TE OGH 2009/11/25 2R256/09p

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Veröffentlicht am 25.11.2009
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Kopf

2 R 256/09 p

Das Landesgericht Klagenfurt hat als Rekursgericht durch die Richter HR Dr. Oberheinrich (Vorsitz), Dr. Gerard Kanduth und Dr. Melchart in der Rechtssache der klagenden Partei *****, *****, vertreten durch *****, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei *****, wegen Ehescheidung, über den Rekurs der Republik Österreich, vertreten durch den Revisor beim Landesgericht Klagenfurt, gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Villach vom 14. September 2009, 2 C 28/09h-2, den

B E S C H L U S S

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluss bewilligte das Erstgericht der klagenden Partei die Verfahrenshilfe gemäß § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis c

ZPO.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Revisors mit dem Antrag auf Aufhebung der bekämpften Entscheidung zur Verfahrensergänzung. Der Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurswerber zeigt zutreffend auf, dass das Vermögensbekenntnis der Klägerin zu folgenden Punkten ergänzungs- bzw. aufklärungsbedürftig ist:

1) Tatsächliches Netto-Einkommen der Antragstellerin (Klärung der Angaben zu Punkt III.1. des Vermögensbekenntnisses; Streichung der nicht in Betracht kommenden Punkte);

2) Klärung, worauf sich der angegebene Einheitswert zu Punkt IV.2. bezieht – Einkommen daraus? -;

3) Rechtsschutzversicherung Punkt IV.9. (Deckung für den vorliegenden Prozess?);

4) Monatliche Belastungen zur Schuld unter Punkt V. Diese Punkte werden im fortgesetzten Verfahren einer Klärung (und allfälligen Bescheinigung) zuzuführen sein.

Zur Frage, ob die Vorlage des Vermögensbekenntnisses im Original (mit der Originalunterschrift der Antragstellerin) ein zwingendes Formerfordernis darstellt:

Der Klagsvertreter brachte die Klage mit dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe samt dem Vermögensbekenntnis mit Formblatt ZPForm 1 im elektronischen Rechtsverkehr ein; es liegt daher bisher kein Original des Vermögensbekenntnisses mit Originalunterschrift der antragstellenden Klägerin im Akt. Bei der Beurteilung, ob diesbezüglich ein Verbesserungsverfahren zur Vorlage des Originals einzuleiten gewesen wäre, ist von folgender Rechtslage auszugehen:

Gemäß § 98a Abs 1 GOG können Eingaben, soweit dies durch eine Regelung nach § 89b GOG vorgesehen ist, statt mittels Schriftstücks elektronisch angebracht werden.

Gemäß § 89b Abs 2 GOG ist die nähere Vorgangsweise bei der elektronischen Übermittlung von Eingaben, Beilagen und Erledigungen durch Verordnung des Bundesministers für Justiz zu regeln. Gemäß § 89c Abs 1 GOG gelten für Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr die Bestimmungen über den Inhalt schriftlicher Eingaben. Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr entfalten auch die Rechtswirkungen der Schriftlichkeit im Sinne des § 886 ABGB. Nach dieser Bestimmung kommt ein Vertrag, für den Gesetz oder Parteiwille Schriftlichkeit bestimmt, durch die Unterschrift der Parteien zustande.

Gemäß § 89c Abs 2 Z 3 GOG sind Beilagen zu elektronischen Eingaben, soweit dies in der Verordnung nach § 89b Abs 2 angeordnet ist, in Form von elektronischen Urkunden (Urschriften oder elektronischen Abschriften von Papierurkunden) anzuschließen.

Aufgrund des § 89b Abs 2 GOG erging die Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2006, BGBl II Nr. 481/2005).

Gemäß § 1 Abs 1 ERV können alle Eingaben und Beilagen von Eingaben an Gerichte und Staatsanwaltschaften nach Maßgabe der §§ 5, 8a, 9 und 10 ERV eingebracht werden.

Gemäß § 5 Abs 1 ERV müssen elektronisch eingebrachte Eingaben und elektronisch zuzustellende Erledigungen sowie Beilagen der Schnittstellenbeschreibung nach Abs 2 entsprechen; werden mit der Eingabe mehrere Urkunden vorgelegt, so sind diese als getrennte Anhänge zu übermitteln.

