TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/11 D5 317745-2/2009

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Veröffentlicht am 11.03.2009
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Spruch

D5 317745-2/2009/2E

 

Im Namen der Republik

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Christine AMANN als Vorsitzende und den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, StA. "Russische Föderation", gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.2.2009, FZ. 07 09.808/1-BAE, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerdeführer, ein "Russe" aus Abchasien (Georgien), reiste seinen Angaben zufolge am 20.10.2007 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet). Am 20.10.2007 fand seine Einvernahme vor der Grenzpolizeiinspektion Hainburg, und am 15.11.2007 sowie am 14.1.2008 fanden seine Einvernahmen vor dem Bundesasylamt statt. Mit Bescheid vom 31.1.2008, Zahl: 07 09.808-BAE, wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ab (= Spruchteil I.) und erklärte, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Förderation nicht zuerkannt werde (= Spruchteil II.); ferner verfügte das Bundesasylamt gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Förderation (= Spruchteil III.). Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 20.2.2008 fristgerecht eine Beschwerde.

 

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 15.8.2007 beim Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer zu seinem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er sei ein Abchase, zähle sich aber als Russe. Auf die darauf folgende Frage des Einvernehmenden, warum er russischer Staatsbürger sei, wo es sich doch bei Abchasien um einen Teil von Georgien handle, gab der Beschwerdeführer an, dass er in XXXX einen russischen Inlandsreisepass im Jahr 1997 ausgestellt bekommen hätte, in dem stehe, dass er ein russischer Staatsbürger sei. Der Beschwerdeführer war schließlich angewiesen worden, sich seine Dokumente nach Österreich nachsenden zu lassen und diese in Vorlage zu bringen.

 

Seine Schwägerin L.D. habe im Büro des Vorsitzenden der oppositionellen Partei "einheitliches Georgien" gearbeitet. Ende September sei seine Schwägerin verschwunden, woraufhin seine Frau ihm aufgetragen habe, sich nach der Schwägerin zu erkundigen. Er sei zur Polizei und in Krankenhäuser gegangen, um sich zu erkundigen. Am 1.10.2007 sei seine Schwägerin tot aufgefunden worden und es sei nach einer Autopsie festgestellt worden, dass sie vergewaltigt worden wäre. In seiner Abwesenheit seien dann Kriminalbeamte bei ihm zuhause gewesen und hätten gedroht, ihn zu töten. Sie hätten ihm mit einem politischen Verfahren und einem Drogenverfahren gedroht.

 

Bei der Einvernahme am 14.1.2008 beim Bundesasylamt wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen seinen bereits genannten Fluchtgrund und ergänzte diesen insofern, dass seine Schwägerin seiner Meinung nach von einem Polizisten umgebracht worden sei und dass er sich Mitte September 2007 mit seiner Anschuldigung an die Staatsanwaltschaft in XXXX gewandt habe und den Sachverhalt zur Anzeige gebracht habe. An anderer Stelle dieser Einvernahme sagte der Beschwerdeführer hingegen, er habe sich aus Angst nicht an die Staatsanwaltschaft gewandt.

 

Das Bundesasylamt stellte im o.a. Bescheid vom 31.1.2008 zunächst fest:

 

Die Nationalität und die Identität des Beschwerdeführers stünden nicht fest. Der Beschwerdeführer sei vermutlich Staatsangehöriger der Russischen Förderation.

 

In der Folge traf das Bundesasylamt auf Seite 11 bis 19 des o.a. Bescheides Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage in der Russischen Förderation.

 

Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt darin im Wesentlichen aus:

 

Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, "die Russische Förderation verlassen zu haben", weil er einen Mord, begangen an seiner Schwägerin, aufgeklärt hätte. Da an diesem Mord ein Polizist beteiligt gewesen wäre, sei er seit Anfang September laufend von der Polizei zu Hause aufgesucht bzw. sei nach ihm gesucht worden. Ein ihm unbekannter Mann sei auch zu ihm nach Hause gekommen und hätte ihm eine große Summe USD angeboten, wenn er seine Anschuldigungen und Nachforschungen bezüglich des Todes seiner Schwägerin einstellen würde. Aus Angst, irgendwann einmal von unbekannten Personen auf Grund seiner Nachforschungen wegen dem Tod seiner Schwägerin verfolgt und misshandelt zu werden, habe er sich entschlossen, das Land zu verlassen.

