TE OGH 2010/2/18 6Ob249/09z

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Veröffentlicht am 18.02.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. A***** J*****, 2. K***** J*****, 3. J***** J*****, alle vertreten durch Dr. Andreas Cwitkovits, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Landeshauptstadt Linz, 4041 Linz, Hauptplatz 1, vertreten durch Dr. Bruno Binder, Rechtsanwalt in Linz, wegen Herausgabe oder 100.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. September 2009, GZ 6 R 115/09p-20, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 8. Mai 2009, GZ 1 Cg 1/09a-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Im Jahr 1951 übernahm die Neue Galerie der Stadt Linz von O***** J***** insgesamt vier Leihgaben und zwar: Gustav Klimt „Zwei Liegende", Zeichnung; Egon Schiele „Junger Mann", Aquarell; „Paar", Zeichnung; „Tote Stadt", Ölgemälde auf Pappe, Größe 37,5 bis 49 cm, links unten signiert.

O***** J***** verstarb 1965. Sie vererbte ihren gesamten Nachlass ihrem Neffen Dr. K***** J*****, dem Vater der Kläger. Dessen Erbin war seine Ehefrau C***** J*****, die Mutter der Kläger. Ihr Nachlass wurde den Klägern je zu einem Drittel eingeantwortet.

Die Kläger begehren von der beklagten Partei, ihnen die Zeichnung „Paar" von Egon Schiele, Blatt unter Glas und Rahmen, herauszugeben oder 100.000 EUR zu zahlen. Die 1948 gegründete Neue Galerie der Stadt Linz habe die Übernahme dieser von O***** J***** als Leihgaben übergebenen Kunstwerke durch den Vertreter der Stadt Linz, Walter Kasten, dessen Handeln der beklagten Partei als Rechtsträgerin des Museums zuzurechnen sei, bestätigt. Eine von ihr verlangte nähere Beschreibung der Bilder könnten die Kläger nicht geben, weil sie nur über die Beschreibung verfügten, die auf den von der beklagten Partei erstellten Übernahmebestätigungen aufscheine. Für die Zeichnung „Paar" von Egon Schiele, deren Herausgabe begehrt werde, ergebe sich ein Verkaufserlös im Rahmen von 150.000 EUR bis 250.000 EUR. Sollte die beklagte Partei das Werk nicht herausgeben können, wäre der Mittelwert zu ersetzen, der gemäß § 273 ZPO zu ermitteln sei. Die beklagte Partei schulde den Klägern als Eigentümer, aber auch als Verleiher die Herausgabe des Kunstwerks bzw im Sinn des Alternativbegehrens den Geldersatz für dessen Verlust. Mangels vertraglicher Festlegung habe die Leihzeit durch die einseitige Erklärung der Verleiherseite geendet.

Die Beklagte bestritt das Herausgabebegehren mit der Begründung, das Eigentum der Kläger an der geforderten Zeichnung sei nicht erwiesen. Aus dem Umstand, dass sie keine Unterlagen für die Übernahme des Bildes habe, sei zu schließen, dass die Übernahme nicht für sie, sondern für Prof. Kasten oder Wolfgang Gurlitt selbst erfolgt sei. Der Abschluss von Verpflichtungsgeschäften für die beklagte Partei sei damals grundsätzlich den politischen Gemeindeorganen vorbehalten gewesen. Ansprüche der Eigentümer wären auch verjährt, weil sich das Bild seit mehr als 30 Jahren nicht mehr im Besitz der beklagten Partei befinde. Die Übergabe wäre außerdem rechtlich als Schenkung anzusehen. Das Klagebegehren sei letztlich zu unbestimmt, um eine eindeutige Identifizierung des Bildes zu erlauben.

Das Erstgericht wies das Herausgabebegehren und ein Zinsenmehrbegehren ab und verpflichtete die beklagte Partei, den Klägern 100.000 EUR zu zahlen.

Neben den eingangs wiedergegebenen Feststellungen ging es (zusammengefasst) von folgendem Sachverhalt aus:

Die Neue Galerie der Stadt Linz, die heute „Lentos Kunstmuseum Linz" genannt wird, wurde 1947 als Leihmuseum gegründet. Zu Beginn stellte Wolfgang Gurlitt seine Werke als Leihgaben der Galerie zur Verfügung. Neben ihm gab es auch immer andere Leihgeber.

