TE AsylGH Beschluss 2011/04/20 D1 301252-2/2011

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Veröffentlicht am 20.04.2011
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Spruch

D1 301252-2/2011/2E

 

BESCHLUSS

 

In dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.04.2011, Zl. 11 02.612-EAST Ost, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX, StA. Weißrussland, hat der Asylgerichtshof durch den Richter Mag. STRACKER als Einzelrichter beschlossen:

 

Gemäß § 12a Abs. 2 in Verbindung mit § 41a Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, wird festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtmäßig ist. Der genannte Bescheid wird aufgehoben.

Text

BEGRÜNDUNG:

 

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Republik Weißrussland, reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 12.07.2005 einen Asylantrag. Dabei brachte er kurz zusammengefasst zuerst vor, minderjährig und in einem Waisenhaus aufgewachsen zu sein, wo man ihn gedemütigt und ihm die Zähne eingeschlagen habe. Bei einer weiteren Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, dass er in Wirklichkeit volljährig sei, seine Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe und in Österreich als LKW-Fahrer arbeiten wolle. Bei derselben Einvernahme ergänzte der Beschwerdeführer sein Vorbringen noch dahingehend, dass er in seinem Herkunftsstaat Probleme mit der Polizei gehabt habe, da Freunde von ihm wegen Rauschgiftbesitzes eingesperrt worden seien und er indirekt mit dieser Sache zu tun habe.

 

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.04.2006, Zl. 05 10.251-BAG, wurde dieser Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, abgewiesen (Spruchpunkt I) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Weißrussland gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, für zulässig erklärt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Weißrussland ausgewiesen (Spruchpunkt III).

 

Begründend wurden dabei im Wesentlichen Aspekte der mangelnden Glaubwürdigkeit des behaupteten Vorbringens und des Beschwerdeführers als Person angeführt.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 27.04.2006 binnen offener Frist Berufung erhoben, welche der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 27.06.2007, Zl. 301.252-C1/4E-XVIII/58/06, in allen Spruchpunkten abwies.

 

4. Am 07.12.2009 brachte der Beschwerdeführer - nachdem er einen Tag zuvor im Zuge einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle angehalten worden war, bei der sich herausgestellt hatte, dass er sich illegal im Bundesgebiet aufhalte - einen zweiten Asylantrag (nunmehr: Antrag auf internationalen Schutz) ein, wobei er angab, dass er Österreich im April 2007 verlassen habe und nach Weißrussland zurückgekehrt sei. Ende November 2009 sei er nun neuerlich ausgereist, da sein Leben "von der Mafia bedroht" worden sei.

 

5. Im Zuge weiterer niederschriftlicher Einvernahmen vor dem Bundesasylamt begründete der Beschwerdeführer sein neuerliches Asylbegehren im Wesentlichen damit, dass er im April 2008 zuerst nach Weißrussland gereist und nach etwa einem Monat nach Moskau zum Arbeiten gefahren sei, wo er von einer Familie aus Dagestan mit dem Leben bedroht worden sei.

 

6. Mit Bescheid vom 29.01.2010, Zl. 09 15.232-EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 07.12.2009 gemäß § 68 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführer zugleich gemäß § 10 Absatz 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Weißrussland ausgewiesen.

 

7. Gegen diesen dem Beschwerdeführer noch am selben Tag gemäß § 24 ZustellG unmittelbar ausgefolgten Bescheid wurde in der Folge kein Rechtsmittel erhoben und erwuchs dieser mit 13.02.2010 in Rechtskraft.

