TE OGH 2010/2/9 10Ob5/10y

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Veröffentlicht am 09.02.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Michelle F*****, geboren am 17. Juni 1992, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung für den 2. und 20. Bezirk, 1200 Wien, Meldemannstraße 12-14), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. August 2009, GZ 45 R 308/09s-U-39, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. September 2008, GZ 3 P 118/01b-U-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit sie die Herabsetzung des Unterhaltsvorschusses zum Gegenstand haben, aufgehoben. Dem Erstgericht wird insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 13. 6. 2007 (ON U-2) wurden der Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Höhe des Exekutionstitels (200 EUR monatlich) für den Zeitraum vom 1. 7. 2007 bis 30. 6. 2010 weitergewährt.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 27. 8. 2007 (ON U-6) wurde der vom Vater zu leistende Unterhaltsbetrag ab 1. 7. 2007 auf 252 EUR monatlich erhöht. Wie bei der vorangegangenen Unterhaltsbemessung wurde der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen unter Anwendung des Anspannungsgrundsatzes ein fiktives Einkommen im Fall des Eingehens eines unselbständigen Beschäftigungsverhältnisses als Hilfsarbeiter von 1.200 EUR monatlich (inklusive anteiligen Sonderzahlungen) zugrundegelegt.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 4. 10. 2007 (ON U-8) wurden die bereits bewilligten Unterhaltsvorschüsse ab 1. 7. 2007 auf 252 EUR monatlich erhöht.

Da die Mutter der Minderjährigen vorerst keinen Beschäftigungsnachweis für ihre Tochter vorlegte, ordnete das Erstgericht mit Aktenvermerk vom 25. 8. 2008 (ON U-21) die gänzliche Innehaltung der Auszahlung der Vorschüsse ab September 2008 an.

Mit Beschluss vom 25. 9. 2008 (ON U-28) setzte das Erstgericht die der Minderjährhigen bisher gewährten Unterhaltsvorschüsse ab 1. 5. 2006 auf 30 EUR monatlich herab (Punkt 1.) und hob gleichzeitig die am 25. 8. 2008 telefonisch angeordnete Innehaltung auf (Punkt 2.). Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass laut Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt vom 16. 9. 2008 der Unterhaltsschuldner an der Adresse J.B. R*****, in Italien wohnhaft sei und seit 1. 5. 2006 eine Invaliditätspension in Höhe von 543,73 EUR monatlich und seit 1. 1. 2008 in Höhe von 552,97 EUR monatlich beziehe. Der Unterhaltsschuldner sei noch für Cornelia P*****, geboren am 4. 5. 1990, sorgepflichtig.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht unter Hinweis auf § 7 Abs 1 UVG aus, dass aufgrund der dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse erhebliche Bedenken gegen die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners bestünden. Er sei nicht mehr in der Lage, den titelmäßig festgesetzten Unterhalt weiterhin zu erbringen. Der im Spruch ausgewiesene Betrag in Höhe des Familienzuschlags sei seinem Leistungsvermögen jedoch angemessen. Gemäß § 19 Abs 1 UVG habe daher eine amtswegige Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse zu erfolgen.

Das Rekursgericht gab dem gegen Punkt 1. des Beschlusses (Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse) gerichteten Rekurs der Minderjährigen keine Folge. Auch nach seiner Ansicht bestünden begründete Bedenken iSd § 7 UVG gegen die Höhe des Unterhaltstitels, da der Unterhaltsschuldner seit 1. 5. 2006 wegen geminderter Arbeitsfähigkeit eine Invaliditätspension in einer unter dem Existenzminimum liegenden Höhe beziehe. Soweit die Minderjährige in ihrem Rekurs die Einvernahme des Unterhaltsschuldners im Rechtshilfeweg sowie Anfragen an italienische Behörden zur Höhe der Unterhaltsbemessungsgrundlage des Unterhaltsschuldners begehre, würden derartige weitwendige Erhebungen den Rahmen des Vorschussverfahrens übersteigen. Sollte es dem Unterhaltssachwalter möglich sein, nähere Umstände über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltsschuldners zu erheben, stehe es der Minderjährigen frei, einen Antrag auf Anhebung der Unterhaltsvorschüsse zu stellen.

