TE OGH 2011/6/28 9Ob29/11x

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Veröffentlicht am 28.06.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** K*****, vertreten durch Kolarz & Augustin, Rechtsanwaltspartnerschaft in Stockerau, wider die beklagte Partei U*****, vertreten durch Dr. Ursula Heber, Rechtsanwältin in Stockerau, wegen 5.952 EUR sA sowie Immissionsunterlassung (4.000 EUR sA; Revisionsinteresse), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 25. Februar 2011, GZ 21 R 17/11i-45, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Stockerau vom 2. November 2010, GZ 2 C 135/10k-30, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 447,98 EUR (darin 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer eines auf dem Grundstück Nr *****, befindlichen Holzstadels. Dabei handelt es sich um ein im Jahr 1953 auf dem im Eigentum der Gemeinde L***** stehenden Grundstück ersichtlich gemachtes Superädifikat, an dem der Kläger im Erbweg Eigentum erlangte. Er zahlt der Gemeinde für die Nutzung des Grundstücks seit dem Jahr 1988 jährlich einen geringfügigen Betrag als Anerkennungszins (2009: 7,28 EUR jährlich), weil die Gemeinde verhindern will, dass Benützer solcher Grundstücke irgendwelche Rechte aus der Nutzung ableiten. Im Revisionsverfahren ist nicht weiter zweifelhaft, dass er das Grundstück prekaristisch benützt.

Die Beklagte ist ein im Jahr 1995 gegründeter Sportverein zur Förderung des Fußballsports, der regelmäßig Meisterschaftsspiele veranstaltet. Der von ihr benützte Fußballplatz liegt unmittelbar neben dem Stadel des Klägers auf einem ebenfalls im Eigentum der Gemeinde stehenden Grundstück. Zwischen dem östlich gelegenen Fußballtor und dem Stadl ist ein 6 m hoher Maschendrahtzaun aufgestellt, der Fehlschüsse der Spieler auf den Stadel des Klägers verhindern soll. Der Abstand des Fußballtors zum Stadel beträgt nur 18 m. Es geschieht daher oft, dass Bälle nicht nur über das Fußballtor, sondern auch über den Zaun geschossen werden und auf der dem Fußballplatz zugewandten Seite des Satteldaches des Stadels aufprallen. Dadurch werden fallweise die Tondachziegel zerschlagen. Dies hat zur Folge, dass Witterungseinflüsse wie Nässe und Sonne nicht nur unter das - vor vier Jahren neu eingedeckte - Dach eindringen, sondern dort im Holz einen Vermoderungsprozess einleiten können. Der Fußballplatz soll mit Wissen und Willen der Beklagten auch weiterhin genutzt werden.

Der Kläger begehrte von der Beklagten den Ersatz des Schadens von 5.952 EUR sA sowie, gestützt auf § 364 Abs 2 ABGB, die Unterlassung, den auf der Liegenschaft Grundstück Nr ***** befindlichen Stadel durch Immissionen fester Körper zu beeinträchtigen, insbesondere dadurch, dass von dem von der Beklagten genützten Fußballplatz auf der Liegenschaft Grundstück Nr ***** Fußbälle auf den Stadel des Klägers geschossen werden.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte - soweit revisionsgegenständlich - die fehlende Aktivlegitimation des Klägers ein, weil er das Grundstück nur gegen jederzeitigen Widerruf benütze. Auch habe die Gemeinde der Beklagten ein Recht auf Ausübung des Fußballsports eingeräumt. Sie verwende den Fußballplatz widmungsgemäß. Als Liegenschaftseigentümerin sei die Gemeinde für störende Einwirkungen verantwortlich, auch wenn diese von der Beklagten ausgingen.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Umfang von 5.204,10 EUR sA Folge und wies das Mehrbegehren (747,90 EUR sA) sowie das Unterlassungsbegehren ab. Zu letzterem führte es aus, für die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs nach § 364 Abs 2 ABGB sei neben dem Grundstückseigentümer der sonst dinglich Berechtigte und weiters der Bestandnehmer des Grundstücks aktiv legitimiert. Die Bittleihe genieße keinen Bestandschutz. Sie vermittelte dem Prekaristen keine dem Bestandnehmer vergleichbare „quasi-dingliche“ Stellung, die eine Stärkung seiner Nutzungsrechte auch gegen Eingriffe Dritter erforderlich mache (6 Ob 227/07m). Eine Annäherung der Rechtsposition des bloß prekaristisch zur Nutzung des Grundstücks Berechtigten an die eines dinglich Berechtigten sei nicht bezweckt. Der nachbarrechtliche Schutz des § 364 ABGB stehe daher nicht dem Kläger als Bittleihnehmer, sondern der Gemeinde als Eigentümerin des von ihm genutzten Grundstücks zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge, indem es auch das Unterlassungsbegehren für berechtigt erachtete. Unter Berufung auf Klete?ka/Rechberger/Zitta, Bauten auf fremdem Grund2, bejahte es die Aktivlegitimation des Klägers. Dem Eigentümer eines Superädifikats seien dieselben Rechte wie einem Grundeigentümer einzuräumen. Es sei daher unbeachtlich, ob eine prekaristische Überlassung des (unbebauten) Grundstücks seitens der Gemeinde vorliege; diese könne lediglich zur Beseitigung des Bauwerks führen. Dem Kläger als Eigentümer der Scheune müsse ein Mittel zur Abwehr von Immissionen gegen das Bauwerk gewährt werden, da es nicht sachgerecht wäre, erst eine eingetretene Beschädigung an diesem Bauwerk zu Ansprüchen, etwa auf Schadenersatz, führen zu lassen. Es müsse auch ein erweiterter Schutz gewährt werden, um Immissionen in Zukunft zu verhindern. Das Klagebegehren der Immissionsabwehrklage richte sich gegen den Eigentümer des Grundstücks, von dem die Störung ausgehe, sowie jeden, der sonst das Grundstück für eigene Zwecke benutze. Die Beklagte sei daher passiv legitimiert. Die Revision werde zugelassen, weil Rechtsprechung zur Aktivlegitimation des Eigentümers eines Superädifikats zwecks Immissionsabwehr fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist aus diesem Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Gemäß § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Unmittelbare Zuleitung ist ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig.

