TE OGH 2009/3/6 2R216/08m

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Veröffentlicht am 06.03.2009
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Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Dr. Bauer (Vorsitzende), sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Dallinger und Mag. Hofmann in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. W***** A*****, Rechtsanwalt, *****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der P*****, vertreten durch *****, Rechtsanwälte GmbH in *****, wider die beklagte Partei F*****, *****, vertreten durch Mag. Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen EUR 18.184,65 s.A., über den Rekurs der klagenden Partei gegen die im Urteil des Lan-desgerichtes St. Pölten vom 20.8.2008, 4 Cg 35/07h-16, enthaltene Kostenentscheidung (Rekursinteresse EUR 222,60) in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Kostenentscheidung wird dahingehend abgeändert, dass Punkt 4.) des Spruches des angefochtenen Urteils richtig lautet:

"Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 6.025,24 (darin enthalten EUR 1.750,-- Barauslagen und EUR 712,54 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 124,22 (darin enthalten EUR 20,70 USt) bestimmten Kosten des Rekurses zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 27.8.2007 wurde ein Sachverständiger mit der Erstellung von Befund und Gutachten über Mängel eines von der Gemeinschuldnerin hergestellten Estrichs beauftragt und angeordnet, zu einem durchzuführenden Lokalaugenschein sämtliche Parteien und ihre Vertreter zu laden. Für die Teilnahme am für den 3.10.2007 angeordneten Augenschein verzeichnete der Beklagtenvertreter (erkennbar) Honorar nach Maßgabe der TP 3 A III RATG im Ausmaß von EUR 371,-- zuzüglich 100 % Einheitssatz (und Umsatzsteuer).

Das Erstgericht bestimmte die Kosten in diesem Punkt antragsgemäß.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Zuerkennung des doppelten Einheitssatzes richtet sich der Kostenrekurs des Klägers aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, der Beklagten nur den einfachen Einheitssatz und damit um insgesamt EUR 222,60 verminderte Kosten zuzuerkennen mit der wesentlichen Begründung, § 23 Abs 5 RATG enthalte in seiner Aufzählung an Fällen, in denen ein doppelter Einheitssatz gebühre, TP 3 A III nicht. Damit gebühre für die Teilnahme an der Befundaufnahme durch Sachverständige über ausdrücklichen Auftrag des Gerichtes aber nur der einfache Einheitssatz.

Die Beklagte berief sich dazu darauf, dass zwar der Wortlaut des § 23 Abs 5 RATG Ziffer III der TP 3 A nicht erwähne, doch liege der Grund dafür in einem bloßen Redaktionsversehen. Es mache logisch keinen Unterschied, ob eine kontradiktorische Verhandlung auswärts stattfinde oder eine kontradiktorische Befundaufnahme, zu der über Anordnung des Gerichtes die Parteienvertreter zu laden seien. Es bestehe kein vernünftiger Grund, hier zu differenzieren. Die Problematik habe sich lediglich daraus ergeben, dass der Verfassungsgerichtshof die Regelung der TP 7 für verfassungswidrig gehalten habe, wonach eine Entlohnung nach dieser Tarifpost wie für die Vornahme des eigentlichen Geschäftes auch für die Wegzeit vorgesehen gewesen sei. Nur liege der Fall einer bloßen Kommission, die auch durch Gehilfen ausgeführt werden könne, anders als die Teilnahme an einer Befundaufnahme mit kontradiktorischem Charakter. Es sei schlicht vergessen worden, die Bestimmung über den Einheitssatz anlässlich der Neuschaffung der Ziffer III des Abschnitts A der TP 3 durch einen Querverweis anzupassen. Die gegenteilige Argumentation in Obermaier, Das Kostenhandbuch, Rz 603, sei nicht schlüssig und ungenau. Den Gesetzesmaterialien lasse sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber den doppelten Einheitssatz für Leistungen gemäß TP 3 A III ausschließen habe wollen. Die angesichts der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes gebotenen Änderungen habe der Gesetzgeber mit einer Anpassung der TP 7 und TP 9 RATG vorgenommen. Es wäre ein Leichtes gewesen, für den gegenständlichen Fall gleichzeitig festzulegen, dass auch hier immer zwingend TP 9 Z 4 RATG für die Reisekosten und die Zeitversäumnis Anwendung zu finden hätte. So ergebe sich, dass nur niemand redaktionell daran gedacht habe, dass der Querverweis des § 23 Abs 5 RATG die neu geschaffene Tarifbestimmung der TP 3 A III nicht erfasse. Doch sei eine analoge Anwendung geboten, sodass das Erstgericht den Kostenersatzanspruch richtig berechnet habe.

