TE OGH 2011/4/26 8Ob151/10d

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Veröffentlicht am 26.04.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof.-Dr. Kuras sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Günther P*****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 7.144,46 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2010, GZ 60 R 51/10w-19, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 12. April 2010, GZ 6 Cg 862/09x-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 560,59 EUR (darin 92,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Begründung dieses Beschlusses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Das Erstgericht gab der auf Aufhebung des zwischen den Streitteilen geschlossenen Kommissions- und Kaufvertrags betreffend Zertifikate der M***** Ltd Folge und verurteilte die beklagte Bank zur Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückstellung der Wertpapiere. Die Klägerin habe sich bei Vertragsabschluss in einem von der Beklagten veranlassten Geschäftsirrtum über wesentliche Eigenschaften der erworbenen Zertifikate befunden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in mehreren Entscheidungen mit im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalten befasst. Regelmäßig ging es darum, dass Privatanleger ohne besondere Erfahrung beim Erwerb von Einzelaktien aufgrund der von der beklagten Partei mit zu verantwortenden Werbebroschüre Wertpapiere (hier: M*****-Zertifikate) erwarben und die Beklagte die Aufträge der Kläger zum Ankauf der Zertifikate als Kommissionär durch Selbsteintritt ausführte (4 Ob 65/10b, ecolex 2010/350 [Wilhelm]; 8 Ob 25/10z). Den Irrtumsanfechtungsklagen der Anleger wurde Folge gegeben. Zuletzt hat der Oberste Gerichtshof in mehreren vergleichbaren Fällen die Revision der beklagten Partei zurückgewiesen (10 Ob 10/11k, 6 Ob 18/11g, 4 Ob 190/10k und 5 Ob 222/10y).

Die einleitend genannten Entscheidungen fanden überwiegend auch Zustimmung im Schrifttum (ecolex 2010/380 [Wilhelm]; Riedler, Schadenersatzpflicht irregeführter Anleger?, ecolex 2011, 194; Graf, Zur Schadenersatzhaftung des schuldhaft Irrenden ecolex 2010, 1131; Pletzer, Zur Irrtumsanfechtung von Vermögensanlagegeschäften, ZFR 2011, 25; Leupold/Ramharter, Ausgewählte Aspekte der Irrtumsanfechtung beim Wertpapierkauf, Anmerkungen zu OGH 4 Ob 65/10b und 8 Ob 25/10z [„M-Bank“], ÖJZ 2011/14, 107; Vonkilch, Von Geschäftsirrtümern und Sollbeschaffenheiten beim Wertpapierkauf, irrtumsrechtlichen Kausalitätsbeweisen und Mitverantwortlichkeiten von Irrenden, JBl 2011, 2).

Die Auffassung der Vorinstanzen, wonach es sich beim festgestellten Irrtum des Klägers nicht um einen unbeachtlichen Motivirrtum, sondern um einen Geschäftsirrtum über das Risiko der gezeichneten Anlage handelte, entspricht den vom Obersten Gerichtshof in den zitierten Entscheidungen ausgesprochenen Grundsätzen.

Ergänzend ist zu bemerken, dass der erkennende Senat in der grundlegenden Entscheidung zu 8 Ob 25/10z auch auf die Bedeutung der mangelnden Aufklärung im Werbeprospekt der Beklagten hinsichtlich des Umstands, dass bloß „Zertifikate“ und keine Aktien erworben wurden, hingewiesen hat. Die Beklagte macht nun die Bedeutung dieses Umstands besonders deutlich, wenn sie sich selbst darauf stützt (AS 48), dass der vom Kläger behauptete Rückkauf der Aktien durch die M***** und die Beauftragung der Beklagten samt der damit eingetretenen „Kapitalausschüttung“ nach dem auf diese „Zertifikate“ zur Anwendung kommenden Recht unbeschränkt zulässig wären (vgl zur besonderen Bedeutung der Beschränkungen beim Erwerb eigener Aktien auch für den Gesellschafterschutz Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht, 874 ff uva). Damit kann aber schon im Ansatz nicht davon ausgegangen werden, dass - wie die Beklagte ausführt - hier bloß ein der beklagten Bank nicht zurechenbares späteres Fehlverhalten des Managements vorgelegen wäre. Vielmehr handelt es sich um eine Eigenschaft des „Zertifikats“ (vgl dazu auch Schauer, Zertifikat statt Aktien: Das Aliud als Ausweg?, RdW 2011/8, 3), die für das Risiko bei der Veranlagung durchaus relevant ist. Insgesamt kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass sich die veräußerten Wertpapiere in einer anderen „Risikoklasse“ befanden, als den Anlegern in den Verkaufsbroschüren der Beklagten vermittelt wurde. Hat die Verkaufsbroschüre doch in ganz besonders hohem Ausmaß die Sicherheit und die 150-jährige unternehmerische Tradition des Namens der „Aktien“ - und der Beklagten - betont. Die Abweichung der von der Beklagten den Anlegern vermittelten Vorstellung über die Sicherheit des erworbenen Wertpapiers von der tatsächlichen Ausgestaltung des Vertragsgegenstands ist im Sinne der Vorentscheidungen als Geschäftsirrtum zu qualifizieren.

