TE OGH 2010/9/1 6Ob144/10k

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Veröffentlicht am 01.09.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Dr. G***** T*****, Rechtsanwalt, *****, als Insolvenzverwalter im Konkurs über das Vermögen des E***** S*****, gegen die Antragsgegner 1. T***** A*****, 2. V***** A*****, beide *****, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen Einräumung eines Notwegs, über den Revisionsrekurs der Antragsgegner gegen den Zwischenbeschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 12. Mai 2010, GZ 7 R 22/10f-13, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Scheibbs vom 18. Jänner 2010, GZ 2 Nc 27/09y-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) - Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der „Antragslegitimation zur Einräumung eines Notwegs durch den Masseverwalter bei bestehender eingeschränkter Dienstbarkeit auf die Eigentümerschaft bzw Lebensdauer des Gemeinschuldners“.

1.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt (7 Ob 552/94 SZ 67/119 = JBl 1995, 325 unter ausdrücklicher Ablehnung von Feil, Liegenschaftsrecht I, 205), dass der Notweg als Legalservitut konstruiert ist, die durch Richterspruch rechtliche Wirksamkeit erlangt. Es kommt daher nicht auf den bloß zufälligen Bedarf des Antragstellers an, sondern auf den Bedarf der Liegenschaft, also darauf, ob dieser Bedarf aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei jedem späteren Erwerber und Bewohner der Liegenschaft bestehen wird. Die Ansicht, es fehle nicht an einer Verbindung zum öffentlichen Wegenetz, wenn der Eigentümer unter Ausnützung eines ihm zustehenden, auch bloß persönlichen Rechts über fremde Grundstücke zum öffentlichen Weg gelangen kann, wobei ein rein obligatorischer Anspruch, solange er besteht,  genüge, teilte der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung nicht. Nach Hofmann (in Rummel, ABGB³ [2000] § 480 Rz 5) stellt daher eine bloß prekaristische oder sonst vertragliche Benützung eines Wegs keine ausreichende Verbindung dar.

Die Entscheidung 7 Ob 552/94 wurde zwar von Egglmeier-Schmolke (in Schwimann, ABGB³ Bd 2 [2005] § 1 NWG Rz 8; der Entscheidung eher zustimmend allerdings noch Egglmeier, Notweg und Rechtsprechung, bbl 1998, 62) als bedenklich bezeichnet, wolle das Notwegegesetz doch in erster Linie das Privatinteresse des Eigentümers der Not leidenden Liegenschaft schützen. Die Autorin übersieht dabei jedoch, dass nach § 1 Abs 1 NWG der Eigentümer „für [die] Liegenschaft“ die Einräumung eines Notwegs verlangen kann, woraus - und auch aus § 3 WEG - seit der Entscheidung 5 Ob 249/64 (SZ 38/19) nicht nur die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0071190), sondern auch Egglmeier-Schmolke (aaO § 1 NWG Rz 1) selbst schließen, dass es sich beim Notweg um eine Legalservitut handelt; diese ist darauf gerichtet, einer wegebedürftigen Liegenschaft fremde Liegenschaften dienstbar zu machen (5 Ob 249/64 unter Hinweis auf Geller, ABGB 327). Dass Schutzzweck des Notwegegesetzes in erster Linie das Privatinteresse des Eigentümers der Not leidenden Liegenschaft ist (7 Ob 504/92 EvBl 1992/115), ändert daran nichts: Es soll damit lediglich ausgedrückt werden, dass es nicht um das öffentliche Interesse an einer ökonomisch sinnvollen Nutzung von Grund und Boden geht, sodass es für den Anspruch auf eine Notwegeeinräumung nicht genügt, wenn eine in Aussicht genommene Nutzung der Liegenschaft der Allgemeinheit Vorteile bringt; die Durchsetzung öffentlicher Interessen erfolgt über die Enteignungsbestimmungen (vgl Egglmeier-Schmolke aaO § 1 NWG Rz 1).

1.2. Im vorliegenden Verfahren ist E***** S*****, über dessen Vermögen im Jahr 2008 das Konkursverfahren eröffnet und der Antragsteller zum Masseverwalter bestellt worden war, als Liegenschaftseigentümer aufgrund eines im Jahr 1983 abgeschlossenen Dienstbarkeitsvertrags berechtigt, über einen näher bezeichneten Weg auf der Liegenschaft der Antragsgegner zu gehen und mit Fahrzeugen aller Art zu fahren. Diese (außerbücherliche) Dienstbarkeit soll jedoch sowohl mit dem Tag des Ablebens des Liegenschaftseigentümers als auch mit dem Zeitpunkt der Einverleibung des Eigentumsrechts (zu mehr als der Hälfte) zugunsten einer anderen Person an der Liegenschaft erlöschen.