Dazu ist Folgendes zu erwägen:

§ 23 Abs 5 RATG erfasst als Anwendungsfall des doppelten Einheitssatzes TP 3 A III nicht. Damit ist zu prüfen, ob eine Regelungslücke vorliegt, die durch Analogie zu schließen ist. Eine Gesetzeslücke besteht nach der herrschenden Lehre und Rechtsprechung in einer "planwidrigen Unvollständigkeit" des Gesetzes, also in einer nicht gewollten Lücke. Eine solche ist im Rechtssinn dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig ist. Hingegen kann die bloße Meinung des Rechtsanwenders, eine Regelung sei wünschenswert, eine solche Gesetzeslücke nicht begründen (RIS-Justiz RS0098756).

Eine Rechtslücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts gemessen am Maßstab der gesamten Rechtsordnung. Das Gesetz muss gemessen an der eigenen Absicht und Teleologie ergänzungsbedürftig sein, ohne dass diese Ergänzung einer gesetzgewollten Beschränkung widerspräche. Wurde aber von der Gesetzgebungsinstanz für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge bewusst nicht angeordnet, so fehlt es an einer Gesetzeslücke und daher auch an einer Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung. Für eine Gesetzeslücke müsste die Annahme nahe liegen, der Gesetzgeber habe einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (RIS-Justiz RS0008866 T8 und T9).

Eine teleologische Lücke liegt vor, wenn die mit Hilfe der Interpretationsregeln ermittelte ratio legis in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung (der Werttendenz) einer gesetzlichen Norm oder auch mehrerer Vorschriften auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert (RIS-Justiz RS0008866 T17). Im Ausgangspunkt maßgebend ist die historische Auslegung. Die "ursprüngliche" Gesetzeslücke beruht somit auf einem Anschauungsfehler "des Gesetzgebers", der sich die regelungsbedürftigen Sachverhalte nicht umfassend genug vorgestellt hat. Auch eine taxativ gedachte Aufzählung kann insofern lückenhaft sein. Die historische ratio legis kann unter Umständen auf Grund "objektiv-teleologischer" Erwägungen für die Anwendung der gegenwärtigen Rechtsordnung besonders auf erst nachträglich ausgebildete und daher vom Gesetzgeber noch nicht gewürdigte Sachverhalte durch eine andere, mit der zwischenzeitlichen Rechtsentwicklung und daher mit den Grundsätzen des derzeit geltenden Rechts harmonisierenden zu substituieren sein. Insofern kann auch hier der deutlich erschließbare "letzte" Wille des Gesetzgebers maßgebend sein und sich eine "nachträgliche" Gesetzeslücke ergeben (F. Bydlinski in Rummel³, § 7 Rz 2). Weisen Gesetzeswortlaut und klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung, ist für eine Analogie kein Raum. Insbesondere bei taxativer Aufzählung ist größte Zurückhaltung geboten (P. Bydlinski in KBB², § 7 Rz 2). Von diesen Grundsätzen ausgehend ist konkret für eine analoge Anwendung des § 23 Abs 5 RATG (und damit für den Zuspruch des doppelten Einheitssatzes) für Fälle der Teilnahme an der Befundaufnahme durch Sachverständige, sofern die Beiziehung der Parteienvertreter über Auftrag des Gerichts erfolgte (TP 3 A III RATG), kein Raum.

Mit der Exekutionsordnungs-Novelle 2005 - EO-Nov. 2005 (BGBl I 2005/68) wurde der TP 3 A ein Abschnitt III angefügt, der lautet:

"III. In allen Verfahren für die Teilnahme an der Befundaufnahme durch Sachverständige, sofern die Beiziehung der Parteienvertreter über Auftrag des Gerichts erfolgt."

Gleichzeitig wurde dem Erkenntnis des VfGH vom 21.6.2004, G 198/01, Rechnung getragen, mit dem die Wortfolge "während der gesamten mit der Ausführung der Geschäfte verbrachten Zeit" in TP 7 RATG als verfassungswidrig aufgehoben wurde, indem eine Änderung der TP 7 und der TP 9 Z 4 vorgenommen wurde.

Die Gesetzesänderung wurde von Obermaier, Das Kostenhandbuch, Rz 602 ff umfassend kommentiert.

