TE OGH 2010/6/22 10Rs44/10d

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Veröffentlicht am 22.06.2010
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Ciresa als Vorsitzende, die Richterin Mag. Schredl und den Richter Mag. Atria sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Thomas Kroiss und Dr. Helga Schaber in der Sozialrechtssache des Klägers N***** Y*****, 1020 Wien, vertreten durch Dr. Wilfried De Waal, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Prinz-Eugen-Straße 20-22, 1040 Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Gerhard Zöllner, ebendort, wegen Invaliditätspension, über die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 3.2.2010, 14 Cgs 152/07f-28, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 22.4.1975 geborene Kläger hat den Beruf des Malers und Anstreichers erlernt und war auch von 1992 bis Februar 2005 mit kurzen Unterbrechungen regelmäßig als Maler und Anstreicher tätig.

Der Kläger bezog vom 1.10.2006 bis 30.6.2007 eine befristet zuerkannte Invaliditätspension.

Der Kläger ist zum 1.7.2007 noch in der Lage, körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen zu den üblichen Arbeitszeiten und -pausen zu verrichten; ausgeschlossen sind Arbeiten in Kälte und Nässe und Arbeiten, die in geschlossenen Räumen mit erhöhter Staub- und Rauchexposition verrichtet werden müssen. Bei Einhaltung des medizinischen Leistungskalküls sind – abgesehen von einem einmaligen Krankenstand von zwei bis drei Wochen zur notwendigen Entfernung der Gallenblase und Folgen der Rekonvaleszenz – keine Krankenstände zu erwarten.

Das Erstgericht hat im ersten Rechtsgang dem Klagebegehren auf Weitergewährung der Invaliditätspension mit 1.7.2007 stattgegeben. Ausgehend von dem unstrittigen Berufsschutz des Klägers als Maler und Anstreicher war für diese Entscheidung wesentlich, dass das Erstgericht – dem berufskundigen Sachverständigen folgend – feststellte, dass es sich bei den Tätigkeiten eines Verkaufsberaters im Baumarkt um fallweise schwere körperliche Arbeiten handelt.

Infolge Berufung der beklagten Partei hat das Berufungsgericht das Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Bei der Feststellung der berufstypischen Belastungen eines Malers und Anstreichers als Verkaufsberater in einem Baumarkt sei das von den berufskundigen Sachverständigen Dr. Harald Ecker und Dr. Wolfgang Kollenz in einem Musterverfahren nach umfangreichen Recherchen gemeinsam erstellte Gutachten, welches im Einzelnen wiedergegeben wurde, zu berücksichtigen und insbesondere festzustellen, ob das Leistungskalkül des Klägers den so festgestellten berufstypischen Anforderungen eines Verkaufsberaters entspricht (ON 21).

Nach Durchführung dieser Verfahrensergänzung hat das Erstgericht in seiner nun angefochtenen Entscheidung das Klagebegehren abgewiesen.

Dabei traf es insbesondere folgende Feststellungen:

„Die angeführten Tätigkeiten (eines Malers und Anstreichers, Anm. des Berufungsgerichts) stellen sich als leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten im Gehen und Stehen, vermengt mit Arbeiten in Kälte und Nässe, vermengt mit Arbeiten, die in geschlossenen Räumen mit erhöhter Staub- und Rauchexposition verrichtet werden müssen, zu den üblichen Arbeitszeiten und -pausen, dar.

Als Beruf, der eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Fähigkeiten und Kenntnisse voraussetzt, kommt der Verkaufsberater in einem Selbstbedienungsmarkt (Baumarkt) in Betracht. Für die Anstellung reichen ein Pflichtschulabschluss und berufliche Lernbereitschaft aus. Der Verkaufsberaterberuf wird von Berufsträgern mit unterschiedlichem Ausbildungsniveau und unterschiedlicher Berufsqualifikation ausgeübt, häufig auch von Einzelhandelskaufleuten, darunter solchen, die zuvor innerbetrieblich diese Lehre absolviert haben. Abhängig von der jeweiligen Ausbildung und vom jeweiligen Berufsverlauf dauert die innerbetriebliche Ausbildung ca. zwei bis sechs Monate; sie beträgt im Durchschnitt vier Monate und wird innerhalb der ersten 1,5 Jahre absolviert. Dabei erfolgen nach etwa einwöchiger Grundausbildung und innerbetrieblicher Kennenlern-Phase in der übrigen Ausbildungszeit praktische Arbeitsplatzunterweisungen, Produkt-, Verkaufs- und Persönlichkeitsschulungen. Bei dem Beruf handelt es sich um einen einfacheren kaufmännischen Beruf, kollektivvertraglich eingestuft in die Beschäftigungsgruppe II des Handelskollektivvertrages.