Da die der Entscheidung 7 Ob 552/94 zugrunde liegenden Erwägungen, zum einen seien dem Rechtsnachfolger im Eigentum der dann im Sinn des Notwegegesetzes Not leidenden Liegenschaft Erkundigungspflichten auferlegt, weshalb mit dem Ergebnis zu rechnen sei, dass diesem die Zufahrtsmöglichkeit nicht gestattet wird, zum anderen könne nur der jeweils verbücherte, nicht aber auch der potenzielle Eigentümer einen Antrag nach dem Notwegegesetz stellen, weshalb ein allfälliger Liegenschaftskäufer kaum jemals Aussicht hätte, ein Wegerecht gegen den Antragsgegner durchzusetzen, auch auf einen persönlich berechtigten Servitutsberechtigten zutreffen, ist die Bejahung eines Notwegerechts zugunsten der Liegenschaft des (Gemein-)Schuldners E***** S***** und zulasten der Liegenschaft der Antragsgegner durchaus vertretbar.

1.3. Nach § 2 Abs 1 2. Halbsatz NWG ist das Begehren um Einräumung eines Notwegs unzulässig, wenn der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Angesichts der bereits vom Rekursgericht zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0011618, RS0119170), wonach bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers (auch an zwei verschiedene Erwerber [7 Ob 707/89]), von welchen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, auch ohne Verbücherung eine Dienstbarkeit (hier: zugunsten der Liegenschaft des [Gemein-]Schuldners) entsteht, ließe sich zwar unter Umständen die Auffassung vertreten, der (Gemein-)Schuldner habe sich durch den - insofern einschränkenden - (späteren) Dienstbarkeitsvertrag mit den Antragsgegnern auffallend sorglos seiner Rechte begeben (vgl Egglmeier-Schmolke in Schwimann, ABGB³ Bd 2 [2005] § 2 NWG Rz 4 [der Grundeigentümer hat „dem Verlust einer bestehenden Verbindung vorzubeugen“]). Allerdings berufen sich die Antragsgegner in ihrem Revisionsrekurs auf diesen Umstand nicht, sondern werfen dem (Gemein-)Schuldner (lediglich) vor, sich „in all den Jahren ab der Schenkung beziehungsweise ab Abschluss des Dienstbarkeitsvertrags nicht darum gekümmert [zu haben], eine andere Zufahrt als die über den Dienstbarkeitsweg käuflich zu erwerben oder eine weitere Brücke zu errichten“; ein derartiges Verhalten ist jedoch nicht tatbestandsmäßig iSd § 2 Abs 1 NWG.

1.4. Dass die Unmöglichkeit einer Verwertung der Liegenschaft des (Gemein-)Schuldners durch den Antragsteller als Insolvenzverwalter (zur Begriffsbestimmung vgl § 275 Abs 1 IO) gar nicht feststeht, worauf die Antragsgegner in ihrem Revisionsrekurs besonders hinweisen, steht dem vom Rekursgericht gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 552/94 zur Antragslegitimation des Liegenschaftseigentümers ausdrücklich darauf hingewiesen, dass durch die Rechtsunsicherheit über das Bestehen einer Wegeverbindung für einen allfälligen Rechtsnachfolger als Eigentümer der Not leidenden Liegenschaft deren Wert entscheidend vermindert wird, wodurch der Liegenschaftseigentümer in seiner Dispositionsmöglichkeit erheblich eingeschränkt werde. Dies gilt auch für den Insolvenzverwalter des Liegenschaftseigentümers.

2. Das Vorliegen der vom Rekursgericht bejahten materiellen Voraussetzungen für die Einräumung eines Notwegs bestreiten die Antragsgegner in ihrem Revisionsrekurs nicht konkret. Sie führen vielmehr sogar aus, die Liegenschaft des (Gemein-)Schuldners sei nicht Not leidend, sei diesem doch eine Servitut (gemeint: ein Geh- und Fahrtrecht) eingeräumt; „für eine Zufahrt im Falle der Verwertung [müsse] der dann eingetragene bücherliche Eigentümer sorgen, dem das Regelwerk des Notwegegesetzes zur Verfügung steht, [wobei diesem] nach überschaubarer Sach- und Rechtslage ein solcher Notweg auch einzuräumen [wäre]“.

3. Die Liegenschaft des (Gemein-)Schuldners ist unzweifelhaft Bestandteil der Insolvenzmasse. Aufgabe des Antragstellers als Insolvenzverwalter ist deren Verwertung. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Meinung wird der Antragsteller daher im vorliegenden Verfahren nicht als Rechtsnachfolger des (Gemein-)Schuldners tätig, sondern an dessen Stelle und damit als „Eigentümer“ der Not leidenden Liegenschaft. Als solcher hat er gemäß § 81a Abs 2 IO Rechtsstreitigkeiten zu führen, die die Masse ganz oder teilweise betreffen. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb der Antragsteller nicht legitimiert sein sollte, für die Liegenschaft des (Gemein-)Schuldners (vgl § 1 Abs 1 NWG) die Einräumung eines Notwegs zu begehren.

4. Der Antragsteller hat in der Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses nicht hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Der Antragsteller hat dessen Kosten selbst zu tragen.

Textnummer

E94967

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00144.10K.0901.000

Im RIS seit

29.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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