 

8. Am 17.03.2011 brachte der Beschwerdeführer - nachdem er zwischenzeitlich neuerlich nach Österreich eingereist und mit 12.11.2010 wieder in seinen Herkunftsstaat abgeschoben worden war - den nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein. Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, etwa eineinhalb Monate nach der Mitte November erfolgten Abschiebung nach Weißrussland neuerlich nach Österreich gereist zu sein und zuletzt am 14.02.2011 von den österreichischen Behörden in die Russische Föderation (!) abgeschoben worden zu sein und sich danach die ganze Zeit in Moskau aufgehalten zu haben. In seiner Heimat würden ihm Probleme mit den Behörden drohen, da er im April 2010 Mitglied der Partei OGP geworden sei, die sich in Opposition zum derzeitigen Präsidenten befinde. Er habe an Meetings teilgenommen und Unterschriften gesammelt. Da alle Kandidaten dieser Partei ins Gefängnis gekommen seien, habe er Angst, dass er auch inhaftiert werde.

 

9. Der Beschwerdeführer wurde am 23.03.2011 neuerlich niederschriftlich einvernommen und gab dabei vor einem Organwalter des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle Ost, hinsichtlich seiner Asylgründe im Wesentlichen an, dass ihm in Weißrussland bis zu 15 Jahre Haft drohen würden, da er im März 2010 Mitglied der Oppositionspartei OGP, Vereinigte Bürgerpartei, geworden sei. Nach den Präsidentschaftswahlen hätte man dann begonnen, Mitglieder der Oppositionsparteien zu verfolgen. Er sei daher Ende Dezember 2010 mit Hilfe eines litauischen Schengenvisums wieder nach Österreich gereist, habe jedoch nicht um Asyl angesucht, da er sich "wegen der letzten Unannehmlichkeiten" gefürchtet hätte und überzeugt gewesen sei, dass ein aus der Schubhaft heraus gestellter Antrag auf internationalen Schutz wenig erfolgversprechend sein würde.

 

Anschließend wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass seitens des Bundesasylamtes beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege. Weiters sei beabsichtigt, den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005).

 

10. Am 13.04.2011 wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Rechtsberaters durch einen Organwalter des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle Ost, abermals niederschriftlich einvernommen, wobei er seine früheren Aussagen im Wesentlichen aufrecht hielt. Auf die Frage, ob er im Zuge der Abschiebung von Österreich nach Weißrussland im November 2010 irgendwelche Probleme nach der Rückkehr gehabt habe, meinte der Beschwerdeführer, dass er zwar am Flughafen in Minsk von zwei KGB-Agenten gesucht worden sei, er jedoch letztendlich ohne Probleme die Passkontrolle passieren haben können. Er wolle versuchen, sich zur Untermauerung seines Vorbringens seinen Parteiausweis aus seiner Heimat schicken zu lassen; dafür benötige er aber noch Zeit.

 

11. Mit im Rahmen dieser Einvernahme mündlich verkündetem Bescheid vom 13.04.2011, Zl. 11 02.612-EAST Ost, erfolgte die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Absatz 2 AsylG 2005.

 

12. Der von Amts wegen übermittelte Verwaltungsakt langte am 18.04.2011 beim Asylgerichtshof ein und wurde in Anwendung der aktuellen Geschäftsverteilung dem nunmehr zuständigen Richter zugeteilt. Mit Mitteilung vom selben Tag wurde das Bundesasylamt vom Einlangen des Verwaltungsaktes verständigt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997 in der Fassung BGBl. I. Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der Fassung BGBl. I Nr. 147/2008, sind soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Gemäß § 23 Abs. 2 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der Fassung BGBl. I Nr. 147/2008, sind die Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, tritt dieses Bundesgesetz mit 01.01.2006 in Kraft. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997 - AsylG), BGBl. I Nr. 76, tritt mit Ausnahme des § 42 Abs. 1 mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft (§ 73 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Der Asylgerichtshof entscheidet gemäß Art. 129c Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2008, in Verbindung mit § 61 Abs. 3a AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, durch Einzelrichter über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß § 41a.

 

Am 01.01.2010 ist das Asylgesetz 2005 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 122/2009 in Kraft getreten. Gemäß § 75 Abs. 9 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, sind die §§ 12a, 22 Abs. 12, 31 Abs. 4, 34 Abs. 6 und 35 in der genannten Fassung auf Verfahren, die bereits vor dem 01.01.2010 anhängig waren, nicht anzuwenden.

