TE Vfgh Erkenntnis 2010/12/15 U1858/10 ua

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Veröffentlicht am 15.12.2010
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2, §41a
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EMRK Art8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinanderdurch Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes; Willkür wegenFehlens eines wesentlichen Begründungselementes in der Entscheidungdes Asylgerichtshofes

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen in dem durch das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. Nr. 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.860,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine am 14. Juni 1980

geborene Staatsbürgerin der Mongolei, stellte am 5. September 2004 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) mit Bescheid vom 14. Oktober 2005 gemäß §7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 101/2003 (im Folgenden: AsylG 1997) abgewiesen. Unter einem wurde die Zurückweisung, die Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 für zulässig erklärt und die Beschwerdeführerin gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Mongolei ausgewiesen. Nach Versäumung der Rechtsmittelfrist stellte die Erstbeschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 10. Februar 2006 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, welcher mit Bescheid vom 14. Februar 2006 vom BAA zurückgewiesen wurde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 10. Mai 2007 abgewiesen und die Berufung gegen den inhaltlichen Bescheid des BAA als verspätet zurückgewiesen.

Mit Telefax vom 25. Juni 2007 gab die Internationale Organisation für Migration bekannt, dass die Erstbeschwerdeführerin am 14. Juni 2007 unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig aus dem Bundesgebiet ausgereist sei.

2. Am 16. Jänner 2008 stellte die Erstbeschwerdeführerin den zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Ebenso stellte sie als gesetzliche Vertreterin für ihren am 7. Oktober 2001 geborenen Sohn, den Zweitbeschwerdeführer, einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden vom 22. Oktober 2008 wies das BAA sowohl den Antrag der Erstbeschwerdeführerin als auch den Antrag des Zweitbeschwerdeführers gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005), BGBl. I 100/2005 ab, erkannte ihnen den Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 nicht zu und wies die Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 in die Mongolei aus.

Der Asylgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde vom 29. Oktober 2008 mit Erkenntnis vom 7. Mai 2010 gemäß §§3, 8 Abs1 und §10 AsylG 2005 ab.

3. Am 29. Mai 2010 stellte die Erstbeschwerdeführerin ihren dritten und für den Zweitbeschwerdeführer den zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Verfahrensanordnung vom 4. Juni 2010 teilte das BAA den Beschwerdeführern gemäß §29 Abs3 AsylG 2005 idF BGBl. I 122/2009 mit, dass beabsichtigt sei, deren Anträge wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben. Am 10. Juni 2010 fand eine Einvernahme statt, am Ende derer das BAA mit mündlichen Bescheiden den faktischen Abschiebeschutz gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 aufhob. Eine schriftliche Wiedergabe der Bescheide findet sich in der jeweiligen Niederschrift der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers jeweils vom 10. Juni 2010.

4. Mit den angefochtenen Beschlüssen vom 1. Juli 2010 bestätigte der Asylgerichtshof die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß §§12a Abs2 iVm 41a AsylG 2005. Gegen die Beschwerdeführer liege eine aufrechte Ausweisung aufgrund der Erkenntnisse des Asylgerichtshofes vom 7. Mai 2010 vor. Eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes sei nicht eingetreten, da das neuerliche Vorbringen bereits von der Rechtskraft der vorhergehenden Asylverfahren umfasst sei. Das BAA habe sich ausreichend mit der allgemeinen Lage in der Mongolei auseinandergesetzt und zu Recht festgestellt, dass sich diese seit Eintritt der Rechtskraft des vorangegangenen Verfahrens nicht wesentlich zum Nachteil der Beschwerdeführer geändert habe. Es lägen auch sonst keine konkreten Anhaltspunkte für eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts vor. Die Voraussetzungen der §§12a Abs2 iVm 41a AsylG 2005 lägen somit vor, die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes sei rechtmäßig.

5. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/ 1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu Entscheidungen des Asylgerichtshofes ausgesprochen hat, verstößt dieser gegen das aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgende Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen, wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006, 18.632/08).

2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem belangten Asylgerichtshof ein willkürliches Verhalten vorzuwerfen:

2.1. Gemäß der, vom Verfassungsgerichtshof für unbedenklich befundenen Norm des §12a Abs2 AsylG 2005 (vgl. zu §12a Abs2 in seiner Gesamtheit, VfGH 9.10.2010, U1046/10) kann das BAA den faktischen Abschiebeschutz eines Asylwerbers dann aufheben, wenn

"1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."

Gemäß §41a AsylG 2005 hat der Asylgerichtshof eine Entscheidung des BAA über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes von Amts wegen unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen und über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes binnen acht Wochen zu entscheiden (§41a Abs3 leg.cit.).

2.2. Aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen folgt für die Begründung dieser Entscheidung, dass sich aus ihr ergeben muss, ob die Entscheidung des BAA alle Tatbestandselemente erfüllt, die §12a Abs2 AsylG 2005 vorsieht. Aus der Begründung des Asylgerichtshofes muss sich daher ergeben, dass er sich vergewissert hat, ob eine aufrechte Ausweisung besteht, der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist und ob durch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Bei dieser Beurteilung kann sich der Asylgerichtshof - da er die Entscheidung des BAA lediglich zu überprüfen hat - auf das Verfahren des Bundesasylamtes stützen, doch muss sich aus seiner Entscheidung ergeben, dass er diese Überprüfung tatsächlich vorgenommen hat.

3. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Entscheidungen des Asylgerichtshofes zwar, dass er das Vorliegen einer aufrechten Ausweisung sowie die Frage geprüft hat, ob die Folgeanträge voraussichtlich zurückzuweisen sind und ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK bedeuten würde. Hingegen ergibt sich aus der Begründung der asylgerichtlichen Entscheidungen mit keinem Wort, ob auch geprüft wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung des Art8 EMRK bedeuten würde.

Da insofern ein wesentliches Begründungselement den Entscheidungen des Asylgerichtshofes fehlt, wurden die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt (vgl. VfGH 30.11.2010, U1860/10).

III. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Dabei ist zu beachten, dass im gegenständlichen Fall eine Beschwerde für insgesamt zwei Beschwerdeführer zu zwei gleichartigen Erkenntnissen des Asylgerichtshofs eingebracht wurde. Hiefür gebührt insgesamt nur ein Pauschalsatz in Höhe von € 2.000,--. Ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 200,-- ist zusätzlich zu gewähren (vgl. VfSlg. 14.788/1997; VfGH 26.6.1998, B259/96 ua; 12.12.2001, B1798/00 ua). Den Beschwerdeführern sind somit Kosten von insgesamt € 2.860,-- zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 440,-- und die Eingabengebühr in der Höhe von € 220,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Fremdenrecht, Ausweisung, Bescheidbegründung,Rechtsstaatsprinzip, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2010:U1858.2010

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2011
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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