Über Zulassungsvorstellung der Minderjährigen sprach das Rekursgericht aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zur Frage, ob die begründeten Bedenken nach § 7 UVG zu einer Innehaltung nach § 16 UVG oder sofort zu einer Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse nach § 19 UVG führten, doch zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss über die Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse ersatzlos zu beheben, in eventu den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung durch Erhebung der Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners aufzutragen.

Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht bei seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der amtswegigen Erhebungspflicht im Verfahren zur Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse nach § 19 UVG abgewichen ist, und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin vertritt im Wesentlichen die Ansicht, die Mitteilung allein, der Unterhaltsschuldner beziehe nunmehr eine Invaliditätspension, sei nicht geeignet, begründete Bedenken iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu erwecken. Diese Mitteilung stelle jedoch einen beachtlichen Grund dafür dar, einerseits entsprechende Erhebungen einzuleiten und andererseits eine mit einiger Wahrscheinlichkeit mögliche Überzahlung durch vorläufige Innehaltung der Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse zu vermeiden. Eine solche Anordnung der Innehaltung wäre daher im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Das Erstgericht habe jedoch vor der Versagung bzw Herabsetzung gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG wegen begründeter Bedenken gegen das aufrechte Bestehen der im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltspflicht aufgrund seiner amtswegigen Beweiserhebungspflicht die für die Beurteilung dieser Frage notwendigen Grundlagen zu ermitteln. Da weder der Aufenthalt noch der Dienstgeber oder sonstige Einkommensquellen des Unterhaltsschuldners in den letzten Jahren bekannt seien, könne nicht allein von der von der Pensionsversicherungsanstalt in Österreich zugesprochenen Invaliditätspension ausgegangen werden, ohne zumindest den Unterhaltsschuldner dazu befragt oder sonstige Erhebungen bei den italienischen Behörden eingeleitet zu haben. Es müsste daher überprüft werden, aufgrund welcher Einkünfte (Bezug einer italienischen Pension, Hinzuverdienst zur österreichischen Pension ...) der Unterhaltsschuldner seine Lebenshaltungskosten bestreite. Erst nach Vorliegen dieser Erhebungsergebnisse könne beurteilt werden, ob begründete Bedenken gegen den aufrechten materiellen Bestand des zu bevorschussenden gesetzlichen Unterhaltsanspruchs im titelmäßigen Ausmaß mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen.

Diesen Ausführungen kommt im Sinne der beschlossenen Aufhebung Berechtigung zu.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass nach den maßgebenden Übergangsbestimmungen des § 37 UVG im vorliegenden Fall noch die Rechtslage vor der durch das Inkrafttreten des Familienrechts-Änderungsgesetzes 2009, BGBl I 2009/75, erfolgten Novellierung des UVG Anwendung zu finden hat.

Gemäß §§ 19 Abs 1 und 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG sind die Unterhaltsvorschüsse herabzusetzen oder einzustellen, wenn nach § 7 Abs 1 UVG die Vorschüsse teilweise oder zur Gänze zu versagen sind. Dies ist nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG dann der Fall, wenn in den Fällen der §§ 3 und 4 Z 1 UVG begründete Bedenken bestehen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Der aufgrund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll damit der jeweiligen materiellrechtlichen Unterhaltspflicht entsprechen. § 7 Abs 1 UVG soll vor allem einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen vorbeugen und es dem Gericht im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ermöglichen, die Vorschüsse in der der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Höhe zu bemessen (RIS-Justiz RS0076391 [T8] mwN).

Bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen. Die Bedenken müssen insofern eine spezielle Qualität aufweisen, als eine hohe Wahrscheinlichkeit für die materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung bestehen muss. Eine „non-liquet" Situation in Bezug auf die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG geht zu Lasten des vorschussgewährenden Bundes (RIS-Justiz RS0108443).

