TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/09 C15 243256-0/2008

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Veröffentlicht am 09.03.2009
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Spruch

C15 243.256-0/2008/13E

 

Im Namen der Republik

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde des S. alias Y. M., StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.10.2003, FZ. 03 04.423, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.04.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und S. alias Y. M. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG wird festgestellt, dass S. alias Y. M. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 05.02.2003 unter Hinweis auf § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Bedrohungssituation aufgrund widersprüchlicher Angaben und Lücken bei seinen Angaben zu präzisen Haftdaten unglaubwürdig gewesen sei und die Behörde daher aufgrund seiner "weitgehend vagen, auch widersprüchlichen und auch Lebens- und Amtserfahrungen widersprechenden Ausführungen, ebenso im Hinblick auf [sein] in keinster Weiser gerechtfertigten Benehmen der Asylbehörde gegenüber" zum Schluss komme, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht der Realität entsprechen könne. Da auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass er Gefahr laufe, in der Türkei einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu sein, wurde schließlich auch die Abschiebung in die Türkei für zulässig erklärt.

 

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Berufung (im Folgenden: Beschwerde).

 

3. Am 08.04.2008 führte der Unabhängige Bundesasylamt als Berufungsbehörde in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der lediglich der Beschwerdeführer als Partei teilnahm. Der Verhandlung zugezogen wurde ein Sachverständiger für die politische und wirtschaftliche Lage in der Türkei. Da der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Berufungsergänzung (= Beschwerdeergänzung) vom 11.11.2003 die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Aufnahme eines Kontakts mit einem Vertrauensanwalt zur Einholung von Erkundigungen bei den türkischen Behörden hinsichtlich der Frage eines bestehenden Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer beantragt hatte, wurde der Sachverständige XY mit den diesbezüglichen Recherchen betraut und wurden die Rechercheergebnisse im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat erörtert (siehe Verhandlungsprotokoll OZ 9).

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit und stammt aus Istanbul. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Der Beschwerdeführer hat ab seinem dritten Lebensjahr bis zum Jahr 1994 in T. gelebt, danach übersiedelte die Familie nach E.. Dort wurde der Vater des Beschwerdeführers mehrmals von Spezialeinheiten der Polizei festgenommen; er wurde beschuldigt die PKK zu unterstützen. Der Beschwerdeführer zog dann 1996 nach Istanbul, wo er bis 2001 blieb. Im April 2001 unterstützte er aktiv die PKK in den Bergen der Schwarzmeerregion. Ende November 2002 kehrte er nach Istanbul zurück, wo er sich in verschiedenen Wohnungen von Freunden aufhielt, bis er im Jänner 2003 aus der Türkei flüchtete. Der Beschwerdeführer wurde auch zwei Mal im Jahre 1995 festgenommen, weil die ganze Familie im Verdacht stand, die PKK zu unterstützen. Über seine Tätigkeit bei dem Kulturverein Tohum machte er Bekanntschaft mit der TKPML (Türkische Kommunistische Partei Marxist Leninist), eine illegale politische Partei. Der Beschwerdeführer nahm in der Folge, im Zeitraum von 1996 bis 1998, an mehreren Demonstrationen und Protestkundgebungen teil. In diesem Zeitraum wurde er auch häufig gemeinsam mit anderen Mitarbeitern des Kulturvereins im Zuge von Demonstrationen und Protestkundgebungen festgenommen und auch massiv gefoltert, letztmalig im Februar 2001. Gegen den Beschwerdeführer besteht ein Such- und ein landesweiter Haftbefehl wegen Mitgliedschaft bei einer illegalen Partei sowie Unterstützung und Hilfeleistung der PKK. Der Beschwerdeführer ist zudem in Österreich exilpolitisch bei der Organisation ATIGIF (Föderation der Arbeitnehmer aus der Türkei in Österreich; eine legale kommunistisch gesinnte Organisation) aktiv, zu deren Mitglieder vor allem Angehörige oder Sympathisanten der TKPML zählen.