 

Das Bundesasylamt erachtete auf Grund der Vielzahl von Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten das Vorbringen des Beschwerdeführers für unglaubwürdig und gelangte zur Ansicht, dass er eine Fluchtgeschichte konstruiert habe.

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesasylamt im o.a. Bescheid zu § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (= Spruchteil I.) insbesondere aus:

 

Voraussetzung für die Gewährung von Asyl sei, dass der Beschwerdeführer individuell gegen ihn gerichtete staatliche Verfolgung im Sinne des AsylG oder die Gefahr solcher Verfolgung befürchten müsse. Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert worden sei, sei dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden könne.

 

In Bezug auf die Entscheidung über den subsidiären Schutz gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (= Spruchteil II.) führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus:

 

Bei dem Beschwerdeführer handle es sich weiters um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann. Zusammenfassend sei daher festzuhalten, dass beim Beschwerdeführer keine individuellen Umstände vorliegen würden, die dafür sprechen würden, dass er bei einer Rückkehr in die Russische Förderation in eine derart extreme Notlage gelangen würde, die eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK darstellen würde. Es hätten sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine Verletzung bzw. Gefährdung iSd § 50 Abs. 1 FrG ergeben.

 

In Bezug auf die verfügte Ausweisung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 (= Spruchteil III.) führte das Bundesasylamt zusammengefasst aus:

 

Der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger der Russischen Förderation und habe in Österreich keine Verwandten. Es liege somit kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich vor. Die Ausweisung stelle keinen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 20.2.2008 in russischer Sprache fristgerecht eine Beschwerde, in welcher er Folgendes geltend machte:

 

Er sei 48 Jahre alt, habe eine Familie mit Kindern in der Heimat und habe dort eine stabile Sozialstellung gehabt, sodass er keinerlei Gründe gehabt hätte, aus dieser Sicht seine Heimat zu verlassen.

 

Während der letzten Einvernahme in Eisenstadt wäre er sehr aufgeregt gewesen und sein seelischer und psychischer Zustand habe sein Erinnerungsvermögen beeinflusst, sodass er einige Daten verwechselt habe.

 

Während der Einvernahme habe er Russisch sprechen müssen und Russisch sei keineswegs seine Muttersprache.

 

Er wäre für die erneute Überprüfung seines Falles sehr dankbar.

 

In Erledigung dieser Beschwerde behob der Asylgerichtshof den angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.1.2008 und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

 

Am 3.2.2009 fand dann vor dem Bundesasylamt eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers statt. Darin gab der Beschwerdeführer an, seine bisher gemachten Angaben zu seinen Ausreisegründen aus Georgien voll inhaltlich aufrecht zu erhalten.

 

Danach forderte der Organwalter des Bundesasylamtes den Beschwerdeführer auf, eine Leseprobe betreffend Abchasisch in die russische Sprache zu übersetzen, woraufhin in der Niederschrift wörtlich Folgendes festgehalten worden war:

 

"A: Ich spreche nicht Abchasisch.

 

F: Sie sind also nicht in der Lage, Abchasisch zu lesen bzw. einen Text zu übersetzen (siehe Beilage 1 und 2)?

 

A: Nein.

 

F: Weshalb glauben Sie dann, der abchasischen Minderheit anzugehören?

 

A: Weil ich in dem Gebiet, wo viele Abchasen leben, geboren bin.

 

F: Warum haben Sie nicht Abchasisch gelernt, wenn Sie in einem Gebiet, wo Abchasen leben, geboren sind?

 

A: Ich habe in der Schule Russisch und Georgisch gelernt als Sprachen der Sowjetunion bzw. der Sowjetrepubliken und benötigte daher die abchasische Sprache nicht.

 

F: Haben Sie Dokumente, die Ihre Identität und Nationalität beweisen oder können Sie solche besorgen?

 

A: Nein.

 

F: Wollen Sie sonst noch etwas angeben?

 

A: Nein.

 

Dem AW wird die aktuelle Länderinformation betreffend Russische Föderation vom Dolmetscher zur Kenntnis gebracht. (...)"