Er nahm zur neu geschaffenen TP 3 A III den Standpunkt ein, dass

1) nach der gesetzlichen Regelung unklar sei, ob hier eine Honorierung wie im Abschnitt 3 A I (Schriftsatzaufwand) oder wie im Abschnitt 3 A II (Verhandlungsaufwand - nach begonnenen Stunden) zu erfolgen habe, dass aber nach der Systematik des RATG von einem Pauschale für die gesamte Leistung auszugehen sei,

2) die Formulierung "über Auftrag des Gerichts" unklar sei, zumal auch die ErläutRV dazu schweigen, dass aber wohl nur ein gerichtlicher Auftrag an den Sachverständigen, die Parteienvertreter beizuziehen, anspruchsbegründend sei,

3) zum Grundhonorar nach TP 3 A III RAT nur der einfache Einheitssatz (§ 23 Abs 1 RATG) gebühre, zumal eine Änderung des Abs 5 des § 23 RATG nicht erfolgt sei und die Verrechnung des doppelten Einheitssatzes wiederum dem Honorar nach TP 9 RAT entgegenstehen würde. Für auswärtige Verhandlungen - Regelfall bei solchen Befundaufnahmen - wäre die nach den ErläutRV angestrebte Honorierung der Reisezeit nach TP 9 sinnentleert, würde die bei der Befundaufnahme verbrachte Zeit gleich auswärtigen gerichtlichen Tagsatzungen mit dem doppelten Einheitssatz honoriert;

4) sei die Reisezeit in beiden Fällen (Leistung nach TP 3 A III oder nach TP 7) nach TP 9 RAT zu verrechnen. Reiseauslagen seien zusätzlich verrechenbar.

Der Gesetzgeber hat in der Folge zunächst mit der Gerichtsgebühren- und Insolvenzrechts-Novelle 2006 - GIN 2006 eine Änderung des Rechtsanwaltstarifs durch Anfügung eines § 23a RATG vorgenommen, ohne sich zu Anpassungen veranlasst zu sehen.

Mit dem Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 - BRÄG 2008 jedoch wurde sowohl eine Änderung des § 23 Abs 5 RATG als auch eine Änderung der TP 3 A III auf den Wortlaut "III. Für die Teilnahme an der Befundaufnahme durch Sachverständige gebührt in allen Verfahren die im Abschnitt II festgesetzte Entlohnung, sofern die Beiziehung der Parteienvertreter über ausdrücklichen Auftrag des Gerichts erfolgt."

mit der den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu entnehmenden Begründung vorgenommen, dass mit dem durch BGBl I Nr 68/2005 neu angefügten TP 3 A III RATG angestrebt gewesen sei, die Beteiligung von Rechtsanwälten an Befundaufnahmen durch Sachverständige, weil diese häufig der Intervention bei einer kontradiktorischen Verhandlung vor Gericht gleichstehe, so wie diese zu entlohnen. Demgemäß habe eine Entlohnung nach dieser Gesetzesstelle immer dann stattzufinden, wenn die Beiziehung der Parteienvertreter zur Befundaufnahme über Auftrag des Gerichts erfolge. Von Teilen der Rechtsprechung und Lehre (Obermaier, Kostenhandbuch Rz 602 f.) werde dazu aber vertreten, dass die Teilnahme des Rechtsanwalts an der Befundaufnahme nicht entsprechend der Verhandlungsteilnahme des Rechtsanwalts, sondern als zeit-unabhängige Pauschale zu honorieren sei. Deshalb scheine eine gesetzliche Klarstellung im angeführten Sinn geboten. Bei dieser Gelegenheit solle auch klargestellt werden, dass die eine Voraussetzung des Entlohnungsanspruches nach TP 3 A Abschnitt III RATG darstellende Beiziehung der Parteienvertreter durch das Gericht nur erfüllt sei, wenn diese Beiziehung über ausdrücklichen Auftrag des Gerichtes erfolge.

Auf Grund dieser ausdrücklichen Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit der von Obermaier aaO vertretenen Auffassung zu den durch die EO-Nov. 2005 und Anfügung des TP 3 A Abschnitt III bewirkten Gesetzesänderungen bleibt kein Grund anzunehmen, auch die auf dem klaren Gesetzeswortlaut des § 23 Abs 1 bzw Abs 5 RATG beruhende Ansicht Obermaiers, zum Grundhonorar nach TP 3 A III RATG gebühre nur der einfache Einheitssatz, bedürfe einer Korrektur und es liege eine vom Gesetzgeber insoweit nicht gewollte Anwendungslücke vor. Mit der dargestellten Entwicklung ist der Auffassung der Boden entzogen, es habe in einer unterlassenen Änderung des § 23 Abs 5 RATG bei Neuschaffung der TP 3 A III ein bloßes Redaktionsversehen vorgelegen (so etwa Thiele, Anwaltskosten², 233).

Der Rekurs ist daher berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO und § 11 RATG.

Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO jedenfalls

unzulässig.

Oberlandesgericht Wien

1016 Wien, Schmerlingplatz 11

Anmerkung

EW006782R216.08m

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2009:00200R00216.08M.0306.000

Zuletzt aktualisiert am

02.06.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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