TE Vwgh Erkenntnis 2001/1/30 98/18/0151

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Veröffentlicht am 30.01.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §37;
StVO 1960 §4 Abs1 lita;
StVO 1960 §4 Abs5;
VStG §55 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des M R, (geboren am 12. Jänner 1968), in Attnang-Puchheim, vertreten durch Dr. Alois Heigl, Rechtsanwalt in 4690 Schwanenstadt, Linzerstraße 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 17. März 1998, Zl. St 46/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 17. März 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen kroatischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Den Feststellungen der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (der erstinstanzlichen Behörde) zufolge sei der Beschwerdeführer am 31. März 1992 sichtvermerksfrei aus dem ehemaligen Jugoslawien kommend, in Österreich eingereist. In der Folge seien ihm völkerrechtlicher Gepflogenheit entsprechend - er habe sich als Kriegsflüchtling deklariert - Sichtvermerke, zuletzt am 9. Februar 1993 mit Gültigkeit bis 3. Mai 1993 und am 11. Mai 1993 mit Gültigkeit bis 15. November 1993, erteilt worden. Nachdem er in der Zwischenzeit aus dem Bundesgebiet ausgereist gewesen sei und die kroatische Staatsbürgerschaft angenommen habe, habe er am 20. Juli 1993 über die österreichische Botschaft in Zagreb einen Erstantrag nach dem Aufenthaltsgesetz (Aufenthaltszweck: Familiengemeinschaft) eingebracht. Dem Antrag sei am 13. September 1993 stattgegeben worden, und es seien dem Beschwerdeführer erstmalig eine bis 15. November 1993 gültige Aufenthaltsbewilligung sowie in der Folge weitere Bewilligungen erteilt worden.

Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 13. Jänner 1993 sei er wegen Verwaltungsübertretungen nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO und § 4 Abs. 5 StVO (Verkehrsunfall mit Fahrerflucht) rechtskräftig bestraft worden, weil er am 27. Dezember 1992 mit seinem PKW einen entgegenkommenden PKW gestreift habe, wodurch an beiden Fahrzeugen die Außenspiegeln heruntergerissen und beschädigt worden seien, sowie die Fahrt, ohne anzuhalten, fortgesetzt und es unterlassen habe, in der Folge den Unfall bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu melden, obwohl er dem Geschädigten nicht seine Identität nachgewiesen habe. Dem Beschwerdeführer seien am 9. Oktober 1995 fremdenpolizeiliche Maßnahmen angedroht worden, und er habe versichert, sich in Zukunft wohl zu verhalten, worauf seinem Verlängerungsantrag (nach dem Aufenthaltsgesetz) stattgegeben und ihm am selben Tag von der erstinstanzlichen Behörde eine bis 8. Oktober 1997 gültige Aufenthaltsbewilligung erteilt worden sei.

Das von der Behörde in ihn gesetzte Vertrauen habe er jedoch nicht lange rechtfertigen können. Mit Straferkenntnis (der erstinstanzlichen Behörde) vom 26. Mai 1997 sei er wegen Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. a StVO rechtskräftig bestraft worden, weil er am 27. April 1997 in alkoholbeeinträchtigtem Zustand (Blutalkoholkonzentration von 1,3 g/l (Promille() einen LKW auf öffentlichen Straßen gelenkt habe, und es sei ihm vorübergehend auf die Dauer von vier Wochen der Führerschein rechtskräftig entzogen worden. Auch sei bekannt geworden, dass er bereits am 25. Februar 1996, also etwa fünf Monate nach der vorgenannten Androhung fremdenpolizeilicher Maßnahmen, wegen des Verdachtes des Vergehens der Körperverletzung angezeigt und mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 19. September 1996 gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden sei, weil er in Wien einen anderen dadurch vorsätzlich am Körper verletzt habe, dass er ihm Schläge gegen den Körper und einen Schlag mit einer Bierflasche gegen den Kopf versetzt habe, wodurch sein Opfer eine Schädelprellung mit Abschürfungen erlitten habe.

Nach Darstellung des wesentlichen Vorbringens des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen führte die belangte Behörde begründend weiter aus, dass ein Aufenthaltsverbot gemäß § 36 Abs. 1 FrG auch dann erlassen werden könne, wenn triftige Gründe vorlägen, die zwar nicht die Voraussetzungen der im Abs. 2 dieser Gesetzesbestimmung angeführten Fälle aufwiesen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die in Abs. 1 dieser Bestimmung umschriebene Annahme rechtfertigten. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer bereits einmal niederschriftlich ermahnt worden sei und trotzdem neuerlich in verwaltungsrechtlicher wie auch strafrechtlicher Hinsicht ein Fehlverhalten gesetzt habe, könne die Behörde nicht erkennen, inwieweit in seiner Person ein reumütiges Verhalten bzw. eine glaubwürdige Absicht, sich in Hinkunft an die im Bundesgebiet geltende Rechtsordnung zu halten, zu sehen sei.

