TE OGH 2009/12/18 2Ob189/09x

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Veröffentlicht am 18.12.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. mj Franziska S*****, 2. mj Stefan S*****, beide vertreten durch den Vater Klaus K***** als gesetzlichen Vertreter, alle *****, alle vertreten durch Forcher-Mayr, Kantner & Ruetz Rechtsanwälte Partnerschaft in Innsbruck, sowie der auf Seite der klagenden Parteien beigetretenen Nebenintervenientinnen 1. Ö*****-Gesellschaft mbH & Co KG *****, 2. Ö*****-Gesellschaft mbH, *****, beide vertreten durch Dr. Markus Skarics, Rechtsanwalt in Imst, gegen die beklagte Partei D*****-AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Feststellungsinteresse 30.000 EUR, Revisionsinteresse 15.000 EUR), über die Revisionen der klagenden Parteien und der Nebenintervenientinnen gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. Mai 2009, GZ 2 R 77/09d-18, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 21. Jänner 2009, GZ 57 Cg 65/08g-13, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wieder hergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 4.928,57 EUR (darin 607,30 EUR USt und 1.284,80 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den Nebenintervenientinnen die mit 4.924,23 EUR (darin 606,57 EUR USt und 1.284,80 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 5. September 2005 wurde die Mutter der beiden Kläger als Fahrgast der im Eigentum der ersten Nebenintervenientin stehenden und in Sölden betriebenen Einseil-Umlaufbahn getötet, als bei einem über die Seilbahntrasse geführten Hubschraubertransportflug der H***** GmbH infolge einer Fehlfunktion der Auslösevorrichtung eine transportierte Außenlast samt Lastgehänge aus großer Höhe auf den Förderstrang der Liftanlage fiel. Das Bahnseil wurde dadurch in starke Schwingungen versetzt. Die Gondel Nr 77 stürzte samt Insassen aus ca 10 Metern Höhe zu Boden. Die Zweitnebenintervenientin ist die Komplementärin der Erstnebenintervenientin.

Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Hubschraubers, Versicherungsnehmerin war die H***** GmbH, die im Unfallszeitpunkt Arbeitgeber des Piloten des unfallbeteiligten Hubschraubers war. Die Versicherungssumme für diesen Hubschrauber beträgt 12.000.000 EUR. Gemäß § 1.3.1 dieses Luftfahrversicherungsvertrags umfasst der Versicherungsschutz die gesetzliche Haftpflicht unter anderem aus dem Gebrauch von Luftfahrzeugen wegen Schäden von Personen und Sachen, die nicht im Luftfahrzeug befördert werden (Halterhaftpflichtversicherung). Gemäß § 2.1.1 umfasst der Versicherungsschutz auch die persönliche gesetzliche Haftpflicht des Halters sowie aller Personen, die mit Wissen und Willen des Halters an der Führung und Bedienung der Luftfahrzeuge beteiligt sind.

Wegen des Unfalls wurde der Pilot unter anderem wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung rechtskräftig verurteilt.

Die unbeschränkte Haftung des Piloten für alle künftigen Schäden aus dem Seilbahnunfall gegenüber den Klägern steht rechtskräftig fest (2 Ob 19/09x).

Die Kläger begehren im vorliegenden Verfahren die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfall mit der Beschränkung auf die Versicherungssumme von 12.000.000 EUR entsprechend dem den Hubschrauber betreffenden Haftpflichtversicherungsvertrag. Hilfsweise begehren sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfall bis zu den Haftungshöchstbeträgen gemäß § 149 LFG in der im Unfallszeitpunkt geltenden Fassung. Die Kläger brachten vor, der Pilot hafte den Klägern aus Verschulden unbeschränkt. Da die Beklagte für das Verschulden des Piloten einzustehen habe, hafte sie als Haftpflichtversicherer des Hubschraubers bis zur Versicherungssumme. Jedenfalls aber hafte die Beklagte bis zu den Haftungshöchstbeträgen gemäß § 149 LFG.

Die Beklagte wendete ein, das gegen den Piloten ergangene rechtskräftige Strafurteil entfalte für die Beklagte keine Bindungswirkung. § 166 LFG normiere lediglich das Direktklagerecht des geschädigten Dritten gegenüber dem Haftpflichtversicherer. Da die Beklagte für ein allfälliges Verschulden des Piloten nicht einzustehen habe, bestehe das Hauptbegehren nicht zu Recht.

