TE OGH 2009/1/28 9Ob87/08x

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Veröffentlicht am 28.01.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 12. August 2004 verstorbenen Johanna S*****, infolge Antrags der Carole A*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH, Wien, auf Gewährung der Akteneinsicht in den Verlassenschaftsakt 7 A 289/04x, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Erben Dr. Michael B*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar und Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwälte OEG, Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. Oktober 2008, GZ 43 R 582/08v-23, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 24. Juli 2008, GZ 7 A 289/04x-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Revisionsrekurswerber hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin Carole A***** ist die geschiedene Ehegattin des Dr. Michael B*****, dem als Alleinerben seiner am 12. 8. 2004 verstorbenen Mutter Johanna S***** am 3. März 2005 deren gesamter Nachlass eingeantwortet wurde.

Carole A***** beantragte am 9. Juli 2008 Akteneinsicht in den Verlassenschaftsakt 7 A 289/04x und die Möglichkeit zur Anfertigung von Fotokopien des Aktes und seiner Beilagen. Die Antragstellerin führte aus, nach der Scheidung ein Verfahren nach §§ 81 ff EheG zur Aufteilung ehelichen Gebrauchsvermögens und ehelicher Ersparnisse zu betreiben. Der Antragsgegner habe sich zuletzt in einem Brief vom 12. 6. 2008 auf Zuwendungen seiner Mutter berufen. Dazu legte die Antragstellerin ein Schreiben des Antragsgegners vor, aus welchem hervorgeht, dass dieser die Einbeziehung von Immobilien in die Aufteilung nur als zum Teil berechtigt erachtet, weil ihm 1,1 Mio ATS von seiner Mutter zum Liegenschaftsankauf geschenkt worden seien. Die Antragstellerin brachte weiter vor (AS 44 Mitte), dass, weil von Todes wegen erworbene und von Dritten geschenkte Sachen nicht der Aufteilung unterliegen, ihr berechtigtes Interesse daran bestehe, zu wissen, ob bzw inwieweit sich aus dem Verlassenschaftsakt Sachen oder Ersparnisse ergeben, die bei der anstehenden Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse nicht in Anschlag zu bringen sind. Gemäß § 22 AußStrG iVm § 219 ZPO bestehe ein rechtliches Interesse der Antragstellerin an der Akteneinsicht, weil sich ihre Beweislage im Aufteilungsverfahren durch Einsichtnahme in den Verlassenschaftsakt verbessere.

Der Erbe und Antragsgegner sprach sich gegen die begehrte Akteneinsicht aus. Das Verlassenschaftsverfahren sei ohne jede Relevanz für das Aufteilungsverfahren. Die Schenkung sei lange vor dem Tod der Mutter des Antragsgegners erfolgt, die Zuweisung des Nachlassvermögens bereits lange nach der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft des Antragsgegners mit der Antragstellerin. Somit sei kein rechtliches Interesse der Antragstellerin an einer Akteneinsicht zu erkennen.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Akteneinsicht ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass ein rechtliches Interesse der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht worden sei: Wie sich die Kenntnis der nachlasszugehörigen Gegenstände bei der Geltendmachung nachehelicher Aufteilungsansprüche gegen den Erben günstig auswirken könne, sei nicht nachvollziehbar. Fehle es aber schon am rechtlichen Interesse der Antragstellerin, bedürfe es auch keiner Abwägung mit dem Interesse des Antragsgegners an der Geheimhaltung seiner Privatsphäre.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin Folge und bewilligte in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses die Akteneinsicht. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der Revisionsrekurs nicht zulässig sei. § 22 AußStrG verweise unter anderem auf die Bestimmung des § 219 Abs 2 ZPO. Danach könnten mit Zustimmung beider Parteien auch dritte Personen in die Prozessakten Einsicht nehmen und Abschriften erhalten; fehle eine solche Zustimmung, so könne einem Dritten eine solche Einsicht und Abschriftnahme gestattet werden, wenn er ein rechtliches Interesse glaubhaft mache. Ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtbegehrenden selbst reiche nicht aus. Das rechtliche Interesse müsse vielmehr ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über ein bloß wirtschaftliches Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreiche. Die Einsicht und Abschriftnahme müsse folglich Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben, die Kenntnis des betreffenden Akteninhalts müsse sich auf die privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken. Das rechtliche Interesse der Rekurswerberin sei anzuerkennen, wenn sie als Dritte aus dem Akt etwas erfahren wolle, was sie nicht wisse, aber zur Wahrung ihrer Interessen wissen müsse. Dabei genüge es, wenn der Akteninhalt den Rechtskreis der Antragstellerin auch nur mittelbar berühre, weshalb insoweit eine weitherzige Handhabung angezeigt sei (RIS-Justiz RS0037263 [T5]). Es sei der Rekurswerberin dahin zu folgen, dass es für die Annahme ihres gerechtfertigten Interesses genügen müsse, dass sie durch die Einsicht in den Verlassenschaftsakt nach der Mutter des Antragsgegners in die Lage versetzt werde, zu beurteilen, ob bzw inwieweit gemäß § 82 Abs 1 Z 1 EheG im Erbweg an den Antragsgegner übergegangene Vermögenswerte aus der Aufteilungsmasse im Sinn der §§ 81 ff EheG auszuscheiden seien, wodurch sich auch mögliche nachteilige Kostenfolgen für die Antragstellerin vermeiden ließen. Dass sie ein Aufteilungsverfahren anstrebe, werde vom Antragsgegner als zutreffend zugestanden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 219 Abs 2 ZPO, worauf § 22 AußStrG verweist, können mit Zustimmung beider Parteien auch dritte Personen in gleicher Weise Einsicht nehmen und auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erhalten, soweit dem nicht überwiegende Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen im Sinn des § 26 Abs 2 erster Satz DSG entgegenstehen. Fehlt eine solche Zustimmung, so steht einem Dritten Einsicht und Abschriftnahme überdies nur insoweit zu, als er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht. Liegt demnach die Zustimmung der Parteien - wie hier - nicht vor, ist, wie schon vom Erstgericht diesbezüglich zutreffend erkannt, eine zweistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein rechtliches Interesse des Dritten, der Einsicht begehrt, besteht. Erst wenn dieses bejaht wird, ist die Abwägung vorzunehmen, ob das Recht des Dritten dasjenige der Verfahrensparteien überwiegt. Bei der Beurteilung, ob einem Dritten ein Akteneinsichtsrecht zusteht, ist immer auch das Recht auf Geheimhaltung derjenigen Personen zu beachten, deren personenbezogene Daten im Akt enthalten sind. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Akteneinsicht des Dritten unbedingt nötig ist oder ob sie einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre darstellt (ErläutRV 613 BlgNR 22. GP 15).

