TE OGH 2010/4/20 11Os33/10b (11Os41/10d)

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Veröffentlicht am 20.04.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Spreitzer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Adis S***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 erster Fall und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Bane O***** und Daniela O***** sowie die Berufung des Angeklagten Marco V***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 30. Juni 2009, GZ 27 Hv 17/09z-98, und die von der Generalprokuratur gegen die Gerichtsbesetzung und diese Entscheidung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie über die Beschwerde des Bane O***** gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Durchführung der Hauptverhandlung am 30. Juni 2009 und die Urteilsfällung am selben Tag im Verfahren AZ 27 Hv 17/09z des Landesgerichts Innsbruck in einem mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Senat verletzen §§ 32 Abs 1 letzter Satz, 40 Abs 1 letzter Satz StPO.

Aufgehoben werden das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 30. Juni 2009, GZ 27 Hv 17/09z-98, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, in seinen Schuldsprüchen, demgemäß auch in den Strafaussprüchen und der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche sowie die Beschlüsse gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden die Angeklagten Bane O*****, Daniela O***** und Marco V***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

G r ü n d e :

In der Strafsache gegen Adis S***** und weitere sechs Angeklagte wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 27 Hv 17/09z des Landesgerichts Innsbruck, fand am 30. Juni 2009 vor dem Landesgericht Innsbruck als Schöffengericht die Hauptverhandlung (§ 276a StPO) über die von der Staatsanwaltschaft Innsbruck erhobene Anklage statt. Der erkennende Schöffensenat war dabei mit zwei (Berufs-)Richtern und zwei Schöffen besetzt (ON 97).

Mit Urteil dieses Schöffengerichts vom selben Tag (ON 98), das auch unbekämpft gebliebene (Teil-)Freisprüche enthält, wurden Adis S***** des Vergehens der Veruntreuung nach §§ 12 dritter Fall, 133 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A./2./), des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB (C./4./), sowie der Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2 und 15 StGB (I./I./ und II./) und der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB (J./), Marco V***** des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 und 2 StGB (B./) und des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall, 15 StGB (C./1./ bis 4./), Mersud Om***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall, 15 StGB (C./1./ bis 4./) sowie der Vergehen der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 StGB (E./), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (F./), der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 erster Fall StGB (G./) und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (H./), Muhammet Sa***** des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB (I./I./1./ bis 3./ und II./1./), Bane O***** der Vergehen der Veruntreuung nach §§ 12 zweiter Fall, 133 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A./3./), der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach §§ 12 zweiter Fall, 298 Abs 1 StGB (D./2./) und des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2, 15 StGB (I./), Daniela O***** der Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A./1./), der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs 1 StGB (D./1./) und des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 15 StGB (I./II./) sowie Sandra N***** des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und 4 StGB (K./) schuldig erkannt und zu unterschiedlichen Freiheits- und Geldstrafen verurteilt. Marco V***** und Mersud Om***** wurden überdies gemäß §§ 366 Abs 2, 369 Abs 1 StPO schuldig erkannt, zur ungeteilten Hand an einen Privatbeteiligten Zahlungen zu leisten.

Weiters wurden gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO betreffend Adis S***** und Bane O***** Beschlüsse auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht bzw einer gewährten Entlassung gefasst.

Das Urteil ist in seinen Schuld- und Strafaussprüchen betreffend Bane O***** und Daniela O***** und in seinem Strafausspruch betreffend Marco V***** sowie demzufolge der Beschluss betreffend Bane O***** infolge fristgerecht angemeldeter und ausgeführter Rechtsmittel der genannten Angeklagten noch nicht in Rechtskraft erwachsen.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht der Vorgang, wonach ein aus zwei (Berufs-)Richtern und zwei Schöffen zusammengesetzter Senat des Landesgerichts Innsbruck am 30. Juni 2009 über die Anklage der Staatsanwaltschaft Innsbruck entschieden hat, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Mit dem am 17. Juni 2009 kundgemachten Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, wurde der letzte Satz des § 32 Abs 1 StPO dahin geändert, dass das Landesgericht als Schöffengericht aus einem (Berufs-)Richter und zwei Schöffen besteht, womit das Erstgericht nicht gehörig besetzt war (Jerabek, WK-StPO § 514 Rz 9). Die gegenteilige, im Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 17. Juni 2009 über die Änderung des StGB, der StPO, des JGG, des StAG und des StVG durch das Budgetbegleitgesetz 2009, JMZ 894000L/4/II 3/09, JABl 2009/15, geäußerte Rechtsansicht, wonach für die Änderung der Senatszusammensetzung bei den Landesgerichten als Schöffengerichten „vom Grundsatz der perpetuatio fori auszugehen“ und demnach das Strafverfahren in der Besetzung zu führen sei, die im Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage gesetzlich vorgesehen ist, vermengt Gerichtsbesetzung mit Gerichtszuständigkeit (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 111 bis 115).

Anzumerken ist, dass ein solcherart - „überbesetztes“ - Schöffengericht kein höher qualifizierter (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 115), sondern vielmehr ein im Verhandlungszeitpunkt gesetzlich gar nicht mehr vorgesehener Spruchkörper ist. Demgemäß liegt auch eine Verletzung des in Art 6 Abs 1 MRK („... und zwar von einem ... auf Gesetz beruhenden Gericht ...“) verankerten Grundrechts auf ein faires Verfahren vor (Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 27 ff, insbes Rz 30). Die Angeklagten wurden daher auch in ihrem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) beeinträchtigt.

Zur nicht gehörigen Gerichtsbesetzung, der gemäß § 281 Abs 1 Z 1 StPO statuierten Rügepflicht bei Kenntnis des die Nichtigkeit begründenden Umstands und der Nicht-Vorwerfbarkeit deren Unkenntnis im konkreten Fall wird auf die Ausführungen in der Entscheidung AZ 13 Os 139/09d, 13 Os 145/09m und in anderen (RIS-Justiz RS0125534) verwiesen. Da durch die Mitwirkung des beisitzenden Berufsrichters ein für die Angeklagten nachteiliger Einfluss auf die der Abstimmung über die Schuld- und Straffrage vorangegangene Willensbildung im Senat nicht auszuschließen ist (vgl RIS-Justiz RS0100599; 9 Os 11/87) und fallbezogen aus der - nach dem ungerügten Hauptverhandlungsprotokoll (ON 97) - nicht erfolgten Erörterung der Senatsbesetzung sowie aus der unterlassenen Rüge der verfehlten Besetzung ein Verzicht auf die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes nicht abgeleitet werden kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Entscheidung gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zu verleihen.

Demnach waren das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 30. Juni 2009, ON 98, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Umfang der Schuldsprüche, demzufolge in den Strafaussprüchen und in der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche gemäß § 369 Abs 1 StPO sowie die Beschlüsse gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen waren die Angeklagten, Bane O***** auch mit seiner Beschwerde auf diese Entscheidung zu verweisen.

Einer förmlichen Aufhebung der auf dem kassierten Urteil weiters beruhenden Anordnungen, Beschlüsse und Verfügungen, insbesonders der Endverfügungen, bedarf es nicht (RIS-Justiz RS0100444).

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E93881

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00033.10B.0420.000

Im RIS seit

16.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

23.06.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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