TE Vfgh Erkenntnis 2009/1/29 U397/08

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Veröffentlicht am 29.01.2009
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art129e idF BGBl I 2/2008
AsylG 2005 §61
AsylGHG §9 Abs2, §23
AVG §60, §67
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die Regelung über die Zusammensetzung der Senatedes Asylgerichtshofes; kein Verstoß der verfassungsgesetzlichenErmächtigung zur Einrichtung von Zwei-Richter-Senaten gegen dasrechtsstaatliche Prinzip; Verstoß einer Entscheidung desAsylgerichtshofes über eine Beschwerde gegen die Abweisung desAntrags auf internationalen Schutz sowie Ausweisung nach Nigeriagegen das Willkürverbot des Gebots der Gleichbehandlung von Fremdenuntereinander und das Rechtsstaatsprinzip; rechtsstaatliches Gebotder Begründung gerichtlicher Entscheidungen; lediglich kursorischeVerweisung auf die Begründung des letztinstanzlichen Bescheides durchden Asylgerichtshof

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das BVG BGBl. I Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein 1991 geborener, unbegleiteter Minderjähriger mit ägyptischer Staatsbürgerschaft, reiste am 5. Oktober 2006 legal nach Österreich ein und stellte am 3. Jänner 2007 einen Asylantrag. Diesen begründete er damit, dass sein Vater, der zum muslimischen Glauben konvertiert sei, ihm nach dem Leben trachte, da er sich geweigert habe zum Islam zu konvertieren. Seine Mutter, welche vom Vater getrennt lebe, könne ihn auch nicht schützen und würde, genauso wie die Schwester des Beschwerdeführers, vom Vater mit dem Umbringen bedroht. Er sei schon mehrfach vom Vater von der Schule weg entführt worden. Von der Polizei sei im Staate Ägypten gerade für koptische Christen keine Unterstützung, geschweige denn Schutz zu erwarten.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Asylantrag mit Bescheid vom 3. September 2008 gemäß §§3 iVm 2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 ab, erklärte gemäß §§8 iVm 2 Abs1 Z13 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Ägypten für zulässig und wies den nunmehrigen Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ägypten aus.

3. Die dagegen, vom gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers, erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom 15. September 2008 hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß §§3 Abs1, 8 Abs1 und 10 Abs1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen. Eine mündliche Verhandlung wurde nicht durchgeführt. Im Erkenntnis führt der AsylGH u. a. aus, dass der Beschwerdeführer vor dem BAA hinlänglich Gelegenheit gehabt hätte, um seinen Antrag zu belegen, seine Versuche diesbezüglich aber massiv widersprüchlich und deshalb unglaubwürdig gewesen seien. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei konstruiert und die Beweiswürdigung des BAA völlig zutreffend, man könne realistischerweise nur von einer wirtschaftlich motivierten Antragstellung ausgehen. Die Rechtsmittelschrift würde die Divergenzen auf Übersetzungsfehler zurückführen, jedoch habe der Beschwerdeführer die Niederschriften nach erfolgter Rückübersetzung bestätigt. Auch sprach der AsylGH dem Sachverständigengutachten des Sachverständigen Primarius Dr. W S vom 7. April 2008 zur psychischen Gesundheit des Beschwerdeführers größere Beweiskraft zu als dem jüngeren Befund der Universitätsklinik Wien, Abteilung für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters vom 6. Juni 2008 zur Akutbehandlung des Beschwerdeführers durch den Vorstand der Klinik,

o. Univ.-Prof. Dr. M H F, und Oberarzt Dr. C K.

Schließlich führte der AsylGH wiederholt zur Begründung erschöpfend aus:

"Der Entscheidung der Behörde erster Instanz wird sohin vollinhaltlich beigetreten bzw. werden die begründenden Passagen des Erstbescheides zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses erhoben. Weiters wird angeführt, dass in Ägypten überdies derzeit keine exzeptionelle Situation (Bürgerkrieg, Seuchenkatastrophe) besteht, dass eine Gefährdung im Sinne der Art2 und 3 EMRK indiziert wäre. Als notorische Tatsache wird überdies die Kenntnis vorausgesetzt, dass in Ägypten derzeit keine Situation dergestalt besteht, dass jede zurückführende Person einer lebensbedrohlichen Situation überantwortet werden würde etwa aufgrund des Mangels der Deckung existentieller Grundbedürfnisse.

