TE OGH 2011/5/24 14Os43/11x

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.05.2011
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vetter als Schriftführerin in der Strafsache gegen Nikolaus Z***** wegen Verbrechen nach § 3g VG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 21. Dezember 2010, GZ 34 Hv 88/10v-159, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Nikolaus Z***** - im zweiten Rechtsgang - aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen mehrerer Verbrechen nach § 3g VG schuldig erkannt.

              Danach hat er sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er

              (1) bis zum 15. November 2007 in Axams ein Schriftstück mit im Urteil im Einzelnen angeführten rassistischen, ausländerfeindlichen und nationalsozialistischen Witzen, welches zur Beeinflussung eines Interessenten- und Sympathisantenkreises im nationalsozialistischen Sinn geeignet war, mit der Intention besaß, rassistisches, ausländerfeindliches und nationalsozialistisches Gedankengut zu verbreiten;

              (2) im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den gesondert verfolgten Benjamin S***** und Markus F***** zwischen Juli 2007 und November 2007 einen auf die Verbreitung nationalsozialistisch-propagandistischen Gedankenguts, nämlich die neonazistische und rassistische Elemente aufweisende sowie Ausländerfeindlichkeit beinhaltende Ideologie der Blood&Honour-Bewegung, gerichteten Clubs in Zirl zur Schaffung eines Rahmens, innerhalb dessen Gleichgesinnte ohne Gefahr der Entdeckung zusammentreffen und rechtsextreme, verhetzende und nationalsozialistisch-propagandistische Musik mit im Urteil im Einzelnen angeführten Texten hören und ebensolche Symbole wie Zeigen des Hitlergrußes, Aufhängen von „Combat 18“-Plakaten, Fahnen mit Keltenkreuz und Odalrunen als Hakenkreuzersatz zur Schau stellen konnten, gründete und betrieb, sich bereit erklärte, den von Günther P***** für die Clubgründung aufgenommenen Kredit in der im Urteil näher bezeichneten Höhe und Weise zurückzuzahlen, Getränke einkaufte, Putzdienste verrichtete, auch im Besitz eines Schlüssels zum Clublokal war und gemeinsam mit Markus F***** dafür sorgte, dass Musiktitel mit rassistischen, rechtsradikalen und neonationalsozialistischen Inhalten nicht nach außen drangen, wobei er die Eingangstür verschloss.

              Die gegen diese Schuldsprüche aus den Z 5, 8, 9, 10a, 11 lit a, 11 lit b und 13 des § 345 Abs 1 StPO gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

              Mit Verfahrens- (Z 5) und Tatsachenrüge (Z 10a) macht der Beschwerdeführer unter Hinweis auf eine Entscheidung des EGMR (16. 11. 2010 [Große Kammer], Nr 926/05, Taxquet gg Belgien = NL 2010, 350) und mit (unbeachtlicher und im Übrigen auch unpräziser - vgl nur Lohsing/Serini, Strafprozessrecht4, 438 f) rechtshistorischer Argumentation eine Verletzung des Art 6 MRK geltend, weil Urteile im geschworenengerichtlichen Verfahren mangels Begründung im Instanzenweg nicht überprüfbar seien und die geltende Strafprozessordnung anders als die StPO 1873 kein (nichtigkeitsbewehrtes) Beweisresümee des Vorsitzenden vorsehe. Indem er sich dabei weder auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag (Z 5) beruft, noch erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen aufzeigt und - unter dem Aspekt einer Aufklärungsrüge - auch nicht behauptet, an irgendeiner Antragstellung gehindert gewesen zu sein (Z 10a), verfehlt er die Anfechtungskategorien der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zur Gänze.

              Zur behaupteten Verfassungswidrigkeit des § 345 Abs 1 StPO und der damit verbundenen Anregung eines Vorgehens nach Art 89 Abs 2 B-VG hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 15 Os 181/09w festgehalten, dass der (zum damaligen Entscheidungszeitpunkt noch nicht endgültig entschiedene) Fall Taxquet gg Belgien keine Grundlage für eine Befassung des Verfassungsgerichtshofs bietet. Der Oberste Gerichtshof findet umso weniger Anlass, von dieser Auffassung abzugehen, als die Strafprozessordnung sämtliche der (nunmehr) von der Großen Kammer des EGMR beispielhaft geforderten Verfahrenssicherheiten, nämlich die Rechtsbelehrung oder Anleitung der Geschworenen durch den vorsitzenden Richter oder die Stellung präziser, eindeutiger Fragen, die ein Gerüst schaffen, auf welches der Schuldspruch gestützt wird (EGMR 16. 11. 2010 [Große Kammer], Nr 926/05, Taxquet gegen Belgien [Z 92] = NL 2010, 350), enthält und § 345 Abs 1 StPO als effektive Rechtsschutznorm die Einhaltung dieser Garantien sichert.

              Die das Fehlen von Erläuterungen zum normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ behauptende Instruktionsrüge (Z 8) nimmt nicht an der den Geschworenen tatsächlich erteilten Rechtsbelehrung (insb S 6 ff der Rechtsbelehrung in ON 158a) Maß und gelangt daher nicht prozessförmig zur Darstellung (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65).