Im vorliegenden Fall bestehen nach der Aktenlage, insbesondere aufgrund der Mitteilung der Pensionsversicherungsanstalt vom 16. 9. 2008, wonach der Unterhaltsschuldner seit 1. 5. 2006 eine Invaliditätspension in Höhe von zuletzt 552,97 EUR monatlich (inklusive Sonderzahlungen) bezieht, begründete Bedenken, dass die im Exekutionstitel nach dem Anspannungsgrundsatz aufgrund eines fiktiven Einkommens des Unterhaltsschuldners als Hilfsarbeiter von 1.200 EUR monatlich (inklusive anteiligen Sonderzahlungen) festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht. Ein ungelernter Arbeiter - wie nach der Aktenlage der Unterhaltsschuldner - gilt gemäß § 255 Abs 3 ASVG erst dann als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Der Bezug einer Invaliditätspension in einer unter dem Existenzminimum liegenden Höhe erweckt daher im Allgemeinen begründete Bedenken dagegen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist, sodass die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG) oder nach deren Gewährung herabzusetzen (§ 19 Abs 1 UVG) oder einzustellen sind (§ 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG). Auch eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen auf ein erzielbares Einkommen kommt dann nicht mehr in Betracht, wenn er beispielsweise wegen Krankheit zu einer Erwerbstätigkeit nicht mehr in der Lage ist (vgl 4 Ob 175/98h mwN). Die Gewährung der Invaliditätspension bildet daher nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen einen Anlass zu überprüfen, ob die gewährten Unterhaltsvorschüsse der Unterhaltspflicht des Vaters noch entsprechen.

Während im Bewilligungsverfahren nach dem UVG amtswegige Erhebungen aus dem aus § 11 Abs 2 UVG hervorgehenden Regelungszweck nur insoweit angemessen sind, als der Verdacht des Versagungsgrundes augenfällig ist und die Erhebungen ohne größere Verzögerungen durchführbar sind, gelten diese Beschränkungen im Bewilligungsverfahren für ein Verfahren zur Herabsetzung oder Einstellung bewilligter Vorschüsse nicht. Während im Bewilligungsverfahren der Unterhalt dem Minderjährigen möglichst rasch zur Verfügung gestellt werden soll, kommt in einem Stadium, in dem der Unterhalt bereits durch Vorschussgewährung in gewissen Grenzen gesichert ist, der Stoffsammlungsgrundsatz des § 16 AußStrG voll zum Tragen (vgl 10 Ob 59/09p; 1 Ob 78/03g = SZ 2003/118 mwN ua). Das Gericht hat daher die erforderlichen Beweise von Amts wegen aufzunehmen (Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 19 UVG Rz 7 mwN). Es muss dabei gegebenenfalls auch dem mj Antragsteller Gelegenheit gegeben werden, sich zu äußern und allenfalls den Nachweis zu erbringen, dass trotz des Bestehens begründeter Bedenken die im Titel festgesetzte Unterhaltspflicht keine wesentlichen Änderungen erfahren hat (vgl 6 Ob 676/90).

Die Rechtsmittelwerberin macht daher zu Recht geltend, dass das Verfahren noch ergänzungsbedürftig ist. Das Erstgericht hat nämlich entgegen dieser Verpflichtung zur amtswegigen Erhebung keinerlei Erhebungen über die aktuelle Unterhaltsbemessungsgrundlage des Unterhaltsschuldners gepflogen, obwohl es nicht zwingend ist, dass dem Unterhaltsschuldner neben dem Pensionsbezug von monatlich 552,97 EUR nicht auch andere Einkünfte oder Reserven zur Begleichung des Unterhalts zur Verfügung stehen. Erst nach Erhebung dieser Umstände wird beurteilt werden können, ob begründete Bedenken gegen den Unterhaltsanspruch im titelmäßigen Ausmaß bestehen (8 Ob 31/98m).

Für das vom Erstgericht fortzusetzende Verfahren ist schließlich noch darauf hinzuweisen, dass die sinngemäße Anwendung des § 16 UVG in den Fällen der amtswegigen Einleitung eines Herabsetzungs- oder eines Einstellungsverfahrens bedeutet, dass die Innehaltung nur dann anzuordnen ist, wenn beachtliche Gründe dafür sprechen, dass nach den noch durchzuführenden Erhebungen begründete Bedenken gegen eine weitere Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse (in der bisherigen Höhe) bestehen. In diesem Sinne ist bei begründbaren Zweifeln zu prognostizieren, ob sich diese voraussichtlich zu begründeten Bedenken verdichten werden oder nicht. Ist dies zu erwarten, ist innezuhalten; ist dies nicht zu erwarten (oder liegt eine „non-liquet" Situation vor), ist nicht innezuhalten (10 Ob 111/08h mwN).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Textnummer

E93206

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00005.10Y.0209.000

Im RIS seit

19.04.2010

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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