Im ersten Schritt ist also das konkrete rechtliche Interesse desjenigen, der Akteneinsicht begehrt, zu prüfen. Dieses muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes sein, das über ein bloß wirtschaftliches Interesse oder über ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtbegehrenden hinausreicht (RIS-Justiz RS0079198 [T3]). Zunächst kann dahinstehen, ob die bloße Behauptung einer „Beweiserleichterung" schon ausreicht, um darauf einen erfolgreichen Antrag auf Akteneinsicht gründen zu können, zumal gar nicht vorgebracht wurde, was überhaupt bewiesen werden soll. Dem Antragsvorbringen ist, wie schon vom Erstgericht erkannt, ein konkretes Interesse nicht zu entnehmen: Die als einzige Begründung zur Notwendigkeit der Akteneinsicht herangezogene Befürchtung der Antragstellerin, ins Aufteilungsverfahren sonst auch Gegenstände und Ersparnisse irrtümlich einbeziehen zu können, die wegen einer nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft (!) erlangten Erbschaft nicht einzubeziehen wären, stellt für sich noch kein konkretes rechtliches Interesse dar. Es wurde nicht einmal behauptet, dass ein Streit etwa in der Form bestehe, dass der Antragsgegner eingewendet habe, dass nach Auffassung der Antragstellerin der Aufteilung unterliegende Sachen erst im Erbweg erworben worden seien. Dass sie bei entsprechender Anleitung (§ 182 ZPO iVm § 14 AußStrG) ein solches Vorbringen erstattet hätte, behauptet sie auch in ihrem Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts nicht. Der Hinweis in der Mängelrüge des Rekurses, die Antragstellerin hätte bei entsprechender Anleitung auch vorgebracht, aus dem Verlassenschaftsakt hätten sich Rückschlüsse auf die Vermögenslage der Verstorbenen zu deren Lebzeiten und damit auf die Möglichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer Schenkung an den Antragsgegner ergeben, ist schon wegen des Verstoßes gegen das Neuerungsverbot unbeachtlich. Das Erstgericht war nämlich im Rahmen der Anleitungspflicht nach § 14 AußStrG, § 182 ZPO nicht gehalten, auf nicht einmal andeutungsweise aus dem Akteneinsichtsantrag hervorgehende, allfällige weitere Gründe, die ein rechtliches Interesse begründen könnten, hinzuweisen.

Da nach § 205 AußStrG auf das vorliegende Verlassenschaftsverfahren noch die Bestimmungen des AußStrG alt anzuwenden sind, welches einen Kostenersatz nicht kennt, hat der Revisionsrekurswerber die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Textnummer

E89907

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0090OB00087.08X.0128.000

Im RIS seit

27.02.2009

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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