TE Vwgh Erkenntnis 2001/1/24 98/08/0376

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Veröffentlicht am 24.01.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §111;
ASVG §114 Abs2;
ASVG §67 Abs10;
VStG §9;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 98/08/0377

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Mag. Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerden der Wiener Gebietskrankenkasse, 1103 Wien, Wienerbergstraße 15-19, gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien vom 22. September 1998, Zl. MA 15-II-Sch 1/97 (hg. Zl. 98/08/0376) und Zl. MA 15-II-Sch 2/97 (hg. Zl. 98/08/0377), betreffend Haftung für Sozialversicherungsbeiträge nach § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Parteien: 1. DS in Wien, 2. MS in Wien, beide vertreten durch Dr. Andreas Ladstätter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 6/8), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Kostenbegehren werden abgewiesen.

Begründung

Die B. GmbH schuldet der Beschwerdeführerin auf Grund des Rückstandsausweises vom 3. September 1996 für die Beitragszeiträume 12/95 bis 5/96 Beiträge samt Verzugszinsen und Nebengebühren im Gesamtbetrag von S 2,052.084,99.

Mit gleich lautenden Bescheiden vom 6. September 1996 verpflichtete die Beschwerdeführerin die Mitbeteiligten als Geschäftsführer gemäß § 67 Abs. 10 ASVG, die rückständigen Beiträge der B. GmbH im Betrage von S 1,231.250,99 zu bezahlen. In der Begründung der Bescheide führt die Beschwerdeführerin aus, die Mitbeteiligten seien als Geschäftsführer zur Vertretung der Beitragsschuldnerin berufen. Zu den Pflichten des Geschäftsführers gehöre es, dafür zu sorgen, dass die Beiträge ordnungsgemäß entrichtet würden. Da dies schuldhaft unterblieben sei und der über die Ausgleichsquote hinausgehende Beitragsrückstand nicht hereingebracht werden könne, sei die Haftung auszusprechen gewesen.

Die Mitbeteiligten erhoben Einspruch.

Die Beschwerdeführerin legte die Rechtsmittel der belangten Behörde vor und führte im Begleitschreiben vom 20. Dezember 1996 unter anderem aus, die Uneinbringlichkeit der Sozialversicherungsbeiträge ergebe sich daraus, dass im Juni 1996 das Ausgleichsverfahren über das Vermögen der Beitragsschuldnerin eröffnet worden sei und im August der Ausgleich mit einer Quote von 40 % angenommen worden sei. Die Beiträge seien daher im Ausmaß von 60 % uneinbringlich.

Im Zuge des vor der belangten Behörde geführten Rechtsmittelverfahrens bestritten die Mitbeteiligten, dass die Beiträge im Ausmaß von 60 % uneinbringlich seien. Sie führten aus, die Beschwerdeführerin habe auf zwei Liegenschaften Pfandrechte erworben und die Zwangsversteigerung eingeleitet. Aus der Verwertung dieser Liegenschaften werde die Beschwerdeführerin einen Erlös von über mehr als S 1,5 Mio. erzielen. Zum Nachweis dieses Vorbringens beantragten die Mitbeteiligten die Beischaffung näher bezeichneter Exekutionsakten.

Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 14. Oktober 1997 die Beschwerdeführerin um Mitteilung, ob es bereits zu einem Versteigerungstermin bezüglich der Liegenschaften gekommen sei bzw. in welcher Höhe dadurch die Beiträge einbringlich zu machen seien.

Die Beschwerdeführerin teilte mit Schreiben vom 3. Dezember 1997 mit, dass es noch zu keiner Zwangsversteigerung gekommen sei und auch ein Schätzungsgutachten noch nicht vorliege. Aus den gleichzeitig übermittelten Grundbuchsauszügen ergebe sich jedoch eindeutig, dass "eine ganze Reihe von vorrangigen Pfandrechten" dem Befriedigungsrecht der Beschwerdeführerin vorgingen. Den Pfandrechten lägen außerordentlich hohe Forderungen zu Grunde. Bei einer Verwertung der Liegenschaften sei daher wohl kaum mit einer Befriedigung der Forderungen der Beschwerdeführerin zu rechnen.

Ein neuerliches Ersuchen der belangten Behörde vom 3. September 1998 beantwortete die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 14. September 1998 damit, dass auf Grund der hohen Vorpfandrechte nicht mit einer Einbringlichmachung der Beiträge zu rechnen sei.

Mit den nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen gleich lautenden Bescheiden hob die belangte Behörde die bekämpften Bescheide der Beschwerdeführerin vom 6. September 1996 gemäß § 66 Abs. 4 AVG auf. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges aus, es sei nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens mangels Durchführung einer Zwangsversteigerung nach wie vor völlig ungeklärt, wie hoch der Betrag sein werde, der sich aus der Verwertung der beiden Liegenschaften ergebe. Es sei daher noch völlig offen, ob und in welcher Höhe dadurch Sozialversicherungsbeiträge bei der Beitragsschuldnerin einbringlich zu machen seien. Die bekämpften Bescheide seien daher aufzuheben gewesen.

Gegen diese Bescheide richten sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden mit dem Begehren, sie kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete Gegenschriften, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden als unbegründet beantragt. Die Mitbeteiligten beantragten in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften u.a. die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

§ 67 Abs. 10 normiert dem gemäß eine Ausfallshaftung dergestalt, dass der danach Haftungspflichtige jedenfalls so lange nicht in Anspruch genommen werden darf, als ein Ausfall beim Beitragsschuldner als Primärschuldner noch nicht angenommen werden kann. Wesentliche und primäre sachliche Voraussetzung der subsidiären Haftung eines Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG ist daher die objektive, gänzliche oder zumindest teilweise Uneinbringlichkeit der betreffenden Beiträge beim Primärschuldner. Erst wenn sie feststeht, ist auf die Prüfung der für eine Haftung nach dieser Bestimmung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen. Andernfalls, d.h. wenn noch nicht einmal eine teilweise ziffernmäßig bestimmbare Uneinbringlichkeit feststeht, kommt eine Geltendmachung der Haftung noch nicht in Betracht (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 22. März 1994, 93/08/0210, 0211).

Die Beschwerdeführerin hat bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die Uneinbringlichkeit der über die Ausgleichsquote hinaus gehenden Beiträge im Hinblick auf die ihrem Befriedigungsrecht an den Liegenschaften der Beitragsschuldnerin vorausgehenden Pfandrechten angenommen. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten gehen dem Befriedigungsrecht der Beschwerdeführerin Pfandrechte im Betrage von S 19,130.050,-- im Range vor. Dem gegenüber vertraten die Mitbeteiligten die Auffassung, dass die Beschwerdeführerin aus den Erlösen der Zwangsversteigerung etwa S 1,5 Mio. erhalten werde. Sowohl das Vorbringen der Beschwerdeführerin als auch der Mitbeteiligten ist nicht nachvollziehbar und geht über bloße Behauptungen nicht hinaus. Die belangte Behörde hat lediglich diese Vorbringen ihrem Bescheid zu Grunde gelegt und daraus geschlossen, dass völlig ungeklärt sei, wie hoch der Erlös aus der Verwertung der Liegenschaften sein werde, und daher völlig offen sei, ob und in welcher Höhe die Beiträge bei der Beitragsschuldnerin einbringlich sein werden. Die belangte Behörde will damit offenbar zum Ausdruck bringen, dass nach dem Stand des Verfahrens die Uneinbringlichkeit der Beiträge (noch) nicht feststehe. Die belangte Behörde ist zwar insoweit im Recht, als die Uneinbringlichkeit von Sozialversicherungsbeiträgen bei der Gesellschaft so lange als nicht feststellbar anzusehen ist, als es - wie im Beschwerdefall - vom Ergebnis des Versteigerungsverfahrens abhängt, ob und in welchem Ausmaß diese Beiträge einbringlich gemacht werden können. Das Versteigerungsverfahren muss nur dann nicht abgewartet werden, wenn nach den von der Beschwerdeführerin darzutuenden Umständen des Falles von vornherein auszuschließen ist, dass die Beschwerdeführerin bei der Verteilung der Erlöse eine Zuweisung erhalten wird. Es bedarf konkreter, im Einzelnen nachprüfbarer Feststellungen über die Befriedigungsaussichten der Beschwerdeführerin. Da zur Uneinbringlichkeit der Beitragsforderungen bei der GmbH, somit der primären Voraussetzung einer Haftung der Mitbeteiligten als Geschäftsführer keine ausreichenden Feststellungen getroffen wurden, bedarf der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt jedenfalls der Ergänzung.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Im fortzusetzenden Verfahren wird die belangte Behörde das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, zu beachten haben, worin der Verwaltungsgerichtshof in Abänderung seiner bisherigen Rechtsprechung nunmehr die Auffassung vertritt, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG in Ermangelung weiterer in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG i.V.m. § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG. Der Schriftsatzaufwand gebührt nur einer beschwerdeführenden Partei, die tatsächlich durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

Wien, am 24. Jänner 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998080376.X00

Im RIS seit

13.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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