TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/15 99/20/0194

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Veröffentlicht am 15.03.2001
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
B-VG Art129;
B-VG Art129c;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 10. Jänner 1972 geborenen MM in Wien, vertreten durch Mag. Stefan Benesch, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schwindgasse 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Februar 1999, Zl. 204.082/0- XII/37/98, betreffend die §§ 7 und 8 des AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Angehöriger der Demokratischen Republik Kongo, reiste am 29. April 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 6. Mai 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Als Fluchtgründe gab er anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt an, er sei Volksschullehrer in Kinshasa gewesen. Er sei 1992 der UDPS beigetreten und sei zunächst nur einfaches Parteimitglied gewesen. Er habe zwar an Versammlungen und Demonstrationen teilgenommen, habe jedoch keine bestimmte Funktion gehabt. Etwa Ende April 1994 habe er die Funktion eines Jugendsekretärs erhalten. Am 14. Februar 1998 sei Tschisekedi verhaftet worden; daraufhin sei eine Weisung der Bundesversammlung heraus gegeben worden, dass alle Gruppen der Partei zum Amtssitz der UDPS in Kinshasa gehen sollten. Nach der Demonstration hätte ein Marsch stattfinden sollen, Kabila habe jedoch jegliche Versammlungen verboten. Am 17. Februar 1998 seien dann Soldaten des Kabila gekommen und hätten begonnen, Leute zu schlagen und zu erschießen. Viele seien verhaftet worden, darunter auch der Beschwerdeführer. Man habe ihn in der Nacht in ein (näher bezeichnetes) Dorf, wo sich ein Camp von Kabila-Soldaten befunden habe, gebracht. Er habe sich in diesem Camp bis zum 14. Februar 1998 aufgehalten; an diesem Tag habe ihm ein Kabila-Soldat zur Flucht verholfen. Dieser Soldat habe seinen Vater gekannt und veranlasst, dass ihm deshalb während eines Transportes der Gefangenen zur Flucht verholfen werde.

Vor dem Bundesasylamt wurde der Beschwerdeführer in weiterer Folge detailliert zur Geschichte der UDPS und zur politischen Entwicklung in der demokratischen Republik Kongo, insbesondere hinsichtlich der Vorfälle im Jahre 1997, sowie zur Herstellung seines Parteiausweises befragt.

Mit Bescheid vom 9. Juni 1998 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl vom Bundesasylamt unter Spruchpunkt I gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), abgewiesen und unter Spruchpunkt II die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo gemäß § 8 leg. cit. festgestellt. Das Bundesasylamt ging aus näher dargestellten Gründen davon aus, dass den Angaben des Beschwerdeführers auf Grund einer Vielzahl von Ungereimtheiten bzw. unrichtigen Angaben und Wissenslücken kein Glaube zu schenken gewesen sei. Es müsse dem Beschwerdeführer daher die Glaubwürdigkeit seiner Angaben hinsichtlich der Mitgliedschaft zur UDPS abgesprochen werden und es sei auch nicht glaubhaft, dass er im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft zu dieser Partei inhaftiert worden sei. Daran ändere auch die Vorlage seines Parteiausweises nichts, weil es eine Tatsache sei, dass derartige Ausweise von verschiedensten Parteien auf leichtem Weg durch Bezahlung zu erhalten seien. Es könne daher nicht zur Asylgewährung aus den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Gründen kommen und es könne aus diesen Gründen auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG ausgegangen werden.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er sich gegen die Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz wandte und versuchte, einige von der Behörde erster Instanz aufgezeigte Ungereimtheiten bzw. Wissenslücken zu erklären und klar zu stellen. Zum Nachweis seiner Identität legte er seinen Führerschein im Original vor.