 

Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde am 17.03.2011 gestellt, weshalb auf dieses Verfahren die Regelungen der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes (§ 12a AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 122/2009) Anwendung finden.

 

2. Die im hier zu beurteilenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, lauten:

 

"Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen

 

§ 12a. (1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn

 

1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht,

 

2. kein Fall des § 39 Abs. 2 vorliegt und

 

3. eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt.

 

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesasylamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

 

1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht,

 

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

 

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."

 

...

 

"§ 22. (10) Entscheidungen des Bundesasylamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Asylgerichtshof unverzüglich von Amts wegen zur Überprüfung gemäß § 41a zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an den Asylgerichtshof; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat der Asylgerichtshof im Rahmen der Überprüfung gemäß § 41 a mit Beschluss zu entscheiden."

 

...

 

"Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

 

§ 41a. (1) Eine Entscheidung des Bundesasylamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2), ist vom Asylgerichtshof unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 40 gilt sinngemäß. § 66 Abs. 2 AVG ist nicht anzuwenden.

 

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 und eine aufrechte Ausweisung sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Ausweisung umsetzenden Abschiebung ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Asylgerichtshofes zuzuwarten. Der Asylgerichtshof hat das Bundesasylamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

 

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat der Asylgerichtshof binnen acht Wochen zu entscheiden."

 

3.1. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.01.2010, Zl. 09 15.232-EAST Ost, wurde der bislang letzte Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 07.12.2009 gemäß § 68 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und er zugleich gemäß § 10 Absatz 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Weißrussland ausgewiesen.

 

Die mit dieser Ausweisung verbundene Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet erfolgte am 08.03.2010 und sind seit diesem Zeitpunkt noch keine 18 Monate vergangen (vgl. § 10 Abs. 6 AsylG 2005), sodass die Voraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 im gegenständlichen Fall erfüllt ist.

 

3.2. Weitere Voraussetzung dafür, den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben, ist, dass der Antrag (auf internationalen Schutz) voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (§ 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005).

 

Dies erfordert eine Prognoseentscheidung (vgl. die Erl. zur RV des FrÄG 2009, 330 BlgNR 24. GP, 13: "Die Z 2 stellt eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags dar."). Es kann daher der Fall eintreten, dass die Prognose, der Antrag werde zurückzuweisen sein, nicht zutrifft und sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass eine inhaltliche Entscheidung über den Antrag zu treffen sein wird (vgl. wiederum die Erl. zur RV des FrÄG 2009, 330 BlgNR 24. GP, 13: "In keinem Fall wird mit der Aufhebung des Abschiebeschutzes die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz selbst vorweggenommen, auch wenn in der Praxis wohl regelmäßig eine zurückweisende Entscheidung gemäß § 68 AVG folgen wird. Vielmehr handelt es sich um eine der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz vorgelagerte Prüfung im Rahmen des Zulassungsverfahrens").

 

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes kann in diesen Fällen dazu führen, dass der Asylwerber trotzdem - vor der inhaltlichen Entscheidung über den Antrag - außer Landes gebracht wird und dass dies unter Umständen mit Folgen verbunden ist, vor denen das Asylrecht gerade schützen will. An eine solche Prognose sind daher strengere Maßstäbe anzulegen als in vergleichbaren Fällen (etwa der Beschleunigung eines Verfahrens gemäß § 27 Abs. 4 AsylG 2005 auf Grund der irrigen Prognose, der Asylantrag werde abzuweisen sein). Umgekehrt steht der Verzicht auf die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes der späteren Zurückweisung des Asylantrages gemäß § 68 Abs. 1 AVG selbstverständlich nicht entgegen. In diesem Zusammenhang hat es auch Bedeutung, dass das Bundesasylamt auch dann, wenn die Voraussetzungen vorliegen, den faktischen Abschiebeschutz nicht aufheben muss, sondern dass ihm das Gesetz Ermessen einräumt ("kann das Bundesasylamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben"); die Ermessensübung ist im Bescheid zu begründen.