Die Tätigkeiten als Verkaufsberater im Baumarkt sind leichte bis fallweise (drittelzeitig) mittelschwere körperliche Arbeiten im Gehen und Stehen, nur kurzfristig mit Arbeiten in Nässe und Kälte, ohne Arbeiten, die in geschlossenen Räumen mit erhöhter Staub- und Rauchexposition verrichtet werden müssen, zu den üblichen Arbeitszeiten und -pausen. Solche Tätigkeiten kann der Kläger aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls weiter verrichten, nicht jedoch Berufstätigkeiten als Maler und Anstreicher.“

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass der Kläger noch auf den Beruf des Verkaufsberaters in Baumärkten verweisbar sei und es sich dabei um eine zulässige Verweisung im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG handle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus den angegebenen Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Sämtliche Ausführungen in der Berufung sind dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zuzuordnen. Die Feststellungen zum Leistungskalkül des Klägers werden ebensowenig angefochten wie die Feststellungen zu den berufstypischen Belastungen eines Verkaufsberaters in Baumärkten. Die Berufung wendet sich ausschließlich gegen die vom Erstgericht - zutreffend im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung – als zulässig erachtete Verweisung des Klägers als gelernter Maler und Anstreicher auf die Tätigkeit des Verkaufsberaters.

Diese Rechtsrüge überzeugt jedoch auf Grundlage der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen (§ 498 Abs 1 ZPO) nicht.

Die Berufung verweist zunächst auf oberstgerichtliche Rechtsprechung, wonach ein Versicherter selbst durch einen sechs Monate dauernden Kurs und praktische Arbeit keinen Berufsschutz (im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG) erwerben könne (10 ObS 116/05i zu einem Prosekturgehilfen), weshalb eine wie hier festgestellte noch kürzere Ausbildung auch nicht berufsschutzerhaltend sein könne.

Der Berufungswerber vermengt dabei die Frage des Erwerbs des Berufsschutzes (als angelernter Arbeiter) mit der Frage der notwendigen Anforderungen an eine berufsschutzerhaltende Tätigkeit. Für die Frage der Anlernqualifikation sind die Einschulungs- und Anlernzeiten tatsächlich von zentraler Bedeutung und muss sich die Dauer dieser Zeiten an die Ausbildungszeiten in einem vergleichbaren erlernten Beruf annähern (siehe etwa die Bejahung einer Anlernqualifikation bei Absolvierung einer zweijährigen Ausbildung an einer Fachschule für Altendienste und die Verneinung einer solchen Qualifikation bei einer einjährigen Ausbildungsdauer einer Pflegehelferin, RS0122353, oder einer zahnärztlichen Assistentin, 10 ObS 260/02m).

Für die Beurteilung einer Tätigkeit als berufsschutzerhaltend ist hingegen wesentlich, wie weit in dieser Berufstätigkeit das im qualifizierten Beruf erworbene berufliche Wissen verwertet werden kann; bloße Hilfsarbeiten, die über bloß untergeordnete, sich qualitativ nicht hervorhebende Tätigkeiten nicht hinausgehen, sind nicht berufsschutzerhaltend (RS0084541, RS0084642). Auch dabei spielt die notwendige Anlernzeit für die zu prüfende Verweisungstätigkeit eine gewisse Rolle; ihre Bedeutung ist jedoch anders gelagert als bei der Prüfung des Erwerbs einer angelernten Berufsqualifikation und sind die dort maßgeblichen Zeitwerte daher auch nicht zu übernehmen.

In Abgrenzung zu einer nicht berufsschutzerhaltenden untergeordneten Teiltätigkeit wurde in der Rechtsprechung etwa ausgeführt, dass eine Einschulungszeit von max. zwei Wochen für die Tätigkeit als Zustellerin bzw Ladnerin für eine Bäckerin (10 ObS 324/01x) oder eine Anlernzeit von drei bis sechs Monaten für untergeordnete Maschinenbau- und Werkstättenarbeiten für eine Qualifikation als Maschinenschlosser (10 ObS 65/03m) nicht berufsschutzerhaltend ist.

Bei handwerklichen Berufen bejaht die oberstgerichtliche Rechtsprechung regelmäßig die berufsschutzerhaltende Verweisung auf den Beruf eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers in der jeweiligen Branche aufgrund der Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf und der Verwertbarkeit der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auch im Beruf des Fachmarktberaters (10 ObS 263/01a, 10 ObS 218/03m uva; zu Maler und Anstreicher 10 ObS 90/00h); dies insbesondere auch bei einer wie hier festgestellten Ausbildungsdauer von bis zu sechs Monaten für eine solche Tätigkeit (10 ObS 332/00x).

Auch die jüngst ergangene (noch nicht rechtskräftige) Entscheidung des OLG Wien zu 8 Rs 5/09b, in der die Verweisbarkeit eines Maurers auf die Tätigkeit eines Verkaufsberaters in sog. Kombi-Märkten verneint wurde, bietet keinen Anlass von dieser Rechtsprechung abzugehen: im hier zu beurteilenden Fall wurde auf Basis des von den Sachverständigen Dr.Ecker und Dr.Kollenz gemeinsam erstellten Gutachtens festgestellt, dass der Kläger noch die Tätigkeit eines Verkaufsberater im („klassischen“) Baumarkt (=Selbstbedienungsmarkt) ausüben kann.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Da eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen war, war die ordentliche Revision nicht zuzulassen.

Textnummer

EW0000714

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2010:0100RS00044.10D.0622.000

Im RIS seit

03.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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