 

1.2. Zur Lage in der Türkei:

 

Mit dem Wiedererstarken des PKK-Terrorismus wurde seit Mitte 2005 der Ruf nach einschneidenderen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung lauter. Am 29.06.2006 hat das Parlament zahlreiche Verschärfungen im Anti-Terror-Gesetz verabschiedet (das Gesetz ist am 18.7.2006 in Kraft getreten). Die von Menschenrechts-Organisationen und den Medien stark kritisierten Änderungen sehen u.a. eine Wiedereinführung des abgeschafften Art. 8 Anti-Terror-Gesetz ("separatistische Propaganda"), eine wenig konkret gefasste Terror-Definition, eine Ausweitung von Straftatbeständen, die Schwächung der Rechte von Verhafteten und eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitskräfte vor. Das Anti-Terror-Gesetz in seiner veränderten Form droht die Meinungsfreiheit weiter zu beschneiden und ermöglicht für viele Handlungen, die nicht in Zusammenhang mit Gewaltakten stehen, die Verurteilung als Beteiligung an Terrordelikten. Das verschärfte Anti-Terrorgesetz, wird allgemein als Konzession an die türkischen Sicherheitskräfte angesehen. ...

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S.

16)

 

Man geht davon aus, dass ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei von 72 Millionen - also ca. 14 Millionen Menschen - (zumindest teilweise) kurdischstämmig ist. Im Westen der Türkei und an der Südküste leben die Hälfte bis annähernd zwei Drittel von ihnen: ca. 3 Mio. im Großraum Istanbul, 2-3 Mio. an der Südküste, 1 Mio. an der Ägäis-Küste und 1 Mio. in Zentralanatolien. Ca. 6 Mio. kurdischstämmige Kurden leben in der Ost- und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Kurden leben auch im Nord-Irak, Iran, in Syrien und Georgien. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit nie staatlichen Repressionen unterworfen. Auch über erhöhte Strafzumessung in Strafverfahren ist nichts bekannt. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden). Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus. Innenminister Aksu z.B. ist kurdischer Abstammung. Er hat Reden auf kurdisch gehalten, allerdings nicht bei offiziellen Anlässen.

 

Die Tatsache, dass "Separatismus" und "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande" kurdischstämmigen Türken weit öfter als anderen Türken vorgeworfen wurden, liegt daran, dass Verbindungen mit und Unterstützung der Terrororganisation PKK sich nahezu ausschließlich aus kurdischstämmigen Kreisen rekrutierte. ...

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S.

18)

 

PKK

 

Die Kurdenfrage ist eng verflochten mit dem jahrzehntelangen Kampf der türkischen Staatsgewalt gegen die von Abdullah Öcalan gegründete sog. "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) und ihre terroristischen Aktionen. Das in Deutschland und der EU bestehende Verbot der Terrororganisation PKK erstreckte sich auch auf die Nachfolgeorganisationen unter anderem Namen (s.u.). Die türkische Regierung hatte lange Zeit die Kurdenfrage nur einseitig als Kampf gegen Terrorismus und Separatismus der PKK betrachtet, ohne daneben die kulturelle Dimension zu sehen. Die 1984 von der PKK begonnenen und bis 1999 andauernden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den türkischen Sicherheitskräften im Südosten der Türkei haben fast 35.000 Menschenleben unter PKK-Kämpfern, türkischen Sicherheitskräften und der Zivilbevölkerung gefordert. Seitdem hat sich die Lage beruhigt. Die Stärke der PKK wird aktuell auf noch 5.000-5.500 Kämpfer geschätzt, davon ca. zwei Drittel im Nordirak. Türkische Erwartungen, die USA würden im Nordirak gegen die PKK vorgehen, haben sich bisher nicht erfüllt.

 

Die PKK verkündete jedoch zum 01.06.2004 die Beendigung des von ihr ausgerufenen "Waffenstillstands". Seitdem kam es im Südosten nach offiziellen Angaben wieder vermehrt zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen türkischem Militär und PKK-Terroristen, die seit Mai 2005 weiter eskaliert sind. ...

