TE OGH 2010/1/20 15Os1/10a

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Veröffentlicht am 20.01.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer in der Strafsache gegen Tsvetan R***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Geschworenengericht vom 30. November 2009, GZ 701 Hv 1/09x-312, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruht, wurde Tsvetan R***** der Verbrechen (zu I./) des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB, (zu II./ und III./) des Mordes nach § 75 StGB und (zu IV./) des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am „1. September“ (ersichtlich gemeint: 1. Juni) 2009 in P*****

I./ mit Gewalt gegen Personen und unter Verwendung einer Waffe, nämlich einer Pistole mit dem Kaliber 9 mm, Christoph und Monika T***** Bargeld in unbestimmter Höhe mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;

II./ Christoph T***** vorsätzlich getötet, indem er ihm durch Abgabe von vier gezielten Schüssen in den Oberkörper Verletzungen zufügte, die zum sofortigen Tod führten;

III./ Monika T***** vorsätzlich getötet, indem er ihr durch die Abgabe eines gezielten Schusses in das Herz Verletzungen zufügte, die zum sofortigen Tod führten;

IV./ versucht, Tamara T***** vorsätzlich zu töten, indem er ihr durch die Abgabe eines gezielten Schusses in den Rücken Verletzungen der Gallenblase, der Leber und des Zwölffingerdarms zufügte, die zum Tod durch Verbluten geführt hätten, wenn sie nicht unverzüglich notfallmedizinisch behandelt worden wäre.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 und 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl.

Die Verfahrensrüge nach Z 5 kritisiert die Abweisung des Antrags auf „Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Wahrnehmungspsychologie zum Beweis dafür, dass die Verletzte Tamara T***** den Angeklagten irrtümlich als Täter identifiziert" habe (ON 311, S 414 f). Begründet wurde der Antrag im Wesentlichen mit den Behauptungen eines Abstands von vier bis fünf Metern zwischen Zeugin und Täter während der Tat, der Schnelligkeit des Tathergangs, des Stresses der Zeugin während der Tat, der Konzentration der Zeugin auf die Tatwaffe sowie einer - infolge mangelnder Qualität der Vergleichslichtbilder - irreführenden Lichtbildervorlage an die Zeugin durch die Polizei.

Im Hauptverfahren ist die Bestellung eines Sachverständigen nur dann erforderlich, wenn zur Klärung von schuld- und subsumtionsrelevanten Fakten besondere Fachkenntnisse notwendig sind, über die das erkennende Gericht nicht verfügt (RIS-Justiz RS0097283). Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit einer Sachverständigenbestellung ist insgesamt ein strenger Maßstab anzulegen (Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 5, 7). Die richterliche Beweiswürdigung kann prinzipiell nicht Gegenstand eines Sachverständigengutachtens sein. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist vielmehr „ureigenste" Aufgabe des Gerichts (hier: der Geschworenen) und nicht des Sachverständigen (Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 9). Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen kommt die Hilfestellung durch einen psychologischen oder psychiatrischen Sachverständigen nur in jenen Ausnahmsfällen in Betracht, in denen objektive Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung, Entwicklungsstörung oder für sonstige Defekte indiziert sind (vgl RIS-Justiz RS0097364 [T6]; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 8; Lendl, WK-StPO § 258 Rz 23; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Umstände hingegen, die bloß gegen die Glaubwürdigkeit oder Verlässlichkeit eines Zeugen sprechen, unterliegen ausschließlich der Beweiswürdigung durch das Gericht (RIS-Justiz RS0097364 [T2]; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 9).

Ob die vom Antrag und von der Beschwerde behaupteten Umstände eine Einschränkung der Glaubwürdigkeit der Zeugin Tamara T*****, die den Angeklagten im Übrigen nicht nur auf Lichtbildern, sondern auch bei einer Gegenüberstellung vor Gericht mit Sicherheit wiedererkannt hat (ON 311, S 423), bewirkten, war demnach ausschließlich von den Geschworenen, nicht aber von einem Sachverständigen zu beurteilen, weshalb der vorliegende Beweisantrag vom Schwurgerichtshof zu Recht abgewiesen worden ist.

Nur am Rande wird dazu bemerkt, dass die Geschworenen ihre Entscheidung nicht bloß auf die Identifikation des Angeklagten durch die Zeugin Tamara T***** gestützt haben, sondern auch darauf, dass „DNA-Spuren des Angeklagten am Tatort sichergestellt werden konnten", eine „im Garten des Hauses des Angeklagten vorgefundene Patronenhülse aus der Tatwaffe stammt" und „der Angeklagte bzw sein Auto in unmittelbarer Nähe des Tatorts noch kurz vor der Tatzeit beobachtet worden ist" (Beilage ./G zu ON 311).

Die Instruktionsrüge (Z 8) orientiert sich mit der Behauptung, die Geschworenen hätten auch darüber belehrt werden müssen, dass der Angeklagte aus Bulgarien nur zur „Vorbereitung", nicht aber zur „Durchführung" des österreichischen Strafverfahrens ausgeliefert worden wäre, weshalb er der „innerstaatlichen strafrechtlichen Jurisdiktion entzogen" sei, nicht am Gesetz, weil § 321 Abs 2 StPO die Erfordernisse der Rechtsbelehrung abschließend beschreibt. Demnach können Gegenstand der Rechtsbelehrung nur für die Lösung der Schuldfrage durch die Geschworenen zu beurteilenden materiell-rechtliche Umstände sein, nämlich die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Fragestellung gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder an die Geschworenen gerichteten Frage. Prozessuale Tatsachen („Gründe des Prozessrechts für einen Freispruch") hingegen sind nach §§ 311 Abs 1, 337 StPO ausschließlich vom Schwurgerichtshof zu beurteilen (Ratz, WK-StPO § 288 Rz 40).

Im Übrigen besteht in diesem Zusammenhang kein Grund für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 iVm § 344 StPO, weil die durch die bulgarischen Strafverfolgungsbehörden genehmigte „zeitweilige Überstellung" („vorübergehende" oder „bedingte Übergabe" iSd Art 18 Abs 1 lit b, Abs 2, Abs 3; Art 24 Abs 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten [2002/584/JI]) des Angeklagten - der Beschwerde zuwider - explizit „zwecks Durchführung eines Strafverfahrens" erfolgte (ON 101, S 3 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung der Verteidigung - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1 und 2, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E93238

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0150OS00001.10A.0120.000

Im RIS seit

19.02.2010

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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