropol) begangen wurden. De facto wurde die Amnestie jedoch durch Präsident Kadyrow bis zum 15. Juni 2007 verlängert. Die Amnestie gilt sowohl für Rebellen ("Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen", sofern sie bis zum 15. Jänner 2007 die Waffen niederlegen) als auch für Soldaten, erfasst aber keine schweren Verbrechen (u.a. nicht Mord, Vergewaltigung, Entführung, Geiselnahme, schwere Misshandlung, schwerer Raub; für Soldaten: Verkauf von Waffen an Rebellen). Nach Mitteilung des Nationalen Antiterror-Komitees haben sich bis zum Stichtag insgesamt 546 Rebellen gestellt. Etwa 200 Rebellen waren angeblich an Sabotage und Terroraktionen beteiligt, nahezu alle sollen einer illegalen bewaffneten Gruppe angehört haben. Es handelt sich jedoch um keine Amnestie im westeuropäischen Verständnis. Die Leute ergeben sich alle aus mehr oder minder großem Zwang, aber nicht, weil es Bemühungen um Versöhnung und Reintegration gibt.

 

Anderseits haben Ramsan (und auch schon sein Vater Achmad) Kadyrow jahrelang Kämpfer (gleichgültig mit welcher "Vergangenheit"), die zu ihm übergelaufen sind, begnadigt, insgesamt ca. 7.000 Personen. Er verfolgte damit die Strategie, die Rebellenbewegung zu teilen, jene die überzeugt oder gekauft werden konnten, werden amnestiert und erhalten (meist) einen Arbeitsplatz als tschetschenische Sicherheitskräfte, jene, die nicht dazu bereit sind, werden weiter verfolgt.

 

UNHCR sieht derzeit insbesondere (ehem.) Rebellen und deren Verwandte, politische Gegner Kadyrows, Personen, die eine offizielle Funktion in der Verwaltung Maschadows hatten, Menschenrechtsaktivisten und Personen, die Beschwerden bei regionalen und internationalen Menschenrechtseinrichtungen eingebracht haben und unter besonderen Umständen Frauen und Kinder, als besonders gefährdet an.

 

(Quellen: Analyse der Staatendokumentation, Tschetschenien-Gefährdungseinschätzung vom 09.09.2009; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage, 25.11.2009; Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 30.07.2009; Hinweise des UNHCR zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz Asylsuchender aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien vom 7.4.2009 samt Ergänzungsbrief vom 11.11.2009; Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, Adat/Blutrache vom 05.11.2009)

 

4. Rückkehrer

 

Derzeitige Situation von Rückkehrern

 

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Ebenso liegen dem Auswärtigen Amt keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, ob Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange der Tschetschenien-Konflikt nicht endgültig gelöst ist, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.

 

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen hat etwas abgenommen, wenngleich russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit berichten. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen (Ausweis, Fingerabdrücke) auf der Straße, in der U-Bahn und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden statt, haben aber an Intensität abgenommen. Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes sind keine Anweisungen der russischen Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen bekannt. Kontrollen von kaukasisch aussehenden oder aus Zentralasien stammenden Personen erfolgen seit Jahresbeginn 2007 zumeist im Rahmen des verstärkten Kampfes der Behörden gegen illegale Migration und Schwarzarbeit. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird an vielen Orten (u.a. in großen Städten wie Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen wirken sich im Zusammenhang mit anti-kaukasischer Stimmung besonders stark auf die Möglichkeit von aus anderen Staaten zurückgeführten Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Die Rücksiedlung nach Tschetschenien wird von Regierungsseite nahegelegt.

 

Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort ("vorübergehende Registrierung") und ihren Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung") melden müssen. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses (ein von russischen Auslandsvertretungen ausgestelltes Passersatzpapier reicht nicht aus) und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Viele Vermieter weigern sich zudem, entsprechende Vordrucke auszufüllen, u.a. weil sie ihre Mieteinnahmen nicht versteuern wollen.