 

Ein vorläufiger Höhepunkt der jüngsten Spannungen wurde nach den - wie schon in den vergangenen Jahren - friedlich verlaufenen Newroz-Feierlichkeiten erreicht, als es zwischen dem 28. und 31.03.2006 in Diyarbakir im Südosten zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen oft mehreren Tausend meist jugendlichen Demonstranten aus dem Umfeld der PKK sowie türkischen Sicherheitskräften kam. Auslöser der Unruhen war die Beerdigung von vier in einem Gefecht mit türkischen Sicherheitskräften getöteten PKK-Terroristen. Die Ausschreitungen haben in der gesamten Türkei mindestens 15 Todesopfer, darunter mindestens drei Kinder unter 10 Jahren, sowie mehr als 350 Verletzte - hierunter knapp 200 Sicherheitskräfte - gefordert. Erstmals seit langer Zeit hat die PKK 2005 und 2006 auch wieder Bombenattentate gegen touristische Ziele verübt, so z.B. am 16.07.2005 in Kusadasi (bei Izmir) mit fünf Todesopfern, zuletzt am 02.04.2006 in Istanbul. Von 2002 bis 2004 hatte sich die Terrororganisation PKK mehrfach umbenannt (KADEK/KHK/KONGRA-GEL), ohne dass dies an ihrem Charakter als Terrororganisation etwas änderte. Mittlerweile ist sie zu ihrer alten Bezeichnung PKK zurückgekehrt. (Für die von ihr selbst als politisch bezeichnete Betätigung im Ausland hat sie jedoch die Bezeichnung KONGRA-GEL beibehalten). Ihr Anführer, der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmara-Meer. ...

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S. 20, 21)

 

Behandlung Abgeschobener nach ihrer Rückkehr in die Türkei

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat.

 

Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte. (so die vom BT-Petitionsausschuss übermittelte Falldarstellung nach freiwilliger Ausreise einer kurdischstämmigen Familie, die kurz vor Abschiebung stand und wiederholt über mehrere Tage befragt wurde).

 

Besteht der Verdacht einer Straftat (z.B. Passvergehen, illegale Ausreise), werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand: September 2007, S. 46, 47)

 

Gutachten des SV XY im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem

Unabhängigen Bundesasylsenat vom 08.04.2008 zum gegenständlichen

Fall zur Frage der Gefährdung des Beschwerdeführers, dessen Inhalt

als Sachverhalt festgestellt wird (vgl. Verhandlungsprotokoll; SV =

Sachverständiger, VL = Verhandlungsleiterin, BW = Beschwerdeführer):

 