Die beiden Nebenintervenientinnen (Seilbahnunternehmen) schlossen sich dem Verfahren auf der Seite der Kläger an. Der Antrag der Beklagten auf Zurückweisung der beiden Nebenintervenientinnen wurde rechtskräftig abgewiesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das direkte Klagerecht der Kläger gegenüber dem Haftpflichtversicherer ergebe sich aus § 166 LFG. Der beklagte Haftpflichtversicherer hafte für ein Verschulden des mitversicherten Piloten im Rahmen des bestehenden Versicherungsvertrags. Das im Strafverfahren gegen den Piloten bereits rechtskräftig festgestellte Verschulden werde von der Beklagten zwar unter Hinweis darauf, dass das Strafurteil gegenüber der Beklagten keinerlei Bindungswirkung entfalte, bestritten. Das im vorliegenden Fall durchgeführte Beweisverfahren habe aber keine neuen, im Strafverfahren noch nicht vorliegenden Erkenntnisse gebracht. Es bestehe daher keine Veranlassung von den im Strafverfahren getroffenen Feststellungen und der entsprechenden rechtlichen Beurteilung abzuweichen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und wies das Hauptbegehren ab, gab aber dem Eventualbegehren statt. Die §§ 146 bis 153 LFG in der anzuwendenden Fassung enthielten keine Regelung über die Verantwortlichkeit des Halters eines Luftfahrzeugs für beim Betrieb tätige Gehilfen. In der Drittschadenshaftung des LFG hafte der Halter also nicht nach dem Muster des § 19 Abs 2 EKHG für das Verschulden des Betriebsgehilfen der Höhe nach unbegrenzt. Für das Verhalten von „Betriebsgehilfen" sei der Halter lediglich im Rahmen seiner Gefährdungshaftung nach § 146 LFG verantwortlich. Über diese dort genannten Haftungshöchstbeträge hinaus hafte der Halter nur dann, wenn er für sein eigenes Verschulden oder für das Verschulden der Gehilfen nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Gesichtspunkten verantwortlich sei. Gemäß § 159 LFG blieben Bestimmungen des ABGB und anderer Vorschriften, nach denen Schäden in weiterem Umfang und von anderen Personen als nach dem LFG zu ersetzen seien, unberührt. Danach hafte der Halter eines Luftfahrzeugs für sein eigenes Verschulden oder unter den Voraussetzungen der §§ 1313a und 1315 ABGB auch für das Verschulden seiner Gehilfen. Für eine habituelle Untüchtigkeit des Piloten iSd § 1315 ABGB fehlten aber jegliche Anhaltspunkte. Auf § 1313a ABGB könnten die Kläger hingegen nur dann zurückgreifen, wenn die getötete Mutter der Kläger mit dem Halter des Luftfahrzeugs in einer vertraglichen Beziehung gestanden wäre, wofür es keinerlei Anhaltspunkte gebe. Der Halter des Hubschraubers und demnach auch der beklagte Versicherer hafteten somit nicht für ein allfälliges Verschulden des Piloten, weshalb die Haftung der Beklagten mit den Haftungshöchstbeträgen des § 149 LFG beschränkt sei. Eine darüber hinausgehende Haftung lasse sich auch nicht aus § 166 LFG ableiten. Diese Bestimmung normiere nur das direkte Klagerecht des Geschädigten gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Luftfahrzeughalters, begründe jedoch ebenso wenig wie der zwischen der Beklagten und der H***** GmbH abgeschlossene Versicherungsvertrag eine über §§ 146 ff LFG hinausgehende Anspruchsgrundlage.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, da zur Frage der Verschuldenshaftung eines Flugzeughalters keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richten sich einerseits die Revision der Kläger und andererseits die Revision der Nebenintervenientinnen mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Beklagten beantragen, die Revisionen mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, die Revision der Nebenintervenientinnen überdies mangels Beschwer derselben als unzulässig zurückzuweisen. Hilfsweise wird beantragt, den Revisionen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind zulässig und berechtigt.

1. Zur Zulässigkeit der Revision der Nebenintervenientinnen:

Für die Beurteilung der Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung auch bei einem vom Nebenintervenienten erhobenen Rechtsmittel ist lediglich das Interesse der Hauptpartei an einer Änderung oder Beseitigung der angefochtenen Entscheidung maßgeblich (RIS-Justiz RS0033869 [T1]; RS0035474 [T2]). Da die Kläger durch die Entscheidung des Berufungsgerichts beschwert sind, steht nach der zitierten Rechtsprechung auch den Nebenintervenientinnen die Revision zu.

2. In der Sache:

Gemäß § 166 LFG in der im Unfallszeitpunkt geltenden Fassung kann der Geschädigte den ihm zustehenden Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrags auch gegen den Versicherer geltend machen. Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherte haften als Gesamtschuldner.

Der Pilot ist eine mit Wissen und Willen des Halters an der Führung und Bedienung des Hubschraubers beteiligte Person und so im Rahmen des gegenständlichen Versicherungsvertrags (§ 2.1.1) mitversichert. Bei den Ansprüchen der Kläger gegen den Piloten handelt es sich daher um einen Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrags iSd § 166 LFG.

Aufgrund der Entscheidung 2 Ob 19/09x steht - wie ausgeführt - die unbeschränkte Haftung des Piloten gegenüber den Klägern für alle künftigen Schäden aus dem Unfall rechtskräftig fest.

Für eine Beschränkung der Haftung des beklagten Haftpflichtversicherers auf die Haftungshöchstbeträge des § 146 LFG im Rahmen der Gefährdungshaftung besteht daher keine Grundlage.

Die Frage des Verschuldens des Piloten (das im Übrigen gegenüber einem anderen Kläger im Verfahren 2 Ob 119/09b vom erkennenden Senat bejaht wurde) muss daher ebenso wenig geprüft werden wie die (noch zum LuftVG vom Obersten Gerichtshof bereits verneinte) analoge Anwendung des § 19 Abs 2 EKHG im Luftverkehrsrecht (SZ 64/152; SZ 69/219; RIS-Justiz RS0106856).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte ist gemessen am Endergebnis im Berufungsverfahren zur Gänze unterlegen, weshalb die Kläger und Nebenintervenientinnen ihre Berufungsbeantwortungen auf Basis des gesamten Streitwerts honoriert bekommen. Im Revisionsverfahren war nur mehr die Differenz zwischen Eventual-(Gefährdungshaftung) und Hauptbegehren (Haftung bis zur Versicherungssumme) gegenständlich. Nach den Grundsätzen der zum EKHG ergangenen Entscheidung 2 Ob 70/01k ist diese Differenz mit der Hälfte des gesamten Streitwerts zu bewerten, weshalb die Bemessungsgrundlage 15.000 EUR beträgt.

Textnummer

E93155

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00189.09X.1218.000

Im RIS seit

17.01.2010

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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