Hervorgehoben sei, dass des Weiteren der Beschwerdeführer insbesondere nicht in seinen gewährleisteten Rechten gemäß Art2 EMRK bzw. Art3 EMRK der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch Rückverbringung verletzt würde."

Ein Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers sei im Verfahren nicht hervorgekommen, weshalb eine Prüfung nach Art8 EMRK unterbleiben konnte.

4. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom 28. November 2008. Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Beschwerdeführer behauptet darin, dass der Asylgerichtshof bei der Erlassung des Erkenntnisses Willkür geübt habe, seine amtswegige Ermittlungspflicht durch Nichtabhaltung einer mündlichen Verhandlung verletzt habe sowie durch die mangelnden Ermittlungen seitens des AsylGH zum Ausmaß seiner Erkrankung und deren Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers. Auch sei nicht nachzuvollziehen, warum bei einer derartigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers, der bereits dem BAA bekannt war, kein neues, aktuelles Sachverständigengutachten eingeholt worden sei. Zudem habe es der AsylGH verabsäumt, die Entscheidung ausreichend zu begründen und würde sich die Begründung auf drei Absätze des neunseitigen Erkenntnisses beschränken. Die fragmentarische Bezugnahme auf die ausführliche Beschwerdeschrift gegen den Bescheid des BAA würde einem Ignorieren des Parteienvorbringens gleichkommen, dadurch ein Unterbleiben jeglicher Ermittlungstätigkeit darstellen und gemäß der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - zitiert wird B2029/07 vom 9. Juni 2008 - damit gegen das Willkürverbot verstoßen.

5. Der AsylGH hat als belangtes Gericht von einer Gegenschrift abgesehen, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen und die Verfahrensakten übermittelt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

Bereits in der vom AsylGH zu behandelnden Beschwerdeschrift betreffend den Bescheid des BAA brachte der Beschwerdeführer vor, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe. Die medizinische Versorgung in Ägypten sei nicht gewährleistet und Zugang zu den notwendigen Medikamenten würde nicht bestehen.

Dem Akt ist zu entnehmen, dass das BAA eine Anfrage an die Staatendokumentation richtete, ob die Medikamente, welche dem Beschwerdeführer verschrieben wurden, sowie die notwendige Behandlung erhältlich seien. Während Risperdal erhältlich ist, ist dieser Quelle nach Tresleen in Ägypten nicht erhältlich.

Es ist dem Erkenntnis nicht zu entnehmen, dass der AsylGH im Lichte dieses Vorwissens, des Vorbringens in Folge des Sachverständigengutachtens sowie der elaborierten Beschwerde des gesetzlichen Vertreters des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des BAA irgendwelche eigene Ermittlungstätigkeiten zur Lage der möglichen medizinischen Versorgung des Beschwerdeführers im Herkunftsland durchgeführt hat (vgl. VfSlg. 18.052/2007), zum aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, seiner Behandlung und den notwendigen Medikamenten.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Hinsichtlich der Behauptung der mangelnden Begründung verweist der Verfassungsgerichtshof auf seine Erkenntnisse U67/08 vom 7. November 2008 und U131/08 vom 3. Dezember 2008, in denen er sich ausführlich mit den auch im vorliegenden Fall gegebenen Begründungsmängeln einer Entscheidung des Asylgerichtshofes auseinander gesetzt hat.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylgerichtshof, Behördenzusammensetzung, Asylrecht,Bescheidbegründung, Anwendbarkeit AVG, Verwaltungsverfahren,Berufung, Rechtsstaatsprinzip, Auslegung Verfassungs-

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2009:U397.2008

Zuletzt aktualisiert am

23.02.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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