TE OGH 2011/8/30 10Ob59/11s

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Veröffentlicht am 30.08.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*****, vertreten durch Noll, Keider Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei R*****, Deutschland, vertreten durch Dr. Helmut Berger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt (Streitwert 215.349,76 EUR sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 1. März 2011, GZ 48 R 319/10g-81, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 19. August 2010, GZ 8 C 151/07h-75, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihrer Vertreterin die mit 2.376,90 EUR (darin enthalten 396,15 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Streitteile waren seit 7. 8. 1971 verheiratet. Der Ehe entstammen ein im Jahr 1973 geborener Sohn und eine im Jahr 1981 geborene Tochter. Der Beklagte brachte im Jahr 1986 die Scheidungsklage ein, ließ aber das Scheidungsverfahren bis zu seinem Fortsetzungsantrag im Jahr 2007 ruhen. Seit 1987 leben die Streitteile getrennt. Mit Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. 1. 2008, GZ 27 Cg 31/07p-18, wurde die Ehe der Streitteile mit dem Ausspruch des gleichteiligen Verschuldens geschieden. Den von beiden Parteien dagegen erhobenen Berufungen gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 25. 9. 2008, AZ 13 R 81/08i, keine Folge.

Mit ihrer am 25. 10. 2007 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten zuletzt die Zahlung von insgesamt 215.349,76 EUR sA an Unterhalt zuzüglich kapitalisierter Zinsen für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis einschließlich 20. 11. 2008.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete unter anderem Verwirkung und Verjährung des geltend gemachten Anspruchs sowie einen Verzicht der Klägerin auf Unterhalt ein.

Die Klägerin hielt dem entgegen, dass sie auf ihren Unterhaltsanspruch nicht verzichtet habe und eine Verjährung ihres Anspruchs gemäß § 1495 ABGB nicht eingetreten sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt. Nach seinen Rechtsausführungen beruhe der Unterhaltsanspruch der Klägerin bis zur rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens mit 20. 11. 2008 auf § 94 ABGB. Eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin liege ebensowenig vor wie ein Verzicht der Klägerin auf Unterhaltsleistungen. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin sei auch nicht verjährt, weil gemäß § 1495 ABGB die Verjährung von Ansprüchen zwischen Ehegatten während aufrechter Ehe gehemmt sei. Der Klägerin stehe daher der von ihr richtig berechnete Unterhaltsanspruch zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten keine Folge. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, dass in der jahrelangen Unterlassung der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs noch kein Verzicht der Klägerin auf Unterhalt erblickt werden könne. Zur Frage der geltend gemachten Verjährung vertrat das Berufungsgericht unter ausführlicher Zitierung und Darstellung der zu § 1495 Satz 1 ABGB bisher vorliegenden Rechtsprechung und Lehre die Auffassung, dass zwischen Ehegatten die Verjährung gehemmt sei, solange die Ehe aufrecht sei, und zwar unabhängig davon, ob die häusliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten noch aufrecht sei. Die Unterhaltsforderung der Klägerin sei daher nach zutreffender Rechtsansicht des Erstgerichts nicht verjährt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob die Verjährungshemmung nach § 1495 ABGB bis zur Auflösung der Ehe oder nur für die Dauer von 6 Jahren nach Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Beklagten zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Der Beklagte macht im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht übersehe bei seiner Entscheidung die Bestimmung des § 1480 ABGB, wonach ein rückständiger Unterhalt keinesfalls mehr als 3 Jahre rückwirkend eingeklagt werden könne. Die vom Berufungsgericht zur Stützung seiner Rechtsansicht zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs beträfen im Wesentlichen anders gelagerte Sachverhalte und seien daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Bei Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft sei die Verjährungshemmung nach § 1495 Satz 1 ABGB mit der Dauer von 6 Jahren zu begrenzen. Schließlich habe die Klägerin durch die jahrelange Nichtausübung des Rechts auf Unterhalt schlüssig auf die Geltendmachung von Unterhalt für die Vergangenheit verzichtet.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Es trifft zwar zu, dass seit der Entscheidung des verstärkten Senats vom 9. 6. 1988, 6 Ob 544/87, SZ 61/143, vertragliche und gesetzliche Unterhaltsansprüche auch von Ehegatten untereinander für die Vergangenheit geltend gemacht werden können und rückständige Unterhaltsleistungen in 3 Jahren (§ 1480 ABGB) ab Fälligkeit (§ 1418 ABGB) verjähren. Die Verjährung ist aber zwischen Ehegatten nach § 1495 Satz 1 ABGB gehemmt, solange die Ehe aufrecht ist.