Da der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens der durch die Angaben in den Verkaufsbroschüren hervorgerufene Geschäftsirrtum ist, kommt den Überlegungen der Revision zum Lauterkeitsrecht und zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens keine Relevanz zu. Wer im Zusammenhang mit kapitalmarktbezogener Absatzförderung als „Durchschnittsverbraucher“ im Sinne von Art 5 Abs 2 lit b der RL-UGP anzusehen ist, ist für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens nicht maßgeblich. Der Senat sieht sich auch nicht veranlasst, der in der Revision enthaltenen Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof zur Auslegung der Richtlinienbestimmungen zu folgen (4 Ob 190/10k; 6 Ob 18/11g; 10 Ob 10/11k).

Da der Irrtum - auch - durch die Verkaufsbroschüre hervorgerufen wurde, kann die Beurteilung einer allenfalls zusätzlichen Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Finanzberater auf sich beruhen. Daher hat der Oberste Gerichtshof auch schon mehrfach ausgesprochen, dass die Frage, ob die beklagte Partei eine Aufklärungspflicht traf und ob das Verhalten der Finanzberater als Erfüllungsgehilfen der beklagten Partei zuzurechnen ist, nicht entscheidend ist (4 Ob 190/10k; 6 Ob 18/11g; 10 Ob 10/11k).

Der Beklagten war die Platzierung der mit ihrem Namen versehenen Zertifikate übertragen und sie war für den Verkaufsprospekt (mit-)verantwortlich. Der Kläger durfte darauf vertrauen, dass die Beklagte über die Eigenschaften ihres Produkts ausreichende Kenntnisse besitzt, dass die in den Verkaufsbroschüren enthaltenen Informationen zutreffen und dass das Produkt darin richtig und in den wesentlichen Faktoren vollständig beschrieben wird. Bei den Verkaufsbroschüren handelt es sich um keine offensichtlich verkürzte, bloß die Aufmerksamkeit weckende Werbeaussage, sondern um die für den durchschnittlichen Privatanleger verständliche und (scheinbar) vollständige Information, die den Zweck verfolgt, dem Privatanleger eine vernünftige Anlageentscheidung zu ermöglichen (10 Ob 10/11k mwN 4 Ob 65/10z). Aus diesen Gründen ist es dem Kläger nicht als Sorgfaltswidrigkeit zuzurechnen, wenn er auf den Verkaufsprospekt vertraut hat. Nur wenn Anhaltspunkte für die mangelnde Kenntnis der Beklagten über die Produkteigenschaften oder gar für unredliches Verhalten vorgelegen wären, wäre die Beischaffung weiterer Informationen (etwa des Kapitalmarktprospekts) angebracht gewesen (siehe Graf, Zur Schadenersatzhaftung des schuldhaft Irrenden, ecolex 2010, 1131, 1133). Selbst wenn man einem Anleger das Vertrauen allein auf die Verkaufsbroschüren dennoch als Sorglosigkeit anlasten wollte, träte diese Sorglosigkeit gegenüber der primär ursächlichen Fehldarstellung im Verkaufsprospekt weit zurück (siehe 8 Ob 25/10z; 10 Ob 10/11k).

Ausgehend von der bereits vorliegenden Rechtsprechung bringt die beklagte Partei keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass das Rechtsmittel der beklagten Partei spruchgemäß zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Rechtsmittel der Beklagten hingewiesen und hat daher Anspruch auf Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung.

Textnummer

E97160

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0080OB00151.10D.0426.000

Im RIS seit

16.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

07.11.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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