SV: Meine Recherchen haben ergeben, dass der BW bzgl. der Unterstützung und Hilfeleistung der PKK und auch der Mitgliedschaft einer illegalen kommunistischen Partei, die das Türkentum und die Zerstörung des kemalistischen Regimes in Frage stellt, gesucht wird. Er wird wegen Separation und kommunistischer Propaganda gesucht. Es existiert ein landesweiter Haftbefehl gegen den BW von Strafgerichten, die das ehemalige Staatssicherheitsgericht vertreten, und zwar wegen Mitgliedschaft bei einer illegalen Partei wird der BW vom Strafgericht Istanbul gesucht, wegen Unterstützung und Hilfeleistung der PKK wird der BW vom Strafgericht Malatya. Das Strafgericht in Malatya ist das Nachfolgegericht vom Staatssicherheitsgericht. Wenn eine Person vom Strafgericht in Malatya gesucht wird, werden auch alle Grenzübergänge verständigt, dass ein landesweiter Haftbefehl besteht. Auch Flughäfen und alle anderen Grenzübergänge werden darüber in Kenntnis gesetzt. Der BW ist auch in Österreich exilpolitisch tätig und zwar bei der Organisation "ATIGIF" (= Föderation der Arbeitnehmer aus der Türkei in Österreich, eine legale kommunistisch gesinnte Organisation). Hauptsächlich sind bei dieser Organisation Mitglieder oder Sympathisanten der TKPML. Diese Organisation wird von türkischen Vertretungsbehörden genauso beobachtet wie kurdische Organisationen, weil 99% der Mitglieder dieser Organisation kurdische Aleviten sind. Deshalb wird diese Organisation von Mittelsmännern bzw. dem türkischen Geheimdienst beobachtet und alle Demonstrationen oder Veranstaltungen dokumentiert und die Mitglieder bzw. Akteure ausgeforscht und deren Daten an die Informationsstelle in Istanbul weitergeleitet. Die Informationssammelstelle wird von der politischen Polizei und der Antiterroreinheit benutzt. Bei einer Rückkehr des BW in die Türkei, als jemand dessen Daten dokumentiert sind, wird er von der Antiterroreinheit festgenommen, verhört und misshandelt werden. Folterungen sind immer noch nicht ausgeschlossen. Er wird dann den zuständigen Gerichten ausgeliefert, wobei meist eine erpresste Aussage als Beweismittel vor Gericht verwendet und vom Gericht auch anerkannt wird. Das zu erwartende Strafausmaß für Unterstützung oder Hilfeleistung der PKK nach dem Antiterrorgesetz beträgt 7 bis 15 Jahre. Für die Mitgliedschaft bei einer illegalen kommunistischen Partei beträgt das Strafausmaß 15 bis 25 Jahre, wobei das Strafausmaß für Separatisten immer wieder von Gerichten um die Hälfte erhöht wird. Das bedeutet, dass der BW das höchste Strafausmaß der türkischen Strafgerichten zu erwarten hat.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Identität des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem von ihm vorgelegten unbedenklichen internationalen Führerschein. Die Feststellungen zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt des Beschwerdeführers sowie den vorgelegten Beweismittel (Auszüge aus Gerichtsakten, zeugenschaftliche Einvernahmen eines Verwandten des Beschwerdeführers) und insbesondere des Gutachtens des Sachverständigen für die aktuelle politische und menschenrechtliche Lage in der Türkei, welches in der mündlichen Berufungsverhandlung erstattet wurde.

 

2.2. Die Feststellungen zur Lage in der Türkei stützen sich auf die angeführten Berichte und das in der Berufungsverhandlung mündlich erstattet Gutachten des Sachverständigen für die politische und menschenrechtliche Lage in der Türkei, welche auch in der Verhandlung unwidersprochen geblieben sind. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen die Verfahrensparteien nicht entgegengetreten sind, besteht für den Asylgerichtshof kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Mag es dem Beschwerdeführer im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt auch nicht gelungen sein, seine Fluchtgeschichte chronologisch präzise darzulegen, so haben aber die Recherchen des Sachverständigen eindeutig das Vorbringen des Beschwerdeführers bestätigt. Demnach besteht gegen den Beschwerdeführer ein landesweiter Haftbefehl seitens jener Strafgerichte, die das ehemalige Staatssicherheitsgericht ersetzen, wegen Mitgliedschaft bei einer illegalen kommunistischen Partei und wegen Unterstützung und Hilfeleistung der PKK. Dadurch ist auch davon auszugehen, dass sämtliche Flughäfen und Grenzübergänge über die landesweite Suche nach dem Beschwerdeführer in Kenntnis sind. Erschwerend hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in Österreich exilpolitisch im Rahmen einer Organisation tätig ist, welcher vornehmlich Mitglieder oder Sympathisanten der TKPML, einer illegalen kommunistischen Partei, angehören. Diese Organisation steht unter Beobachtung der türkischen Vertretungsbehörden und des türkischen Geheimdienstes; es ist davon auszugehen, dass alle Demonstrationen oder Veranstaltungen, an denen der Beschwerdeführer auch teilgenommen hat, vom türkischen Geheimdienst dokumentiert wurden und die Daten an die Informationsstelle in Istanbul weitergeleitet wurde, woraus wiederum die politische Polizei und die Antiterroreinheit Informationen schöpft. Bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Türkei ist davon auszugehen, dass er von der Antiterroreinheit festgenommen, verhört und misshandelt würde; dabei könnte es zu Folterungen kommen. Vor dem Hintergrund des Sachverständigengutachtens besteht daher im Fall des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr ein maßgebliches Misshandlungsrisiko und eine erhöhte Gefährdung, im Fall der Übernahme durch die türkischen Behörden Folter ausgesetzt zu sein. Es wäre demnach davon auszugehen, dass er nach dem Antiterrorgesetz verurteilt würde.

