TE OGH 2010/5/26 9ObA34/10f

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Veröffentlicht am 26.05.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner  und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat W*****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö***** GmbH, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revisionen sowohl der klagenden Partei als auch der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits-  und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 2009, GZ 15 Ra 72/09i-41, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits-  und Sozialgericht vom 20. März 2009, GZ 43 Cga 124/08a-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Revision der klagenden Partei Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass es unter Einschluss des bestätigten Teils (Pkt 1 des Spruchs) insgesamt lautet:

„1. Es wird gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass für die außerhalb der Normalarbeitszeit gelegene, im Zusammenhang mit angeordneten Störungsbehebungen erforderliche Reisetätigkeit von der Wohnung des Angestellten zum Dienstsitz oder direkt zur Einsatzstelle im eigenen, selbst gelenkten Kraftfahrzeug, sofern derartige Fahrten von der beklagten Partei angeordnet oder solche wegen der Lage der Wohnung oder wegen Fehlens eines öffentlichen Verkehrsmittels und mangels Bereitstellung eines Transportmittels durch die beklagte Partei notwendig sind, eine Überstundenvergütung gemäß § 10 Abs 1 AZG gebührt.

2. Es wird gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass für die außerhalb der Normalarbeitszeit gelegene, im Zusammenhang mit angeordneten Störungsbehebungen erforderliche Reisetätigkeit im Hilfszug vom Dienstsitz zur Einsatzstelle eine Überstundenvergütung gemäß § 10 Abs 1 AZG gebührt.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.870,24 EUR (darin enthalten 1.145,04 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 1.300,32 EUR (darin enthalten 216,72 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (im zweiten Rechtsgang) sowie die mit 891,64 EUR (darin enthalten 148,60 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte entstand im Rahmen der Umstrukturierung der Österreichischen Bundesbahnen mit Eintragung in das Firmenbuch am 24. 6. 2004. Am 12. 12. 2004 trat der Kollektivvertrag zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB in Kraft. Die bis dahin geltenden Überstundenrichtlinien für ÖBB-Angestellte sowie die Dienstdauer-Vorschrift wurden außer Kraft gesetzt.

§ 10 des Arbeitszeit-Kollektivvertrags lautet:

„Für Reisezeiten außerhalb der Normalarbeitszeit gebührt kein Überstundenzuschlag. Dies gilt nicht für Reisezeiten des Fahrpersonals in unmittelbarem Zusammenhang mit der Dienstplanabwicklung (‘Fahrgastfahrten’).

Eine Verkürzung der Ruhezeit über das Ausmaß des § 7 Z 1 ist aus Anlass einer Reisezeit nicht zulässig.

Nicht als Arbeitszeit gelten Reisezeiten zwischen 22:00 und 6:00 Uhr, wenn die Benützung eines Schlafwagens in einem Massenbeförderungsmittel bewilligt wird.“

Die vom Klagebegehren betroffenen Dienstnehmer der Beklagten werden fallweise außerhalb ihrer Normalarbeitszeit über Anweisung ihrer Vorgesetzten aus der Rufbereitschaft zu Störungsbehebungen, wie etwa bei einer Entgleisung oder bei Schneefällen, herangezogen. In einem solchen Fall erfolgt die Anreise mit dem privaten Pkw entweder vom Wohnort direkt zum Einsatzort oder vom Wohnort zum Dienstort (Heimatbahnhof) und sodann weiter mit dem Hilfszug vom Heimatbahnhof zum Einsatzort. Für das vorliegende Verfahren ist davon auszugehen, dass während der Reisebewegungen im Hilfszug keine Arbeitsleistungen, wie Abhalten von Vorbesprechungen, Verräumen von Materialien oder Beobachten eines schadhaften Waggons, erbracht werden. Für die in Rede stehenden Reisezeiten werden von der Beklagten seit Jänner 2005 keine Überstundenzuschläge gezahlt. Lediglich für den Fall, dass im Hilfszug tatsächlich Arbeitsleistungen durchgeführt werden, erfolgt die Verbuchung unter „Arbeitszeit bei Dienstreise“ mit Überstundenzuschlag.

