TE OGH 2010/11/30 10Ob74/10w

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Veröffentlicht am 30.11.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj A*****, geboren am 19. Dezember 1992, und der mj F*****, geboren am 2. April 1994, vertreten durch das Land Vorarlberg als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, Klaudiastraße 2, 6850 Dornbirn), über den Revisionsrekurs der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 22. Juli 2010, GZ 3 R 243/10y, 3 R 244/10w-67, womit infolge Rekurses der Kinder die Beschlüsse des Bezirksgerichts Dornbirn vom 2. Juni 2010, GZ 9 PU 172/09m-55 und -56, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs der Kinder wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die am 19. Dezember 1992 geborene A***** und die am 2. April 1994 geborene F***** sind die ehelichen Töchter von S***** und G*****. Die Ehe der Eltern ist geschieden; die beiden Kinder sind in Pflege und Erziehung der Mutter.

Mit Beschlüssen des Erstgerichts vom 28. 11. 2008 wurden den beiden Kindern auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG weiter gewährt, und zwar für A***** für die Zeit vom 1. 2. 2009 bis 31. 12. 2010 und für F***** für die Zeit vom 1. 2. 2009 bis 31. 1. 2012, jeweils in der Höhe von 140 EUR monatlich (ON 38 und 39). Der für A***** gewährte Unterhaltsvorschuss wurde mit Beschluss vom 23. 6. 2009 im Hinblick auf ein ab 10. 3. 2009 erzieltes Arbeitseinkommen mit Ablauf des 31. 3. 2009 auf 125 EUR monatlich herabgesetzt (ON 43).

Am 11. 2. 2010 teilte der Jugendwohlfahrtsträger dem Erstgericht mit, dass der Vater laut Auskunft der Liechtensteinischen Alters- und Hinterlassenenversicherung rückwirkend ab 1. 10. 2008 eine monatliche Rente von 2.210 SFR, ab 1. 1. 2009 in Höhe von 2.280 SFR erhalte; den Kindern stehe für die Zeit ab 1. 10. 2008 jeweils eine Kinderrente von 442 SFR monatlich, ab 1. 1. 2009 in Höhe von 456 SFR monatlich zu (ON 48 und 49). Die Nachzahlung der für die Zeit vom 1. 10. 2008 bis 31. 3. 2010 gebührenden Kinderrente ging am 13. 4. 2010 auf dem Konto der Mutter ein (ON 54).

Das Erstgericht stellte daraufhin mit Beschlüssen vom 2. 6. 2010 die den Kindern gewährten Unterhaltsvorschüsse rückwirkend mit Ablauf des 30. 9. 2008 ein (ON 55 und 56).

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kinder nicht Folge. Fraglich sei allein, ob die Rentenzahlungen als Unterhaltsleistungen des Vaters zu werten seien (und ihn damit von seiner Unterhaltspflicht im Umfang der Leistung entlasten) oder ob es sich bei den Rentenzahlungen - dem Standpunkt der Kinder entsprechend - um Eigeneinkommen der Kinder handle, das zwar bei der Unterhaltsbemessung (nach der von der Rechtsprechung entwickelten einschlägigen) Formel zu berücksichtigen sei, jedoch zu keiner vollen Entlastung des Vaters führe.

Entscheidend dafür, ob es sich bei von einem Kind bezogenen Leistungen um „eigene Einkünfte“ iSd § 140 Abs 3 ABGB handle, sei mangels ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung der Zweck der jeweiligen Leistung. Der Anspruch auf Kinderrente sei ein Anspruch des Vaters, wobei die Auszahlung unter bestimmten Voraussetzungen an die Kinder erfolge. Somit liege - wie bei einer zur Schweizer Invalidenrente ausgezahlten Kinderrente (6 Ob 223/06x) - der Zweck darin, den Unterhaltspflichtigen im Ausmaß der Leistung von seiner Unterhaltspflicht zu entlasten. Dies führe dazu, dass der Unterhalt beider Kinder ab dem 1. 10. 2008 zur Gänze durch die Rentenzahlungen gedeckt sei, weshalb die Voraussetzungen für eine rückwirkende Einstellung der Vorschüsse nach § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG ab 1. 10. 2008 zu bejahen seien.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Entscheidung zur Frage ergangen sei, ob eine aus der Liechtensteinischen Alters- und Hinterlassenenversicherung an die Mutter ausgezahlte Kinderrente in diesem Umfang den Vater von seiner Unterhaltspflicht entlaste oder ob die Leistung als Eigeneinkommen des Kindes zu werten sei, die den Vater nur teilweise entlaste, weil das Eigeneinkommen auch dem betreuenden Elternteil zugute komme. Eine höchstgerichtliche Klarstellung sei auch im Hinblick auf die Entscheidung 9 Ob 222/02s angebracht, in der angedeutet worden sei, dass eine aus der Liechtensteinischen Alters- und Hinterlassenenversicherung bezogene Kinderrente als Eigeneinkommen des Kindes zu werten sei.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Kinder mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer ersatzlosen Aufhebung der erstinstanzlichen Einstellungsbeschlüsse.

Die übrigen Verfahrensparteien haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

In ihren Rechtsmittelausführungen wiederholen die Kinder ihren Standpunkt, dass es sich bei der an sie ausgezahlten Kinderrente um Eigeneinkommen handle, zumal der rentenberechtigte Elternteil nicht über die Leistung verfügen könne. In Bezug auf österreichische Waisenversorgungsleistungen habe die Judikatur klargestellt, dass es sich dabei um Eigeneinkommen des Kindes und nicht um eine den Unterhaltsanspruch nicht berührende Drittleistung handle. Gleiches gelte für Familienzulagen für EG-Beamte.

Dazu wurde erwogen:

Grundsätzlich kann auf die zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichts verwiesen werden (§ 71 Abs 3 Satz 2 AußStrG).

Nach Art 78 Abs 2 des Liechtensteinischen Gesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) in der durch LGBl 1996/192 novellierten Fassung werden Kinderrenten zusammen mit der entsprechenden Altersrente an die rentenberechtigte Person ausbezahlt. Die Regierung kann abweichende Vorschriften über die Auszahlung von Kinderrenten für Kinder aus getrennter oder geschiedener Ehe erlassen. Von dieser Ermächtigung macht Art 99 Abs 4 der Verordnung zum Gesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV) Gebrauch. Demnach ist die Kinderrente auf Antrag dem nicht rentenberechtigten Elternteil auszuzahlen, wenn die Eltern des Kindes nicht oder nicht mehr miteinander verheiratet sind (oder getrennt leben), die elterliche Sorge über das Kind dem nicht rentenberechtigten Elternteil zusteht und das Kind bei diesem wohnt. Gemäß § 99 Abs 5 AHVV gilt Abs 4 auch für die Nachzahlung von Kinderrenten. Kann der rentenberechtigte Elternteil nachweisen, dass er die behördlich festgesetzte Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind erfüllt hat, so steht ihm die Nachzahlung zu, höchstens jedoch im Umfang der monatlich als Unterhaltspflicht erbrachten Leistungen.

Dem Rekursgericht ist zuzustimmen, dass angesichts dieser Gesetzeslage der Anspruch auf Kinderrente beim Rentenberechtigten verbleibt, aber unter bestimmten Umständen die Auszahlung direkt an die Person erfolgt, bei der das Kind wohnt. Auch die Nachzahlung steht dem Rentenberechtigten selbst zu, sofern er für den maßgeblichen Zeitraum die Erbringung des Unterhalts nachweist. Insoweit stimmt die Entscheidung des Rekursgerichts auch mit der zu einer Kinderrente aus der Eidgenössischen Invalidenversicherung ergangenen Entscheidung 6 Ob 223/06x überein, die in der Literatur zum Teil missverständlich interpretiert wurde (Gitschthaler, Unterhaltsrecht2 [2008] Rz 342 Anm 6, und Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht5 [2010] 135, verstehen sie so, dass die Leistung als Eigeneinkommen des Kindes zu werten ist).

Unmittelbar an den mit der Pflege und Erziehung des Kindes betrauten Elternteil ausbezahlte Familienzulagen zu Dienstbezügen von EU-Beamten hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 508/94 (RIS-Justiz RS0047401) noch als Eigeneinkommen des Kindes (§ 140 Abs 3 ABGB) gewertet, ist von dieser Ansicht aber in der Entscheidung 3 Ob 216/00m (RIS-Justiz RS0115325) inhaltlich abgerückt. In der Entscheidung 9 Ob 222/02s, nach der einiges für die Rechtsauffassung spreche, dass eine von einem Kind aus Liechtenstein bezogene Kinderrente als Eigeneinkommen zu beurteilen sei, war die Frage letztlich nicht entscheidungsrelevant.

Dass Leistungen dieser Art nicht als Eigeneinkommen des Kindes zählen sollen, liegt schon deshalb nahe, weil die Person des Zahlungsempfängers nicht entscheidend dafür sein kann, auf welche Art der Unterhaltsanspruch des Kindes berechnet wird. Vielmehr ist in Übereinstimmung mit dem Rekursgericht davon auszugehen, dass mit der Auszahlung der Kinderrente an die Mutter die Unterhaltspflicht des Vaters erfüllt wird.

Aus dem im Revisionsrekurs angestellten Vergleich mit Waisenversorgungs- bzw -pensionsleistungen ist für die Kinder nichts zu gewinnen: Zum einen besteht auf diese Hinterbliebenenleistungen eindeutig ein Anspruch des Kindes (siehe beispielsweise § 260 ASVG und § 17 Pensionsgesetz). Zum anderen tritt die Hinterbliebenenleistung an die Stelle der durch den Tod des Verpflichteten entgehenden Unterhaltsleistung, sodass eine ganz andere Konstellation gegeben ist als im vorliegenden Fall: Die hier fragliche Leistung ist vielmehr einem Kinderzuschuss (vgl § 262 ASVG und § 25 Pensionsgesetz) vergleichbar, nicht aber einer Waisenpension bzw einer Waisenversorgungsleistung.

Somit ist dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

Schlagworte

Gruppe: Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht,Unterhaltsrecht

Textnummer

E96016

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00074.10W.1130.000

Im RIS seit

04.02.2011

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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