 

3. Rechtlich ergibt sich folgendes:

 

3.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.

 

Gemäß § 23 Abs. 1 AsylGHG idgF sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBI. I Nr. 100/2005, sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt.

 

Da gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBI I Nr 101/2003 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist, war gegenständlich auch über die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr 76/1997 idF BGBI I Nr 126/2002 abzusprechen.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. Das gegenständliche Verfahren ist somit nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) zu führen.

 

3.2. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Verwaltungsbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

3.3. Gemäß § 7 AsylG ist Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sei, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011; VwGH 21.09.2000, 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

 

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, und ist ihm dort die Inanspruchnahme inländischen Schutzes auch zumutbar, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/01/0352; 15.3.2001, 99/20/0134; 15.3.2001, 99/20/0036). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

 

3.4. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren Furcht vor Verfolgung durch die türkischen Behörden wegen mehrfacher Festnahmen und Folterungen, welche wegen seiner politischen Tätigkeit - Mitgliedschaft bei einer in der Türkei bekämpften illegalen Organisation - erfolgten, geltend gemacht und es besteht ein landesweiter Haftbefehl gegen ihn. Die Furcht des Beschwerdeführers erweist sich damit nicht nur als begründet, sondern auch als asylrelevant. Wie dem Gutachten des Sachverständigen zu entnehmen ist, hat der Beschwerdeführer bei einer Übernahme durch die türkischen Behörden am Flughafen damit zu rechnen, der Antiterroreinheit überstellt zu werden und nach dem Antiterrorgesetz verurteilt zu werden, wobei er mit Folter zu rechnen hätte.

 

Vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhalts ist daher die Furcht des Beschwerdeführers vor einer ihm drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar. Jede mit Vernunft begabte Person in der Situation des Beschwerdeführers würde sich von einer ihr drohenden Verfolgung aus Konventionsgründen fürchten und zwar aus Gründen ihrer politischen Gesinnung. Dem Beschwerdeführer droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung.

 

Eine inländische Fluchtalternative steht dem Beschwerdeführer aus folgenden Gründen nicht offen:

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes trägt der Begriff "inländische Fluchtalternative" dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschn. A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss. Steht dem Asylwerber die gefahrlose Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503; 25.11.1999, 98/20/0523). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614).

 

Im konkreten Fall kann nicht angenommen werden, dass sich der Beschwerdeführer der dargestellten Bedrohung durch Ausweichen in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates entziehen kann. Dies schon deshalb, weil sich die Gebiets- und Hoheitsgewalt der türkischen Regierung auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt und gegen den Beschwerdeführer ein landesweiter Haftbefehl wegen Unterstützung der PKK und Mitgliedschaft bei einer illegalen kommunistischen Partei besteht, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass es dem Beschwerdeführer möglich ist, sich den türkischen Behörden erfolgreich zu entziehen, sondern vielmehr davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in die Türkei der türkischen Antiterroreinheit übergeben und verurteilt wird.

 

Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner politischen Gesinnung außerhalb der Türkei befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren und auch keiner der in Art. 1 Abschn. C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt.

 

Gem. § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, exilpolitische Aktivität, Folter, Geheimdienst, gesamte Staatsgebiet, politische Gesinnung, strafrechtliche Verfolgung, wohlbegründete Furcht
Zuletzt aktualisiert am
15.04.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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