 

Mit Aktenvermerk vom 5.2.2009 leitete das Bundesasylamt gegenüber dem Beschwerdeführer ein Ausweisungsverfahren gemäß § 27 Abs. 2 AsylG 2005 idgF ein, zumal ein besonderes öffentliches Interesse vorliege, weil der Beschwerdeführer wegen §§ 127, 130 StGB zweimal rechtskräftig verurteilt worden sei.

 

Mit Bescheid vom 6.2.2009, Zahl: 07 09.808/1-BAE, wies das Bundesasylamt den Asylantrag vom 20.10.2007 neuerlich gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ab (= Spruchteil I.) und erklärte, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt werde (= Spruchteil II.); ferner verfügte das Bundesasylamt gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation (= Spruchteil III.).

 

Das Bundesasylamt stellte im o.a. Bescheid vom 6.2.2009 zunächst fest:

 

Die Identität des Beschwerdeführers stehe nicht fest. Er sei "vermutlich Staatsangehöriger der Russischen Föderation".

 

(Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:) Es habe nicht festgestellt werden können, dass nach dem Beschwerdeführer in der Heimat gesucht werde und er deshalb ausreisen habe müssen. Nicht festgestellt werden hätte können, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation einer begründeten Furcht vor asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig. Der Ausreisegrund habe mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens nichts festgestellt werden können.

 

(Zu dem Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers:) Fest stehe, dass der Beschwerdeführer sich seit dem 20.10.2007 in Österreich aufhalte. Es habe nicht festgestellt werden können, dass in Österreich ein schützenswertes Privat- und Familienleben vorliege. Der Beschwerdeführer habe in der Russischen Föderation Verwandte (Mutter, Gattin und zwei Töchter), von denen er Unterstützung erwarten könnte.

 

In der Folge traf das Bundesasylamt auf Seite 12 bis 15 des o.a. Bescheides Länderfeststellungen zur aktuellen allgemeinen Lage in der Russischen Föderation, aber nicht im Besonderen zum Staatsangehörigkeitsecht der Russischen Föderation, der ehemaligen Sowjetunion, der ehemaligen Sowjetrepubliken und/oder des Nachfolgestaates Georgien.

 

Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt darin das Gleiche wie im aufgehobenen Bescheid vom 31.1.2008 an, mit dem einzigen Unterschied, dass es dort heißt, "die Heimat verlassen zu haben", weil er einen Mord, begangen an seiner Schwägerin, aufgeklärt hätte (siehe obige Wiedergabe auf S 3 dieses Erkenntnisses).

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesasylamt im o.a. Bescheid vom 6.2.2009 zu § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 im Wesentlichen das Gleiche wie im aufgehobenen Bescheid vom 31.1.2008 aus.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 19.2.2009 in russischer Sprache fristgerecht eine Beschwerde, die er mit Schreiben vom 23.2.2009 in deutscher Sprache folgendermaßen ergänzte:

 

Er habe den Bescheid des Bundesasylamtes am 9.2.2009 erhalten und bringe fristgerecht eine Beschwerde ein. Im Jahre 2007 sei seine Schwägerin, die Schwester seiner Ehefrau, ermordet worden. Seine Frau und deren Schwester (Schwägerin) wären in der Organisation "Freies Georgien" politisch tätig gewesen. In der Zwischenzeit sei seine Ehefrau ebenfalls aus dem Land geflohen. Es gäbe (immer noch) Spannungen und Konflikte zwischen Abchasen und Georgiern. Diese Konflikte hätten im Jahr 2008 zu einem Krieg geführt, welcher auch in den internationalen Medien registriert worden sei. Von einer realen Gefahr müsse ausgegangen werden, zumal es viele Tote und Verletzte gegeben habe.

 

Er ersuche den Asylgerichtshof, Erhebungen über die veränderten Gegebenheiten in seiner Heimat anzustellen.

 

I. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

 

Der Beschwerdeführer hat in seinem Asylantrag im Wesentlichen (im ersten Rechtsgang) Folgendes geltend gemacht:

 

Er komme aus Abchasien, wo er im Jahre 1997 einen russischen Inlandsreisepass ausgestellt bekommen habe. Er habe Abchasien in Oktober 2007 verlassen müssen, weil er dem Tod seiner Schwägerin nachgegangen sei und weil er aufgrund dieser Nachforschungen von unbekannten Männern bedroht worden sei.