Der Kläger begehrte gemäß § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass die außerhalb der Normalarbeitszeit zur Störungsbehebung erforderliche Reisetätigkeit im eigenen, selbst gelenkten Kraftfahrzeug (von der Wohnung zur Einsatzstelle oder zum Dienstsitz) sowie im Hilfszug (vom Dienstsitz zur Einsatzstelle) als Arbeitszeit im engeren Sinn zu bewerten und daher überstundenzuschlagspflichtig sei. Die Regelung in § 10 des Arbeitszeit-Kollektivvertrags, die für Reisezeiten außerhalb der Normalarbeitszeit grundsätzlich keinen Überstundenzuschlag vorsehe, verstoße gegen die zwingenden Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes. Die in Rede stehenden Fahrten der Einsatzkräfte seien notwendige Voraussetzung und Inhalt der Arbeitsleistung. Während der Fahrten im Hilfszug werde regelmäßig telefoniert und zudem versucht, die Lage abzuklären. Fahrten, die regelmäßig im Rahmen der Einsatzfahrten anfielen, müssten daher mit Zuschlag entlohnt werden.

Die Beklagte entgegnete, dass bei der zu beurteilenden Reisetätigkeit die Intensität der Inanspruchnahme der Dienstnehmer regelmäßig geringer als bei der eigentlichen Arbeitsleistung sei. Dies gelte auch für Fahrten mit dem eigenen Pkw, zumal es sich dabei um eine weitgehend mechanische Tätigkeit handle. Das Lenken eines Fahrzeugs sei auch nicht untrennbar mit der eigentlichen Arbeitsleistung verbunden, wie dies etwa bei einem Vertreter, einem Fahrverkäufer oder einem Boten der Fall sei.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren in Ansehung der Reisetätigkeit im eigenen, selbst gelenkten Kraftfahrzeug statt und wies das Mehrbegehren hinsichtlich der Reisezeit im Hilfszug ab. Es sei unstrittig, dass die zu beurteilende Reisezeit als Arbeitszeit zu qualifizieren sei. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AZG gebühre daher grundsätzlich ein Zuschlag von 50 %. § 10 des Arbeitszeit-Kollektivvertrags verstehe unter „Reisezeiten“ aber nur Reisezeiten iSd § 20b Abs 1 AZG. Nach der Lehre handle es sich dabei lediglich um „passive Reisezeiten“. Für diese sei eine geringere Belastung und damit eine geringere Gesundheitsgefährdung der Arbeitnehmer charakteristisch. Der Arbeitnehmer sei nur an den Ort des Fortbewegungsmittels, nicht aber auch an die Gestaltung der Reisezeit gebunden. Solche Arbeitszeiten mit geringerer Belastung könnten geringer entlohnt werden. Nach § 10 AZG sei es daher unproblematisch, wenn ein Kollektivvertrag für passive Reisezeiten einen geringeren Normallohn vorschreibe. Demgegenüber sei das Lenken des eigenen Kraftfahrzeugs über Auftrag des Arbeitgebers nicht als Reisezeit, sondern als echte Arbeitsleistung zu qualifizieren. Pkt 1 des Klagebegehrens sei von der Regelung des § 10 des Arbeitszeit-Kollektivvertrags daher nicht erfasst.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und präzisierte gleichzeitig das Feststellungsurteil zu Pkt 1 des Spruchs. Mangels abweichender Einzelvereinbarung könne der Kollektivvertrag bzw subsidiär die Betriebsvereinbarung die Frage des Zeitausgleichs oder der Zusatzabgeltung verbindlich normieren. Für passive Reisezeiten könne auch eine geringere Entgeltlichkeit und ebenso eine geringere zeitliche Bewertung im Verhältnis 1 : 1 vereinbart werden. § 10 AZG sehe den Überstundenzuschlag überdies nur für die Vollarbeitszeit, nicht aber auch für passive Reisezeiten iSd § 20b AZG vor. Die in § 10 des Arbeitszeit-Kollektivvertrags enthaltene Regelung sei daher nicht gesetzwidrig. Diese beziehe sich aber nur auf passive Reisezeiten. Das Lenken des eigenen Pkws zur Eigenbeförderung an den Einsatzort sei allerdings als Vollarbeitszeit zu qualifizieren. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob das aufgetragene Lenken des eigenen Kraftfahrzeugs zum Einsatzort außerhalb der Normalarbeitszeit der Überstundenzuschlagspflicht unterliege, jüngere Rechtsprechung des Höchstgerichts fehle.