 

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 30 und 31)

 

Mittlerweile sind von den nach Kriegsausbruch weit über 200.000 Flüchtlingen, die vor allem nach Inguschetien geflüchtet waren, die meisten nach Tschetschenien zurückgekehrt. Auch von den innerhalb Tschetscheniens vertriebenen Personen sind die meisten wieder in ihre Häuser zurückgekehrt. Laut UNHCR konnten seit dem Jahr 2002 zehntausende Binnenflüchtlinge aufgrund der Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage und der bereits erfolgten und laufenden Wiederaufbauprogramme in ihre Häuser zurückkehren. Anfang 2009 schätzte das Flüchtlingshochkommissariat die Zahl der weiterhin Binnenvertriebenen auf 79.000.

 

Auch ein Anstieg der Anzahl freiwilliger Rückkehrer aus Österreich in die Russische Föderation ist festzustellen. 2008 kehrten in den ersten zehn Monaten 1.196 Personen aus Europa in die Russische Föderation zurück (hiervon 173 aus Österreich). Zwischen 2003 und 2007 kehrten insgesamt 1.485 Personen zurück. Hierbei handelt es sich allerdings nur um mit der Unterstützung der IOM (International Organisation for Migration) zurückgekehrte Personen, die tatsächliche Gesamtzahl liegt vermutlich höher. 75% der (durch IOM unterstützten) Rückkehrer in die Russische Föderation kehrten 2008 nach Tschetschenien zurück, 17% gingen nach Dagestan, 3% nach Inguschetien. Tschetschenen kehren derzeit auch aus Moskau und anderen Teilen der Russischen Föderation nach Tschetschenien zurück. Mit Unterstützung von IOM kehrten 2009 insgesamt 918 Personen aus Österreich in die Russische Föderation zurück. Aus Österreich kehrten darunter mit Unterstützung des VMÖ (Verein Menschenrechte Österreich) 2008 69 Personen, 2009 303, und in den ersten vier Monaten des Jahres 2010 64 Personen nach Tschetschenien zurück.

 

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010)

 

II.4.1. Die Staatsangehörigkeit und Identität der Beschwerdeführerin (II.3.1.) konnten im Asylverfahren nach Vorlage eines russischen Inlands- und Reisepasses festgestellt werden. Die Volksgruppenzugehörigkeit (II.3.1.) konnte ebenfalls bereits vom Bundesasylamt auf Grund der Angaben der Beschwerdeführerin festgestellt werden.

 

II.4.2. Die Feststellungen zum Ausreisegrund der Beschwerdeführerin (II.3.2.) beruhen auf dem insgesamt unglaubwürdigen Vorbringen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten während des Asylverfahrens.

 

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

 

Anlässlich der Antragstellung gab die Beschwerdeführerin als Grund für ihre Ausreise an, dass sie in ihrer Heimat keine Zukunft sehe und deshalb mit ihrer Familie und einigen Bekannten weggegangen sei.

 

In der ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 28.04.2005 gab die Beschwerdeführerin an, dass sie im August 2004 mit ihrem Gatten und ihrem Sohn XXXX ihre Ortschaft XXXX verlassen habe. Nach den Gründen für ihre Ausreise befragt, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie mit ihrem Mann mitgefahren sei. Ihr Mann werde in der Heimat verfolgt. Die Beschwerdeführerin habe Angst um das Leben ihres Sohnes und um ihr Leben gehabt. Maskierte Männer hätten ihren Mann einmal mitnehmen wollen. Die Beschwerdeführerin habe Angst gehabt, dass ihnen Suchtgift untergeschoben werden würde. Die Beschwerdeführerin habe Angst bekommen und eine Frühgeburt gehabt, da in ihrem Haus Widerstandskämpfer versteckt gewesen seien.

 

Gelegentlich der ärztlichen Untersuchung am 28.04.2005 gab die Beschwerdeführerin an, dass sie wegen der Verfolgung ihres Mannes ausgereist sei. Nachdem zwei Kämpfer bei ihnen untergebracht gewesen seien, sei es zu Kontrollen gekommen und sei die Mitnahme ihres Mannes mittels Lösegeldzahlung verhindert worden.

 

Anlässlich der Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt am 02.05.2005 gab die Beschwerdeführerin zur vom Bundesasylamt beabsichtigten Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Polen an, dass sie dort keine medizinische Versorgung erhalten habe. Sollte sie nach Polen geschickt werden, würde sie höchstwahrscheinlich in ihre Heimat zurückkehren.

