TE OGH 2009/2/24 10ObS24/09s

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Veröffentlicht am 24.02.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ilija A*****, vertreten durch Weinberger Gangl Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 2008, GZ 12 Rs 65/08b-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. März 2008, GZ 59 Cgs 141/06d-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 371,52 EUR (darin 61,92 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Bei dem am 8. 11. 1946 geborenen Kläger, der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 12. 2005) überwiegend als Hilfsarbeiter beschäftigt war, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit leidensbedingten jährlichen Krankenständen von mehr als 7 Wochen zu rechnen. Der Zustand des Klägers ist behandel- und besserbar; insbesondere kann eine medikamentöse antidepressive Behandlung zu einer Verringerung der Krankenstandsprognose sowie zu einer höheren psychophysischen Belastbarkeit führen. Eine derartige Behandlung ist dem Kläger zumutbar. Der Kläger verfügt über die nötige Diskretions- und Dispositionsfähigkeit. Eine allfällige Besserung ist in einem Zeitraum von etwa neun Monaten ab Behandlungsbeginn möglich. Das (vom Erstgericht im Einzelnen festgestellte) Leistungskalkül besteht seit Juni 2006.

Das Erstgericht sprach aus, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1. 1. 2005 die Invaliditätspension zu gewähren, dem Grunde nach für den Zeitraum vom 1. 6. 2006 bis 31. 10. 2008 zu Recht besteht. Das Mehrbegehren auf Gewährung der Invaliditätspension für den Zeitraum vom 1. 12. 2005 bis 31. 5. 2006 sowie unbefristet über den 1. 11. 2008 hinaus wurde abgewiesen.

Wenn das Leistungskalkül des Klägers bereits seit Juni 2006 bestehe und eine Besserung frühestens in einem Zeitraum von neun Monaten ab Behandlungsbeginn, der zumutbar mit Jänner 2008 (Tagsatzung zur Streitverhandlung 10. 1. 2008, ON 14) anzusetzen sei, zu erwarten sei, sei die Invalidität im Hinblick auf die prognostizierten Krankenstände von zumindest sieben Wochen oder mehr pro Jahr (ab Juni 2006) für den Zeitraum von Juni 2006 bis neun Monate ab Behandlungsbeginn im Jänner 2008 zu bejahen, somit bis 31. 10. 2008.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Im konkreten Fall sei nicht ein Krankenstand in einem begrenzten Zeitraum festgestellt worden, sondern es seien - ausgehend vom Stichtag 1. 6. 2006 - zumindest für einen Zeitraum von zwei Jahren und fünf Monaten mehr als siebenwöchige zu erwartende Krankenstände prognostiziert worden. Die festgestellte Möglichkeit einer Besserung nach neunmonatiger Behandlung (mit der das Erstgericht nur die Befristung der Pension gerechtfertigt habe) könne nicht mit einem (einmaligen) längerdauernden Krankenstand gleichgesetzt werden. Der Invaliditätsbegriff sei im Gesetz (§ 254 Abs 1 ASVG) als Zustand definiert, der voraussichtlich sechs Monate andauern werde oder würde. Gründe sich die Invalidität auf eine vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließende jährliche Krankenstandshäufigkeit, sei auf diesen Prognosezeitraum abzustellen. Dem Umstand, dass sich der Zustand und damit die Krankenstandshäufigkeit verändern könnten, habe der Gesetzgeber in § 256 Abs 1 ASVG mit der grundsätzlichen Befristung der Invaliditätspension Rechnung getragen. Nur in diesem Zusammenhang und nicht bei Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen aufgrund des gesundheitlichen Zustands des Versicherten zum Stichtag spiele die Frage der Besserungsmöglichkeit nach Ablauf einer bestimmten Behandlungsdauer eine Rolle. Ab 1. 6. 2006 sei beim Kläger mit jährlichen Krankenständen von mehr als sieben Wochen zu rechnen gewesen, sodass er allein schon deshalb (ex ante betrachtet) nach ständiger Rechtsprechung vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen gewesen sei. Erst in der Verhandlung vom 10. 1. 2008 habe der Kläger von der Behandlungsmöglichkeit und deren Dauer Kenntnis erlangt. Folgerichtig habe das Erstgericht die beantragte Leistung nur befristet zugesprochen.

