TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/22 S5 400497-1/2008

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Veröffentlicht am 22.07.2008
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Spruch

GZ: S5 400.497-1/2008/2E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Benda als Einzelrichter über die Beschwerde der I.N., geb. 00.00.1937 alias 1.7.1937, StA. der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.6.2008, Zahl: 08 01.638-EAST West, gem. § 66 Abs. 4 AVG iVm § 61 Abs. 3 Z 1 lit b des Asylgesetzes 2005 idgF (AsylG) zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 AsylG abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Die Asylwerberin ist Staatsangehörige von Russland, stammt aus Tschetschenien und ist eigenen Angaben zufolge über Weißrussland am 12.8.2007 nach Polen gereist, wo sie am 27.8.2007 einen Asylantrag gestellt hat (vgl. Aktenseite 13 sowie Eurodac-Treffer Aktenseite 5). Sie ist sodann zusammen mit ihrem Sohn, ihrer Schwiegertochter und ihren beiden Enkeln, die am 5.11.2007 nach Polen nachgereist waren und dort ebenfalls Asylanträge gestellt hatten, am 14.2.2008 illegal ins österreichische Bundesgebiet weitergereist, wo sie und oben genannten Personen schließlich am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz stellten.

 

Mit E-mail vom 19.2.2008 ersuchte Österreich Polen um Übernahme der Asylwerberin.

 

Polen hat sich mit Fax vom 25.2.2008, datiert 21.2.2008, (Aktenseite 41) bereit erklärt, die Asylwerberin gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) wieder aufzunehmen und ihren Asylantrag zu prüfen.

 

Anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt erklärte die Antragstellerin nach Vorhalt, dass Polen zur Prüfung ihres Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, dass sie nichts gegen Polen habe, dorthin aber keineswegs zurückwolle (Aktenseite 85). Auch habe sie in Polen niemanden (Aktenseite 123).

 

Eine am 2.4.2008 von Dr. med. G.M. durchgeführte Untersuchung der Asylwerberin hat zum Ergebnis gehabt, dass diese psychisch kompensiert ist und einer Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden, entgegenstehen (Aktenseite 107).

 

Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.6.2008, Zahl: 08 01.638-EAST West, gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und die Antragstellerin gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

 

Gegen diesen Bescheid hat die Asylwerberin durch ihren ausgewiesenen Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde erhoben und hiebei im Wesentlichen geltend gemacht, dass ihrer Ausweisung familiäre Bindungen in Österreich iSd Art. 8 EMRK entgegenstünden. In Österreich würden ihre zwei Töchter leben, die beide anerkannte Flüchtlinge seien und die ihre Familie nun unterstützen würden. Sie habe mit ihren Töchtern bis zu deren Ausreise aus Tschetschenien im Juli 2003 in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. In Polen würden sie weiters menschenunwürdige Lebensbedingungen erwarten. Polen würde seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention in Bezug auf tschetschenische Asylwerber systematisch verletzen. Weiters sei die medizinische Versorgung in Polen für Asylwerber unzureichend. Speziell sei das polnische Asylsystem mit der Aufgabe, traumatisierten und psychisch geschädigten Asylwerbern spezifische Betreuung zukommen zu lassen, überfordert. Letztlich fürchte sie, dass ihr geisteskranker Sohn, der im Jahr 1995 bereits eine ihrer Töchter ermordet habe, ihre Familie in Polen aufsuchen und gefährden würde. Sie selbst sei alt und gebrechlich und würde in allen Belangen des täglichen Lebens Unterstützung brauchen, sodass ein Alleinleben für sie unmöglich wäre.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Polen hat auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) akzeptiert, die Asylwerberin wieder aufzunehmen und ihren Asylantrag zu prüfen.

 

Bereits das Bundesasylamt hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, darunter auch Feststellungen zum polnischen Asylverfahren und dessen Praxis sowie zur Versorgungslage von Asylwerbern in Polen sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage rechtsrichtig ausgeführt. Der Asylgerichtshof schließt sich den Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid hinsichtlich beider Spruchpunkte vollinhaltlich an und erhebt diese zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses.

 

Soweit die Asylwerberin in ihrer Beschwerde geltend macht, dass zwischen ihr und ihren in Österreich lebenden Töchtern, die sie auch unterstützen würden, ein so enges familiäres Band bestünde, dass sie im Falle ihrer Ausweisung in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt wäre, ist Folgendes einzuwenden:

 

