TE OGH 2010/11/11 2Ob150/10p

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Veröffentlicht am 11.11.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Adolph Platzgummer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1.) D*****, 2.) Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, beide vertreten durch Dr. Norbert Novohradsky, Rechtsanwalt in Gmunden, wegen 8.385,39 EUR sA (Rekursinteresse 8.256,68 EUR sA), über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 24. Juni 2010, GZ 4 R 212/10w-26, womit das Urteil des Bezirksgerichts Telfs vom 24. März 2010, GZ 2 C 105/08k-22, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens sind Schadenersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagten aus einem Verkehrsunfall, an dem der Kläger und der Erstbeklagte als PKW-Lenker beteiligt waren. Der Kläger wurde beim Unfall verletzt. Die Streitteile behaupten das Alleinverschulden des jeweils anderen Lenkers.

Der Kläger beantragte zum Beweis für jene tatsächlichen Umstände, die seine Schuldlosigkeit und somit das Alleinverschulden des Erstbeklagten begründen würden, unter anderem die Einvernahme der vier Insassen seines Fahrzeugs als Zeugen.

Gegen den Erstbeklagten als Beschuldigten wurde beim Erstgericht ein Strafverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 88 Abs 1 StGB geführt, das mit Diversion (vorläufig) beendet ist (§ 203 Abs 1 StPO). Der Kläger hat sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligter angeschlossen.

Das Erstgericht schaffte den Strafakt bei, in dem sich Protokolle sowohl von polizeilichen Befragungen als auch von in der Hauptverhandlung abgelegten Aussagen der vier vom Kläger beantragten Zeugen befinden.

In der ersten mündlichen Streitverhandlung nahm der Erstrichter in den Strafakt „Einsicht“ und protokollierte als Prozessprogramm die Beweisaufnahme zur Frage des Unfallhergangs sowie der behaupteten Schäden und ihrer Höhe durch Parteienvernehmung, „Akt und Urkunden“. Die Beweisaufnahmen durch die vier vom Kläger beantragten Zeugen sowie die angebotenen Gutachten würden einstweilen vorbehalten bleiben. Der Erstrichter vernahm den Kläger und den Erstbeklagten, nicht jedoch die vom Kläger beantragten Zeugen. Er kündigte an, nach Vorliegen des kfz-technischen Gutachtens werde erörtert werden, inwieweit die abgebotenen Zeugen „wirklich“ noch einmal vernommen werden sollen.

In der zweiten und letzten mündlichen Streitverhandlung vor dem Erstgericht wurden die Sachverständigengutachten „dargetan“ bzw „in diese Einsicht genommen“. Ohne die Frage der Einvernahme der vom Kläger beantragten Zeugen nochmals in irgendeiner Weise zu erörtern, protokollierte der Erstrichter, weitere Beweise würden nicht aufgenommen. Eine Rüge des Klagevertreters deswegen, dass die vom Kläger beantragten Zeugen nicht einvernommen wurden oder dass er sich gegen die Verwertung der Zeugenaussagen im Strafverfahren ausspreche, erfolgte nicht. Der Erstrichter schloss die Verhandlung.

In seinem Urteil traf das Erstgericht zu den das Verschulden betreffenden entscheidungswesentlichen Umständen Negativfeststellungen und nahm in rechtlicher Hinsicht eine Schadensteilung 1 : 1 gemäß § 11 EKHG vor. In der Beweiswürdigung führte der Erstrichter sinngemäß aus, angesichts auch gegenteiliger Beweisergebnisse reichten die Aussagen des Klägers sowie drei seiner Mitfahrer, am Klagsfahrzeug sei vor dem Linksabbiegevorgang der linke Blinker gesetzt worden, für eine entsprechende Positivfeststellung nicht aus. Aufgrund der eingewendeten Gegenforderungen (Schäden am Beklagtenfahrzeug) kam das Erstgericht trotz der Schadensteilung von 1 : 1 zu einem weit überwiegend abweisenden Ergebnis.

Über Berufung des Klägers gegen den klagsabweisenden Teil hob das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss das erstgerichtliche Urteil im angefochtenen Umfang auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es bejahte als Verfahrensmangel, dass das Erstgericht die vier vom Kläger beantragten Zeugen nicht einvernommen habe. Wenngleich der Kläger die Verwendung der im Strafverfahren abgelegten Zeugenaussagen nicht gerügt habe, sei er mit dieser Vorgangsweise des Erstgerichts überrascht worden. Dem Erstgericht sei ein nicht rügepflichtiger primärer Stoffsammlungsmangel unterlaufen.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil dieser in der Entscheidung 1 Ob 69/08s ausgesprochen habe, dass die Rügepflicht iSd § 196 ZPO nur jene Teile der auf die Verfahrensführung durch das Gericht bezughabenden Vorschriften betreffe, die deren äußere Form oder Durchführung behandelten. § 281a ZPO könnte durchaus entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht, wonach ein nicht rügepflichtiger primärer Stoffsammlungsmangel vorliege, dahin verstanden werden, dass damit lediglich die äußere Form der Durchführung einer Beweisaufnahme geregelt werde, nämlich in Form der „Verwendung“ von bereits in anderen Verfahren aufgenommenen Beweisen, sodass Fehler mit einer derartigen Beweisaufnahme der Rügepflicht des § 196 ZPO unterlägen. Zu dieser in der Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Frage liege keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vor.

Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass der Berufung des Klägers nicht Folge gegeben werde.

Der Kläger beantragt in der Rekursbeantwortung, den Rekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Rekurswerber meinen, § 281a ZPO regle entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lediglich die äußere Form der Durchführung einer Beweisaufnahme, nämlich in Form der „Verwendung“ von bereits in anderen Verfahren aufgenommenen Beweisen, weshalb Fehler im Zusammenhang mit einer derartigen Beweisaufnahme der Rügepflicht des § 196 ZPO unterlägen. Dieser Rügepflicht habe der Kläger nicht entsprochen, weshalb der Berufung nicht Folge zu geben gewesen wäre.

Hiezu wurde erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung sind Stoffsammlungsmängel, wozu auch die Unterlassung der Einvernahme von zu entscheidungswesentlichen Beweisthemen beantragten Zeugen gehört, nicht rügepflichtig iSv § 196 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0037041; RS0037055).

Im vorliegenden Fall ist die Einvernahme der vom Kläger beantragten Zeugen zwar durch das Erstgericht unterblieben. Dieses hat aber die in einem anderen Gerichtsverfahren (Strafverfahren) abgelegten Zeugenaussagen für seine Beweiswürdigung verwertet. Es liegt somit eine mittelbare Beweisaufnahme vor, die in § 281a ZPO geregelt ist, der lautet:

Ist über streitige Tatsachen bereits in einem gerichtlichen Verfahren ein Beweis aufgenommen worden, so kann das Protokoll hierüber oder ein schriftliches Sachverständigengutachten als Beweismittel verwendet und von einer neuerlichen Beweisaufnahme Abstand genommen werden, wenn

1. die Parteien an diesem gerichtlichen Verfahren beteiligt waren und

a) nicht eine der Parteien ausdrücklich das Gegenteil beantragt oder

b) das Beweismittel nicht mehr zur Verfügung steht;

2. die an diesem gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt gewesenen Parteien dem ausdrücklich zustimmen.

Der Kläger als Privatbeteiligter im Strafverfahren ist als „Partei“ eines früheren gerichtlichen Verfahrens iSd § 281a ZPO anzusehen (vgl Rechberger in Rechberger, ZPO3 § 281a Rz 2 mwN; derselbe in Fasching/Konecny2 § 281a Rz 8; Fasching, Lehrbuch2 Rz 677). Auf ihn ist daher § 281a Z 1 ZPO anzuwenden. Nach lit a dieser Bestimmung ist die mittelbare Beweisaufnahme dann zulässig, wenn nicht eine der Parteien ausdrücklich das Gegenteil beantragt.

Dies hat der Kläger hier zwar im Zusammenhang mit der „Einsicht“ in dem Strafakt nicht getan. Der Erstrichter hat aber - wie aus dem dargestellten Verfahrensablauf ersichtlich - die Frage, ob die beantragten Zeugen einvernommen werden, zunächst ausdrücklich offengelassen und späteren Erörterungen, die aber nicht erfolgt sind, vorbehalten. Seine Absicht, die im Strafverfahren abgelegten Zeugenaussagen für seine Beweiswürdigung zu verwerten, war somit dem Kläger nicht erkennbar. Dieser konnte den Umstand, dass die Zeugen nicht einvernommen wurden, nämlich durchaus auch so deuten, der Erstrichter erachte deren Einvernahme nicht für nötig, etwa weil er von den von den Zeugen zu erweisenden Umständen ohnehin schon überzeugt war.

Mangels Erörterung, ob die Beweisaufnahme auch mittelbar durchgeführt werden könne, hatte der Kläger keinen Anlass, keine Möglichkeit und auch keine prozessuale Obliegenheit, „ausdrücklich das Gegenteil zu beantragen“; vielmehr ist das erstinstanzliche Verfahren deshalb mangelhaft geblieben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist daher im Ergebnis richtig, weshalb dem Rekurs nicht Folge zu geben war.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E95711

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00150.10P.1111.000

Im RIS seit

16.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

27.06.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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