TE OGH 2010/2/16 12Os7/10m

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Veröffentlicht am 16.02.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Februar 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer in der Strafsache gegen Jahja S***** wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 17 HR 165/09z des Landesgerichts St. Pölten, über die Grundrechtsbeschwerde des Jahja S***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Dezember 2009, AZ 17 Bs 413/09y (ON 36 im Verfahren AZ 7 St 329/09m der Staatsanwaltschaft St. Pölten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Jahja S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

G r ü n d e :

Gegen den kosovarischen Staatsangehörigen Jahja S***** ist beim Landesgericht St. Pölten ein Verfahren wegen des Verdachts des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB und der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB anhängig.

Mit dem angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Dezember 2009 wurde der Beschwerde der Staatsanwaltschaft St. Pölten (ON 13) gegen den Beschluss des Haft- und Rechtsschutzrichters vom 17. November 2009, mit welchem über den Beschuldigten Jahja S***** - entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft vom 16. Dezember 2009 auf Verhängung der Untersuchungshaft nach § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit b StPO (S 3 in ON 1) - die Untersuchungshaft ausschließlich aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StPO verhängt worden war (ON 5), Folge gegeben und - zumal der Beschuldigte zwischenzeitig gegen eine Kaution in Höhe von 5.000 Euro enthaftet worden war (ON 25) - dem Erstgericht die Bewilligung einer Festnahmeanordnung und nach Festnahme des Beschuldigten bei unveränderter Sachlage die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Verdunkelungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 2 StPO aufgetragen.

Bereits anlässlich der Verhängung der Untersuchungshaft war dem Beschuldigten - ohne entsprechende Antragstellung der Staatsanwaltschaft gemäß § 180 Abs 2 StPO - „mitgeteilt" worden, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr durch Kautionserlag in Höhe von 5.000 Euro substituiert werden könne (S 5 in ON 4). Während dies im Beschluss auf Verhängung der Untersuchungshaft keinen Niederschlag fand, wurde die Kautionssumme im weiteren Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft vom 30. November 2009 mit 5.000 Euro festgelegt (S 1 in ON 17). Diesen Ausspruch ließ die Staatsanwaltschaft ebenso unbekämpft wie die schlussendlich erfolgte Aufhebung der Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 1 StPO.

Laut Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. Dezember 2009 ist Jahja S***** dringend verdächtig, am 14. November 2009 in S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei noch unbekannten Mittätern dem Hermann Sch***** fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in der Höhe von zirka 700 Euro, mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung durch Einbruch, indem sie ein gekipptes Fenster eindrückten, und dann weggenommen zu haben.

In Ansehung des weiteren Vorwurfs, eine gefälschte ausländische öffentliche Urkunde, nämlich eine französische Karte bezüglich eines Aufenthaltstitels, im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht zu haben, indem er sich mit einem kosovarischen Reisepass und jenem französischen Dokument auswies, ging das Beschwerdegericht nicht vom Vorliegen eines dringenden Tatverdachts aus.

Rechtliche Beurteilung

Die fristgerechte Grundrechtsbeschwerde gegen die Rechtsmittelentscheidung des Oberlandesgerichts ist zulässig, weil der kassatorische Beschluss des Oberlandesgerichts Wien, der das Vorliegen sämtlicher Anforderungen des § 173 StPO einer Prüfung unterzogen hat, nach früher erfolgter Enthaftung des Beschuldigten die Fortsetzung der Untersuchungshaft abschließend effektuiert, sodass diese Entscheidung durch die Festnahmeanordnung lediglich umgesetzt wird. Einer weiteren (eine Anfechtung mittels Beschwerde ermöglichenden) Beschlussfassung durch den Haft- und Rechtschutzrichter, der ausschließlich der allgemeinen Prüfpflicht im Sinn des § 177 Abs 1 und Abs 2 StPO (und der bloß bei veränderter Sachlage auch eine Entscheidung zu treffen hätte) unterliegt, bedarf es daher nicht. Ob und wann die Festnahmeanordnung tatsächlich vollzogen werden kann, ist nicht Gegenstand der Zulässigkeitsprüfung einer Grundrechtsbeschwerde (RIS-Justiz RS0116263, insbesondere zuletzt 11 Os 80/09p).

Ihr kommt auch Berechtigung zu.

Während das der Sache nach erhobene Vorbringen, der nunmehr bereits seit längerer Zeit auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte und die beiden geflüchteten Komplizen hätten zwischenzeitig jede Gelegenheit gehabt, verdunkelnd tätig zu werden, sodass dieser Haftgrund nicht mehr anzunehmen sei, eine aus dem Gesetz nicht ableitbare These darstellt (15 Os 3/09v), zeigt die Beschwerde mit ihrem Hinweis, es sei nicht klar, was verdunkelt werden soll, wenn sämtliche Beweise bereits vorliegen, im Ergebnis zutreffend eine offenbar unzureichende Begründung der Bejahung von Verdunkelungsgefahr auf.