Zunächst ergibt sich aus den Einvernahmen des Sohnes der Asylwerberin, dass dieser die Frage, welcher Kontakt seit seiner Einreise (und der Einreise der Asylwerberin) in Österreich mit den hier lebenden Schwestern bestünde, dahingehend beantwortet hat, dass seine Schwestern ihn und seine Familie lediglich "einige Male im Monat" in ihrem Quartier besuchen würden (vgl. Verwaltungsakt I.R., ho. Zahl: S5 400.496, Aktenseite 119), was ansich schon die Behauptung des Vorliegens eines "Familienlebens" iSd Art. 8 EMRK relativiert. Auch die Angaben der Asylwerberin selbst, wonach ihre beiden in Österreich lebenden Töchter sie "nicht sehr oft", sondern nur "fallweise" in Österreich besuchen würden (Aktenseite 121), indizieren, dass ein derart enges familiäres Band, das eine Ausweisung der Asylwerberin aufgrund eines damit verbundenen Eingriffes in ihr Recht auf Art. 8 EMRK unzulässig machen würde, tatsächlich nicht vorliegt. Es wird nicht verkannt, dass die Asylwerberin im Heimatland mit ihrem Sohn und ihren beiden Töchtern bis zu deren Ausreise nach Österreich im Jahr 2003 in einem gemeinsamen Hausalt gelebt haben mag (dies allerdings auch nicht durchgehend; vgl. Aktenseite 265), jedoch kann aufgrund dessen, dass sie nunmehr Jahre von ihren Töchtern getrennt gelebt hat und der Kürze ihres nunmehrigen Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht erkannt werden, dass aktuell ein intensives "Familienleben" iSd Art. 8 EMRK vorliegen würde.

 

Auch kann die seit dem Aufenthalt der Asylwerberin in Österreich durch ihre hier lebenden Töchter fallweise erfolgte Unterstützung mit Lebensmitteln bzw. Geld keineswegs ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu ihren im Bundesgebiet wohnhaften Kindern dartun, zumal der Sohn der Asylwerberin auch ausdrücklich verneint hat, dass er und seine Familie (so auch die Asylwerberin) vor ihrer Ausreise aus Tschetschenien durch seine Schwestern jemals finanziell unterstützt worden wären (vgl. Verwaltungsakt I.R., ho. Zahl: S5 400.496, Aktenseite 117). Letztlich ist in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen, dass eine Ausweisung der Asylwerberin aus dem Bundesgebiet für diese wohl mit einer Trennung von ihren beiden hier lebenden Töchtern verbunden wäre, ihre Ausweisung für sie allerdings vor dem Hintergrund, dass sie jedenfalls zusammen mit ihrem Sohn und dessen Kernfamilie nach Polen überstellt würde, keine unbillige Härte darstellen würde.

 

Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die Lebensbedingungen in Polen "nicht so gut wie hier" seien und man keine Unterstützung im Krankheitsfall erhalten würde, ist auf die umfassenden und aktuellen erstinstanzlichen Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides zu verweisen, wonach jedem Asylwerber, der nicht in der Lage ist, für seinen Aufenthalt in Polen selbst aufzukommen, eine umfassende Versorgung gewährt wird, wobei hierzu eine umfassende medizinische Versorgung, Unterkunft und ausreichende Verpflegung gehören (Seite 16 des angefochtenen Bescheides). Soweit die Asylwerberin in ihrer Beschwerde geltend macht, dass Polen in Bezug auf tschetschenische Asylwerber seine Verpflichtungen aus der GFK verletzen würde, ist einzuwenden, dass seit 2004 keine Fälle bekannt sind, dass Tschetschenen aus Polen abgeschoben worden wären und dass Tschetschenen in Polen regelmäßig subsidiären Schutz (tolerated stay) gewährt wird (Seite 27 f. des angefochtenen Bescheides). Ebenso ergibt sich aus den erstinstanzlichen Feststellungen, dass für Personen, denen subsidiärer Schutz gewährt wurde, das Recht auf Sozialhilfeleistungen und der Zugang zu umfassenden Familienleistungen und auch zum Arbeitsmarkt besteht (Seite 23 f. des angefochtenen Bescheides), sodass letztlich nicht zu befürchten ist, dass die Asylwerberin in Polen in eine existentielle Notlage geraten würde.

 

Zu den von der Asylwerberin geäußerten Befürchtungen, wonach ihr Sohn, der im Jahr 1995 im Heimatland bereits ihre älteste Tochter ermordet habe, sie in Polen gegebenenfalls finden und gefährden könnte, ist einzuwenden, dass Polen als Mitgliedstaat der EU selbstverständlich in der Lage und auch willens ist, ihr vor allfälligen Übergriffen Privater effektiv Schutz zu bieten. Umstände, die darauf schließen ließen, dass die Asylwerberin in Polen selbst einer unmenschlichen Behandlung iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sind vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Feststellungen letztlich ebenso wenig vorhanden wie dass ihr Polen entsprechenden Schutz versagen würde, sofern ihr im Heimatland unmenschliche Behandlung drohen würde.

 

Soweit die Asylwerberin im Beschwerdeschriftsatz gesundheitliche Probleme geltend macht, konkret, alt und gebrechlich zu sein, ist einerseits auf die erstinstanzlich durchgeführte medizinische Untersuchung der Asylwerberin hinzuweisen, deren Ergebnis zufolge ihrer Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden, entgegenstünden (Aktenseite 107). Weiters geht aus den erstinstanzlichen Länderfeststellungen hervor, dass die medizinische Betreuung von Asylwerbern in Polen teilweise in einigen Bereichen sogar höheres Niveau als in Österreich aufweist (Seite 22 des angefochtenen Bescheides).

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, medizinische Versorgung, private Verfolgung, real risk, staatlicher Schutz, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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