Gegen die Abweisung des Feststellungsbegehrens zu Pkt 2 des Spruchs (Reisetätigkeit im Hilfszug) richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in der Weise abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte wendet sich in ihrer Revision gegen das Feststellungsurteil zu Pkt 1 des Spruchs (Reisetätigkeit im eigenen, selbst gelenkten Kraftfahrzeug bei Anordnung oder dienstlicher Notwendigkeit solcher Fahrten) aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in der Weise abzuändern, dass auch das Klagebegehren zu Pkt 1 abgewiesen werde; hilfsweise stellt auch sie einen Aufhebungsantrag.

Mit ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Streitteile, jeweils dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind zulässig, weil zur entgeltrechtlichen Qualifikation der Reisezeiten von Dienstnehmern der Beklagten, die sich in Rufbereitschaft befinden und außerhalb der Normalarbeitszeit zu angeordneten Störungsbehebungen gerufen werden, eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Die Revision des Klägers ist auch berechtigt; jene der Beklagten hingegen nicht.

1.1 Mit Ausgliederung der ÖBB durch das Bundesbahngesetz 1992 ist der öffentlich-rechtliche Einschlag der Dienstverhältnisse der ÖBB-Mitarbeiter grundsätzlich weggefallen. Unstrittig gehen auch die Streitteile von der Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes und insbesondere von der Maßgeblichkeit des § 10 AZG aus.

1.2 Der Streitpunkt betrifft die Frage, ob nach dem Abruf eines Dienstnehmers aus der Rufbereitschaft für die außerhalb der Normalarbeitszeit gelegene Reisezeit mit einem selbst gelenkten Privatfahrzeug oder im Hilfszug zum Einsatzort trotz der Regelung in § 10 des Arbeitszeit-Kollektivvertrags ein Überstundenzuschlag nach § 10 AZG gebührt. Strittig ist nur diese entgeltbezogene Fragestellung, und zwar ausschließlich für Reisezeiten ohne eigentliche (echte) Arbeitsverrichtung. Darüber hinausgehende arbeitszeitrechtliche Fragen sind nicht zu klären.

2.1 § 10 AZG normiert den Anspruch auf Zahlung des Überstundenzuschlags. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gilt diese Bestimmung grundsätzlich für alle Arbeitszeiten außerhalb der Normalarbeitszeit. § 10 AZG wird von der Rechtsprechung dabei als unabdingbare Mindestnorm betrachtet; der Zuschlag kann daher grundsätzlich weder ausgeschlossen noch eingeschränkt werden (RIS-Justiz RS0051734; 9 ObA 218/99w; 8 ObA 83/04w; Schrank, Arbeitszeitgesetze I § 10 AZG Rz 5; Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm zum Arbeitsrecht § 10 AZG Rz 2). Durch das Zuschlagssystem soll die Mehrbelastung des Dienstnehmers entsprechend abgegolten und der Dienstgeber gleichzeitig angehalten werden, Überstunden nur in begründeten Fällen anzuordnen (RIS-Justiz RS0051870; Schrank aaO § 10 AZG Rz 2). Unter Bedachtnahme auf diesen Gesetzeszweck sind Umgehungen des Zuschlagssystems im Allgemeinen nicht zuzulassen.

2.2 In der Rechtsprechung und Literatur ist aber anerkannt, dass für Leistungen des Dienstnehmers, bei denen die Intensität seiner Inanspruchnahme geringer ist als bei der eigentlichen Arbeitsleistung, kollektivvertraglich oder einzelvertraglich ein geringeres Entgelt vereinbart werden kann (RIS-Justiz RS0021667; Schrank aaO § 20b AZG Rz 20 f; Pfeil aaO §§ 20 bis 23 AZG Rz 19; Grillberger, AZG², 92; Heilegger/Schwarz in Cerny/Heilegger/Klein/Schwarz, Arbeitszeitgesetz², 509). Dies gilt jedenfalls für herkömmliche (aufgetragene) Dienstreisen etwa mit einem öffentlichen Verkehrsmittel (vgl RIS-Justiz RS0021595; 8 ObA 321/01s).