 

Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesasylamt nach Zulassung des Verfahrens am 20.09.2005 gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass sie wegen der Schwierigkeiten ihres Gatten im Herkunftsstaat ausgereist und ihrem Gatten gefolgt sei. Eines Morgens im Februar 2004 seien Maskierte eingedrungen und hätten sich Zutritt zum Hof verschafft. Die Männer hätten alles durchsucht und ihren Mann befragt. Durch Zahlung von 500 Rubel sei die Mitnahme ihres Mannes abgewendet worden. Die Maskierten hätten nach Verwandten ihrer Schwiegermutter, XXXX, gesucht, welche manchmal bei ihnen genächtigt hätten. Für den Fall ihrer Rückkehr befürchte die Beschwerdeführerin ihre sofortige Mitnahme. Die Frage, ob ihr Mann zwischen Februar und August 2004 gesucht worden sei, verneinte die Beschwerdeführerin und fügte hinzu, dass sie es nicht wisse. Bei Säuberungen habe ihr Mann das Elternhaus immer verlassen. Auf die Frage, weshalb die Beschwerdeführerin nicht zu ihren Eltern gegangen, sondern ausgereist sei, führte die Beschwerdeführerin aus, dass es eine Schande sei, bei der Mutter der Frau zu leben.

 

In der niederschriftlichen Befragung beim Bundesasylamt am 11.02.2008 im fortgesetzten Verfahren bejahte die Beschwerdeführerin die Frage, ob sie bisher wahrheitsgemäße Angaben im Verfahren gemacht habe. Nach ihrer Ausreise sei nach ihrem Aufenthaltsort gefragt worden. Auf die Frage, wo sie bis zur Ausreise gelebt habe, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie im Elternhaus ihres Mannes in XXXX gelebt habe. Es gebe noch etwas, worüber sie nicht sprechen wolle. Auf die Frage, ob es sexuelle Übergriffe gegeben habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass so etwas stattgefunden habe, sie aber nicht darüber sprechen wolle. Daraufhin wurde die Einvernahme der Beschwerdeführerin abgebrochen.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesasylamt am 14.03.2008 gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr Mann sich aus Angst vor seiner Mitnahme versteckt habe. Die Beschwerdeführerin sei alleine gewesen und Anfang August 2004 seien spätnachts uniformierte russische Militärangehörige in ihr Haus gekommen. Alles habe damit begonnen, dass Verwandte ihrer Schwiegermutter bei ihnen genächtigt hätten. Im März 2004 seien Maskierte in den Hof eingedrungen und hätten das Haus durchsucht. Ihr Mann sei nach den Verwandten befragt und damit bedroht worden, ihm Waffen unterzuschieben, sollte er nicht kooperieren. Im Haus seien zwei Trageriemen von Maschinenpistolen gefunden worden. Ihr Mann sei an die Wand gestellt, nach den beiden Verwandten gefragt und geschlagen worden. Ihr Mann sei in Ruhe gelassen worden, nachdem ihr Schwiegervater Geld bezahlt habe. Auf die Frage, ob es gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Übergriffe gegeben habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass die beiden Männer nicht mehr im Haus gewohnt hätten, sondern die Wohnung ihres Mannes in XXXX benützt hätten. Nach Fragewiederholung nach Übergriffen auf ihre Person führte die Beschwerdeführerin aus, dass einer der beiden Männer, XXXX, festgenommen worden sei, womit eine Gefährdung ihres Mannes offensichtlich geworden sei. Ihr Mann sei gemeinsam mit XXXX, weggegangen und sei bis zur Ausreise nicht zu Hause gewesen. Im Zuge von Säuberungen sei konkret nach dem Ehegatten der Beschwerdeführerin und nach XXXX gefragt worden. Abermals nach Übergriffen auf ihre Person gefragt, schilderte die Beschwerdeführerin, dass es eines Nachts an der Tür geklopft habe, woraufhin sie geöffnet habe und von zwei kräftigen Männern ins Zimmer geschubst worden sei. Die Männer hätten nach ihrem Gatten und XXXX gefragt, sie an den Haaren gepackt, ihr den Mund verklebt und sie abgeführt. Die Beschwerdeführerin sei in ein Auto geworfen und an einen unbekannten Ort verbracht und dort mit dem Umbringen ihres Sohnes bedroht worden. Die Beschwerdeführerin sei im Zuge der Anhaltung vergewaltigt worden. Nachgefragt sei dieser Vorfall Anfang August 2004 passiert. Von einem Schlag auf den Hinterkopf habe sie das Bewusstsein verloren, sei erst auf einem Feld zu sich gekommen. Den Grund ihrer Anhaltung sehe sie in der Verfolgung ihres Mannes. Nachdem dieser nicht aufgefunden worden sei, habe man sie mitgenommen. Die Beschwerdeführerin habe dies überhaupt nicht erwähnen wollen, ihr Mann wisse davon auch nichts. Sie habe erst davon gesprochen, als sie vom Referenten direkt danach gefragt worden sei. Dem Vorhalt, wonach sie in der Einvernahme vom 20.09.2005 Anderes ausgesagt habe, was eine Suche nach ihrem Mann betreffe, begegnete die Beschwerdeführerin mit dem Hinweis, dass der Dolmetscher ihre Ausführungen nicht verstanden habe. Die Beschwerdeführerin könne sich nachgefragt nicht erinnern, ab wann die beiden Männer bei ihnen aufhältig gewesen seien. Ihr Mann habe im März des Jahres 2004 freigekauft werden können. Die Beschwerdeführerin wisse nicht, was aus den beiden Männern geworden sei. XXXX sei jedenfalls festgenommen worden im Mai 2004. Das genaue Datum wisse sie nicht. Ihr Mann habe nach dem Vorfall im März 2004 weiter in der Schule gearbeitet. Ab Mai 2004 habe sich ihr Mann in XXXX versteckt, bei wem, wisse sie nicht. Die abschließend gestellte Frage, ob sie alle Gründe für ihre Ausreise genannt habe, bejahte die Beschwerdeführerin. Für den Fall ihrer Rückkehr fürchte sie die Festnahme ihres Mannes, es könnte aber auch ihr etwas widerfahren.

