TE OGH 2010/2/11 10Bs24/10w

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Veröffentlicht am 11.02.2010
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Das Oberlandesgericht Graz hat in der Strafsache gegen D***** G***** wegen des Verdachtes des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren durch Einbruch und als Mitglied einer Bande begangenen Diebstahls gemäß §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 zweiter, dritter und vierter Fall StGB, in eventu wegen des Verdachtes der Hehlerei gemäß § 164 Abs 2, 3 und 4 zweiter und dritter Fall iVm § 64 Abs 1 Z 8 StGB über die Beschwerde des D***** G***** gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 12.Jänner 2010, 5 HR 3/10b-54, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

Begründung:

Gegen den ***** slowenischen Staatsangehörigen D***** G***** und weitere Mitbeschuldigte wurden beim Landesgericht für Strafsachen Graz ab 30.3.2000 Vorerhebungen wegen des im Spruch genannten Tatverdachts geführt.

Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 19.2.2001 gemäß § 412 aF StPO bis zur Auffindung der Täter eingestellt.

D***** G***** wurde ausgeforscht und befindet sich gegenwärtig zum Verfahren 8 Hv 89/09s des Landesgerichtes für Strafsachen Graz in Untersuchungshaft.

Das Verfahren gegen D***** G***** wurde nach formloser Übertragung an die Staatsanwaltschaft am 30.11.2009 fortgesetzt.

Ermittlungshandlungen gegen den Beschuldigten erfolgten bislang nicht.

Gemäß § 516 Abs 5 StPO ist das Verfahren gemäß § 197 StPO nach den neuen Verfahrensbestimmungen fortzusetzen.

Schon am 6.11.2009 gab die nunmehr zuständige Staatsanwältin Mag.E***** dem Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Graz ihre „Ausgeschlossenheit" bekannt, weil sie als Untersuchungsrichterin im November und Dezember 2000 vertretungsweise Verfügungen in den Akten getroffen habe.

Der Behördenleiter entschied, dass eine Befangenheit im Sinne des § 47 Abs 1 Z 2 StPO nicht vorliege, weil die Sachbearbeiterin nun als Staatsanwältin jene Verrichtungen im Ermittlungsverfahren wahrzunehmen habe, die zuvor in die Zuständigkeit des Untersuchungsrichters gefallen seien. Im vorliegenden Verfahren habe sie einen Sachverständigen bestellt, den Gendarmerieposten Leibnitz mit der Übermittlung von Spurenmaterial an das gerichtsmedizinische Institut Innsbruck beauftragt und das Nachtragen von Verdächtigen sowie eine Aktenvereinigung gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft verfügt. Mit der Lösung der Schuldfrage sei sie nicht befasst gewesen. Der Behördenleiter beauftragte die Staatsanwältin daher mit der Weiterführung des Ermittlungsverfahrens gegen D***** G***** (Verfügung vom 9.11.2009, ON 1 ohne Seitenangaben). Gegen diese Verfügung des Behördenleiters erhob der Beschuldigte einen Einspruch wegen Rechtsverletzung mit der Begründung, er sei durch die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft in seinem subjektiven Recht auf Führung des Ermittlungsverfahrens durch einen nicht gemäß § 47 Abs 1 Z 2 StPO befangenen Staatsanwalt verletzt und beantragte die neuerliche Prüfung der Befangenheit der Staatsanwältin, im Falle der Nichtentsprechung jedoch die Entscheidung des Gerichts. Die Staatsanwaltschaft entsprach dem Einspruch nicht (Stellungnahme ON 52) und leitete diesen an das Gericht weiter.

Der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren wies den Einspruch mit dem angefochtenen Beschluss (ON 54) als unzulässig zurück, dies mit der wesentlichen Begründung, dass § 47 StPO weder einen Rechtsanspruch auf Ablehnung eines Staatsanwalts wegen Befangenheit noch einen solchen auf Erledigung eines dagegen gerichteten Einspruchs vorsehe. Die Feststellung der Befangenheit eines Staatsanwalts (durch das Gericht) stelle kein subjektives Recht dar, dessen Verletzung zur Erhebung eines Einspruchs wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs 1 StPO berechtige.

Gegen diesen Beschluss richten sich die Beschwerden des Beschuldigten, eingebracht durch seinen Verfahrenshilfeverteidiger und durch seinen gemäß § 11 Abs 2 RAO nach Vollmachtsauflösung tätig gewordenen Wahlverteidiger, mit denen die gerichtliche Entscheidung über die Befangenheit beantragt wird. Wenngleich das Gesetz bei Beschwerden keine Einmaligkeit kennt (13 Os 41/03), war im Hinblick auf die umfassende Anfechtung durch die „erste" Beschwerde von nur einem Rechtsmittel auszugehen; die weitere Beschwerdeschrift war – ungeachtet der Frage des Einbringens innerhalb oder außerhalb der Rechtsmittelfrist – als gemäß § 89 Abs 2 StPO zulässige Neuerung zu berücksichtigen.

Die Beschwerde bleibt erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

§ 106 Abs 1 StPO räumt Personen, die behaupten, durch Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil (1.) die Ausübung eines Rechts nach diesem Gesetz verweigert oder (2.) eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurden, den Einspruch wegen Rechtsverletzung ein. Ein subjektives Recht gewährt entweder bestimmte Verfahrensrechte (Abs 1 Z 1; zB Akteneinsicht Beweisantragsrecht oder Recht auf Beiziehung einer Vertrauensperson) oder legt Voraussetzungen und Bedingungen fest, die bei Ausübung von Zwang gegenüber Betroffenen konkret einzuhalten sind (Abs 1 Z 2) (Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren § 106 Rz 432).

Ein subjektives Recht auf Enthaltung eines befangenen Organs der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei von der Tätigkeit im Ermittlungsverfahren und auf Ablehnung eines solchen Organs durch einen Verfahrensbeteiligten sieht die StPO nicht vor. Obwohl § 3 Abs 2 StPO neben den Gerichten auch Staatsanwälte und kriminalpolizeiliche Organe zur unparteilichen, unvoreingenommenen und jeden Anschein der Befangenheit zu vermeidenden Amtsführung verpflichtet, ist dem Gesetz kein im Wege des Einspruchs wegen Rechtsverletzung geltend zu machendes Recht auf Enthaltung eines befangenen Organs der Staatsanwaltschaft (oder der Kriminalpolizei) zu entnehmen. Dies zeigt schon der Wortlaut des § 47 Abs 2 StPO, wonach selbst tatsächlich befangene Organe im Falle der Nichtverfügbarkeit einer Vertretung unaufschiebare Amtshandlungen vorzunehmen haben (sofern sie nicht gegen sich selbst oder einen Angehörigen einzuschreiten hätten). Für das Nichtbestehen eines subjektiven Rechts spricht nicht zuletzt auch der Umstand, dass eine weitere Tätigkeit befangener Organe (siehe § 47 Abs 2 StPO) – anders als bei Richtern – nicht mit absoluter Nichtigkeit bedroht ist. Begründet wird dies damit, dass an ermittelnde Organe nicht gleich strenge Maßstäbe anzulegen sind wie an entscheidende und dass die von jenen – mitunter ohne die Möglichkeit eines Aufschubs - aufgenommenen Beweise richterlicher Nachprüfung unterliegen (Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren § 47 Rz 170). Ebenso wenig sieht das Gesetz ein subjektives Recht auf Ablehnung eines befangenen Organs der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts vor.

§ 47 StPO hat die bis zu seinem Inkrafttreten geltenden Befangenheitsgründe der §§ 7 AVG und 47 BDG mit jenen der Vorbefasstheit in einer anderen Verfahrensrolle – systematisch und sprachlich angepasst – kombiniert (EBRV StPRG, zitiert in Schwaighofer, Die neue Strafprozessordnung § 47). Ein und dieselbe Person soll im Verfahren nicht eine andere als ihre ursprüngliche Funktion übernehmen. Auch andere Gründe können geeignet sein, die volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Staatsanwälte (und Organe der Kriminalpolizei) haben aus einer Befangenheit aber selbst die Konsequenzen zu ziehen, sich weiterer Tätigkeiten zu enthalten und – in der Regel durch Vorgesetzte – für erforderliche Vertretung sorgen zu lassen.

Über die Befangenheit eines ihm unterstehenden Organs hat (ausschließlich) der Leiter der jeweiligen Behörde im Dienstaufsichtsweg zu entscheiden (§ 5 Abs 2 DV-StAG, Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren § 47 Rz 171). Die Parteien sind lediglich berechtigt, die vorgesetzte Behörde anzurufen, doch erwächst ihnen daraus kein subjektives Recht, und sie können auch wegen Verweigerung einer aufsichtsbehördlichen Maßnahme keine Säumnisbeschwerde erheben (Fabrizy StPO10 § 47 Rz 3 (ÖJZ 1960, 501 hinsichtlich StA)). Dass die StPO kein Recht auf Ablehnung von Staatsanwälten und Organen der Kriminalpolizei vorsieht, entspricht auch der Rechtsprechung des VwGH zur Ablehnung von Amtspersonen (VwGH vom 17.9.2009, GZ 2007/07/0164).

Eine Entscheidungskompetenz des Gerichtes über die Befangenheit von Organen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei ist dem Gesetz jedenfalls nicht zu entnehmen (Lässig, WK-StPO § 47 Rz 9). Dies steht auch im Einklang mit der Systematik des Einspruchsverfahrens nach §§ 106ff StPO, ein Einspruch wegen Rechtsverletzung steht nicht zu, wenn das Gesetz – wie in § 47 Abs 3 – ein eigenes Prozedere zur Effektuierung einer Vorschrift vorsieht.

Weil die Voraussetzungen für einen Einspruch wegen Rechtsverletzung wegen des Nichtvorliegens eines sich aus der StPO ergebenden, mit dem Einspruch jedoch eingeforderten subjektiven Rechts auf Enthaltung eines der Befangenheit bezichtigten Organs der Staatsanwaltschaft von Tätigkeiten im Ermittlungsverfahren und dessen Ablehnung nicht vorlagen, hat das Erstgericht den Einspruch zu Recht als unzulässig zurückgewiesen (Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren § 106 Rz 432, 433 und 443).

Gegen eine Entscheidung über den Einspruch, die mit Beschluss zu ergehen hat, steht dem betroffenen Einspruchswerber die Beschwerde an das Oberlandesgericht zu (Pilnacek/Pleischl, ebenda § 107 Rz 445). Die Beschwerde war daher zulässig, aus den bereits dargelegten Gründen war ihr jedoch keine Folge zu geben.

Oberlandesgericht Graz

Anmerkung

EG0006310Bs24.10w

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2010:0100BS00024.10W.0211.000

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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