Eine Überprüfung dieses Führerscheins ergab nach einem Untersuchungsbericht der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit vom 7. September 1998, dass dieses Dokument auf Grund seiner Ausführung eine Nachahmung darstelle. Dieses Beweisergebnis wurde dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 18. November 1998 zur Kenntnis gebracht, ohne dass der Beschwerdeführer dazu eine Stellungnahme abgab.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers unter Spruchpunkt 1 gemäß § 7 AsylG ab und stellte unter Spruchpunkt 2 gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr. 75/1997 (FrG), fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Demokratische Republik Kongo zulässig sei.

Die belangte Behörde begründete dies im Wesentlichen damit, dass auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, im Zuge dessen das Vorbringen des Beschwerdeführers die zentrale Entscheidungsgrundlage darstellte, der erstinstanzlichen Behörde beizupflichten sei, dass sich aus dem Inhalt der Niederschriften keine hinreichend deutlichen Hinweise auf einen Sachverhalt erkennen ließen, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage komme. So würden - neben ergänzenden eigenen Erwägungen - die Ausführungen zur Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz zum Bestandteil des gegenständlichen Bescheides erhoben. Auch bezüglich der Vorlage des Parteiausweises hinsichtlich der UDPS-Mitgliedschaft des Beschwerdeführers schließe sich die Berufungsbehörde der Ansicht der Behörde erster Instanz an. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer zum Nachweis seiner Identität - offenbar in Täuschungsabsicht - den sich als Totalfälschung entpuppenden Führerschein vorgelegt und von der Möglichkeit einer Stellungnahme zum Untersuchungsergebnis nicht Gebrauch gemacht. Bei einer Gesamtbetrachtung der Ausführungen des Beschwerdeführers unter Zugrundelegung der Ermittlungsergebnisse der Behörde erster Instanz sowie insbesondere auf Grund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Asylbehörden über seine wahre Identität zu täuschen gewillt gewesen sei, habe ihm jegliche persönliche Glaubwürdigkeit abgesprochen werden müssen. Es sei ihm daher auf Grund der erwiesener Maßen nicht der Realität entsprechenden Angaben nicht gelungen, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen. Ebenso wenig bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abweisung Gefahr liefe, in seinem Heimatstaat einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Berufungsvorbringen geklärt sei, habe gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, (im Folgenden: FlKonv) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1998 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden. Deshalb finden für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG Anwendung, sofern im AsylG oder in einem anderen Gesetz keine spezielle Bestimmung normiert ist. Im AsylG findet sich zu § 67d AVG keine spezielle Regelung. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG hat der unabhängige Bundesasylsenat § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat etwa dann nicht als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn in der Berufung ein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird.

Im vorliegenden Fall ergibt sich die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Beschwerdeführer bereits daraus, dass dieser die Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz bekämpft und ausdrücklich auf seine Glaubwürdigkeit hingewiesen hat. Auch aus dem Umstand, dass die Berufungsbehörde von sich aus neue Ermittlungen (zur Echtheit des vom Beschwerdeführer vorgelegten Führerscheins) angestellt und auch die daraus gewonnenen neuen Sachverhaltsfeststellungen ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt hat, ergibt sich die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung. Diesem Erfordernis kann nicht dadurch entsprochen werden, dass dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu Ermittlungsergebnissen eingeräumt wird.

Allerdings führt nicht jede Verfahrensverletzung zur Aufhebung eines damit belasteten Bescheides, sondern nur eine solche, bei deren Vermeidung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Hätte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durchgeführt, so wäre nicht auszuschließen, dass sie den Ausführungen zu seinen Fluchtgründen zur Gänze Glaubwürdigkeit geschenkt hätte. Diesfalls wäre es aber möglich, dass sie zur Überzeugung gelangt wäre, der aus der - seinen Behauptungen nach wegen politischer Betätigung verhängten - Haft entflohene Beschwerdeführer sei als Mitglied einer regierungskritischen Partei mit politischer Verfolgung in asylrelevanter Intensität bedroht. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des ihr unterlaufenen Verfahrensmangels zu einem anders lautenden Bescheid gelangt wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 15. März 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999200194.X00

Im RIS seit

18.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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