1.1 Gemäß § 1495 Satz 1 ABGB kann unter anderem zwischen Ehegatten, solange die Ehe aufrecht ist, die Ersitzung oder Verjährung weder anfangen noch fortgesetzt werden. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es nur darauf an, ob die Ehe noch aufrecht ist, nicht aber darauf, ob die Geltendmachung der Ansprüche unter Rücksicht auf familienrechtliche Beziehungen zumutbar ist. Die Hemmung endet daher erst mit (rechtskräftiger) Auflösung der Ehe, also zB durch Scheidung (§ 46 EheG), nicht aber schon mit der Einbringung der Scheidungsklage oder, selbst wenn die Ehegatten seit Jahren getrennt leben, mit Auflösung der häuslichen Gemeinschaft (vgl 6 Ob 44/66, SZ 39/29; 3 Ob 17/94, SZ 67/62; 8 ObA 67/97d; 5 Ob 265/02k; 8 ObA 76/08x, DRdA 2010/4, 49 [Eypeltauer]; R. Madl in Klete?ka/Schauer ABGB-ON § 1495 Rz 3; Mader/Janisch in Schwimann, ABGB3 § 1495 Rz 1; Perner in Schwimann, ABGB-TaKomm § 1495 Rz 2 ua; aA Eypeltauer, Verjährungshemmung und Familie - Ein Beitrag zur Auslegung von § 1495 erster Satz ABGB, RZ 1991, 26 [28]; Reischauer, Zur Verjährungsbestimmung nach § 1495 S 1 ABGB, JBl 1991, 559 [562]). Die Verjährungshemmung des § 1495 ABGB gilt für alle Forderungen eines Ehegatten gegen den anderen und damit auch für Unterhaltsansprüche (RIS-Justiz RS0034679 [T1]).

1.2 Der Grund für diese Verjährungshemmung liegt nach herrschender Ansicht darin, dass familienrechtliche Beziehungen Rücksichten auferlegen, welche die Geltendmachung von Rechten und Pflichten erschweren; der Familienfriede soll nicht gestört werden (8 ObA 76/08x, DRdA 2010/4, 49 [Eypeltauer]; 7 Ob 11/04z mwN). Zwischen Ehegatten ist die Verjährung gehemmt, solange die Ehe aufrecht ist. Nach herrschender Rechtsprechung ist hingegen unbeachtlich, ob die häusliche Gemeinschaft weiterbesteht bzw die Klagsführung zumutbar ist (8 ObA 76/08x, DRdA 2010/4, 49 [Eypeltauer]; 3 Ob 17/94, SZ 67/62 mit ausführlicher Auseinandersetzung mit den gegenteiligen Lehrmeinungen von Eypeltauer in RZ 1991, 26 [28] und Reischauer in JBl 1991, 559 [562] sowie auch zur deutschen und Schweizer Lehre). Es trifft zwar zu, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 ObA 250/95 in einem obiter dictum der Lehrmeinung von Eypeltauer aaO und Reischauer aaO, wonach bei Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft die Verjährungshemmung in Entsprechung zu § 55 Abs 3 EheG auf 6 Jahre begrenzt sei, gefolgt ist, er ließ aber schon im zweiten Rechtsgang desselben Verfahrens diese Frage ausdrücklich dahingestellt und blieb dabei, dass es auf die Zumutbarkeit der Klagsführung nicht ankomme (8 ObA 67/97d). Auch in den nachfolgenden Entscheidungen 5 Ob 265/02k und 8 ObA 76/08x (DRdA 2010/4, 49 [Eypeltauer]) hielt der Oberste Gerichtshof unter ausdrücklicher Berufung auf die Entscheidung 3 Ob 17/94 (SZ 67/62) an seiner Rechtsansicht fest, dass die Verjährungshemmung nach § 1495 ABGB erst mit der Scheidung der Ehe und nicht schon mit der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft (§ 55 EheG) endet.

1.3 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es im vorliegenden Fall der Klägerin möglich ist, Unterhaltsansprüche auch länger als 3 Jahre zurück geltend zu machen, da die Verjährung der Ansprüche bis zur Scheidung der Ehe der Streitteile gehemmt war, steht daher im Einklang mit der zitierten gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

2. Soweit der Beklagte schließlich noch geltend macht, die Klägerin habe durch jahrelange Nichtausübung des Rechts auf Unterhalt schlüssig auf die Geltendmachung von Unterhalt für die Vergangenheit verzichtet, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Unterhaltsverzicht zwar auch konkludent möglich ist, sein Zustandekommen aber mit besonderer Vorsicht zu beurteilen und nur dann anzunehmen ist, wenn besondere Umstände auf einen ernstlichen Vertragswillen in diese Richtung hinweisen. So kann beispielsweise aus der jahrelangen Unterlassung der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs noch nicht auf einen Verzicht des Unterhaltsberechtigten geschlossen werden (vgl RIS-Justiz RS0009502, RS0015906 ua). Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist, stellt im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0107199).

2.1 Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der hier konkret zur Entscheidung stehende Sachverhalt die Annahme eines schlüssigen stillschweigenden Unterhaltsverzichts der Klägerin nicht rechtfertige, steht jedenfalls im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

Die Revision des Beklagten war daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Schlagworte

Unterhaltsrecht

Textnummer

E98335

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0100OB00059.11S.0830.000

Im RIS seit

28.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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