 

Das Bundesasylamt geht in seinem Bescheid in Spruchpunkt I. unter Verweis auf die Begründung im Bescheid den Ehegatten der Beschwerdeführerin betreffend von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten aus. Die Beschwerdeführerin habe keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können. Der Beschwerdeführerin sei infolge des Gesundheitszustandes ihres Mannes subsidiärer Schutz zu erteilen gewesen.

 

In der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des Bundesasylamtes führte die Beschwerdeführerin zusammengefasst aus, dass das Bundesasylamt seiner Pflicht zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes unter Wahrung des Parteiengehörs nicht nachgekommen sei. Die belangte habe eine Ermittlung, inwieweit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin asylrelevante Verfolgung als Angehörige einer sozialen Gruppe innewohne, unterlassen. Nach allgemeinen Ausführungen zum Begriff "bestimmte soziale Gruppe" und geschlechtsspezifische Verfolgung gab die Beschwerdeführerin an, dass sie wegen ihrer Vergewaltigung und der damit verbundenen Konsequenzen asylrelevante Verfolgung zu gewärtigen habe. Die belangte Behörde habe das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin zu Unrecht als Steigerung gewertet. Die Beschwerdeführerin habe erst in der Einvernahme vom 14.03.2008, bei der ausschließlich Frauen anwesend gewesen seien, ihre Vergewaltigung zur Sprache bringen können. Die Beschwerdeführerin lege Wert darauf, dass ihr Ehegatte von der Vergewaltigung nichts erfahre, da sie ansonsten eine Trennung befürchte. Das Bundesasylamt habe nicht angegeben, welche Tatsachen als erwiesen angenommen würden und welche nicht. Das Bundesasylamt habe lediglich die pauschale Aussage getroffen, dass der Beschwerdeführerin jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen werde und veraltete Länderfeststellungen getroffen, sei aber nicht auf ihre Ausführungen eingegangen. Das Bundesasylamt habe nicht ausgeführt, wie es zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführerin nicht die Flüchtlingseigenschaft zukomme, gelangt sei. Die Beschwerdeführerin hätte ihre Angaben ergänzt, hätte das Bundesasylamt Parteiengehör gewährt. Das Bundesasylamt habe das Vorbringen der Beschwerdeführerin als unglaubwürdig gewertet, da auch das Vorbringen ihres Gatten dergestalt beurteilt worden sei. Das Bundesasylamt habe eine Aussage als unglaubwürdig gewertet und in weiterer Folge auch alle anderen Angaben, was nicht logischen Denkgesetzen entspreche. Widersprüche in den Angaben der Ehegatten seien infolge der patriarchalen Struktur in Tschetschenien, wo Frauen nicht in alle Angelegenheiten der männlichen Angehörigen eingeweiht werden würden, aufgetreten. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe von sich aus angegeben, dass er sich versteckt gehalten habe. Es handle sich dabei nicht um eine Schutzbehauptung. Dem Ehepaar könne nicht vorgeworfen werden, die Familiennamen der Verwandten nicht zu kennen. Das Bundesasylamt habe der Beschwerdeführerin eine Unklarheit in einem Nebenpunkt ihres Vorbringens vorgeworfen, was nicht die Unglaubwürdigkeit ihres gesamten Vorbringens bedinge. Die Beschwerdeführerin und ihr Mann hätten ausgeführt, dass sie Verfolgung erlitten hätten und eine solche drohe. Die Beschwerdeführerin beantragte die Gewährung von Asyl, die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens.

 