 

3.3. Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtskräftigen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Bei der Prüfung, ob Identität der Sache vorliegt, ist vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne seine sachliche Richtigkeit - nochmals - zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. zB VwGH 15.10.1999, 96/21/0097; 25.4.2002, 2000/07/0235).

 

Auch wenn das Vorbringen eines Folgeantrages in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den Behauptungen stehen mag, die im vorangegangenen Verfahren als nicht glaubwürdig beurteilt worden sind, schließt dies nicht aus, dass es sich um ein asylrelevantes neues Vorbringen handelt, das auf seinen "glaubhaften Kern" zu beurteilen ist. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der neu behaupteten Tatsachen von Bedeutung sein, macht eine neue Beweiswürdigung aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar unzulässig, etwa in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen - gemessen an der dem rechtskräftigen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsanschauung - zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (VwGH 29.9.2005, 2005/20/0365; 16.2.2006, 2006/19/0380; vgl. auch VwGH 4.11.2004, 2002/20/0391; 21.9.2006, 2006/19/0200; 25.4.2007, 2005/20/0300).

 

3.3. Wenn das Bundesasylamt im mündlich verkündeten Bescheid vom 13.04.2011, Zl. 11 02.612-EAST Ost, somit zur Ansicht gelangt, dass der erneute Antrag auf internationalen Schutz voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist und dies im Wesentlichen mit der mangelnden Glaubwürdigkeit der Entstehung eines solchen bzw. des Beschwerdeführers als Person begründet, ist Folgendes festzuhalten:

 

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer behauptet, dass er nach seiner im November 2010 erfolgten Rückkehr nach Weißrussland Verfolgungshandlungen seitens der Sicherheitsbehörden wegen seiner seit April 2010 bestehenden Parteimitgliedschaft bei der OGP, somit auf Grund seiner politischen Überzeugung, befürchtet habe, sodass er Ende Dezember 2010 abermals nach Österreich geflüchtet sei, wo er jedoch aus dem Stande der Schubhaft keinen Antrag auf internationalen Schutz stellen habe wollen, dies auf Grund aus seiner Sicht mangelnder Erfolgschancen.

 

Unbeschadet sämtlicher vom Bundesasylamt in diesem Zusammenhang angestellter - durchaus nachvollziehbarer - Erwägungen, welche auf eine Unglaubwürdigkeit des behaupteten Verfolgungssachverhalts bzw. des Beschwerdeführers als Person abzielen, lässt sich somit aber nicht sagen, dass dieser ausschließlich einen Sachverhalt behauptet hat, der sich gänzlich vor Eintritt der Rechtskraft des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.06.2007, Zl. 301.252-C1/4E-XVIII/58/06, ereignet hätte. Die Angaben des Beschwerdeführers können nicht anders interpretiert werden, als dass auch nach rechtskräftigem Abschluss des ersten (meritorischen) Verfahrens Verfolgungshandlungen erfolgt sein sollen bzw. unmittelbar bevor gestanden hätten. Somit wäre aber auch dieses neue Vorbringen gemäß der oben erwähnten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daraufhin zu überprüfen gewesen, ob es einen "glaubhaften Kern" aufweist oder nicht. Ob bzw. dass die neuerliche Behauptung einer Verfolgung im Herkunftsstaat (nach Beendigung des Erstverfahrens) in einem inhaltlichen Zusammenhang mit Schilderungen steht, die der Beschwerdeführer damals nicht vorgebracht hat, ändert an dieser Verpflichtung nach der verwaltungsgerichtlichen Judikatur nichts (vgl. dazu ausführlich VwGH 16.02.2006, 2006/19/0380). Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht jedoch eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens nicht von vornherein entbehrlich oder gar unzulässig. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (vgl. VwGH 16.02.2006, 2006/19/0380 mwN).

 

Die belangte Behörde hat im hier zu beurteilenden Fall zwar das Vorliegen eines "glaubhaften Kerns" verneint, sich jedoch mit dem Vorbringen inhaltlich nicht ausreichend auseinander gesetzt und sich lediglich auf die Ansicht zurückgezogen, die Behauptungen des Beschwerdeführers sowie dieser als Person seien unglaubwürdig. Gemäß der erwähnten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Verneinung eines "glaubhaften Kerns" hinsichtlich eines neuen Vorbringens voraus, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen im Rahmen einer Beweiswürdigung stattfindet, die sich nicht allein auf einen bloßen Hinweis der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens erschöpft. Der Asylgerichtshof übersieht keineswegs, dass die persönliche Glaubwürdigkeit eines Asylwerbers, der - wie der Beschwerdeführer des vorliegenden Falles - sich zu Beginn seines (ersten) Verfahrens fälschlich als unbegleiteter Minderjähriger ausgegeben hatte, der einen mehr als eineinhalbmonatigen Aufenthalt in Österreich, in dessen Rahmen er bereits einen (neuerlichen) Antrag auf internationalen Schutz stellen hätte können, gänzlich ungenutzt ließ und der bereits einen sich letztlich als unbegründet erwiesen habenden Asylantrag in Österreich gestellt hat, wobei im diesbezüglichen Verfahren seine persönliche Unglaubwürdigkeit festgestellt wurde, als schwer erschüttert zu qualifizieren ist. Dennoch entbindet diese Einschätzung die belangte Behörde nicht von der Verpflichtung, sich mit dem nunmehr neuen Vorbringen inhaltlich auseinander zu setzen, die Plausibilität der Schilderungen zu hinterfragen, allfällige Widersprüche in den Angaben vorzuhalten, die Schlüssigkeit des Vorbringens und die Stimmigkeit der Aussagen konkret und umfassend zu überprüfen (und durch entsprechende Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu dokumentieren und auf diese Weise einer rechtsstaatlichen Kontrolle zugänglich zu machen).

 

Darüber hinaus wäre die belangte Behörde aber auch gehalten gewesen, den Beweisanboten des Beschwerdeführers nachzugehen, wie dem von ihm erstatteten Hinweis auf eine sich bei einem Bekannten in XXXX befindliche Ladung eines weißrussischen Militärkommissariats.

 

Obwohl eine Beurteilung, inwieweit dieses Beweismittel die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und seiner Fluchtgründe erhöhen hätte können, letztlich offen bleiben muss, eine entsprechende Begründung für den Verzicht auf eine diesbezügliche Beischaffung hat die belangte Behörde jedenfalls unterlassen.

 

Aufgrund dieser Umstände kann im derzeitigen Verfahrensstadium - innerhalb des zur Verfügung stehenden und in mehrfacher Hinsicht (insbesondere durch die besonders verkürzten Entscheidungsfristen) eingeschränkten Beurteilungsspielraumes - aus Sicht des Asylgerichtshofes noch nicht abschließend beurteilt werden, ob der vorliegende Antrag (auf internationalen Schutz) wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird.

 

3.4. Somit ist bereits die zweite der drei Voraussetzungen, unter denen gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 der faktische Abschiebeschutz aufgehoben werden darf, nicht erfüllt. Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist somit nicht rechtmäßig.

 

Der Asylgerichtshof hält ausdrücklich fest, dass mit der Aufhebung des im Spruch angeführten Bescheides dem Beschwerdeführer nunmehr faktischer Abschiebeschutz im Sinne des § 12 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, zukommt.

Schlagworte
Beweise, faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig, Glaubwürdigkeit
Zuletzt aktualisiert am
04.05.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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