TE OGH 2010/12/17 6Ob221/10h

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Veröffentlicht am 17.12.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. D***** T*****, vertreten durch Christiandl Rechtsanwalt GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 9.811,21 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 26. Juli 2010, GZ 6 R 170/10d-19, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 28. März 2010, GZ 4 C 687/09b-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die beklagte Partei verfügt über die Gewerbeberechtigung für das Versicherungsmaklergeschäft und für Vermögensberatung. Der Geschäftsführer besuchte die Pflichtschule, schloss die dreijährige landwirtschaftliche Lehre und die Lehre zum Versicherungskaufmann ab. Im Bereich Kapitalmarkt-Finanzdienstleistung hat er keine Ausbildung, besuchte aber regelmäßig Ausbildungsveranstaltungen von AvW.

Im Jahr 2003 teilte die Klägerin dem Geschäftsführer der beklagten Partei mit, dass sie nur unter der Bedingung einer Kapitalgarantie und einer jederzeitigen Verfügbarkeit des investierten Kapitals eine Investition tätigen möchte. Daraufhin schlug der Geschäftsführer der beklagten Partei der Klägerin den Ankauf von Auer von Welsbach-Genussscheinen vor und versicherte ihr eine mindestens gleich sichere Veranlagung wie ein Sparbuch oder Wohnbau-Anleihen sowie die jederzeitige Verfügbarkeit. Am 30. 6. 2003 unterschrieb die Klägerin ein unausgefülltes Anlegerprofil; das Ausfüllen überließ sie dem Geschäftsführer der beklagten Partei. Der Klägerin war nicht bekannt, dass es sich bei dem Formular um ein Anlegerprofil handelte. Der Geschäftsführer der beklagten Partei füllte das Formular ohne Vergewisserung der Richtigkeit und ohne Rücksprache mit der Klägerin aus. Entgegen den im Formular gemachten Angaben war die Klägerin weder bereit, Wertschwankungen zu akzeptieren, noch verfügte sie über Kenntnisse und Erfahrungen mit Wertpapieren. Außerdem war der Veranlagungshorizont mit „mittel- bis langfristig“ unrichtig angegeben. Der Geschäftsführer der beklagten Partei klärte die Klägerin nicht über das konkrete Wertpapierrisiko auf. Die Klägerin erhielt auch nicht das Informationsblatt über die Rechte und Pflichten der AvW Invest AG-Berater. Vielmehr ging die Klägerin davon aus, dass die erworbenen Wertpapiere ihren geäußerten Bedingungen entsprechen. In den Jahren 2003 bis 2006 erwarb die Klägerin AvW-Genussscheine im Wert von 9.811,21 EUR. Wiederholt erhielt die Klägerin Informationsblätter von AvW, anhand deren der Geschäftsführer der beklagten Partei ihr erklärte, wie sicher das von ihr getätigte Investment sei. Im September 2008 empfahl ihr der Geschäftsführer der beklagten Partei, die Wertpapiere zu verkaufen. Im Oktober 2008 erklärte er ihr, dass ein Verkauf derzeit nicht durchführbar wäre und dass sie zuwarten solle. Im Oktober 2008 erfuhr die Klägerin über Zeitungsberichte, dass es keine Kapitalgarantie gebe und das Kapital nicht jederzeit verfügbar sei.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für sämtliche Schäden, die ihr im Zusammenhang mit dem massiven Wertverlust von fünf Auer von Welsbach-Genussscheinen entstanden seien.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die beklagte Partei habe gegen die Wohlverhaltensregeln der §§ 13 bis 15 WAG idF BGBl 1996/753 verstoßen. Da die Klägerin erst im Oktober 2008 Kenntnis vom eingetretenen Schaden erlangt habe, sei keine Verjährung ihrer Schadenersatzansprüche eingetreten. Die beklagte Partei müsse sich das Fehlverhalten ihres Anlageberaters zurechnen lassen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Geltungsbereich der Wohlverhaltensregeln der §§ 13 f WAG aF erstrecke sich auf alle im § 11 WAG aF genannten Rechtsträger und daher auch auf die beklagte Partei, die über eine kleine Vermögensberatungs-Gewerbeberechtigung verfüge.

Nachträglich ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass keine gesicherte Rechtsprechung zur Frage der Anwendbarkeit der Wohlverhaltensregeln des § 38 WAG neu auf juristische oder natürliche Personen, die keine Rechtsträger iSd § 15 WAG neu seien, vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Vorauszuschicken ist, dass die Auffassung der Vorinstanzen, wonach im vorliegenden Fall das WAG idF BGBl 1996/753 anzuwenden ist, nicht zu beanstanden ist. Die hier zu beurteilenden Beratungstätigkeiten wurden durchwegs vor Inkrafttreten des WAG 2007 am 1. 11. 2007 vorgenommen. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage ist daher präjudiziell (RIS-Justiz RS0088931).

2.1. Die Revisionswerberin behauptet unter Hinweis auf Schenk/Linder (Anwendung der Wohlverhaltensregeln bei Veranlagungen, ecolex 2008, 4) die mangelnde Anwendbarkeit der Wohlverhaltensregeln der §§ 12 bis 18 WAG aF. Der persönliche Anwendungsbereich des § 11 WAG aF sei teleologisch dahin einzuschränken, dass die Wohlverhaltensregeln für Rechtsträger mit kleinen Vermögensberatungs-Gewerbeberechtigungen keine Geltung hätten, weil das Schutzbedürfnis für den Anleger hier nachlasse.

2.2. Dem kann nicht gefolgt werden. Nach dem klaren und eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 11 Abs 2 WAG aF sind die Wohlverhaltensregeln auf alle Personen anwendbar, die Dienstleistungen iSd § 11 Abs 1 Z 1 bis 3 WAG aF gewerblich erbringen. § 9 WAG aF nimmt lediglich bestimmte Einrichtungen wie die Oesterreichische Nationalbank aus dem Anwendungsbereich des II. Abschnitts des WAG aus. Die Gesetzesmaterialien weisen ausdrücklich darauf hin, dass aus Gründen des Anlegerschutzes und der Wettbewerbsgleichheit auch solche Unternehmen erfasst seien, die an sich keiner Konzessions- oder Aufsichtspflicht unterliegen. Die von der Revisionswerberin angestellten Überlegungen, dass bei kleinen, weniger organisierten Rechtsträgern das Schutzbedürfnis für den Anleger nachlasse, vermögen nicht zu überzeugen, richtet sich doch der Informations- und Beratungsbedarf des einzelnen Anlegers nicht nach der Größe des gewerblichen Dienstleisters. Im Übrigen betonen auch Schenk/Linder (aaO 5), dass es aus Sicht des Anlegers keinen Unterschied machen kann, ob ein Kreditinstitut, eine Wertpapierfirma oder ein gewerblicher Vermögensberater oder ein sonstiger Vertriebspartner eine Veranlagung vermittle, weil in allen Fällen ein vergleichbarer Informations- und Beratungsbedarf bestehe. Schenk/Linder (aaO) befassen sich ua lediglich mit der Frage, ob § 38 WAG 2007 und damit die Wohlverhaltensregeln auch für juristische oder natürliche Personen anwendbar sind, die keine Rechtsträger iSd § 15 Abs 1 WAG sind, sofern sie Handel oder Vermittlung von Veranlagungen iSd § 1 Abs 1 Z 3 KMG betreiben. Sie gelangen dabei zur Auffassung, dass entsprechend der bisherigen - und im vorliegenden Fall anwendbaren - Rechtslage die Wohlverhaltensregeln auf alle Personen anwendbar sind, die Dienstleistungen im Zusammenhang mit Veranlagungen erbracht haben.

2.3. Aufgrund der eindeutigen und klaren Regelung des § 11 WAG aF fällt die beklagte Partei in dessen persönlichen Anwendungsbereich, sodass die Wohlverhaltensregeln anzuwenden sind. Der sachliche Anwendungsbereich dieser Bestimmung wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen. Im Übrigen wäre das Verhalten der beklagten Partei, die nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht nur das Anlegerprofil massiv unrichtig ausfüllte, sondern auch grob unrichtig und unvollständig beriet, auch bei Nichtanwendbarkeit des § 11 WAG aF als sorgfaltswidrig einzustufen. Damit ist die Rechtslage aber derart eindeutig, dass trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0042656).

3. Die Frage des Beginns der Verjährungsfrist bei Schadenersatzansprüchen kann grundsätzlich nur für den jeweiligen Einzelfall beantwortet werden (RIS-Justiz RS0034327 [T23], RS0113916). Die Ausführungen der beklagten Partei, wonach der Klägerin spätestens seit 2005 der Eintritt des Schadens hätte bewusst sein müssen, entfernen sich vom festgestellten Sachverhalt. Nach den Urteilsfeststellungen erklärte vielmehr der Geschäftsführer der beklagten Partei der Klägerin immer wieder, wie sicher das von ihr getätigte Investment sei (vgl auch 6 Ob 103/08b).

4. Zusammenfassend bringt die beklagte Partei daher keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E95979

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00221.10H.1217.000

Im RIS seit

18.01.2011

Zuletzt aktualisiert am

26.02.2016
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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