TE OGH 2011/4/21 30R18/11d

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Veröffentlicht am 21.04.2011
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Pöschl als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichts Dr. Hinger und Mag. Guggenbichler in der Rechtssache der klagenden Partei W***** G*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B*****, wegen EUR 165.150,68 sA über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 21.3.2011, 40 Cg 18/11i-2, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

1. Die Klägerin nimmt die Beklagte mit dem Argument in Anspruch, sie sei von der Gründung der „O*****“ Bau GmbH (Eintragung im Firmenbuch am 8.9.2005) bis zum 14.7.2006 handelsrechtliche Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin dieser GmbH gewesen. Danach sei sie gewerberechtliche Geschäftsführerin sowie „faktische Geschäftsführerin“ gewesen. Nach dem 14.7.2006 sei M***** Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der „O*****“ Bau GmbH gewesen.

Am 23.4.2007 sei über das Vermögen der „O*****“ Bau GmbH der Konkurs eröffnet worden. Am 13.12.2007 sei der Konkurs aufgehoben und die Firma danach gelöscht worden.

Während der alleinigen Geschäftsführung durch M***** seien Dienstnehmer der „O*****“ Bau GmbH zur Sozialversicherung angemeldet worden, ohne dass die GmbH die entsprechenden Beiträge hätte leisten können oder leisten wollen.

Die Beklagte hafte für dieses Vorgehen und für die der Klägerin dadurch entgangenen Sozialversicherungsbeiträge deliktisch.

2. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Klage zurück und führte dazu aus, die Beklagte gehöre nicht zum Kreis der in § 51 Abs 1 Z 6 JN genannten Personen, sodass das angerufene Handelsgericht Wien nicht zuständig sei.

3. Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin (verbunden mit einem Eventualantrag auf Überweisung der Rechtssache an das Landesgericht für ZRS Wien), in dem unrichtige rechtliche Beurteilung (auch durch sekundäre Feststellungsmängel) geltend gemacht und beantragt wird, den Beschluss aufzuheben und das Erstgericht für sachlich zuständig zu erklären. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

4. Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Die Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN wirkt hier nicht, weil das Erstgericht die Klage vor Streitanhängigkeit zurückgewiesen hat.

Die Zuständigkeit ist auf Grund der tatsächlichen Angaben der Klägerin zu prüfen.

Dabei kommt es darauf an, ob die Funktion als gewerberechtliche Geschäftsführerin und als „faktische Geschäftsführerin“ unter die Aufzählung des § 51 Abs 1 Z 6 JN fällt. Für eine gewerberechtliche Geschäftsführerin kommt dabei nur der Begriff „Mitglied der Verwaltung“ in Betracht. Soweit das Rekursgericht dies überblicken kann, fehlt dazu bisher Rechtsprechung.

Simotta in Fasching2 I § 51 JN Rz 99 führt dazu aus, dass damit alle Klagen gegen Vorstand und Aufsichtsrat einer Gesellschaft, gegen ihre geschäftsführenden Gesellschafter, gegen die Geschäftsführer „uä“ gemeint sind.

Der in § 51 Abs 1 Z 6 JN genannte Personenkreis ist nicht präzise nach einzelnen gesellschaftsrechtlichen Positionen, sondern durch die Verwendung des Begriffs „Mitglied der Verwaltung“ offen beschrieben und daher einer teleologischen Interpretation zugänglich, die sich davon leiten lässt, dass § 51 Abs 1 Z 6 JN eine Spezialzuständigkeit der Kausalgerichte für alle Ansprüche aus der Geschäftstätigkeit einer Handelsgesellschaft schafft.

Unabhängig von der materiellrechtlichen Frage, ob die Beklagte im konkreten Fall haftbar gemacht werden kann, ist allerdings festzuhalten, dass sie als gewerberechtliche Geschäftsführerin gemäß § 39 Abs 1 GewO dem Gewerbeinhaber für die fachlich einwandfreie Ausübung des Gewerbes und der Behörde für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften verantwortlich ist. Der gewerberechtliche Geschäftsführer muss den für die Ausübung des Gewerbes vorgeschriebenen persönlichen Voraussetzungen entsprechen und in der Lage sein, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen, insbesondere eine entsprechende selbstverantwortliche Anordnungsbefugnis besitzen.

Der allgemeine Begriff „Verwaltung“ rechtfertigt nicht, als „Mitglied der Verwaltung“ jedenfalls nur den handelsrechtlichen Geschäftsführer, nicht aber einen gewerberechtlichen Geschäftsführer anzusehen. Die nach § 39 GewO mit der Funktion des gewerberechtlichen Geschäftsführers verbundene Verantwortung lässt zu, diesen zumindest mit Blick auf die Zuständigkeitsfrage nach § 51 Abs 1 Z 6 JN als „Mitglied der Verwaltung“ anzusehen.

Wiederholt ist darauf hinzuweisen, dass dadurch die Frage der inhaltlichen Haftung der Beklagten für die behauptete Schadenszufügung nicht präjudiziert ist.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO. Das Rekursverfahren nach einer a limine-Zurückweisung der Klage ist kein Zwischenstreit (Klauser/Kodek16 § 52 ZPO E 3; Obermaier, Kostenhandbuch2 Rz 299).

6. Da der Kläger durch diese Entscheidung keine Beschwer hat und die Beklagten am Verfahren bisher nicht beteiligt sind, kommt ein Revisionsrekurs aus anderen als den in § 528 ZPO genannten Gründen nicht in Betracht (JB 61 neu = SZ 27/290; vgl auch 1 Ob 31/84).

Textnummer

EW0000501

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2011:03000R00018.11D.0421.000

Im RIS seit

25.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

25.05.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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