TE OGH 2010/10/22 30R43/10d

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Veröffentlicht am 22.10.2010
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Pöschl als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichts Dr. Hinger und Mag. Guggenbichler in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*****, 2. B***** und 3. NN, alle vertreten durch Christandl Rechtsanwalt GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei C***** AG, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Nichtigerklärung eines Hauptversammlungsbeschlusses (EUR 70.000,--) über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 15.6.2010, 34 Cg 42/10y-23, in nicht öffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert und hat zu lauten:

„Der Antrag der beklagten Partei, den Streitwert mit EUR 10,000.000,-- festzusetzen, wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die Kosten des Rekursverfahrens von EUR 1.574,33 (darin EUR 262,39 USt) zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Die Kläger, sämtliche Aktionäre der Beklagten, fechten in ihrer Klage einen in der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 18.12.2009 gefassten Beschluss über die Erweiterung des Unternehmensgegenstands um „Investitionen in Gebäudetechnologie, Infrastruktur- und erneuerbare Energieprojekte“ sowie die entsprechende Änderung von Punkt 2 der Satzung an und beantragen, diesen Beschluss und die Satzungsänderung für nichtig zu erklären.

Als Anfechtungsgründe machen sie Verletzung des Gesetzes, Verletzung der Treuepflicht im Verhältnis der Aktionäre untereinander sowie unzulässige Verfolgung von Sondervorteilen geltend. Durch die Erweiterung des Unternehmensgegenstands sei in Rechte von Minderheitsaktionären eingegriffen worden. Die Minderheitsaktionäre hätten sich ursprünglich an einem für Immobilieninvestments bestehenden Risiko beteiligt. Dieses Risiko werde durch die Erweiterung des Unternehmensgegenstands in einer für die Minderheitsaktionäre nicht beeinflussbaren Weise erhöht.

Sie bewerten den Streitgegenstand mit EUR 70.000,-- und bringen dazu vor, dies sei die gesetzliche Untergrenze für das Grundkapital einer Aktiengesellschaft.

In der Klagebeantwortung bemängelt die Beklagte diese Bewertung und führt dazu aus, dass das Grundkapital der Beklagten rund EUR 47,200.000,-- betrage, die Anfechtungsklage unbegründet und substanzlos sei und die Kläger der Beklagten möglichst billig lästig fallen wollten. In Anbetracht der Höhe des Grundkapitals sowie des wirtschaftlichen Interesses der Gesellschaft an der Eintragung der Erweiterung des Unternehmensgegenstands sei der Streitwert „zumindest“ mit EUR 10,000.000,-- festzusetzen.

Dies bestreiten die Kläger im vorbereitenden Schriftsatz vom 26.5.2010, ON 14.

In der Tagsatzung vom 15.6.2010, ON 15, Protokoll Seite 2 = AS 144, führen die Beklagten aus, dass die Frage, auf welchem Geschäftszweig die Beklagte tätig werde und Gewinne erzielen könne, vom Umfang des Unternehmensgegenstands determiniert werde. Der Hauptversammlungsbeschluss sei daher nicht zweckneutral, sondern tangiere die Interessen der Gesellschaft. Ausgehend von einem Grundkapital der Gesellschaft von mehr als EUR 47,000.000,-- und bei Unterstellung, dass dem neu beschlossenen Unternehmensgegenstand zumindest ein Viertel der künftigen Geschäftstätigkeit zukommen solle, entspreche das Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung des Hauptversammlungsbeschlusses 25 % des Grundkapitals, also EUR 11,750.000,--. Der Antrag, den Streitwert mit „mindestens EUR 10,000.000,--“ festzusetzen, bleibe aufrecht.

In derselben Tagsatzung verkündete das Erstgericht den Beschluss, dass der Streitwert auf EUR 10,000.000,-- festgesetzt werde. In der Ausfertigung des Beschlusses führte das Erstgericht dazu aus, dass Gegenstand des angefochtenen Hauptversammlungsbeschlusses die Erweiterung des Unternehmensgegenstands der Beklagten und die Erschließung weiterer Geschäftsfelder sei. Das Grundkapital betrage EUR 47,273.000,--. Die Kläger hätten 22,42 % der Aktien der Beklagten. EUR 10,000.000,-- entspreche 21,15 % des Grundkapitals. Das Gericht habe gemäß § 197 Abs 6 AktG auf Antrag einer Partei den Wert des Streitgegenstands nach den gesamten, im einzelnen Fall gegebenen Verhältnissen unter Berücksichtigung des Interesses der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung des angefochtenen Beschlusses festzusetzen. Das Prozessgericht sei an den von den Klägern angegebenen Wert aber nicht gebunden.

Der angefochtene Hauptversammlungsbeschluss sei nicht zweckneutral und tangiere sehr wohl die Interessen der Gesellschaft, weil der Beschluss den Umfang des Unternehmensgegenstands und die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft insgesamt in grundlegender Art und Weise ändere. Das Interesse der Gesellschaft sei daher erheblich. Dieses Interesse manifestiere sich am Wert des Grundkapitals. Auch unter Berücksichtigung der klägerischen Interessen, dass ihnen durch einen besonders hohen Streitwert ein unerträgliches Kostenrisiko auferlegt werde, scheine die Festsetzung eines Streitwerts mit (knapp) weniger als 25 % des Grundkapitals jedenfalls angemessen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Kläger, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machen. Sie beantragen, den Beschluss abzuändern und den Antrag der Beklagten auf Festsetzung des Streitwerts mit „mindestens EUR 10,000.000,--“ abzuweisen.

Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Rekurs, der gemäß § 197 Abs 6 letzter Halbsatz AktG jedenfalls zulässig ist, ist berechtigt.

Als mangelhaft rügen die Kläger das Verfahren, weil das Erstgericht keinen wesentlichen Sachverhalt festgestellt habe. Tatsächlich hat das Erstgericht nach der Wiedergabe des § 197 Abs 6 AktG und nach Darstellung der Höhe des Grundkapitals und des Anteils der Kläger daran nur ausgeführt, dass der angefochtene Hauptversammlungsbeschluss die Interessen der Gesellschaft tangiere und daher nicht zweckneutral sei. Mit dem Hauptversammlungsbeschluss solle der Unternehmensgegenstand und somit die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft insgesamt erweitert werden. Das Interesse der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung des Beschlusses sei daher als erheblich anzusehen.

Es fehlen allerdings Feststellungen darüber, in welchem Ausmaß die Beklagte durch die Erweiterung des Unternehmensgegenstands den Umsatz oder den Gewinn erhöhen wolle oder in welchem Ausmaß eine solche Erhöhung erwartet werde.

Das Erstgericht war allerdings zu näheren Feststellungen darüber gar nicht in der Lage, weil die Beklagte darüber kein verwertbares und ausreichend konkretes Vorbringen erstattet hat. In der Klagebeantwortung wurde nur auf die Höhe des Grundkapitals und auf „wirtschaftliche Interessen“ der Gesellschaft verwiesen. Im weiteren Vorbringen in der Tagsatzung vom 15.6.2010 stellte die Beklagte insofern eine theoretische Berechnung an, als sich für den Fall, dass man „unterstelle“, dem neu beschlossenen Unternehmensgegenstand käme zumindest ein Viertel der künftigen Geschäftstätigkeit zu, ausgehend vom gegebenen Grundkapital ein Wert von jedenfalls EUR 10,000.000,-- errechne.

Mit dieser Darlegung ist keine konkrete Behauptung verbunden, in welchem Ausmaß der angefochtene Hauptversammlungsbeschluss den Unternehmensgegenstand der Beklagten tatsächlich erhöhen werde oder solle, sondern es wird nur eine rechnerisch zwar unangreifbare aber rechtlich neutrale mathematische Operation ausgeführt. Dass die Erweiterung eines Unternehmensgegenstands grundsätzlich auch den Gewinn erhöhen kann, liegt auf der Hand, hat aber für sich genommen keine argumentative Wirkung für die Annahmen eines bestimmten Ausmaßes.

Dass das Erstgericht darüber keine näheren Feststellungen in den Beschluss aufgenommen hat, ist ihm somit ausgehend vom Vorbringen der Beklagten nicht vorzuwerfen. Die Konsequenz allerdings ist – dies bereits in Behandlung der Rechtsrüge –, dass es beim Streitwert zu bleiben hat, den die Kläger gewählt haben. Grundsätzlich hat nämlich im Zivilprozess jede Partei, die eine Entscheidung des Gerichts in einem bestimmten Sinn herbeiführen will, die dafür nötigen Tatsachen zumindest zu behaupten und zu bescheinigen oder zu beweisen. Allgemeine Überlegungen, die nur abstrakt zutreffen, genügen dieser Behauptungslast nicht.