Die Bestimmungen in den §§ 8a, 9 und 10 ERV betreffen das Firmenbuch- und Grundbuchsverfahren.

Gemäß § 5 Abs 1a ERV geschieht die elektronische Übermittlung von Eingaben und Erledigungen durch automationsunterstützte und strukturierte Datenübertragung; Fax und E-Mail sind keine zulässigen Formen des elektronischen Rechtsverkehrs im Sinne dieser Verordnung. Weiters enthält die ERV Regelungen, die der Sicherheit des elektronischen Rechtsverkehrs dienen (vgl. § 3 – Übermittlungsstellen, § 6 – Datensicherheit, § 7 - Anschriftcode). Die Einbringung einer Mitteilung auf elektronischem Weg mittels PDF-Anhangs ist zulässig. Ein solcher, einer elektronischen Eingabe angeschlossene PDF-Anhang (also der Mitteilungsschriftsatz selbst) bedarf keiner weiteren Unterfertigung durch die Parteienvertreter und ist nicht zur Verbesserung zurückzustellen. Durch den Anschriftcode gemäß § 7 ERV und eine dem § 6 Abs 1 ERV entsprechende Sicherung ist gewährleistet, dass die Eingabe nur von demjenigen elektronisch eingebracht werden kann, der in der Eingabe als Einbringer bezeichnet wird (RIS-Justiz RS0125146 = 6 Ob 3/09y)

Gemäß § 65 Abs 1 ZPO ist die Verfahrenshilfe schriftlich oder mündlich zu Protokoll zu beantragen. Gemäß § 66 Abs 1 ZPO sind zugleich mit dem Antrag ein Vermögensbekenntnis mittels Formblatt (ZPForm 1) und entsprechende Belege beizubringen.

Hat das Gericht gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit des Vermögensbekenntnisses Bedenken, so hat es dieses gemäß § 66 Abs 2 ZPO zu überprüfen. Hiebei kann das Gericht die Partei auch unter Setzung einer angemessenen Frist zur Ergänzung des Vermögensbekenntnisses und zur Beibringung weiterer Belege auffordern.

Grundsätzlich können also nach der geltenden Rechtslage Schriftsätze und Urkunden im Zivilverfahren im elektronischen Rechtsverkehr eingebracht werden, ohne dass es eines Verbesserungsverfahrens zur Vorlage des Originals des Schriftsatzes oder einer Originalunterschrift bedürfte.

Für den Antrag auf Verfahrenshilfe und das Vermögensbekenntnis stellt die Rechtsordnung keine Sondervorschriften auf.

Der Rekurswerber stützt seine Rechtsansicht, es sei das Vermögensbekenntnis ungeachtet des elektronischen Rechtsverkehrs jedenfalls auch im Original zu übermitteln und vom Erstgericht einzufordern gewesen, auf die Entscheidungen in RIS-Justiz RS0035753, Gitschthaler in Rechberger ZPO Rz 6 zu §§ 84 und 85 sowie die ständige Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Graz, die in dessen Entscheidung 2 R 87/09w zum Ausdruck kommt.

In dem zu 2 R 87/09w des Oberlandesgerichtes Graz entschiedenen Fall war einer elektronisch eingebrachten Klage ein Vermögensbekenntnis angeschlossen. Das Oberlandesgericht Graz vertrat dazu die Rechtsmeinung, dass Vermögensbekenntnisse der Parteien, die nur in Fotokopie vorliegen, nicht zur Grundlage der Entscheidung über Verfahrenshilfeanträge gemacht werden könnten. Dazu zitiert das Oberlandesgericht Graz dieselben Belegstellen in RIS und Rechberger wie der Rekurswerber.

Dem ist zu entgegnen:

Die §§ 84, 85 ZPO regeln die amtswegige Beseitigung von Formgebrechen, welche die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung eines überreichten Schriftsatzes zu hindern geeignet sind. Gitschthaler zählt zu Rz 6 in Rechberger ZPO-Kommentar³ zu §§ 85, 85 solche Formgebrechen beispielsweise auf (darunter auch das – gänzliche – Fehlen eines Vermögensbekenntnisses), geht aber nicht auf die Rechtslage nach der ERV 2006 ein.

Der in RIS-Justiz RS0035753 veröffentlichte Rechtssatz lautet: „Die Unterschrift ist unbedingtes Erfordernis. Diese Bestimmung geht über den Rahmen einer Formalvorschrift hinaus. Ihr Zweck ist es klarzustellen, dass die Einbringung des Schriftsatzes und sein Inhalt dem Willen der Partei entsprechen; es soll Missbräuchen vorgebeugt werden.“

Die dazu angeführten Entscheidungen ergingen teilweise vor Inkrafttreten der ERV 2006, sodass schon deshalb auf die geltende Rechtslage nicht Bezug genommen werden konnte; den übrigen Entscheidungen liegen keine mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbare Tatsachen zugrunde; es wurde insbesondere nicht darüber erkannt, wie elektronisch eingebrachte Urkunden im Verhältnis zu Originalurkunden zu bewerten sind.

Aus den vom Oberlandesgericht Graz zu 2 R 87/09w zur Begründung seiner Rechtsansicht angeführten Belegstellen ist daher in Wahrheit weder für den damals entschiedenen noch für den vorliegenden Fall etwas zu gewinnen; die Entscheidung geht auch auf die durch Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs geänderten Bedingungen in der Kommunikation zwischen Gerichten und Rechtsanwälten nicht ein und zeigt kein Argument auf, warum das Vermögensbekenntnis anders zu behandeln sein sollte als sonstige, im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs vorgelegte Urkunden.

Aufgrund der dargestellten Rechtslage sind unter Berücksichtigung der Zielsetzungen dieser Regelungen folgende Überlegungen maßgebend:

Bei der Frage nach dem Zweck einer Rechtsnorm ist primär davon auszugehen, dass ein Gesetz den Zweck hat, praktisch angewendet zu werden und dass der Gesetzgeber beabsichtigte, vernünftig zu handeln (Fasching in Fasching ZPR² I Einl. Rz 94; OLG Linz 6 R 10/09x mwN). Durch den elektronischen Rechtsverkehr soll der Schriftverkehr zwischen den Gerichten und Rechtsanwälten vereinfacht und beschleunigt werden. Gesetz- und Verordnungsgeber streben daher an, dass auch Beilagen (Urkunden) zu den Schriftsätzen elektronisch übersendet werden. Insbesondere durch die Vergabe der elektronischen Codes an die Rechtsanwälte ist sicher gestellt, dass der Absender der elektronischen Eingaben eindeutig identifizierbar ist (Missbrauchsvorbeugung).

Wenn also ein Rechtsanwalt als Parteienvertreter in einem Zivilprozess auf elektronischem Weg die Bewilligung der Verfahrenshilfe für seine Partei beantragt und diesem Antrag (ebenfalls elektronisch) ein unterschriebenes Vermögensbekenntnis seiner Partei anschließt, so ist diese Eingabe grundsätzlich genauso zu behandeln wie ein früher in Papierform eingebrachter Schriftsatz, dem das Vermögensbekenntnis im Original angeschlossen war (vgl. OLG Wien 16 R 57/08g mwN, wonach es beim elektronischen Rechtsverkehr nicht um die Form der Eingabe, sondern um die Art ihrer Übermittlung an das Gericht geht).

Sollten sich irgendwelche Bedenken gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit des Vermögensbekenntnisses ergeben, so sieht § 66 Abs 2 ZPO ausdrücklich die Möglichkeit vor, ein Prüfungsverfahren durchzuführen; dabei könnten auch allfällige Bedenken gegen die Echtheit des Vermögensbekenntnisses wahrgenommen werden. Die Rechtsmeinung des erkennenden Rekursgerichtes lässt sich daher wie folgt zusammenfassen:

Ist ein Vermögensbekenntnis zusammen mit einem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe durch einen Rechtsanwalt im elektronischen Rechtsverkehr eingebracht worden, so stellt dies jedenfalls dann keinen (durch Vorlage des Originals) verbesserungspflichtigen Formmangel dar, wenn gegen das Vermögensbekenntnis selbst keine Bedenken bestehen (§ 66 ZPO).

Anmerkung

EKL000972R256.09p

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LGKL729:2009:00200R00256.09P.1125.000

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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