Die Revision sei zulässig, weil eine Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt (Invalidität aufgrund der Krankenstandsprognose für einen zeitlich begrenzten Zeitraum) nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Die beklagte Partei vertritt in ihren Rechtsmittelausführungen weiterhin - zusammengefasst - die Auffassung, dass ein Ausschluss vom allgemeinen Arbeitsmarkt im Hinblick auf die Krankenstandsprognose voraussetze, dass trotz zumutbarer Krankenbehandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßige leidensbedingte Krankenstände von sieben Wochen und darüber zu erwarten seien. Auf dieser Grundlage sei fiktiv - und nicht tatsächlich zum Stichtag - zu prüfen, ob es einem durchschnittlichen Arbeitgeber noch zugemutet werden könne, krankheitsbezogene Abwesenheiten des potenziellen Arbeitnehmers noch zu akzeptieren oder ob ein besonderes Entgegenkommen des fiktiven Arbeitgebers angenommen werden müsse. Die Krankenbehandlung sei bereits in die Prognose einzubeziehen. Wegen der fiktiven Betrachtungsweise betrage der Prognosezeitraum (nur) neun Monate, weil er nicht durch Nichtinanspruchnahme einer Behandlung erweitert werden könne. Bei einem neunmonatigen Beurteilungszeitraum fehle aber das erforderliche Element der Regelmäßigkeit; eine längere einmalige krankheitsbedingte Abwesenheit des Arbeitnehmers erfordere kein Entgegenkommen des Arbeitgebers. Auch im Arbeitsrecht werde judiziert, dass überhöhte Krankenstände, die in einem kürzeren Zeitraum als drei Jahren vorliegen, keine Kündigung rechtfertigen.

Dazu wurde erwogen:

Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist ein Versicherter vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer Krankenbehandlung leidensbedingte Krankenstände in einer Dauer von sieben Wochen und darüber im Jahr zu erwarten sind (10 ObS 184/92 = SSV-NF 6/82; RIS-Justiz RS0084855 [T7], RS0084898 [T12]). Es kann nämlich nicht damit gerechnet werden, dass krankheitsbedingte Abwesenheiten in einem solchen Ausmaß von den in Betracht kommenden Arbeitgebern akzeptiert werden; ein derart betroffener Versicherter würde in diesem Fall nur bei besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers auf Dauer beschäftigt werden (10 ObS 159/93 = SSV-NF 7/76). Zeiten „einmaliger", wenn auch länger dauernder Krankenstände (zB Hüftoperation) sind im Regelfall nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einzubeziehen (10 ObS 126/05k = SSV-NF 20/7).

Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen war beim Kläger ab Juni 2006 davon auszugehen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit mit leidensbedingten jährlichen Krankenständen von mehr als sieben Wochen zu rechnen war. Allein auf dieser Grundlage - ohne Einbeziehung der Möglichkeit einer zumutbaren Krankenbehandlung - war das Bestehen von Invalidität im Sinne der ständigen Rechtsprechung zu bejahen. Dem haben auch die Vorinstanzen Rechnung getragen, wobei allerdings im Hinblick auf die Besserbarkeit die Invaliditätspension nur befristet für den Zeitraum vom 1. 6. 2006 bis 31. 10. 2008 zugesprochen wurde.

Nach den ausdrücklichen Feststellungen ist „eine allfällige Besserung ... in einem Zeitraum von etwa neun Monaten ab Behandlungsbeginn möglich". Damit ist aber der von der beklagten Partei zu erbringende Nachweis, dass die Invalidität mittels zumutbarer Behandlung beseitigbar ist, für den Zeitraum, für den ein Pensionszuspruch erfolgte, nicht erbracht, weshalb sich die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht stellt.

Die Revision der beklagten Partei ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Danach hat die klagende Partei, die in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, Anspruch auf Ersatz ihrer richtig verzeichneten Kosten im Revisionsverfahren.

Textnummer

E90021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00024.09S.0224.000

Im RIS seit

26.03.2009

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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