TE Vwgh Erkenntnis 2001/1/16 2000/18/0241

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Veröffentlicht am 16.01.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des M P in Innsbruck, geboren am 24. Juni 1946, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 20. Oktober 2000, Zl. III 4033- 107/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 20. Oktober 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen deutschen Staatsangehörigen, gemäß §§ 36 Abs. 1 Z. 1, 37, 38, 39, 48 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein bis 29. August 2005 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 30. November 1993 wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 7. September 1993 eine andere Person durch einen Faustschlag in das Gesicht, der eine Gesichtsprellung zur Folge gehabt habe, und in weiterer Folge durch einen Stoß in den Rücken, wodurch diese Person gegen einen Holzzaun gestürzt sei und sich eine Abschürfung am rechten Ellbogen zugezogen habe, am Körper verletzt habe.

Am 18. März 1996 sei er wegen des Vergehens des tätlichen Angriffes auf einen Beamten gemäß § 270 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 2. Dezember 1995 nach seiner Festnahme und Verbringung in einen Streifenwagen den rechts neben ihm auf der Rückbank sitzenden Polizeibeamten vorsätzlich mit dem Ellbogen gegen den Brustkorb gestoßen und dadurch einen Beamten während der Amtshandlung tätlich angegriffen habe.

Mit Urteil vom 29. Februar 2000 sei er wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 20. Oktober 1999 eine fast 80 Jahre alte Frau durch Versetzen eines Stoßes gegen den Oberkörper, wodurch diese zu Sturz gekommen sei, am Körper misshandelt und ihr dadurch fahrlässig eine schwere Körperverletzung, nämlich einen Bruch des dritten Lendenwirbels verbunden mit einer Gehirnerschütterung, zugefügt habe. Nach der Urteilsbegründung sei der Beschwerdeführer bei diesem Vorfall "in ziemlich brutaler Weise" vorgegangen.

Diese Verurteilungen erfüllten den als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehenden Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG. Das den Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten zeige deutlich die negative Einstellung des Beschwerdeführers zur Rechtsordnung. Die Annahme gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1, § 48 Abs. 1 erster Satz FrG sei daher erfüllt.

Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers mache die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte - z.B. auf körperliche Unversehrtheit - anderer) dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.

Der Beschwerdeführer sei seit 1993 im Bundesgebiet aufhältig. Er sei "missionarisch" tätig im Innsbrucker Zentrum für "Scientology" und habe dementsprechend gute Integration und private Bindungen. Familiäre Bindungen im Bundesgebiet habe er nicht.

Im Hinblick auf die Neigung des Beschwerdeführers zu Straftaten wögen diese privaten Bindungen jedoch höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes. Die Erlassung dieser Maßnahme sei daher auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig, zumal der Schutz der Rechte anderer, z.B. auf körperliche Unversehrtheit, einen großen öffentlichen Stellenwert aufweise.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände vorlägen, könne von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Gemäß § 48 Abs. 1 erster Satz FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind die Bestimmungen des § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrG bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder einen begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, insofern von Bedeutung, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. April 2000, Zl. 99/18/0389, mwN).

1.2. Der Beschwerdeführer bestreitet die oben I.1. dargestellten rechtskräftigen Verurteilungen nicht, meint jedoch, dass sich seine Taten "sowohl im Tathergang als auch im Unrechtserfolg und Täterbild von jenen, die üblicherweise unter die Bestimmung des § 36 Abs. 2 Z. 1 4. Fall FrG fallen", deutlich unterschieden. Die deswegen erfolgten Verurteilungen zu - teilweise bedingt nachgesehenen - Geldstrafen könnten daher nicht als Grundlage für ein Aufenthaltsverbot herangezogen werden.

1.3. Nur die ersten drei Fälle des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG stellen darauf ab, dass der Fremde zu einer ein bestimmtes Ausmaß übersteigenden (Freiheits-)Strafe verurteilt worden ist, worin typischerweise der ein Aufenthaltsverbot rechtfertigende Unwertgehalt der zu Grunde liegenden Straftaten zum Ausdruck kommt. Der vierte Fall dieser Bestimmung sieht hingegen kein Mindestmaß der verhängten Strafen vor. Der besondere Unwertgehalt, der ein Aufenthaltsverbot rechtfertigt, liegt in diesem Fall darin, dass sich der Fremde durch die erste rechtskräftige Verurteilung nicht davon hat abhalten lassen, erneut eine (oder mehrere) auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende strafbare Handlung zu begehen. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2000, Zl. 2000/18/0013.)

Da jedenfalls die beiden Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 und gemäß § 83 Abs. 2 iVm § 84 Abs. 1 StGB auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, erfüllt das Verhalten des Beschwerdeführers den - wie dargestellt als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehenden - Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG.

