TE Vwgh Beschluss 2001/1/29 99/10/0064

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Veröffentlicht am 29.01.2001
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E3L E13301600;
E3L E15202000;
E3L E15204000;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
59/04 EU - EWR;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

11997E028 EG Art28;
11997E030 EG Art30;
11997E036 EG Art36;
11997E234 EG Art234;
31976L0768 Kosmetik-RL Art6 Abs3 idF 31993L0035;
31976L0768 Kosmetik-RL Art7 Abs1;
31976L0768 Kosmetik-RL idF 31993L0035 ;
31979L0112 Etikettierungs-RL Art2 Abs1 litb;
31984L0450 Werbungs-RL Art4;
31984L0450 Werbungs-RL Art7;
31984L0450 Werbungs-RL;
31993L0035 Nov-31976L0768 06te Art1 Z9;
31993L0035 Nov-31976L0768 06te;
32000L0013 Etikettierungs-RL Art2 Abs1 litb;
61997CJ0077 Unilever VORAB;
61998CJ0220 Estee Lauder Cosmetics VORAB;
EURallg;
LMG 1975 §26 Abs1 litd;
LMG 1975 §26 Abs2;
LMG 1975 §74 Abs1;
LMG 1975 §8 litf;
LMG 1975 §9 Abs1 lita;
LMG 1975 §9 Abs1 litb;
LMG 1975 §9 Abs1;
LMG 1975 §9 Abs2;
LMG 1975 §9 Abs3;
VwGG §38a;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* EU-Register: EU 2001/0005 24. Oktober 2002 * EuGH-Zahl: C-99/01 * Führender Vorabentscheidungsantrag:99/10/0260 B 18. Dezember 2000 siehe EuGH C-16/01;* Ausgesetzte Beschwerde gemäß §38 AVG iVm §62 VwGG:2001/10/0065 B 11. Juni 2001 * EuGH-Entscheidung:EuGH 62001CJ0099 24. Oktober 2002 * Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im fortgesetzten Verfahren: 2002/10/0182 E 16. Dezember 2002 2002/10/0183 E 16. Dezember 2002 Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):EU 2001/0006 2000/10/0104

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, in den Beschwerdesachen 1. des G in Wien, vertreten durch Dr. Georg Legat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 22. Februar 1999, Zl. UVS- 07/L/49/00083/98, betreffend Übertretung des Lebensmittelgesetzes, und 2. des H in Wien, vertreten durch Schönherr Barfuss Torggler & Partner, Rechtsanwälte in 1014 Wien, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 9. Mai 2000, Zl. Senat-KO-99-034, betreffend Übertretung des Lebensmittelgesetzes, den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft werden gemäß Art. 234 EG folgende Fragen mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Stehen die Art. 28 und 30 EG, die Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel in ihrer durch die Richtlinien 88/667/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 und die Richtlinie 93/35/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 geänderten Fassung (im Folgenden: RL 76/768) insbesondere deren Art. 6 Abs. 3, sowie die Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über irreführende Werbung (im Folgenden: RL 84/450), insbesondere deren Art. 4 und 7, der Regelung eines Mitgliedstaates entgegen, wonach es verboten ist, beim Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln - insbesondere durch den Gebrauch der Bezeichnung "klinisch getestet" bzw. "dermatologisch getestet" - auf ärztliche Gutachten hinzuweisen, wenn beim Verbraucher mangels Angaben über Gegenstand und Ergebnis des Gutachtens unrichtige Vorstellungen über Beschaffenheit und Wirkungsweise des kosmetischen Mittels hervorgerufen werden können?

2. Stehen die Art. 28 und 30 EG, die RL 76/768, insbesondere deren Art. 6 Abs. 3, und die RL 84/450, insbesondere deren Art. 4 und 7, der Regelung eines Mitgliedstaates entgegen, die die Verwendung von Angaben im Sinne von Frage 1 nur nach einer vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Bundesminister zulässt?

Begründung

1.1. Die Ausgangsverfahren

1.1.1. Der Beschwerdeführer G wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 22. Februar 1999 einer Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 lit. a und § 8 lit. f Lebensmittelgesetz 1975 (LMG) schuldig erkannt, weil er es (als Geschäftsführer) zu verantworten habe, dass die C Gesellschaft m.b.H. an die B AG das Produkt "P flüssige Seife Prima Antibakteriell" mit der Angabe "Dermatologisch getestet" geliefert habe. Damit sei beim Konsumenten der Eindruck einer gesunderhaltenden Wirkung erweckt und das Produkt somit falsch bezeichnet worden. Es wurde eine Geldstrafe von S 2.000,-- verhängt.

1.1.2. Die gegen diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde macht unter anderem geltend, im Beschwerdefall sei bei der Auslegung des nationalen Rechts Art. 7 Abs. 1 der RL 76/768 zu beachten. Der Beschwerdeführer vertritt unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 28. Jänner 1999, Österreichische Unilever GmbH/Smithkline Beecham Markenartikel GmbH, Slg. 1999, I-0431, die Auffassung, er hätte nicht bestraft werden dürfen, weil es die Behörde unterlassen habe, im Einzelfall die Irreführungseignung seiner Behauptung "dermatologisch getestet" zu überprüfen. Die vom österreichischen Gesetz (§ 9 Abs. 2 in Verbindung mit § 26 Abs. 2 LMG) geforderte behördliche Zulassung solcher Bezeichnungen stelle ein unzulässiges Hindernis für den freien Warenverkehr dar. Die vom Beschwerdeführer weiters aufgeworfene Frage der Zuordnung des vorgeworfenen Verhaltens zum Verbotstatbestand (§ 9 Abs. 1 lit. a LMG) ist im Zusammenhang mit den Vorlagefragen nicht von Bedeutung.

1.2.1. Der Beschwerdeführer H wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 9. Mai 2000 einer Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 9 lit. b und § 8 lit. f LMG schuldig erkannt, weil er es (als Geschäftsführer) der E GmbH zu verantworten habe, dass diese das kosmetische Mittel "Keralogie Creme-Peeling Anti Schuppen regulierendes Haarbad" ohne behördliche Zulassung mit der auf der Verpackung (Kunststoffflasche) angebrachten Bezeichnung "dermatologisch getestet" in Verkehr gebracht habe. Bei dieser Bezeichnung handle es sich um eine nach § 9 Abs. 1 lit. b LMG verbotene gesundheitsbezogene Bezeichnung. Die Ware sei daher im Sinne des § 8 lit. f LMG falsch bezeichnet. Es wurde eine Geldstrafe von S 3.000,-- verhängt.

1.2.2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird insbesondere geltend gemacht, der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften habe im Urteil vom 28. Juni 1999 klargestellt, dass das Zulassungsverfahren nach § 9 Abs. 3 LMG mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sei. Eine nationale Regelung, die das Werben für Kosmetika mit gesundheitsbezogenen Äußerungen, die nicht irreführend seien, verbiete, überschreite die Grenzen des Regelungsspielraumes, den Art. 6 Abs. 3 der RL 76/768 den Mitgliedstaaten einräume. Im Übrigen sei die Frage zu stellen, welchen Sinn das Zulassungsverfahren habe. Die zuständige Behörde lasse die Bezeichnung "dermatologisch getestet" regelmäßig zu, ohne die Vorlage des betreffenden Gutachtens zu verlangen. Die Angabe "dermatologisch getestet" wäre nur irreführend, wenn das Produkt nicht dermatologisch getestet worden wäre. Im Verwaltungsstrafverfahren sei die Verantwortung des Beschwerdeführers, das Produkt sei dermatologisch getestet worden, nicht widerlegt worden.

2.1. Die österreichische Regelung

Nach § 26 Abs. 1 lit. d LMG ist es verboten, kosmetische Mittel in Verkehr zu bringen, die falsch bezeichnet sind.

Nach § 26 Abs. 2 LMG gelten (für den Verkehr mit kosmetischen Mitteln) § 8 lit. a, b und f sinngemäß, § 9 gilt mit der Maßgabe, dass nicht irreführende Hinweis auf physiologische oder pharmakologische Wirkungen sowie bildliche Darstellungen zur Erläuterung des Anwendungsbereiches zulässig sind. Werden solche Wirkungen behauptet, sind der Behörde auf Verlangen die wirksamen Komponenten bekanntzugeben.

Nach § 8 lit. f (in Verbindung mit § 26 Abs. 2) LMG sind kosmetische Mittel falsch bezeichnet, wenn sie mit zur Irreführung geeigneten Angaben über Umstände, die nach der Verkehrsauffassung, insbesondere nach der Verbrauchererwartung, wesentlich sind, wie über Art, Herkunft, Verwendbarkeit, Haltbarkeit, Zeitpunkt der Herstellung, Beschaffenheit, Gehalt an wertbestimmenden Bestandteilen, Menge, Maß, Zahl oder Gewicht, oder in solcher Form oder Aufmachung oder mit verbotenen gesundheitsbezogenen Angaben (§ 9) in Verkehr gebracht werden.

Nach § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 26 Abs. 2 LMG ist es verboten, beim Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln

a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;

b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;

c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen - ausgenommen bildliche Darstellungen zur Erläuterung des Anwendungsbereiches - zu verwenden.

Nach § 9 Abs. 3 in Verbindung mit § 26 Abs. 2 LMG hat der Bundesminister auf Antrag für bestimmte kosmetische Mittel gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist.

Nach § 74 Abs. 1 LMG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer -

unter anderem - kosmetische Mittel falsch bezeichnet oder kosmetische Mittel, die falsch bezeichnet sind, in Verkehr bringt.

2.2. Die Anwendung der österreichischen Regelung

Mit der Zulässigkeit der Hinweise "klinisch getestet" bzw. "dermatologisch getestet" hatte sich der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach, jedoch ausschließlich in Fällen zu beschäftigen, die sich vor dem Beitritt der Republik Österreich zum Europäischen Wirtschaftsraum bzw. zur Europäischen Union ereignet hatten. Die zu diesen Fällen ergangene Rechtsprechung ist wie folgt zusammenzufassen:

Das Gesetz (§ 9 Abs. 1 lit. b LMG) lasse Hinweise auf ärztliche Gutachten beim Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln nicht zu, wenn der Hinweis nicht dahin konkretisiert werde, welche Eigenschaften des Produktes mit welchem Ergebnis untersucht worden seien (Erkenntnisse vom 26. September 1994, 92/10/0468, vom 8. August 1996, 93/10/0219, 93/10/0220, 94/10/0107, vom 16. Dezember 1996, 93/10/0180, und vom 26. Jänner 1998, 98/10/0009). Tragend war dabei die Auffassung, der Gesetzgeber gehe beim Verbot des § 9 Abs. 1 lit. b LMG davon aus, dass der in der Hervorhebung eines klinischen bzw. dermatologischen Tests gelegene Hinweis auf ein ärztliches Gutachten beim Verbraucher wenigstens unterschwellig die unbestimmte Vorstellung gesundheitlicher Wirkungen suggerieren könne, wenn der Hinweis in keiner Weise konkretisiert sei. Als im Hinblick auf die Vorschrift des § 26 Abs. 2 LMG erlaubt wurde hingegen der Hinweis auf ärztliche Gutachten ("klinisch getestet", "dermatologisch getestet") beim Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln dann angesehen, wenn klargestellt wurde, dass sich die Untersuchung - losgelöst von den Folgen, die sich daraus für den Gesundheitszustand des Menschen ergeben - auf einzelne physiologische oder pharmakologische Wirkungen des betreffenden Produktes bezogen habe, z.B. mit dem Hinweis "klinisch auf Hautverträglichkeit und Entfernung des Haares samt Wurzel geprüft" beim Inverkehrbringen eines Haarentfernungsmittels (Erkenntnis vom 16. März 1992, 91/10/0005).

3.1. Die Gemeinschaftsregelung

3.1.1. Nach Art. 6 Abs. 3 der RL 76/768 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei der Etikettierung, der Aufmachung für den Verkauf und der Werbung für kosmetische Mittel nicht Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen verwendet werden, die Merkmale vortäuschen, die die betreffenden Erzeugnisse nicht besitzen.

3.1.2. Der EuGH sieht die RL 76/768 als abschließende Harmonisierung der nationalen Bestimmungen über Verpackung und Etikettierung kosmetischer Mittel an (zuletzt Urteil vom 13. Jänner 2000, Estee Lauder Cosmetics GmbH & Co OHG/Lancaster Group GmbH, RS C-220/98).

3.1.3. Im oben erwähnten Urteil vom 28. Jänner 1999, Rn 26, hat der EuGH dargelegt, Art. 6 Abs. 3 der RL 76/768 bezeichne Maßnahmen, die im Interesse des Schutzes der Verbraucher und im Interesse der Lauterkeit des Handelsverkehrs zu ergreifen sind, die zu den zwingenden Erfordernissen gehören, wie sie in der Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Anwendung von Art. 30 EG-V näher bestimmt worden sind. Darüber hinaus bezweckt diese Bestimmung den Schutz der Gesundheit von Menschen im Sinne von Art. 36 EG-V, da sich eine irreführende Information über die Merkmale kosmetischer Mittel auf die Gesundheit auswirken kann.

3.1.4. Nach Art. 4 der RL 84/450 sorgen die Mitgliedstaaten im Interesse sowohl der Verbraucher als auch der Mitbewerber und der Allgemeinheit für geeignete und wirksame Möglichkeiten zur Bekämpfung der irreführenden Werbung. Nach Art. 7 der RL 84/450 hindert diese Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die einen weiterreichenden Schutz der betroffenen Personen vorsehen.

3.1.5. Im oben erwähnten Urteil vom 13. Jänner 2000, Rn 32, hat der EuGH dargelegt, es sei Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher durch die Bezeichnung eines kosmetischen Mittels zu der irrigen Annahme verleitet werde, die Bezeichnung schreibe diesem Mittel bestimmte Merkmale zu, die es in Wirklichkeit jedoch nicht besitze.

3.2.1. Das vorlegende Gericht sieht die Frage der Übereinstimmung der österreichischen Regelung, wie sie in den Ausgangsverfahren anzuwenden wäre, mit dem Vertrag und den erwähnten Richtlinien - anders als die Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren - als durch die oben erwähnte Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht abschließend geklärt an.

Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet § 9 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 26 Abs. 2 LMG die Heraushebung einer Kategorie von Hinweisen, die wegen ihrer Unbestimmtheit bei der Bezugnahme auf ärztliche Tätigkeit generell vom Gesetzgeber als irreführend, nämlich zur Erweckung unterschiedlichster Vorstellungen über Eigenschaften und Wirkungsweisen des kosmetischen Mittels, die im Zusammenhang mit ärztlicher Tätigkeit zu sehen seien, geeignet, angesehen wird. Es gibt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Wertung - abgestellt auf die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers - nicht zutreffend wäre. Es scheint entbehrlich, die Überprüfung der Irreführungseignung solcher Aussagen der Einzelfallentscheidung vorzubehalten. Wenn aber dort, wo eine Untersuchung der Irreführungseignung im Einzelfall angezeigt ist, diese nach der Rechtsprechung des EuGH Sache des nationalen Gerichts ist, ist nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu sehen, dass es dem Gesetzgeber des Mitgliedstaates unter Gesichtspunkten des Gemeinschaftsrechts verwehrt sein sollte, eine bestimmt umschriebene Fallgruppe von Werbeaussagen im Hinblick auf ihre Unbestimmtheit und ihre Beziehung zur ärztlichen Tätigkeit im Rahmen einer generellen Regelung als irreführend zu bezeichnen, wenn die Untersuchung der Irreführungseignung im Einzelfall zu keinem anderen Ergebnis führte. Im Sinne des § 26 Abs. 2 LMG hinreichend konkretisierte Hinweise auf ärztliche Gutachten, die nicht zur Täuschung der Verbraucher geeignet sind, sind nach dem oben Gesagten ohnedies erlaubt.

Das vorlegende Gericht verweist darauf, dass nach Artikel 2 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hiefür (nunmehr kodifizierte Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, Amtsblatt Nr. L 109 vom 6. Mai 2000, Seite 0029) die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, nicht einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen dürfen. Auch diese Richtlinie folgt hier offenbar dem System, eine bestimmte Gruppe von Hinweisen generell als zur Irreführung der Verbraucher geeignet anzusehen und aus Gründen des Gesundheitsschutzes zu untersagen. Es dürfte in der Nachbildung einer solchen Regelung im nationalen Recht eines Mitgliedstaates auch dann, wenn die Regelung nicht - wie die RL 79/112 - das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, sondern von kosmetischen Mitteln betrifft, kein Konflikt zum Gemeinschaftsrecht zu sehen sein, weil irreführende Werbung beim Inverkehrbringen kosmetischer Mittel (durch die RL 76/768 und 84/450) - nach der Rechtsprechung des EuGH zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen irreführender Information über die Merkmale kosmetischer Mittel auf die Gesundheit des Menschen - ebenfalls untersagt ist.

4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat dem EuGH mit Beschluss vom 18. Dezember 2000, EU 2001/0001, unter anderem eine Frage betreffend die Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift, die die Anbringung "gesundheitsbezogener" Angaben beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln nur nach einer vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Bundesminister zulässt, mit der Etikettierungs-Richtlinie und den Art. 28 und 30 EG mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG vorgelegt. Er hat im erwähnten Zusammenhang darauf verwiesen, dass das Verbot des § 9 Abs. 1 LMG kein absolutes ist; dieses Verbot stehe vielmehr unter dem Vorbehalt einer Genehmigung nach § 9 Abs. 3 LMG. Danach hat der Bundesminister auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte (hier: für kosmetische Mittel; vgl. § 26 Abs. 2 LMG) gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist.

§ 9 Abs. 3 LMG hätte den Beschwerdeführern somit die Möglichkeit geboten, eine Zulassung von (nicht irreführenden) Hinweisen auf ärztliche Gutachten zu erreichen und dadurch eine Bestrafung zu vermeiden. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Ersuchen vom 18. Dezember 2000 die Gründe dargelegt, aus denen er ein Verfahren nach § 9 Abs. 3 LMG als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ansieht; auf diese Darlegungen wird verwiesen. Die zweite Frage stellt sich nach der Auffassung des vorlegenden Gerichtes in gleicher Weise, wenn die österreichische Regelung für Werbung beim Inverkehrbringen kosmetischer Mittel am Vertrag sowie an den RL 76/768 und 84/450 gemessen wird.

Da die unter 1. und 2. gestellten Fragen weder durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt noch deren Lösung derart offenkundig wäre, dass für einen Zweifel kein Raum bliebe, werden sie gemäß Art. 234 EG dem Gerichtshof mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

Wien, am 29. Jänner 2001

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2dermatologisch getestet klinisch getestet

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999100064.X00

Im RIS seit

08.02.2002

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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