Nach der Entscheidung 9 ObA 182/93 kann auch für das (angeordnete) selbständige Lenken eines Privatfahrzeugs ein geringeres Entgelt vereinbart werden, sofern die Pkw-Fahrt nicht zur Vollarbeitszeit zählt, etwa weil sie nicht zum ständigen Inhalt der Arbeitstätigkeit zählt oder mit der eigentlichen Dienstleistung nicht gleichzusetzen ist. Aufgrund der Einführung des § 20b AZG (durch BGBl I 1997/46) könnte fraglich sein, ob diese Rechtsprechung aufrechterhalten werden kann. Mit dieser Bestimmung wird klargestellt, dass auch die echte bzw passive Reisezeit (ohne Arbeitsleistung) zur Arbeitszeit zählt (vgl RIS-Justiz RS0021607; 9 ObA 109/03z; Grillberger aaO 173; Pfeil aaO §§ 20 bis 23 AZG Rz 17; Heilegger/Schwarz aaO 507 und 509). Gleichzeitig wird klargestellt, dass das Lenken eines Kraftfahrzeugs, soweit dies auf Anordnung des Dienstgebers erfolgt, als Arbeitsleistung anzusehen ist (AB 622 BlgNR 20. GP, 9). Auch wenn das angeordnete Lenken eines Privatfahrzeugs demnach nicht zur echten Reisezeit iSd § 20b AZG gehört, ist damit noch nicht gesagt, dass diese Tätigkeit notwendigerweise zur Vollarbeitszeit gehört und die Vereinbarung eines geringeren Entgelts nicht zulässig wäre. Bezahlungsaspekte werden in § 20b AZG nämlich weder angesprochen noch geregelt (Schrank aaO § 20b AZG Rz 21; vgl auch Schrank aaO § 20b AZG Rz 5 und § 2 AZG Rz 19).

2.3 Für besondere Formen der Arbeitszeit kann somit ein geringeres Entgelt vereinbart werden. Schrank (aaO § 20b AZG Rz 21) und Heilegger/Schwarz (aaO 509) vertreten dazu die Ansicht, dass unter einem geringeren Entgelt auch ein Abgehen von der Zuschlagsregelung für Überstunden verstanden werden könne. Im vorliegenden Fall muss diese Frage der Abdingbarkeit des Überstundenzuschlags allerdings nicht weiter vertieft werden, weil die hier zu beurteilenden Reisezeiten sowohl im Hilfszug als auch im selbst gelenkten Privatfahrzeug ohnedies als Vollarbeitszeiten zu qualifizieren sind.

3.1 Zur Vollarbeitszeit zählt zunächst Reisezeit mit Verrichtung der eigentlichen Arbeitsleistung oder mit dieser gleichwertiger Tätigkeiten (vgl Schrank aaO § 20b AZG Rz 10). Als Vollarbeitszeit ist Reisezeit nach der Rechtsprechung auch dann zu werten, wenn die regelmäßige Reisetätigkeit, wie etwa bei einem Außendienstmitarbeiter oder Monteur, typisch mit der vereinbarten Dienstleistung verbunden ist, sodass sie zum ständigen Inhalt der Arbeitstätigkeit und damit zum ständigen Aufgabenkreis des Dienstnehmers gehört (RIS-Justiz RS0029300; 9 ObA 182/93; 8 ObA 273/98z).

Es stellt sich somit die Frage, ob nach Maßgabe dieser Wertungen auch die in Rede stehenden Reisezeiten der Einsatzkräfte der Beklagten, die aus der Rufbereitschaft zum Hilfseinsatz gerufen werden, der Vollarbeitszeit zuzurechnen sind.

3.2 § 10 des zugrunde liegenden Kollektivvertrags zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB sieht zunächst selbst eine Ausnahme von der angeordneten Nichtzahlung des Überstundenzuschlags vor. Diese Ausnahme bezieht sich auf Reisezeiten des Fahrpersonals (Zugbegleitpersonals), die in unmittelbarem Zusammenhang zur Dienstplanabwicklung stehen. Reisezeiten, denen zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs besondere Bedeutung zukommt und die zur Vermeidung von Verzögerungen in der Fahrtenabwicklung erforderlich sind, werden somit als Vollarbeitszeit gewertet.