2. Der Beschwerdeführer hat am 7. September 1993 einer anderen Person zunächst mit der Faust in das Gesicht geschlagen und dann einen Stoß gegen den Rücken versetzt. Dadurch hat diese Person eine Gesichtsprellung erlitten und ist gegen einen Holzzaun gestürzt, wobei sie sich eine Abschürfung zuzog. Dass diese Tat nach dem Beschwerdevorbringen im Zug der "seelsorgerischen Tätigkeit" gegen einen beim Beschwerdeführer in Behandlung stehenden Drogenabhängigen gesetzt worden sei, führt keineswegs zu einer Minderung des Unwertgehaltes, zeigt doch dieser Umstand, dass der Beschwerdeführer selbst davor nicht Halt machte, gegen eine von ihm zu betreuende Person tätlich vorzugehen. Auch der seit dieser Tat verstrichene Zeitraum führt - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht dazu, die daraus resultierende Gefährlichkeit als weggefallen oder auch nur entscheidend gemindert anzusehen, hat sich der Beschwerdeführer doch in der Zwischenzeit nicht wohlverhalten, sondern zwei weitere Delikte gesetzt, bei denen er ebenfalls Gewalt gegen Personen angewendet hat.

Am 2. Dezember 1995 griff der Beschwerdeführer einen neben ihm im Streifenwagen sitzenden Polizeibeamten durch einen Stoß mit dem Ellbogen gegen den Brustkorb tätlich an. Dazu bringt er in der Beschwerde vor, subjektiv der Meinung gewesen zu sein, zum Austeilen von Zetteln - welche Tätigkeit von der Bundespolizeidirektion Innsbruck mangels Zustimmung des Liegenschaftseigentümers untersagt worden sei - berechtigt zu sein, und im Zug der - eskalierenden - Amtshandlung, bei der er mit "abwertenden Worten" bedacht worden sei, mit bereits gefesselten Händen den neben ihm sitzenden Beamten "angestoßen" zu haben. Selbst wenn dieses Vorbringen den Tatsachen entspräche, ergäbe sich daraus eine uneinsichtige und äußerst aggressive Verhaltensweise des Beschwerdeführers.

Die Neigung des Beschwerdeführers zu Tätlichkeiten gegenüber anderen Personen manifestiert sich besonders deutlich darin, dass er am 20. Oktober 1999 nicht davor zurückschreckte, eine fast 80- jährige Frau - nach dem Beschwerdevorbringen handelte es sich um seine Vermieterin - zu Boden zu stoßen, wobei sich diese einen Wirbelbruch und eine Gehirnerschütterung zuzog. Das Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer lehne aus seiner religiösen Überzeugung heraus jede Gewalt ab, wird durch dieses Verhalten ad absurdum geführt.

Auf Grund der aus diesen Straftaten des Beschwerdeführers ableitbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit kann die Ansicht der belangten Behörde, es sei die in § 48 Abs. 1 erster Satz iVm § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers und seine "missionarische" Tätigkeit im Zentrum für "Scientology" sowie eine dementsprechend gute Integration und dieser Tätigkeit und Aufenthaltsdauer entsprechende private Bindungen berücksichtigt. In der Beschwerde bringt er dazu weiters vor, dass von diesem - von ihm aufgebauten - Zentrum aus an die 800 Personen, darunter viele psychisch Kranke und Suchtkranke, "seelsorgerisch" betreut würden. Unstrittig hat der Beschwerdeführer keine familiären Bindungen im Inland.

Den privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Inland steht die - wie oben II.2. dargestellt - große Beeinträchtigung von öffentlichen Interessen durch die Straftaten des Beschwerdeführers gegenüber. Davon ausgehend kann auch unter Berücksichtigung des besagten Beschwerdevorbringens die Ansicht der belangten Behörde, die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Aufrechterhaltung der Ordnung, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit), nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Dem Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer habe in Deutschland keine beruflichen und sozialen Bindungen, ist zu entgegnen, dass durch § 37 FrG nicht die Führung eines Privat- und Familienlebens des Fremden in seinem Heimatland gewährleistet wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/18/0253).

Soweit der Beschwerdeführer darauf verweist, er sei "ansonsten unbescholten" und habe einen "ordentlichen Lebenswandel", sowie ein geregeltes Einkommen, ist ihm zu entgegnen, dass die belangte Behörde außer den unstrittig feststehenden Straftaten kein weiteres Fehlverhalten als maßgeblich angenommen hat.

4. Schließlich bestand entgegen der Beschwerdeansicht auch keine Veranlassung für die belangte Behörde, von dem ihr auch bei Erlassung eines auf § 48 Abs. 1 erster Satz FrG gestützten Aufenthaltsverbotes eingeräumten Ermessen (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 99/18/0389) zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen, sind doch weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus der Beschwerde besondere Umstände ersichtlich, die für eine derartige Ermessensübung sprächen.

5. Da sich somit bereits aus dem Inhalt der Beschwerde ergibt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 16. Jänner 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000180241.X00

Im RIS seit

27.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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