Zweifelsohne werde in Anbetracht seiner persönlichen und familiären Verhältnisse im Bundesgebiet in nicht unbedeutender Weise in sein Privat- und Familienleben eingegriffen. Auch werde ihm eine der Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet entsprechende Integration zuzubilligen sein. Dies schon deshalb, weil er sich seit ca. sechs Jahren legal im Bundesgebiet aufhalte und hier mit seiner Ehegattin, die einer geregelten Tätigkeit nachgehe, und seinen beiden Kindern, lebe. Darüber hinaus würde er auch bei seiner Ehegattin mitarbeiten. Dem sei jedoch entgegen zu halten, dass weder eine rechtskräftige Bestrafung (offensichtlich gemeint: die vorgenannte Strafverfügung vom 13. Jänner 1993; diese sei zwischenzeitlich als getilgt anzusehen) noch eine niederschriftliche Ermahnung ausgereicht habe, um ihn von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen im Bundesgebiet abzuhalten. Verwaltungsübertretungen nach § 5 StVO gehörten zu den schwersten Übertretungen im Verkehrsrecht überhaupt. Es sei daher nicht nur die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch im Licht des § 37 Abs. 1 FrG dringend erforderlich. Der Vorfall, der zur Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Körperverletzung geführt habe, mache deutlich, dass er über eine erhebliche Bereitschaft zur Gewalt verfüge, zumal ein Durchschnittsmensch in einer derartigen Situation andere Konfliktlösungswege beschreite. Der Versuch, derartige menschliche Problembereiche mit roher Gewalt und Fäusten zu lösen, sei sehr bedenklich und mache einmal mehr deutlich, dass - unter Beachtung der bereits erfolgten niederschriftlichen Ermahnung - auch in Zukunft mit Ausschreitungen des Beschwerdeführers in dieser Weise gerechnet werden müsse. Könnten rechtskräftige Bestrafungen einen Fremden nicht von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abhalten und gingen sogar niederschriftliche Ermahnungen ins Leere, so sei die Behörde verpflichtet, von der Möglichkeit eines Aufenthaltsverbotes Gebrauch zu machen, zumal es scheine, dass andere Mittel nicht ausreichten, um den Beschwerdeführer zur Einhaltung der Rechtsordnung seines Gastlandes zu bewegen.

Was seinen Hinweis darauf, dass er der Strafverfügung vom 13. Jänner 1993 deshalb nicht widersprochen hätte, weil er damals der deutschen Sprache noch nicht ausreichend mächtig gewesen wäre, betreffe, sei auszuführen, dass er den Rat kompetenter Stellen hätte einholen können.

Da - unter Abwägung aller oben angeführten Tatsachen - im Hinblick auf die für seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative "Zukunftsprognose" die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation, sei das Aufenthaltsverbot auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig. Daran könne sein Hinweis auf seine familiäre Situation nichts ändern, zumal ein Aufenthaltsverbot nicht mit einem absoluten Kontaktverbot zu seiner Familie verbunden sei.

Die Dauer des von der erstinstanzlichen Behörde verhängten Aufenthaltsverbots sei nichts als rechtswidrig zu erkennen, weil angenommen werden könne, dass sich der Beschwerdeführer nach Ablauf dieser Frist wieder an die im Bundesgebiet geltenden Normen halten werde. Diese Dauer entspreche auch im Wesentlichen der Tilgungsfrist für die letzte (schwer wiegende) Verwaltungsübertretung.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bekämpft die von der Behörde im Grund des § 37 vorgenommene Interessenabwägung. Der Beschwerdeführer habe seinen privaten, insbesondere seinen familiären Lebensmittelpunkt in Österreich und lebe hier mit seiner Ehegattin und seinen beiden noch ganz kleinen Kindern zusammen, sodass ihn die Beendigung seines Aufenthaltes familiär gänzlich entwurzeln würde. Dem stünden Vergehen gegenüber, die in "Sonderkonstellationen" - wie dies bei ihm der Fall gewesen sei - auch anderen grundsätzlich wertverbundenen Personen unterlaufen könnten und die nicht die Annahme rechtfertigten, dass sein Verbleib in Österreich künftighin die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass ihm nur eine einmalige Übertretung des § 99 Abs. 1 StVO zur Last gelegt und er vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien lediglich zu einer geringen Geldstrafe verurteilt worden sei. Selbst wenn man ihm eine Gefährdung des öffentlichen Interesses unterstellen wollte, träte dieses angesichts des durchaus nicht als hoch zu veranschlagenden Unwertgehalts seines Verhaltens hinter seine hinreichend bescheinigten Interessen an einem Verbleib in Österreich zurück.

2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbots im Grund des § 37 Abs. 1 und 2 FrG fällt zugunsten des Beschwerdeführers ins Gewicht, dass er sich seit März 1992 erlaubt im Bundesgebiet aufhält und hier mit seiner Ehegattin, die hier eine geregelte Berufstätigkeit ausübt, und seinen beiden Kindern, zusammenlebt. Diesen sehr gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht gegenüber, dass er, nachdem er am 27. Dezember 1992 im Zug einer Streifkollision mit einem anderen PKW diesen beschädigt und Fahrerflucht begangen hatte und wegen Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a und Abs. 5 StVO mit Strafverfügung vom 13. Jänner 1993 rechtskräftig bestraft worden war - dem angefochtenen Bescheid zufolge gilt dieses Straferkenntnis mittlerweile als getilgt (vgl. auch § 55 Abs. 1 VStG),  - am 25. Februar 1996 vorsätzlich einem anderen eine (leichte) Körperverletzung zufügte, weshalb er zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt wurde, und am 27. April 1997 in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Blutalkoholgehalt von 1,3 Promille) ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr lenkte. Wenn auch mit den angeführten Verfehlungen des Beschwerdeführers, insbesondere den beiden in den Jahren 1996 und 1997 gesetzten, eine wesentliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der körperlichen Unversehrtheit anderer Personen und an der Sicherheit des Straßenverkehrs verbunden ist, so ist das darin begründete öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers doch nicht von solchem Gewicht, dass dem gegenüber die vorgenannten beachtlichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich in den Hintergrund träten oder lediglich gleich zu gewichten wären.

Dies hat die belangte Behörde im Rahmen der Abwägung nach § 37 Abs. 1 und 2 FrG verkannt und den angefochtenen Bescheid daher insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

3. Demzufolge war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

4. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. Jänner 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998180151.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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