Die Behauptungslast der Beklagten ergibt sich auch daraus, dass das Interesse der Kläger, gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu können, im Zweifel und mangels konkreter Anhaltspunkte in irgend eine Richtung höher zu bewerten ist als das Interesse der Beklagten, die Pauschalgebühr fast auf das Hundertfache zu erhöhen (inkl. Streitgenossenzuschlag von EUR 1.446,70 auf EUR 140.017,10 ). Dass die Erhöhung des Streitwerts nach § 197 Abs 6 AktG auf die Bemessung der Pauschalgebühr durchschlagen würde, entspricht der ständigen Judikatur des VwGH (vgl 2003/16/0041).

Eine konkrete Behauptungslast der Beklagten ergibt sich auch aus dem in § 7 RATG ausgedrückten und hier verwertbaren Grundgedanken, wonach das Gericht über eine Streitwertbemängelung „möglichst ohne weitere Erhebungen“ zu entscheiden hat. Daraus folgt, dass nur eine offenkundige Fehlbeurteilung durch die Kläger oder eine unkompliziert überzeugende Argumentation der Beklagten zu einer gerichtlichen Abänderung führen sollen (vgl dazu auch Gitschthaler in Fasching2, § 60 JN Rz 27).

Dass das Rekursgericht einen Verfahrensmangel aufgegriffen hat, hindert es nicht daran, ausgehend vom wiedergegebenen Vorbringen der Beklagten eine meritorische Entscheidung zu treffen (vgl Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 526 ZPO Rz 15).

Anzumerken ist, dass der weitere von den Klägern geltend gemachte Verfahrensmangel nicht vorliegt. Im Begehren, den Streitwert auf „mindestens“ oder „zumindest“ EUR 10,000.000,-- festzusetzen, ist mit ausreichender Deutlichkeit jedenfalls auch der Antrag enthalten, den Streitwert genau mit EUR 10,000.000,-- festzusetzen.

Grundsätzlich ist auch anzumerken, dass bei der Bemessung des Streitwerts die Frage, welches Parteienvorbringen in der Sache eine größere oder geringere Wahrscheinlichkeit oder Richtigkeit für sich hat, keine Rolle spielt. Wertende Äußerungen der Beklagten, die Kläger wollten ihr möglichst billig lästig fallen, sind daher vom Rekursgericht zum Zwecke der Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts nicht zu kommentieren.

Der Streit über die Höhe des Streitwerts ist ein Zwischenstreit, über dessen Kosten gemäß §§ 41 und 50 ZPO zu entscheiden war.

Wiewohl gemäß § 524 Abs 1 ZPO Rekurse keine aufschiebende Wirkung haben und bei einer formellen Betrachtung während der Zeit zwischen der Entscheidung des Erstgerichts über die Erhöhung des Streitwerts und der Entscheidung des Rekursgerichts ein Streitwert von EUR 10,000.000,-- gegeben gewesen wäre, wäre es ein Wertungswiderspruch, angesichts der vorliegenden meritorischen Entscheidung des Rekursgerichts für das Rekursverfahren von einem Streitwert und einer Bemessungsgrundlage für die Kostenentscheidung von EUR 10,000.000,-- auszugehen. Insofern wirkt die Entscheidung des Rekursgerichts auf den ganzen Verfahrenslauf (und somit auch zurück). Bemessungsgrundlage für die Kostenentscheidung ist somit EUR 70.000,--.

Diese Fragestellung ergibt sich bei der häufiger vorkommenden Bemängelung des Streitwerts nach § 7 RATG deshalb nicht, weil in jenen Fällen ein Rechtsmittel ausgeschlossen ist, nicht aber im Fall des § 197 Abs 6 AktG.

Der Ausschluss eines weiteren Rechtszugs ergibt sich aus § 528 Abs 2 Z 3 ZPO. Die Bewertung des Streitgegenstands wirkt sich ausschließlich auf die Bemessungsgrundlage für Kostenentscheidungen aus und ist somit nicht der Jurisdiktion des Höchstgerichts unterworfen (vgl dazu 6 Ob 539/87).

Textnummer

EW0000492

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2010:03000R00043.10D.1022.000

Im RIS seit

03.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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