Bei der Übernahme der Werke durch die Galerie wurden O***** J***** Übernahmebestätigungen ausgestellt, die auf vorgedrucktes Briefpapier mit dem Wappen der Stadt Linz und dem Kopf „Neue Galerie der Stadt Linz, Gründer und Leiter Wolfgang Gurlitt" geschrieben wurden. Die Übernahmebestätigungen wurden von Prof. Walter Kasten unterfertigt, der dazu auch befugt war. Er war ab 1947 stellvertretender Leiter und später Direktor der Neuen Galerie der Stadt Linz. Der im Kopf der Übernahmebestätigungen aufscheinende Wolfgang Gurlitt war Kunsthändler in Berlin und nach 1945 in München. Er war der Gründer und Leiter der „Neuen Galerie in Linz". 1949 veranstaltete er unter anderem eine große Schiele-Ausstellung, in der auch zahlreiche Leihgaben aus Privatbesitz gezeigt wurden. Diese Ausstellung ist im Anschluss in eine Verkaufsausstellung übergegangen, wobei diesbezüglich immer wieder Werke nachgekauft und Leihgaben besorgt wurden. Bei der Schiele-Ausstellung befand sich auch ein Werk mit der Bezeichnung „Paar 1949".

Die Kläger fanden im Nachlass ihrer Mutter die Übernahmebestätigungen auf. Zum Schreiben des Klagevertreters vom 3. 5. 2006 gab die beklagte Partei an, dass die leihweise übernommenen Bilder nicht auffindbar seien und sie über deren Verbleib keine Hinweise habe. Weiters forderte sie die Kläger auf, eine konkrete Beschreibung der Bilder nachzuliefern, weil durch die Übernahmebestätigungen eine hinreichende und eindeutige Bestimmung der Bilder nicht möglich sei. Der Wert für eine Zeichnung von Schiele beläuft sich auf 150.000 EUR bis 250.000 EUR. Dass die Leihgeberin O***** J***** auch die Eigentümerin der Schiele-Zeichnung war, konnte nicht festgestellt werden. Die klagsgegenständlichen Bilder konnten bei der beklagten Partei nicht mehr aufgefunden werden.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass zwischen O***** J***** und der beklagten Partei ein Leihvertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden sei, dem kraft ergänzender Vertragsauslegung eine Kündigungsbefugnis unter Einhaltung einer angemessenen Lösungsfrist inhärent sei. Aufgrund des Leihvertrags hätten die Kläger unabhängig davon, ob O***** J***** Eigentümerin des Bildes gewesen sei, einen Herausgabeanspruch gegen die beklagte Partei. Da sich das Bild nicht mehr in deren Besitz befinde und der beweispflichtigen beklagten Partei der Nachweis, dass sie an der mangelhaften Verwahrung (die zum Verlust des Bildes geführt habe) kein Verschulden treffe, nicht gelungen sei, sei sie den Klägern schadenersatzpflichtig. Sie habe ihnen den erzielbaren Verkaufserlös des verlorenen Bildes zu ersetzen, der anknüpfend an den im Privatgutachten ermittelten Marktwert für eine Zeichnung von Schiele von 150.000 EUR bis 250.000 EUR gemäß § 273 ZPO mit 100.000 EUR festzusetzen sei. Der Anspruch auf Rückgabe der Sache verjähre nach 30 Jahren. Sei die Sache - wie im Anlassfall - durch Verschulden des Entlehners untergegangen, sei die Dreijahresfrist nach § 1489 ABGB einzuhalten. Da die beklagte Partei mit Schreiben vom 3. 5. 2006 mitgeteilt habe, dass sich das Bild nicht mehr in ihrem Besitz befindet, hätten die Kläger den Schadenersatzanspruch innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist geltend gemacht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei gegen den klagestattgebenden Teil dieses Urteils Folge und wies auch das Zahlungsbegehren ab. Die Kläger begehrten die Herausgabe der Zeichnung oder (wahlweise) Zahlung von 100.000 EUR, wobei die Wahl zwischen Herausgabe und Zahlung der beklagten Partei überlassen werde. Es liege ein von den Klägern selbst als Alternativbegehren bezeichnetes Klagebegehren vor, über das das Gericht zur gleichen Zeit und gemeinsam zu erkennen habe. Erst bei der Erfüllung eines Alternativbegehrens können sich - je nach dem Wortlaut des Begehrens - entweder die Kläger oder der Beklagte für die Erfüllung eines der alternativen Begehren entscheiden, wodurch dann durch die erbrachte Leistung das unerfüllt gebliebene Begehren gegenstandslos werde. Für das Alternativbegehren gelte, dass, wenn ein Wahlrecht verneint werde, das ganze Begehren abgewiesen werden müsse, auch wenn ein Begehren auf Zuspruch nur bei einer Leistung Erfolg hätte, weil darin der Ausspruch eines aliud und nicht eines minus gelegen wäre. Für den Anlassfall ergebe sich daraus, dass die Abweisung des Herausgabebegehrens bei gleichzeitiger Stattgabe des alternativ erhobenen Zahlungsbegehrens nicht möglich sei. Das Erstgericht hätte dem Klagebegehren nur zur Gänze stattgeben dürfen oder es zur Gänze abweisen müssen. Das Herausgabebegehren scheitere an seiner mangelnden Bestimmtheit und auch daran, dass die Kläger nicht nachgewiesen hätten, dass die beklagte Partei im Zeitpunkt der Urteilsfällung oder wenigstens im Zeitpunkt der Klagszustellung im Besitz der Sache gewesen sei. Die unzulängliche Beschreibung der Zeichnung bewirke auch die Unschlüssigkeit des Zahlungsbegehrens. Notwendige Voraussetzung für die Bestimmung des Werts der Zeichnung seien vollständige Informationen zu den wertbestimmenden Faktoren. Deren Ermittlung erfordere eine exakte Beschreibung der Sache. Nur wenn Klarheit über die Beschaffenheit und Eigenschaften der Zeichnung bestehe, sei deren Bewertung möglich. Diese Klarheit fehle im Anlassfall. Nach ihren eigenen Behauptungen könnten die Kläger die Zeichnung nicht eingehender beschreiben. Aufgrund ihrer Beschreibung sei die Sache aber nicht individualisierbar. Diese Unvollständigkeit des Vorbringens begründe die Unschlüssigkeit des Wertersatzbegehrens.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil sich die Entscheidung auf oberstgerichtliche Rechtsprechung stützen könne und ihr keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Kläger ist - aus Gründen der Rechtssicherheit - zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Der behauptete Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit ist nicht gegeben. Die unrichtige Wiedergabe, unzutreffende Auslegung oder gänzliche Übergehung von Tatsachenbehauptungen oder sonstigem Parteivorbringen im Urteil des Berufungsgerichts ist zwar keine Aktenwidrigkeit, kann allerdings einen wesentlichen Verfahrensmangel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung begründen (RIS-Justiz RS0041814 [T8]).