Der erkennende Senat geht nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung in Übereinstimmung mit dem Bundesasylamt von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten zu den behaupteten Gründen für die Ausreise aus dem Herkunftsstaat aus.

 

Dem Vorbringen des Ehegatten der Beschwerdeführerin konnte der erkennende Senat des Asylgerichtshofes keine Glaubwürdigkeit zubilligen (s. Erkenntnis des Asylgerichtshofes den Ehegatten der Beschwerdeführerin betreffend vom heutigen Tag zur Zahl

 

D7 265420-2/2008). Alleine aus diesem Grund kann dem späten Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach sie von Soldaten auf der Suche nach ihrem Ehegatten vergewaltigt worden sei, und das auf dem unglaubwürdigen Vorbringen ihres Ehegatten basiert, keinerlei Glaubwürdigkeit zukommen. Wenn schon dem Vorbringen des Ehegatten der Beschwerdeführerin die Glaubwürdigkeit abzusprechen war, muss dies umso mehr für die Angaben der Beschwerdeführerin, die ausschließlich wegen der Person ihres Ehegatten und nicht wegen ihrer Person einem angeblichen Übergriff ausgesetzt gewesen sein will, gelten. Dem auf den als unglaubwürdig qualifizierten Angaben des Ehegatten der Beschwerdeführerin fußenden Vorbringen der Beschwerdeführerin ist damit jegliche Substanz entzogen.

 

Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Beschwerdeführerin erstmals knapp drei Jahre nach der Antragstellung ihre Festnahme und Vergewaltigung ins Treffen führte und bis dahin das Zusammenleben mit ihrem Ehegatten als Grund für ihre Ausreise darstellte. Die Beschwerdeführerin muss sich damit eine Steigerung ihres Vorbringens vorwerfen lassen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299; 02.02.1994, 93/01/1035). Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261). Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07. 06. 2000, 2000/01/0250).

 

Der erkennende Senat des Asylgerichtshofes übersieht nicht, dass Vergewaltigungsopfer oft Schwierigkeiten haben, sexuelle Übergriffe zur Sprache zu bringen. Im Fall der Beschwerdeführerin verhält es sich nun aber so, dass diese auch bei der Untersuchung durch eine Ärztin in Anwesenheit einer weiblichen Dolmetscherin in zeitlicher Nähe zur Antragstellung keinen Übergriff erwähnte. Die Beschwerdeführerin deutete erst in der Einvernahme am 11.02.2008 einem männlichen Referenten des Bundesasylamtes gegenüber einen Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung an: "...Es gibt da noch etwas, aber darüber möchte ich nicht sprechen. ..." (Verwaltungsakt des Bundesasylamtes, Seite 217). Von sich aus gab die Beschwerdeführerin aber nicht dezidiert an, dass sie vergewaltigt worden sei; dies bejahte sie erst nach ausdrücklicher Nachfrage durch den Referenten, welcher die Einvernahme sofort abbrach: "...