Diese Wertung trifft für Reisezeiten von Mitgliedern einer Hilfsmannschaft, die im Unglücks- oder Störfall aus der Rufbereitschaft zum Einsatz gerufen werden, noch im vermehrten Maß zu. Tritt ein solcher Notfall ein, so ist die vorgesehene Dienstplanabwicklung in besonderem Maß gefährdet. Aus diesem Grund ist im Interesse des Dienstgebers ein besonders rascher und effizienter Einsatz der Einsatzkräfte geboten.

3.3 Davon abgesehen kann die Reisebewegung im Hilfszug nicht einer echten Reisezeit iSd § 20b AZG gleichgesetzt werden. Für eine solche echte Reisezeit ist charakteristisch, dass sie vorhersehbar und planbar ist und während der Reise zwar eine Bindung an das Verkehrsmittel besteht, der Dienstnehmer sonst aber in der Gestaltung der Reise frei bleibt, weshalb durchaus von einer entspannten Reisebewegung ausgegangen werden kann. Demgegenüber trifft der Hilfseinsatz im Störfall die Einsatzkräfte im Allgemeinen unvorbereitet. Im Bewusstsein des bevorstehenden Einsatzes sind diese in der Regel auch einer besonderen Stress- und Belastungssituation ausgesetzt. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass sich die Hilfskräfte schon während der Reisebewegung mit dem Einsatz gedanklich beschäftigen und sie die Fahrt auch zur Informationsaufnahme bzw zur Abklärung der Lage nützen.

3.4 Die dargestellten Umstände sprechen für eine besondere Qualität der Reisezeit der Einsatzkräfte sowie für einen unmittelbaren Zusammenhang mit der eigentlichen Arbeitsverrichtung. Die Reisezeiten der Einsatzkräfte sind daher als Vollarbeitszeit zu qualifizieren.

Für das Lenken eines Privatfahrzeugs aus Anlass eines Hilfseinsatzes gelten diese Überlegungen gleichermaßen. Auf die Beurteilung der Frage, ob jedes angeordnete Lenken eines Kraftfahrzeugs zur Vollarbeitszeit zählt, kommt es damit nicht an. Für die von den Vorinstanzen angenommene Differenzierung zwischen echter Reisezeit iSd § 20b AZG und den Fahrten mit einem Privat-Pkw besteht im gegebenen Zusammenhang kein Anlass. Nach der gebotenen Auslegung des Arbeitszeit-Kollektivvertrags nach seinem objektiven Inhalt (RIS-Justiz RS0010088; 9 ObA 58/03z) bestehen zudem keine zwingenden Anhaltspunkte dafür und ist im Verfahren auch nicht hervorgekommen, dass § 10 leg cit nur die Fälle der echten (passiven) Reisezeit iSd § 20b AZG erfassen soll.

Da die Hilfseinsätze nach ihrer Zweckbestimmung möglichst rasch und ohne Komplikationen erfolgen sollen, ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Gleichstellung angeordneter Fahrten mit dem Privatfahrzeug mit - nach Maßgabe der Gestaltung des Einsatzes durch den Dienstgeber - dienstlich notwendigen Pkw-Fahrten gerechtfertigt. Nicht fraglich ist in diesem Zusammenhang, dass der Hilfseinsatz vom jeweiligen Vorgesetzten angeordnet und der Dienstnehmer aus der Rufbereitschaft zum Einsatz gerufen werden muss.

4. Zusammenfassend ergibt sich, dass nach den Wertungen des § 10 des Kollektivvertrags zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB Reisezeiten, die zur Vermeidung von Verzögerungen in der Dienstplanabwicklung erforderlich sind, grundsätzlich der Vollarbeitszeit zuzurechnen sind. Dies gilt auch für Reisetätigkeiten von Dienstnehmern im Hilfszug oder im selbst gelenkten Privatfahrzeug, die als Einsatzkräfte aus der Rufbereitschaft zur Störungsbehebung gerufen werden. Für solche Reisezeiten außerhalb der Normalarbeitszeit gebührt den Dienstnehmern der Beklagten daher der Überstundenzuschlag.

Das Feststellungsbegehren des Klägers erweist sich damit zur Gänze als berechtigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Im Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG gelten die allgemeinen Bestimmungen der ZPO über den Kostenersatz (9 ObA 24/09h; Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm § 58 ASGG Rz 1).

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E94194

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00034.10F.0526.000

Im RIS seit

14.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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