Die Revisionswerber rügen aber zu Recht, dass das Berufungsgericht ein echtes Alternativklagebegehren (s dazu 9 Ob 353/98x; Fasching in Fasching/Konecny2 § 226 ZPO Rz 118 f; Rechberger in Rechberger3, § 226 ZPO Rz 6) und nicht ein Haupt- und ein Eventualklagebegehren angenommen hat:

Das Klagebegehren ist so zu verstehen, wie es im Zusammenhang mit der Klagserzählung vom Kläger gemeint ist (RIS-Justiz RS0037440). Zwar verbinden die Kläger im Urteilsantrag das Herausgabebegehren und das Zahlungsbegehren mit der Konjunktion „oder"; sie schreiben auch vom Geldersatz als „Alternativbegehren (§ 56 JN)" und vom „alternativ (§ 56 JN)" erhobenen Ersatzbegehren, jedoch an keiner Stelle davon, dass die beklagte Partei zwischen Herausgabe und Zahlung wählen könne. Aber ungeachtet dessen haben die Kläger ein echtes Alternativbegehren nicht erhoben. Ihr dazu erstattetes Vorbringen macht trotz der missglückten Formulierung unmissverständlich deutlich, dass sie primär die Herausgabe der Zeichnung begehren und im Fall der Erfolglosigkeit dieses Begehrens, weil das Werk in Verlust geraten ist, Schadenersatz wollen. So schreiben sie, dass die beklagte Partei ihnen „gegebenenfalls" den Geldersatz für den Verlust des Kunstwerks schulde und der Mittelwert als zu ersetzender Schaden heranzuziehen wäre, könnte sie das Werk nicht herausgeben. Auch wenn das Erstgericht das Herausgabebegehren als „Mehrbegehren" abwies, ging es doch in der Sache offensichtlich davon aus, dass die Kläger ein Haupt- und ein Eventualbegehren erhoben haben.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Eventualbegehren nicht unschlüssig. Die vermissten Angaben zur Bemessung des Werts der Zeichnung sind zur ausreichenden Behauptung der Schadenshöhe nicht notwendig. Hierzu genügt im Anlassfall die Benennung des Künstlers, der Werkgattung, des Sujets des Werks und des erzielbaren Verkaufserlöses. Diese Behauptungen stellten die Kläger auf.

Das Berufungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die aufgrund einer nicht zutreffenden Rechtsansicht nicht erledigten Rügen der Berufung der beklagten Partei zu behandeln und eine neuerliche Entscheidung zu treffen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E93286

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00249.09Z.0218.000

Im RIS seit

27.04.2010

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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