F: Wurde in Ihre sexuelle Selbstbestimmung eingegriffen? A:

Natürlich gab es da so etwas. Ich will darüber aber nicht sprechen. ..." (Verwaltungsakt des Bundesasylamtes, Seite 217). Die Möglichkeit einer Andeutung hätte die Beschwerdeführerin, nachdem sie vor dem Bundesasylamt ein Merkblatt zum Asylverfahren erhalten hat, zur Wahrheit und Vollständigkeit ihrer Angaben aufgefordert und über deren Bedeutung aufgeklärt wurde, auch schon in den vorangegangenen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gehabt. Die Beschwerdeführerin hat augenscheinlich keine Scheu gehabt, zu einem männlichen Einvernahmeleiter eine in diese Richtung gehende Bemerkung zu machen, welcher der Referent auch nachging und in weiterer Folge eine Einvernahme durch eine weibliche Referentin des Bundesasylamtes vornehmen ließ. Der erkennende Senat des Asylgerichtshofes geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem späten Vorbringen ihrem Asylgesuch doch noch zum Durchbruch verhelfen wollte. Den nachgeschobenen Angaben der Beschwerdeführerin folgt der erkennende Senat jedenfalls nicht.

 

Die Behauptung der Beschwerdeführerin steht in krassem Gegensatz zu ihrem bis dahin erstatteten Vorbringen. Nicht nur, dass die Beschwerdeführerin eigeninitiativ keinen Übergriff angab, sie verneinte sogar die anlässlich der Einvernahme vom 20.09.2005 gestellte Frage, ob zwischen Februar und August 2004 nach ihrem Mann gesucht worden sei, um in der Einvernahme vom 14.03.2008 zu behaupten, im Zuge der Suche nach ihrem Mann vergewaltigt worden zu sein. Das schon vor dem Bundesasylamt von der Beschwerdeführerin nach Vorhalt ihrer widersprüchlichen Angaben behauptete Missverständnis des Übersetzers kann nach den Protokollen, welche im Verwaltungsakt einliegen, ausgeschlossen werden, zumal die Beschwerdeführerin die Niederschriften jeweils nach Rückübersetzung unterfertigte und keine Ergänzungen machen wollte. Der Versuch, die Sprachmittler für die Ungereimtheiten verantwortlich zu machen, geht demnach ins Leere.

 

Die Beschwerdeführerin brachte zu keiner Zeit Fluchtgründe vor, die nicht mit der behaupteten aber tatsächlich nicht vorliegenden Verfolgung(sgefahr) für ihren Ehegatten in Zusammenhang stehen. Auf ihre Person bezogene Fluchtgründe führte die Beschwerdeführerin weder vor dem Bundesasylamt noch in der Beschwerde oder vor dem Asylgerichtshof ins Treffen. Nachdem das unglaubwürdige Vorbringen des Ehegatten der Beschwerdeführerin nicht geeignet war, asylrelevante Verfolgung darzutun, kann aus diesem auch keine Verfolgung(sgefahr) für die Beschwerdeführerin abgeleitet werden.

 

II.4.3. Die Feststellung zur Gewährung subsidiären Schutzes durch das Bundesasylamt (II.3.3.) ergibt sich aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes.

 

II.4.4. Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin (II.3.4.) beruhen auf dem in der Beschwerdeverhandlung vom 05.07.2011 zitierten Dokumentationsmaterial (Verhandlungsschrift vom 05.07.2011, Seiten 16 bis 19).

 

Die Parteien des Beschwerdeverfahrens haben keinen Einwand gegen die Heranziehung der ihnen in der Verhandlung vor dem zur Entscheidung berufenen Senat des Asylgerichtshofes zur Kenntnis gebrachten Informationsquellen erhoben. Die herangezogenen Berich

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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