TE OGH 2010/2/23 4Ob211/09x

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Veröffentlicht am 23.02.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** Ltd., *****, vertreten durch Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Gugerbauer & Partner Rechtsanwälte KG in Wien, wegen Leistung, Feststellung, Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 42.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. Oktober 2009, GZ 1 R 164/09h-10, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Dauerschuldverhältnisse können durch einseitige Erklärung vorzeitig aufgelöst werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragsteile unzumutbar erscheinen lässt. Als wichtige Gründe kommen insbesondere Vertragsverletzungen, der Verlust des Vertrauens in die Person des Vertragspartners oder schwerwiegende Änderungen der Verhältnisse in Betracht, welche die Fortsetzung der vertraglichen Bindungen nicht zumutbar erscheinen lassen (RIS-Justiz RS0018305; RS0018377; RS0027780).

2.1. Die Beklagte bekämpft im Rechtsmittel die Ablehnung einer vorzeitigen Auflösung des seit mehr als zehn Jahren bestehenden Vertragsverhältnisses aus wichtigem Grund nur mehr mit dem Argument, eine Überprüfung des Vertriebsvertrags auf kartellrechtliche Risiken habe ergeben, dass dieser in einigen Bestimmungen gegen das Kartellverbot des Art 81 Abs 1 EG (seit 1. 12. 2009 Art 101 AEUV) verstoße; sie sei damit der Gefahr empfindlicher verwaltungsrechtlicher Bußsanktionen (Geldbußen), verbunden mit einem Imageverlust (etwa durch Berichte über Hausdurchsuchungen und verhängte Bußgelder), ausgesetzt.

2.2. Das Rekursgericht hat den auf Kartellrechtswidrigkeit gestützten Auflösungsgrund mit der Begründung verneint, die kartellrechtliche Nichtigkeit des vereinbarten Wettbewerbsverbots berühre die Gültigkeit des Restvertrags nicht, und hat auf die Vertragslage hingewiesen, wonach die Parteien für den Fall der Ungültigkeit einer der Bestimmungen des Vertrags die Gültigkeit der restlichen Bestimmungen vereinbart und eine Neuverhandlungsverpflichtung vorgesehen haben; unter diesen Umständen genüge es zur Vermeidung von Bußgeldsanktionen, die allein von der Nichtigkeit betroffene Bestimmung nicht weiter durchzuführen und dies im Rahmen einer Vertragsanpassung klarzustellen.

3.1. Welche schwerwiegenden Gründe im Einzelfall die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Dauerschuldverhältnisses bewirken und zu dessen Auflösung berechtigen, ist in aller Regel eine Frage der Abwägung im Anlassfall und kann nur aus einer umfassenden Sicht aller dafür und dagegen sprechenden Gegebenheiten des Einzelfalls beantwortet werden (RIS-Justiz RS0018305 [T50, T52]; RS0042834; RS0108379). Insoweit bedarf lediglich eine krasse Fehlbeurteilung einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof (RIS-Justiz RS0108379 [T5]); eine solche liegt jedoch im Anlassfall nicht vor.

3.2. Der Standpunkt der Rechtsmittelwerberin, das Risiko verwaltungsrechtlicher Sanktionen berechtigte automatisch zur vorzeitigen Auflösung eines in einzelnen Bestimmungen gesetzwidrigen Vertrags widerspricht den Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur berechtigten Auflösung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund. Im Zusammenhang mit Bestandverträgen hat der Oberste Gerichtshof nämlich schon wiederholt ausgesprochen, dass der Vermieter, der selbst das Bestandobjekt zu einem widmungswidrigen Gebrauch vermietet hat, nicht ohne weiteres berechtigt ist, den Auftrag der Verwaltungsbehörde, den Bestandgegenstand der konsensmäßigen Widmung zuzuführen, dem Mieter gegenüber als Vertragsauflösungsgrund geltend zu machen, soferne er selbst in der Lage ist, den Mieter in dem bedungenen Gebrauch der Bestandsache zu sichern (RIS-Justiz RS0020955, insb 7 Ob 321/99b mwN). Im Lichte dieser Rechtsprechung ist die Auffassung des Rekursgerichts, die Parteien eines Dauerschuldverhältnisses könnten eine nachträglich hervorgekommene Gesetzwidrigkeit einer Vertragsbestimmung nicht als vorzeitigen Auflösungsgrund geltend machen, wenn sie für diesen Fall vertraglich die Gültigkeit des restlichen Vertrags vereinbart und eine Neuverhandlungsverpflichtung vorgesehen haben, keinesfalls unvertretbar.

4. Die Frage, ob das Dauerschuldverhältnis zwischen den Streitteilen durch Erklärung der Beklagten aus wichtigem Grund aufgelöst worden ist, ist unstrittig nach österreichischem Recht zu beurteilen. Es besteht deshalb kein Anlass, die Anregung der Beklagten aufzugreifen, ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art 267 AEUV (zuvor Art 234 EG) an den Europäischen Gerichtshof zu richten, ob der Verstoß eines Vertriebsvertrags gegen das Kartellverbot des Art 81 Abs 1 EG (nunmehr Art 101 AEUV) als Auflösungsgrund zu beurteilen ist.

Textnummer

E93406

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00211.09X.0223.000

Im RIS seit

04.05.2010

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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