TE OGH 2010/7/6 1Ob102/10x

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.07.2010
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, Wien 6, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Girardi, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 26.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 2.888,89 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Februar 2010, GZ 4 R 315/09m-18, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 26. Juni 2009, GZ 39 Cg 8/08g-11, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird in seinem Punkt 3a dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zu Grunde legt, und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der nachgenannten Klausel oder die Verwendung einer sinngleichen Klausel zu unterlassen:

Im Falle einer verspäteten Räumung schuldet der Bewohner bzw im Fall des Todes des Bewohners die Verlassenschaft der Seniorenresidenz ein Benützungsentgelt in der Höhe des vom Monatsentgelt auf die Unterkunft entfallenden Ausmaßes bis zum Tag der tatsächlichen Räumung.

Der klagenden Partei wird die Ermächtigung erteilt, den klagestattgebenden Teil des Urteilsspruchs im Umfang dieses Unterlassungsbegehrens und der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Samstags-Ausgabe des redaktionellen Teils der ‘Kronen-Zeitung’ auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern zu veröffentlichen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 9.262,51 EUR (darin 1.370,58 EUR USt und 1.039 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte betreibt an mehreren Standorten in Österreich Seniorenresidenzen und verwendet für ihre Verträge mit den Bewohnern Vertragsformblätter, die unter anderem auch die aus dem Spruch ersichtliche Vertragsklausel enthalten, die allein Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.

Der Kläger stellte insgesamt neun Unterlassungsbegehren sowie das Begehren auf Veröffentlichung der klagestattgebenden Teile des Urteils. Zur hier zu beurteilenden Vertragsklausel brachte er im Wesentlichen vor, sie widerspreche dem Gesetz, weil sie entgegen den Intentionen des HeimvertragsG einem Weiterlaufen des Vertrags nach dem Tod des Bewohners gleichkomme. Der auf die Unterkunft entfallende Teil des Entgelts übersteige einen angemessenen Betrag bei weitem; die Beklagte wäre nur berechtigt, eine angemessene Lagergebühr (für die Fahrnisse des Bewohners) zu verrechnen. Angesichts der Dauer eines Verlassenschaftsverfahrens bzw der Möglichkeit, Verfügungen über Nachlassgegenstände zu treffen, wäre es dem Heimträger zuzumuten, entsprechende Vorsorge durch die Möglichkeit zur Zwischenlagerung von Sachen des Bewohners zu treffen. Das dafür angemessene Entgelt wäre erheblich niedriger als das (weiterlaufende) Entgelt für die Unterkunft.

Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, die Beklagte sei nicht in der Lage, die Räumlichkeiten anderweitig zu nutzen, solange sie nicht geräumt sind. Auch bei sonstigen Bestandverhältnissen sei bei verspäteter Räumung dem Bestandgeber ein Benützungsentgelt in Höhe des bisherigen Bestandzinses zu zahlen. Eine Räumung durch die Beklagte sei auch im Interesse der Verlassenschaft nicht angebracht, weil die Appartements teilweise mit wertvollen Möbeln und Antiquitäten eingerichtet seien.

Das Erstgericht wies das Unterlassungsbegehren ab. Der Heimträger habe zwar ein berechtigtes Interesse daran, das Zimmer möglichst bald weiter vermieten zu können. Es leuchte aber nicht ein, warum er sich um die Räumung des Zimmers bemühen solle, wo dies doch eher als Verpflichtung der Rechtsnachfolger zu sehen wäre. Dass erst nach gewisser Zeit Verfügungen über den Nachlass getroffen werden können, liege in der Sphäre des Heimbewohners bzw seiner Rechtsnachfolger und könne nicht zu einer Verschiebung der Interessenlage zu Lasten des Heimträgers führen.