Nichtigkeit aus Z 9 des § 345 Abs 1 StPO liegt vor, wenn die Antwort der Geschworenen auf die gestellten Fragen - also der Wahrspruch (maW die Feststellungsebene) - undeutlich, unvollständig oder in sich widersprechend ist, wenn also trotz undeutlicher oder widersprüchlicher Feststellungen oder fehlender Antworten zu entscheidenden Tatsachen den Geschworenen die Verbesserung des solcherart mangelhaften Wahrspruchs nicht aufgetragen wurde oder der Auftrag ohne Erfolg blieb (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 69).

              Weshalb die - der Fragestellung entsprechende - beispielsweise („z.B.“) Aufzählung der Inhalte der in dem verfahrensgegenständlichen Schriftstück zitierten rassistischen, ausländerfeindlichen und nationalsozialistischen Witze (anstelle der geforderten „taxativen“) in der Antwort der Geschworenen den Wahrspruch zur Hauptfrage 1 undeutlich machen sollte, erklärt die Beschwerde nicht.

              Sofern mit diesem Vorbringen Mängel der Fragestellung (Z 6) behauptet werden sollen, wird eine Verletzung der in §§ 312 bis 317 StPO enthaltenen Vorschriften nicht deutlich und bestimmt genannt.

              Mit der (gleichfalls auf Z 9 gestützten) Behauptung undeutlicher Antwort der Geschworenen zur Hauptfrage 2, weil der Wahrspruch zufolge Streichung einzelner von mehreren dort angeführten Handlungen nicht erkennen lasse, „wie viele der dort beschriebenen Handlungen noch hätten entfallen müssen, um die Handlung nicht mehr als nationalsozialistisch zu qualifizieren“, und ob nicht der Entfall der gestrichenen Handlungen bereits genüge, „um den Vorwurf insgesamt nicht mehr als nationalsozialistische Betätigung zu qualifizieren“, nimmt die Rüge nicht Maß an der Gesamtheit des Verdikts (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 70 und § 281 Rz 419).

              Das daran anknüpfende Vorbringen, wonach Teile der im Wahrspruch angeführten Tatmodalitäten nicht im Sinn einer nationalsozialistischen Betätigung zu verstehen sein könnten (der Sache nach Z 11 lit a), geht schon deshalb fehl, weil die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlagen des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ - einschließlich des Bedeutungsinhalts einer Äußerung oder eines Verhaltens - auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit den Geschworenen vorbehalten ist. Bejahen diese die Schuldfrage, ist davon auszugehen, dass sie eben jene Voraussetzungen als erwiesen angenommen haben, aufgrund deren das zu beurteilende Sachverhaltselement dem normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ entspricht, sodass dessen Bejahung einer Anfechtung mit Rechts- oder Subsumtionsrüge entzogen ist (Lässig in WK² § 3g VG Rz 17; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 618).

              Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass neben Einzelhandlungen, die schon für sich als typische Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus zu erkennen sind, auch Handlungskomplexe den Tatbestand verwirklichen können, auch wenn die einzelnen Teilakte des betreffenden Gesamtverhaltens - isoliert betrachtet - noch nicht als typisch nationalsozialistisch zu beurteilen wären (RIS-Justiz RS0079948).

              Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) erschöpft sich in der bloßen Behauptung, die dem Wahrspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen ließen eine Subsumtion der den Angeklagten angelasteten Taten unter § 3g VG nicht zu, ohne jedoch methodisch vertretbar darzulegen, welche zusätzlichen Feststellungen nach Ansicht des Beschwerdeführers erforderlich gewesen wären. Solcherart verlässt sie aber prozessordnungswidrig den Anfechtungsrahmen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.

              In seiner weiteren Rüge (Z 11 lit b), die das Vorliegen eines Strafverfolgungshindernisses nach Art 54 SDÜ aufgrund der - mangels Zugehörigkeit zu einer organisierten Skinhead-Gruppe und Anhaltspunkten für ideologisch motivierte Gewaltausübung erfolgten (ON 148 S 9) - Einstellung eines in Italien gegen den Angeklagten geführten Strafverfahrens (wegen der von Art 3 Abs 3 des italienischen Gesetzes Nr 654/1975 vorgesehenen Straftat der kriminellen Vereinigung zum Zweck der Diskriminierung und/oder Gewaltausübung aus rassistischen, ethnischen, nationalistischen und/oder religiösen Gründen - ON 148) reklamiert, unterlässt der Rechtsmittelwerber jegliche Bezugnahme auf die den Gegenstand des eingestellten Verfahrens bildende Tat und erklärt solcherart nicht, warum - ausgehend von bloßer Sicherstellung des im Schuldspruch 1 genannten Schriftstücks durch die italienischen Strafverfolgungsbehörden - der inländische Strafverfolgungsanspruch wegen Tatidentität verbraucht sein soll.

              Die Sanktionsrüge (Z 13 zweiter Fall) zeigt schließlich mit dem Argument, dass die von den Geschworenen abgeurteilten (mehrfachen) Handlungen laut Schuldsprüche 1 und 2 nur ein „einziges gesamtes Betätigen“ darstellen sollen und daher Tatwiederholung (§ 33 Z 1 StGB) zu Unrecht als erschwerend angenommen worden sei, keinen Rechtsfehler auf. Denn für die Erfüllung des Verbrechens nach § 3g VG reicht bereits einmalige Betätigung im Sinn der zitierten Strafnorm aus (RIS-Justiz RS0108728).

              Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

              Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E97598

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0140OS00043.11X.0524.000

Im RIS seit

30.06.2011

Zuletzt aktualisiert am

17.03.2014
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten