TE OGH 2010/11/23 1Ob188/10v

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Veröffentlicht am 23.11.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerda N*****, vertreten durch Rechtsanwälte Weixelbaum, Humer & Partner OG in Linz, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Grassner Lenz Thewanger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung und Einverleibung (Streitwert 18.400 EUR) über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. August 2010, GZ 1 R 39/10a-18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 24. Dezember 2009, GZ 4 Cg 273/08t-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.119,24 EUR (darin 186,54 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin erwarb 1967 eine Liegenschaft mit einem Wohnhaus, die an eine Liegenschaft der Beklagten (M*****platz) angrenzt. Der Platz wurde von der Beklagten schon seit weit mehr als 40 Jahren als für jedermann zugänglich zur Verfügung gestellt. Auch die Klägerin und ihre Familie stellten ihre Fahrzeuge auf dem Platz ab, wobei sie keinen bestimmten Parkplatz verwendeten, sondern einen, der gerade frei war. Für die Klägerin war es nichts besonderes, dass sie dort zufahren und parken durfte, weil auf diesem Platz jeder parken durfte und auch jeder dort geparkt hat. Im Jahr 1993 wurde der Platz in die Parkraumbewirtschaftung der Stadtgemeinde eingegliedert. Seit diesem Zeitpunkt hat die Klägerin beim zuständigen Magistrat um eine Ausnahmebewilligung zum Abstellen eines Kfz in der Kurzparkzone, die auch den fraglichen Platz umfasst, angesucht und diese gegen Zahlung einer Verwaltungsabgabe erhalten. Im Jahr 1995 erwarb die Klägerin von der Beklagten einen 27 m² großen an den Platz angrenzenden Grundstreifen vor ihrem Haus; eine Dienstbarkeit zur Erreichung dieses Grundstücksstreifens wurde im Kaufvertrag nicht vereinbart. Der Sohn der Klägerin verwendete diesen Streifen zum Abstellen seines Pkw. Die Klägerin ging während der letzten 43 Jahre nicht davon aus, dass sie ein „persönliches“ Recht zum Begehen oder Befahren des Platzes oder zum Abstellen von Fahrzeugen auf dem Platz gehabt hätte.

Sie begehrte gegenüber der Beklagten nun die Feststellung, dass ihr als Alleineigentümerin ihrer Liegenschaft verschiedene Dienstbarkeitsrechte zustünden, nämlich die „Duldung“ des Fahrens über das Grundstück der Beklagten entlang der gemeinsamen Grenze in einer Breite von 3,5 m (für Lkw zur Güterversorgung und mit 2 Pkw zu Abstellzwecken), die „Duldung“ des Abstellens eines Pkw in einem bestimmten Bereich der Liegenschaft der Beklagten sowie die „Duldung“ des Gehens über das Grundstück der Beklagten; die Beklagte sei schuldig, in die Einverleibung dieser Dienstbarkeitsrechte im Grundbuch einzuwilligen. Weiters stellte sie ein Eventualbegehren, nach dem sich die Dienstbarkeit hinsichtlich der Duldung des Abstellens eines Pkw auf einem bestimmten (anderen) Bereich der Liegenschaft der Beklagten nach Wahl der Klägerin erstrecken würde. Sie habe aufgrund ihrer mehr als 40-jährigen Übung die rechtmäßig, redlich und völlig unbeanstandet praktizierten Berechtigungen zu Lasten des Grundstücks der Beklagten ersessen. Nun habe die Beklagte ohne jede Ankündigung den Umbau des Platzes in Auftrag gegeben und mit dessen Ausführung begonnen, was zur Folge gehabt habe, dass die ersessenen Duldungsrechte nicht mehr oder nur noch stark beeinträchtigt ausgeübt werden könnten.

Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, das Befahren des Platzes sei im Rahmen der öffentlichen Nutzung erfolgt. Es sei diesbezüglich niemals ein Ersitzungswille dokumentiert worden. Aufgrund der Einräumung der Möglichkeit, auf dem Platz Kfz-Abstellplätze zu errichten und zu betreiben, an die Stadtgemeinde habe an diesen öffentlichen Kfz-Abstellplätzen ein privates Recht nicht ersessen werden können. Auch im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Grundstreifens sei im Kaufvertrag festgehalten worden, dass „auf dem Großteil darauf“ das Öffentlichkeitsrecht der Stadtgemeinde laste.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Eine Ersitzung der behaupteten Dienstbarkeiten habe schon aufgrund der Unredlichkeit der Klägerin nicht erfolgen können. Die Klägerin habe ihre Tätigkeiten auf dem Platz nicht als ihr zustehendes Privatrecht, sondern als ein Recht, welches allen zukomme, verstanden. Sie sei somit nicht der Überzeugung gewesen, dass sie „persönlich“ ein Recht zum Gehen, Fahren und Parken von Fahrzeugen auf dem Platz habe, sondern dass dies der Allgemeinheit zukomme. Voraussetzung für die Ersitzung einer Dienstbarkeit sei aber die Redlichkeit, also die Annahme, ein Recht zu besitzen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision letztlich für zulässig. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige. Von der Redlichkeit der Klägerin sei aus mehreren Gründen nicht auszugehen. Sie habe selbst dargelegt, dass es für sie nichts Besonderes gewesen sei, dort parken zu dürfen, weil die anderen auch dort geparkt hätten, sie nie einen fixen Parkplatz gehabt hätte, sondern immer geschaut habe, dass sie in der Nähe ihres Hauses einen finde. Sie sei - wie die übrigen Gelegenheitsparker auch - davon ausgegangen, dass das Parken jedermann, daher auch ihr, gestattet sei, ohne dass sie sich dabei Gedanken um ein etwaiges Recht gemacht hätte. Darüber hinaus müsse für die Ersitzung die Besitzausübung auch so beschaffen sein, dass derjenige, in dessen Besitz eingegriffen wird, die Ausübung eines bestimmten (individuellen) Rechts erkennen könne. An einem im Gemeingebrauch stehenden Grundstück komme die Ersitzung einer privaten (Weg-)Servitut nur in Betracht, wenn die Benützung außerhalb des Gemeingebrauchs erfolge und für den Liegenschaftseigentümer erkennbar sei, dass ein vom Gemeingebrauch verschiedenes eigenes Privatrecht in Anspruch genommen werde, dessen Ausübung vom Eigentümer geduldet wird. Eine Sondernutzung durch die Klägerin sei jedoch nicht vorgelegen und von ihr im Verfahren erster Instanz auch nicht vorgebracht worden. Ebenso wenig habe sie eine Erkennbarkeit der Sondernutzung behauptet, die sich auch nicht aus den Feststellungen oder den Beweisergebnissen ergäbe. Vielmehr habe sie in den letzten 43 Jahren mit verschiedenen Fahrzeugen auf unterschiedlichen Parkplätzen geparkt. Für die den Gemeingebrauch duldende Beklagte habe es daher keine Möglichkeit gegeben, eine Sondernutzung zu erkennen; es habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass einer der auf dem Platz parkenden Kfz-Lenker eine Dienstbarkeit ausüben wolle.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist nicht zulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist.

Angesichts der Feststellungen der Vorinstanzen bestehen keine Bedenken dagegen, dass der fragliche Platz in Gemeingebrauch stand, wobei ein solcher nicht nur durch Ersitzung, sondern auch durch entsprechende - auch nur stillschweigende - Widmung durch den Liegenschaftseigentümer begründet werden kann (vgl dazu nur RIS-Justiz RS0009784; Eccher in KBB3 §§ 287-288 Rz 5). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wurde der Platz doch von der Beklagten schon seit mehr als 40 Jahren als für jedermann zugänglich zur Verfügung gestellt, wobei dort sowohl gegangen als auch mit Fahrzeugen zugefahren und geparkt werden konnte.

Ganz zutreffend hat das Berufungsgericht auch auf die herrschende Rechtsprechung hingewiesen, wonach eine Dienstbarkeit an einer im Gemeingebrauch stehenden fremden Liegenschaft auch bei deren redlicher Benützung nur erworben werden kann, wenn die Benützung außerhalb des Gemeingebrauchs erfolgt bzw über diesen hinausgeht und für den Liegenschaftseigentümer zudem erkennbar ist, dass ein vom Gemeingebrauch verschiedenes eigenes Privatrecht in Anspruch genommen wird (RIS-Justiz RS0009785; RS0009762). Ob eine solche - über den Gemeingebrauch hinausgehende - Rechtsausübung für den betroffenen Liegenschaftseigentümer erkennbar ist, hängt stets von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich damit regelmäßig einer Qualifikation als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Davon, dass die Auffassung des Berufungsgerichts, eine „Sonderstellung“ der Klägerin (als Eigentümerin der benachbarten Liegenschaft) sei für die Organe der Beklagten nicht erkennbar gewesen, als unvertretbare Fehlbeurteilung zu qualifizieren wäre, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, kann keine Rede sein.

Soweit die Revisionswerberin die Auffassung vertritt, auch bei bloßer Ausübung des Gemeingebrauchs hätte ihrem Urteilsbegehren jedenfalls im Umfang des Fahrens und Gehens stattgegeben werden müssen, übersieht sie offenbar, dass sie nicht etwa die Duldung bestimmter Nutzungen begehrt, sondern ausdrücklich die Feststellung des Bestehens von (Grund-)Dienstbarkeiten angestrebt hat. Ein Duldungsbegehren ist auch keineswegs als bloßes Minus zu einem (unberechtigten) Feststellungsbegehren anzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E95806

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00188.10V.1123.000

Im RIS seit

28.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

07.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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