Zu direkten, nur auf die Eigentumssphäre des Nachbarn gerichteten Einwirkungen, die in jedem Fall, dh ohne die Einschränkungen der Wesentlichkeit und Ortsüblichkeit unzulässig sind, zählen auch grobkörperliche Immissionen wie Fußbälle (zB 4 Ob 579/95).

Die Klage nach § 364 Abs 2 ABGB ist ein Anwendungsfall der negatorischen Eigentumsklage, deren Begehren auf Unterlassung des Eingriffs gerichtet ist (RIS-Justiz RS0010526). Nach dem Wortlaut des Abs 2 steht der Untersagungsanspruch dem Liegenschaftseigentümer zu. Die Anspruchsberechtigung wird von der Rechtsprechung jedoch weiter gezogen und auch für Mit- und Wohnungseigentümer sowie für sonstige dinglich Berechtigte, soweit deren Rechte berührt sind, bejaht (Fruchtnießer: RIS-Justiz RS0010603; Fischereiberechtigte: vgl 1 Ob 2003/96g). Darüber hinaus wird auch dem Wohnungseigentumsbewerber (5 Ob 173/08i) sowie Bestandnehmern als bloß obligatorisch Nutzungsberechtigten (7 Ob 654/89 ua) der Abwehranspruch zugestanden. Die Anspruchsberechtigung letzterer wurde damit begründet, dass dem Mieter durch die Entwicklung des Bestandrechts eine Rechtsposition mit starken dinglichen Elementen zukomme und auch der Besitzschutz des § 372 ABGB, der sich nur auf dinglich Berechtigte beziehe, analog auf den Bestandnehmer angewandt werde. Dagegen wurde ein Abwehranspruch nach § 364 Abs 2 ABGB für die Ehefrau des Mieters (4 Ob 324/98w) oder den Lebensgefährten des Mieters (9 Ob 69/10b) verneint, weil diese Erwägungen auf ihre Rechtsstellung nicht zutreffen. Ebenso wurde zur Rechtsstellung eines Prekaristen ausgeführt, dass sie ihm keine dem Bestandnehmer vergleichbare „quasi-dingliche“ Stellung vermittle, die eine Stärkung seiner Nutzungsrechte auch gegen Eingriffe Dritter erforderlich mache. Seine Position könne nicht aus jener bloß relativ Berechtigter herausgehoben werden (6 Ob 227/07m zum Anspruch des die Wohnung seiner Eltern nützenden Sohnes gegen benachbarte Mieter).

Zur Frage der Aktivlegitimation des Eigentümers eines Superädifikats liegt, soweit ersichtlich, in der Literatur nur die Stellungnahme von Rechberger/Oberhammer in Klete?ka/Rechberger/Zitta, Bauten auf fremdem Grund2 (2004), 97, vor, die eine entsprechende Anwendung der §§ 364 ff, 523 ABGB für geboten erachten, und zwar „nicht erst aufgrund des Grundnutzungsverhältnisses, sondern schon wegen des Eigentums am Bauwerk“. Diese Ansicht ist zu teilen:

Superädifikate sind selbständige Bauwerke auf fremdem Grund, die in fehlender Belassungsabsicht errichtet werden (§ 435 ABGB). Sie folgen nicht dem Eigentum an der Liegenschaft, sondern sind sonderrechtsfähig. Nach herrschender Meinung gelten sie als bewegliche Sachen (zB Hinteregger in Schwimann, ABGB3 § 435 Rz 1). Es ist aber nicht zu übersehen, dass etwa die Übertragung von Rechten an Superädifikaten - nicht anders als bei nicht verbücherten Liegenschaften (§ 434 ABGB) - durch Urkundenhinterlegung nach dem UHG zu erfolgen hat, die Bestimmungen über die Zwangsversteigerung von Liegenschaften auch auf Superädifikate ausgedehnt wurden (§ 133 Abs 1 EO idF EO-Novelle 2000, BGBl I 2000/59) und Superädifikate auch im Gewährleistungsrecht (3 Ob 38/90) als unbewegliche Sachen behandelt werden (kritisch zum Superädifikat als bewegliche Sache daher etwa Forster, Ausgewählte Fragen des österreichischen Superädifikatsrechtes [1997], 173 ff; Rechberger/Graf, Das Superädifikat, immolex 2004, 260). Von der sachenrechtlichen Stellung des Eigentümers des Superädifikats zu trennen ist die schuldrechtliche Grundlage der Benutzung der Liegenschaft durch den Eigentümer des Superädifikats, für die etwa Miete, Pacht, Leihe, Prekarium oder eine Servitut in Betracht kommen (Rechberger/Oberhammer aaO Rz 60).

Richtig ist zwar, dass dem Kläger in seiner Eigenschaft als Prekarist nach der Entscheidung 6 Ob 227/07m kein Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB zustünde. Anders als in jenem Sachverhalt ist der Kläger hier aber auch Eigentümer und somit dinglich Berechtigter des Bauwerks. Zum Schutz seines Eigentums muss ihm aus den schon vom Berufungsgericht dargelegten Gründen - auf die daher verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO) - die Immissionsabwehr ermöglicht werden. Dies wird auch durch die Erwägung gestützt, dass dem Eigentümer eines Superädifikats aufgrund seines Sachbesitzes auch Besitzschutz und das Klagerecht nach § 372 ABGB zugestanden wird (1 Ob 239/51; 3 Ob 2305/96h; 3 Ob 6/96) und schon zu 7 Ob 654/89 (Aktivlegitimation für Bestandnehmer) ausgeführt wurde, dass es die praktische Gleichartigkeit der Rechts- und Interessenlage erfordere, eine zu § 372 ABGB gezogene Analogie auch auf § 364 Abs 2 ABGB auszudehnen.

Soweit in jener Entscheidung festgehalten wurde, dass die Klage nicht zum Erfolg führen kann, wenn der gemeinsame Bestandgeber dem Dritten als Bestandnehmer ein Recht eingeräumt hat, dessen Ausübung zu der Störung führt, und der Dritte dieses Recht gutgläubig erworben hat, ist darin kein Hindernis zu sehen, weil der Anspruch des Klägers hier aus seiner eigentumsrechtlichen Stellung am Bauwerk abzuleiten ist, nicht aber aus der Überlassung der Nutzung des Grundstücks durch die Gemeinde.

Bedenken dahin, ob damit ein nach § 364 Abs 2 ABGB bestehendes Recht zur Immissionsabwehr generell Eigentümern beweglicher Sachen eröffnet wird (vgl Wilhelm, ecolex 1996, 162 ff zu 3 Ob 508/93), sind nicht weiter zu verfolgen, weil sich Superädifikate trotz ihrer grundsätzlichen Einordnung als „bewegliche Sachen“ von solchen gerade dadurch unterscheiden, dass sie die Verbindung zu fremdem Grund und Boden zur notwendigen Voraussetzung haben, weshalb sie im dargelegten Umfang auch wie unbewegliche Sachen behandelt werden. Insofern trägt dies auch dem Standpunkt der Beklagten Rechnung, die den nachbarrechtlichen Schutz rein liegenschaftsbezogen sehen will. Ihrer Befürchtung, ein stattgebendes Urteil würde auch Gültigkeit nach Verbringung des Überbaus an eine andere Stelle entfalten, wodurch den Intentionen des Nachbarrechtes der Boden entzogen wäre, steht dagegen schon das nur auf das verfahrensgegenständliche Grundstück bezogene Urteilsbegehren entgegen.

Nach all dem ist daher der Ansicht zu folgen, dass dem Eigentümer eines Superädifikats schon wegen des Eigentums am Bauwerk der Rechtsschutz nach § 364 Abs 2 ABGB zuzugestehen ist.

Das weitere (vom Kläger in Abrede gestellte) Revisionsvorbringen, dass die Gemeinde zwischenzeitig mittels Abbruchbescheid die Beseitigung des Stadels betreibe und das Klagebegehren deshalb schikanös sei, entbehrt einer Grundlage im festgestellten Sachverhalt.

Der Revision der Beklagten ist danach keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E97925

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0090OB00029.11X.0628.000

Im RIS seit

17.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

18.09.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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