 

Der Beschwerdeführer hat im zweiten Rechtsgang auf die Frage nach seinen Ausreisegründen ausdrücklich angegeben, seine bisher gemachten Angaben inhaltlich voll aufrecht zu halten. In der gegenständlichen Beschwerde hat der Beschwerdeführer nochmals ausgeführt, dass in Georgien im Jahre 2007 seine Schwägerin (Schwester seiner Ehefrau) ermordet worden sei und dass in der Zwischenzeit seine Ehefrau ebenfalls aus Georgien geflohen sei; hinzu komme, dass die Spannungen und Konflikte zwischen Abchasen und Georgiern im Jahr 2008 zu einem Krieg geführt hätten, welcher auch in den internationalen Medien registriert worden sei.

 

Der Beschwerdeführer war im Jahr XXXX in XXXX in der damaligen UdSSR geboren worden. Er hat in XXXX, bis zu seiner Flucht im Oktober 2007 gelebt. Die Heimatregion des Beschwerdeführers - XXXX - liegt im Staatsgebiet der Republik Georgien, welche seit der Unabhängigkeitserklärung im April 1991 existiert. Obwohl sich auch die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe ausschließlich auf Abchasien, eine Autonome Teilrepublik des souveränen Staates "Georgien", bezogen haben, hat das Bundesasylamt im gegenständlichen Asylverfahren zum zweiten Mal (!) als Herkunftsstaat des Beschwerdeführers die Russische Förderation herangezogen und ist auf dieser Grundlage bei der Prüfung gemäß § 3 iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (fälschlicherweise) zum Ergebnis gelangt, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten und der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat "Russische Förderation" nicht zuerkannt werde.

 

Der Beschwerdeführer hat im Zuge seiner - im zweiten Rechtsgang durchgeführten - Einvernahme am 3.2.2009 vor dem Bundesasylamt ausgesagt, er spreche (und lese) nicht Abchasisch, denn er habe die abchasische Sprache nicht benötigt, weil er in der Schule Russisch und Georgisch als Sprachen der Sowjetunion bzw. der Sowjetrepubliken gelernt habe. Einzig auf diese Aussage gestützt, ohne sonstige Ermittlungen zu treffen, hat das Bundesasylamt im Fall des Beschwerdeführers zum zweiten Mal (!) die Russische Förderation als Herkunftsstaat iSd § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 herangezogen, obwohl der Beschwerdeführer eine plausible Erklärung dafür geliefert hat, dass er der abchasischen Sprache nicht mächtig ist. Zudem hat das Bundesasylamt im o.a. Bescheid vom 6.2.2009 auch aktenwidrige Feststellungen getroffen, wie z.B. dass der Beschwerdeführer "in der Russischen Föderation Verwandte (Mutter, Gattin und zwei Töchter)" habe, von denen er Unterstützung erwarten könnte; dies ist insofern aktenwidrig, als der Beschwerdeführer als Adresse seiner Mutter, seiner Gattin und seiner zwei Töchter die XXXX in XXXX genannt hat (siehe eingetragene Adressen im Asylwerberinformationssystem zu AIS-Zahl: 07 09.808). Angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer seit seiner Geburt in XXXX - also in einem Teil der heutigen Republik Georgien - gelebt hat, geht aus dem o.a. Bescheid wiederum nicht nachvollziehbar hervor, weshalb es sich bei dem Beschwerdeführer um einen russischen - und nicht um einen georgischen - Staatsangehörigen handeln soll. Daher erweisen sich die diesbezüglichen Begründungen des Bundesasylamtes auch im zweiten Rechtsgang als mangelhaft, zumal das Bundesasylamt in seinem Ermittlungsverfahren die Rechtslage zur Staatsangehörigkeit (gemeint: die Staatsbürgerschaftsgesetze) der in Frage kommenden Staaten - Georgien oder Russische Föderation - überhaupt nicht erhoben hat. Das Bundesasylamt hat es völlig unterlassen, aktuelle Länderfeststellungen zur Frage des Staatsangehörigkeitsrechts der ehemaligen Sowjetunion bzw. der ehemaligen Sowjetrepubliken sowie der Nachfolgestaaten Russische Föderation und Georgien zu treffen. Das Bundesasylamt hat neuerlich - trotz ausdrücklichem Auftrag des Asylgerichtshofes im Erkenntnis vom 19.11.2008 - keine Ermittlungen im gegenständlichen Verfahren zu der maßgeblichen Frage getroffen, ob der aus Abchasien stammende und von dort geflüchtete Beschwerdeführer nach den maßgeblichen Bestimmungen des georgischen Staatsangehörigkeitsrechts (automatisch) die georgische Staatsangehörigkeit erworben hat.