Das Berufungsgericht bestätigt die erstgerichtliche Entscheidung in diesem Punkt, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Auslegung derartiger Vertragsklauseln einen größeren Personenkreis betreffe und eine solche Vertragsbestimmung vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden sei. Da der Heimträger selbst keine Verfügung über die Nachlassgegenstände vornehmen dürfe, sei er darauf angewiesen, dass der Rechtsnachfolger des Heimbewohners die Räumung rasch vornimmt. Verzögere dieser die Räumung, so entgingen dem Heimträger Einkünfte aus einem weiteren Vertragsabschluss. Sein Interesse sei jenem eines Vermieters nach Beendigung des Mietvertrags durchaus vergleichbar. Dass eine Verzögerung mit der Räumung zu Kosten führe, liege zwar nicht im Interesse des Heimbewohners bzw eines Rechtsnachfolgers. Nur dieser habe es aber in der Hand, die weitere Inanspruchnahme der Räumlichkeiten möglichst kurz zu halten. Auch die Höhe des bis zur Räumung der Unterkunft vereinbarten Entgelts verwirkliche unter Berücksichtigung der - den Parteien eines Mietvertrags vergleichbaren - Interessen von Heimträger und Heimbewohner keine grobe Benachteiligung des letzteren. Möge es dem Heimträger auch zumutbar sein, die Gegenstände des Verstorbenen zu inventarisieren und zwischenzulagern, sei es den Erben nicht weniger zumutbar, ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Räumung unverzüglich nachzukommen. Allfällige Verzögerungen der Verlassenschaftsabwicklung wären der Sphäre des Verstorbenen bzw seiner Erben zuzurechnen und führten nicht zu einer Verschiebung der Interessenlage zu Lasten des Heimbetreibers. Der Heimbetreiber könne daher zu keiner Zwischenlagerung angehalten werden. Es könne dahingestellt bleiben, ob § 27f Satz 2 KSchG auch die Höhe des Benützungsentgelts bei verspäteter Räumung begrenzt, zumal die Beklagte in erster Instanz kein Tatsachenvorbringen erstattet habe, ob und in welchem Ausmaß beim Heimträger zu berücksichtigende Ersparnisse eintreten. Die auf den Tag der tatsächlichen Räumung abstellende Klausel sei daher im Sinne der zutreffenden erstgerichtlichen Entscheidung nicht zu beanstanden.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Zutreffend weist der Revisionswerber auf die Ähnlichkeit der Situation mit den Fällen des § 27f Satz 2 KSchG hin, der den Heimträger insoweit zu einer Entgeltsminderung verpflichtet, als er sich während einer Abwesenheit des Heimbewohners von mehr als drei Tagen Leistungen erspart. Zu dieser Bestimmung hat der Oberste Gerichtshof judiziert, dass eine eintretende - wenn auch noch so geringe konkrete - Ersparnis dem Heimbewohner zumindest in Form eines Pauschales gutgeschrieben werden muss (RIS-Justiz RS0124338). Dabei wurde etwa darauf hingewiesen, dass sich aus einer Abwesenheit regelmäßig ein gewisser konkreter Minderbedarf an Strom, Wasser und Abwasser ergeben muss, woraus notwendig eine, wenn auch wohl geringfügige, Ersparnis des Heimträgers folge. Dies betreffe jedenfalls die Stromkosten im Zimmer (Licht, TV, sonstige Elektrogeräte) sowie den Wasserverbrauch für das Waschen und Baden und die WC-Spülung (3 Ob 180/08d). Zu 6 Ob 261/07m wurde (für das Benützungsentgelt nach Tod des Heimbewohners) ausgesprochen, von einem Missverhältnis der gegenseitigen Leistungen könne keine Rede sein, soweit sich der Heimvertrag an dem mit dem Heimbewohner vereinbarten Entgelt für die Unterkunft orientiert „und einen Abzug für die verminderte Nutzung berücksichtigt“.

Die hier zu beurteilende Vertragsklausel ist somit schon deshalb unzulässig, weil sie die Weiterverrechnung des „vollen“ Unterbringungsentgelts statuiert, ohne einen (pauschalen) Abzug für die Ersparnis der Beklagten durch den unterbleibenden Strom- und Wasserverbrauch vorzusehen. Der Auffassung des Berufungsgerichts, es mangle diesbezüglich an einem Tatsachenvorbringen in erster Instanz, ist nicht zu folgen, kann an einer solchen Ersparnis dem Grunde nach doch kein Zweifel bestehen, weshalb sie als offenkundige Tatsache bei der rechtlichen Beurteilung ohne weiteres zu berücksichtigen ist, zumal der Kläger immerhin die Unangemessenheit des Benützungsentgelts moniert hat. Ein (vom Berufungsgericht vermisstes) Tatsachenvorbringen zum Ausmaß der Ersparnis ist hingegen nicht erforderlich, weil die Vertragsklausel überhaupt keinen Abzug vorsieht, womit sie den gesetzlichen Vorgaben jedenfalls nicht gerecht wird.

Da sich die zu beurteilende Vertragsbestimmung somit als unzulässig erweist, ist auch insoweit eine klagestattgebende Entscheidung über das Unterlassungs- und das Veröffentlichungsbegehren zu fällen.

Angesichts der Teilabänderung der Urteile der Vorinstanzen ist die Kostenentscheidung gemäß § 50 Abs 1 ZPO neu zu fassen. Insgesamt ist der Kläger nur mit einem geringfügigen Teil seines Gesamtbegehrens unterlegen, sodass ihm für das Verfahren erster Instanz voller Kostenersatz gemäß § 43 Abs 2 ZPO zusteht. Entsprechendes gilt auch für das Berufungsverfahren, in dem zwar nicht mehr der gesamte Gegenstand des Verfahrens erster Instanz strittig war, die Beklagte aber auch hier nur mit einem sehr geringen Teil ihres Interesses erfolgreich blieb. Im Revisionsverfahren obsiegte der Kläger zur Gänze, weshalb ihm gemäß den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO voller Kostenersatz auf einer Bemessungsgrundlage des entsprechenden Teilstreitwerts (Revisionsinteresse) gebührt; der Einheitssatz beträgt allerdings nur 60 %.

Schlagworte

Gruppe: Konsumentenschutz,Produkthaftungsrecht

Textnummer

E94635

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00102.10X.0706.000

Im RIS seit

03.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2016
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten