TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/16 2002/10/0183

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Veröffentlicht am 16.12.2002
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E13301600;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

31976L0768 Kosmetik-RL Art6 Abs3 idF 31993L0035;
31993L0035 Nov-31976L0768 06te Art1 Z9;
62001CJ0099 Linhart VORAB;
EURallg;
LMG 1975 §9 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Vorabentscheidungsantrag:99/10/0064 B 29. Jänner 2001 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62001CJ0099 24. Oktober 2002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde des Dr. Hans B in Wien, vertreten durch Schönherr Barfuß Torggler & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 9. Mai 2000, Zl. Senat-KO-99-034, betreffend Übertretung des Lebensmittelgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 9. Mai 2000 einer Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 9 lit. b und § 8 lit. f LMG schuldig erkannt, weil er es (als Geschäftsführer) der H. GmbH zu verantworten habe, dass diese das kosmetische Mittel "Keralogie Creme-Peeling Anti Schuppen regulierendes Haarbad" ohne behördliche Zulassung mit der auf der Verpackung (Kunststoffflasche) angebrachten Bezeichnung "dermatologisch getestet" in Verkehr gebracht habe. Bei dieser Bezeichnung handle es sich um eine nach § 9 Abs. 1 lit. b LMG verbotene gesundheitsbezogene Bezeichnung. Die Ware sei daher im Sinne des § 8 lit. f LMG falsch bezeichnet. Es wurde eine Geldstrafe von S 3.000,-- verhängt.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird insbesondere geltend gemacht, der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften habe im Urteil vom 28. Juni 1999 klargestellt, dass das Zulassungsverfahren nach § 9 Abs. 3 LMG mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sei. Eine nationale Regelung, die das Werben für Kosmetika mit gesundheitsbezogenen Äußerungen, die nicht irreführend seien, verbiete, überschreite die Grenzen des Regelungsspielraumes, den Art. 6 Abs. 3 der RL 76/768 den Mitgliedstaaten einräume. Im Übrigen sei die Frage zu stellen, welchen Sinn das Zulassungsverfahren habe. Die zuständige Behörde lasse die Bezeichnung "dermatologisch getestet" regelmäßig zu, ohne die Vorlage des betreffenden Gutachtens zu verlangen. Die Angabe "dermatologisch getestet" wäre nur irreführend, wenn das Produkt nicht dermatologisch getestet worden wäre. Im Verwaltungsstrafverfahren sei die Verantwortung des Beschwerdeführers, das Produkt sei dermatologisch getestet worden, nicht widerlegt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 29. Jänner 2001 gemäß Art. 234 EG dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Stehen die Art. 28 und 30 EG, die Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel in ihrer durch die Richtlinien 88/667/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 und die Richtlinie 93/35/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 geänderten Fassung (im Folgenden: RL 76/768) insbesondere deren Art. 6 Abs. 3, sowie die Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über irreführende Werbung (im Folgenden: RL 84/450), insbesondere deren Art. 4 und 7, der Regelung eines Mitgliedstaates entgegen, wonach es verboten ist, beim Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln - insbesondere durch den Gebrauch der Bezeichnung "klinisch getestet" bzw. "dermatologisch getestet" - auf ärztliche Gutachten hinzuweisen, wenn beim Verbraucher mangels Angaben über Gegenstand und Ergebnis des Gutachtens unrichtige Vorstellungen über Beschaffenheit und Wirkungsweise des kosmetischen Mittels hervorgerufen werden können?

2. Stehen die Art. 28 und 30 EG, die RL 76/768, insbesondere deren Art. 6 Abs. 3, und die RL 84/450, insbesondere deren Art. 4 und 7, der Regelung eines Mitgliedstaates entgegen, die die Verwendung von Angaben im Sinne von Frage 1 nur nach einer vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Bundesminister zulässt?"

Mit Urteil vom 24. Oktober 2002, C-99/01, erkannte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften über die ihm vom Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Fragen für Recht:

"1. Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 in der durch die Richtlinie 93/35/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 geänderten Fassung steht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der es verboten ist, beim Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln - insbesondere durch den Gebrauch der Bezeichnung dermatologisch getestet - auf ärztliche Gutachten hinzuweisen, wenn dieser Hinweis keine Angaben über Gegenstand und Ergebnis dieser Gutachten enthält.

2. Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768 in der durch die Richtlinie 93/35 geänderten Fassung steht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die die Verwendung von Angaben im Sinne der ersten Frage nur nach einer vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Minister zulässt."

In der Begründung führte der Gerichtshof unter anderem Folgendes aus:

"32. Demgemäß kann die Angabe dermatologisch getestet auf der Verpackung bestimmter kosmetischer Mittel, im vorliegenden Fall von Seifen und Haarpflegemitteln, bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher nur die Vorstellung wecken, dass das Mittel einem Test zur Ermittlung seiner Auswirkungen auf die Haut unterzogen wurde, und dass sein Inverkehrbringen auf günstige Ergebnisse dieses Tests und darauf hinweist, dass festgestellt wurde, dass es für die Haut gut verträglich oder zumindest unschädlich ist.

33. Zudem können die nationalen Behörden diese Ergebnisse überwachen.

34. Nach Artikel 7a Absatz 1 Buchstaben f und g der Richtlinie 76/768 ist der für das Inverkehrbringen eines kosmetischen Mittels Verantwortliche nämlich verpflichtet, sicherzustellen, dass den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bekannte Daten über unerwünschte Nebenwirkungen für die menschliche Gesundheit, die durch das kosmetische Mittel bei seiner Anwendung hervorgerufen werden, und den Nachweis der angepriesenen Wirkung für diese Mittel leicht zugänglich sind.

35. Daher kann die Angabe dermatologisch getestet einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher nicht dadurch irreführen, dass sie den in Rede stehenden Erzeugnissen Eigenschaften zuschreibt, die sie nicht besitzen, und zudem kann ein Irrtum über diese Eigenschaften die Gesundheit nicht gefährden."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 26 Abs. 1 lit. d LMG ist es verboten, kosmetische Mittel in Verkehr zu bringen, die falsch bezeichnet sind.

Nach § 26 Abs. 2 LMG gelten (für den Verkehr mit kosmetischen Mitteln) § 8 lit. a, b und f sinngemäß, § 9 gilt mit der Maßgabe, dass nicht irreführende Hinweis auf physiologische oder pharmakologische Wirkungen sowie bildliche Darstellungen zur Erläuterung des Anwendungsbereiches zulässig sind. Werden solche Wirkungen behauptet, sind der Behörde auf Verlangen die wirksamen Komponenten bekanntzugeben.

Nach § 8 lit. f (in Verbindung mit § 26 Abs. 2) LMG sind kosmetische Mittel falsch bezeichnet, wenn sie mit zur Irreführung geeigneten Angaben über Umstände, die nach der Verkehrsauffassung, insbesondere nach der Verbrauchererwartung, wesentlich sind, wie über Art, Herkunft, Verwendbarkeit, Haltbarkeit, Zeitpunkt der Herstellung, Beschaffenheit, Gehalt an wertbestimmenden Bestandteilen, Menge, Maß, Zahl oder Gewicht, oder in solcher Form oder Aufmachung oder mit verbotenen gesundheitsbezogenen Angaben (§ 9) in Verkehr gebracht werden.

Nach § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 26 Abs. 2 LMG ist es verboten, beim Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln

a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;

b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;

c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen - ausgenommen bildliche Darstellungen zur Erläuterung des Anwendungsbereiches - zu verwenden.

Nach § 9 Abs. 3 in Verbindung mit § 26 Abs. 2 LMG hat der Bundesminister auf Antrag für bestimmte kosmetische Mittel gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist.

Nach § 74 Abs. 1 LMG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer -

unter anderem - kosmetische Mittel falsch bezeichnet oder kosmetische Mittel, die falsch bezeichnet sind, in Verkehr bringt.

Mit der Zulässigkeit der Hinweise "klinisch getestet" bzw. "dermatologisch getestet" hatte sich der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach, jedoch ausschließlich in Fällen zu beschäftigen, die sich vor dem Beitritt der Republik Österreich zum Europäischen Wirtschaftsraum bzw. zur Europäischen Union ereignet hatten. Die zu diesen Fällen ergangene Rechtsprechung ist wie folgt zusammenzufassen:

Das Gesetz (§ 9 Abs. 1 lit. b LMG) lasse Hinweise auf ärztliche Gutachten beim Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln nicht zu, wenn der Hinweis nicht dahin konkretisiert werde, welche Eigenschaften des Produktes mit welchem Ergebnis untersucht worden seien (Erkenntnisse vom 26. September 1994, 92/10/0468, vom 8. August 1996, 93/10/0219, 93/10/0220, 94/10/0107, vom 16. Dezember 1996, 93/10/0180, und vom 26. Jänner 1998, 98/10/0009). Tragend war dabei die Auffassung, der Gesetzgeber gehe beim Verbot des § 9 Abs. 1 lit. b LMG davon aus, dass der in der Hervorhebung eines klinischen bzw. dermatologischen Tests gelegene Hinweis auf ein ärztliches Gutachten beim Verbraucher wenigstens unterschwellig die unbestimmte Vorstellung gesundheitlicher Wirkungen suggerieren könne, wenn der Hinweis in keiner Weise konkretisiert sei. Als im Hinblick auf die Vorschrift des § 26 Abs. 2 LMG erlaubt wurde hingegen der Hinweis auf ärztliche Gutachten ("klinisch getestet", "dermatologisch getestet") beim Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln dann angesehen, wenn klargestellt wurde, dass sich die Untersuchung - losgelöst von den Folgen, die sich daraus für den Gesundheitszustand des Menschen ergeben - auf einzelne physiologische oder pharmakologische Wirkungen des betreffenden Produktes bezogen habe, z.B. mit dem Hinweis "klinisch auf Hautverträglichkeit und Entfernung des Haares samt Wurzel geprüft" beim Inverkehrbringen eines Haarentfernungsmittels (Erkenntnis vom 16. März 1992, 91/10/0005).

Die den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bildende Bestrafung beruht auf der Auffassung, die Verwendung der Bezeichnung "dermatologisch getestet" beim Inverkehrbringen eines Haarpflegemittels ohne Genehmigung falle unter das Verbot gesundheitsbezogener Angaben nach § 9 Abs. 1 LMG.

Nach dem oben erwähnten Urteil des EuGH muss die so aufgefasste Regelung im Beschwerdefall wegen eines Widerspruchs zu

Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 in der durch die Richtlinie 93/35/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 geänderten Fassung unangewendet bleiben. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH - AufwandersatzVO 2001.

Wien, am 16. Dezember 2002

Gerichtsentscheidung

EuGH 62001CJ0099 Linhart VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002100183.X00

Im RIS seit

29.04.2003

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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