Die rechtliche Annahme einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin überprüft, ob sie aus den angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durften, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste.

Bestimmte Tatsachen, auf die die Sachverhaltsannahme zu einem Haftgrund gegründet sein müssen, können sowohl äußere als auch innere - wie Charaktereigenschaften und Wesenszüge des Beschuldigten - Umstände sein, wobei sie sich jedenfalls aus dem aktuellen Einzelfall ergeben müssen und nicht bloß allgemeine Erfahrungstatsachen darstellen dürfen (Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 180 Rz 28). Solche konkreten Tatsachen, aus denen die Annahme der Verdunkelungsgefahr abgeleitet werden durfte, sind der Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien nicht zu entnehmen.

Während das Beschwerdegericht das Vorliegen des weiteren von der Staatsanwaltschaft reklamierten Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr verneinte, erschloss es die Gefahr, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß versuchen, die Spuren der Tat zu beseitigen oder sonst die Ermittlung der Wahrheit durch Beeinflussung und Absprache mit den Mittätern zu erschweren, daraus, dass die Ermittlungen hinsichtlich des Einbruchsfaktums noch nicht abgeschlossen seien, die beiden Mittäter im Zuge der Anhaltung ihres Fahrzeugs hätten flüchten können, der Beschuldigte ihre Identität nicht preisgegeben, sondern sich leugnend und den Angaben des (Tat-)Zeugen W***** zuwider verantwortet habe (BS 4).

Ferner sei dem seit 17. November 2009 im Akt erliegenden Anlassbericht (ON 9) zu entnehmen, dass im räumlichen Nahebereich des gegenständlichen Einbruchsdiebstahls fünf weitere Wohnhauseinbrüche gemeldet worden seien, Bargeld und Schmuck entfremdet worden sei und der Beschuldigte unmittelbar nach seiner Flucht mit den unbekannten Mittätern telefonisch Kontakt gehabt habe; diese Ermittlungsergebnisse bekräftigten den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (BS 5).

Da das Beschwerdegericht nicht anführt, welche konkreten noch ausstehenden Ermittlungen zu dem dem Beschuldigten zur Last liegenden Einbruchsdiebstahl von Verdunkelungshandlungen betroffen sein könnten, auch nicht begründet darlegt, weshalb weitere im Nahebereich des Tatorts verübte Wohnhauseinbrüche (S 9 in ON 9) den Verdacht verdunkelungsfähigen deliktischen Handelns des Beschuldigten begründen sollten, und die behaupteten Telefonkontakte zwischen ihm und seinen Mittätern nach seiner Flucht nicht einzeln bezeichnet (vgl demgegenüber die Aufstellungen S 3 bis 7 in ON 9, aus denen derartige Gespräche nur bis spätestens unmittelbar nach der Tat hervorgehen), erschöpft sich dessen Argumentation in der bloß allgemeinen Erfahrungstatsache, es könnte zwischen dem Beschuldigten und den auf freiem Fuß befindlichen Unbekannten zu einer Beeinflussung bzw zu Absprachen kommen, zumal der in Rede stehende Haftgrund auch weder aus der leugnenden Verantwortung des Jahja S***** noch aus seiner mangelnden Bereitschaft abgeleitet werden kann, die Identität seiner Komplizen preiszugeben.

Den Haftgrund der Fluchtgefahr hat das Oberlandesgericht der Beschwerde zuwider zwar mängelfrei aus dem bereits erfolgten Fluchtversuch abgeleitet, infolge rechtskräftiger Freilassung des Beschuldigten gegen Kaution gemäß § 180 Abs 1 StPO vermag er für sich allein die Fortsetzung der Untersuchungshaft aber nicht zu tragen.

Damit erübrigt sich auch ein Eingehen auf den weiteren nach der Aktenlage zutreffenden Einwand, die Zustellung sowohl der Beschwerde der Staatsanwaltschaft als auch der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft sei unterblieben (vgl §§ 24, 89 Abs 5 StPO).

Entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur war demnach auszusprechen, dass durch den angefochtenen Beschluss eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit des Jahja S***** stattgefunden hat, und die angefochtene Entscheidung zu kassieren.

Gemäß § 7 Abs 2 GRBG sind die Gerichte verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich einen der Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Zustand herzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.

Textnummer

E93135

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00007.10M.0216.000

Im RIS seit

18.03.2010

Zuletzt aktualisiert am

11.05.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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