 

Als maßgebender Sachverhalt (im zweiten Rechtsgang) bleibt festzuhalten, dass im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren hinsichtlich der (georgischen) Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführer schwere Mängel aufgetreten sind, die von fehlenden Ermittlungen bis zu mangelhaften Begründungen in erstinstanzlichen Bescheid reichen.

 

Die im gegenständlichen Verfahren aufgetretenen Mängel wiegen umso "schwerer", als der Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.11.2008 gemäß § 66 Abs. 2 AVG deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass im Fall des Beschwerdeführers ein ordnungsgemäßes - gegebenenfalls auch umfangreiches - Ermittlungsverfahren zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers notwendig ist. Es bleibt abschließend darauf hinzuweisen, dass das Bundesasylamt diesem Auftrag bisher nicht nachgekommen ist und dass der maßgebende Sachverhalt vom Bundesasylamt nun ebenso "mangelhaft" als zuvor festgestellt wurde.

 

2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich für den zuständigen Senat des Asylgerichtshofes rechtlich Folgendes:

 

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I Nr. 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1.7.2008 in Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem AsylG 2005 nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

 

2.2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hie mit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.

(...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt: "Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.4.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.6.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr gleichermaßen für den Asylgerichtshof.

 

2.4. Der Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens ergibt sich aus dem Spruch und der tragenden Begründung des Bescheides (vgl. VwGH 30.10.1991, Zl. 91/09/0069).

 

Wie oben unter 1. dargelegt, hat es im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vor dem Bundesasylamt hinsichtlich der (georgischen) Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers - auch im zweiten Rechtsgang - schwere Mängel gegeben, welche von fehlenden Ermittlungen bis zur mangelhaften Begründungen im erstinstanzlichen Bescheid reichen.

 

Durch den in § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 definierten "Herkunftsstaat" wird jener Staat bestimmt, über welchen im Hinblick auf den Status eines Asylberechtigten und auch den Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzusprechen ist. Das Bundesasylamt hat aber bei dieser Prüfung im Asylverfahren des Beschwerdeführers fälschlicherweise als Herkunftsstaat die Russische Förderation herangezogen. Es hat dazu im o.a. Bescheid keine ausreichenden Ermittlungen und auch keine nachvollziehbaren Feststellungen getroffen. Die Ermittlungen zur Staatsangehörigkeit bzw. zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind geboten, zumal der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt als Volksgruppe "Abchase", als Heimatregion "Abchasien" und als seinen Wohnort XXXX bzw. als Herkunftsstaat damit die Republik Georgien angegeben hat.

 

Im Fall des Beschwerdeführers wird bei der nun folgenden Prüfung des Antrages auf Internationalen Schutz der Herkunftsstaat aller Wahrscheinlichkeit nach Georgien heranzuziehen sein. Siehe in diesem Zusammenhang ein Erkenntnis des VwGH vom 7.10.2008, Zl. 2006/ 19/0599, mit folgendem Inhalt: Der UBAS war im (angefochtenen) Bescheid davon ausgegangen, dass es sich bei dem dortigen Beschwerdeführer um einen armenischen Staatsangehörigen handelt. Der VwGH hat das Ermittlungsverfahren zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers für mangelhaft erachtet und den Bescheid des UBAS behoben, zumal nicht beachtet worden ist, dass der dortige Beschwerdeführer im Jahr 1961 in der damaligen UdSSR geboren wurde und das Gebiet der heutigen Republik Armenien bereits im Jahr 1986 verlassen hat.

 

Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes ist der Ansicht, dass die Prüfung des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers vom Bundesasylamt durchzuführen ist, da im gegenteiligen Fall der Großteil des Ermittlungsverfahrens vor dem Asylgerichtshof als gerichtliche Beschwerdeinstanz verlagert würde und somit - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen würde.

 

Aus den dargelegten Gründen ist gemäß § 66 Abs. 2 AVG der o.a. Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
31.07.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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