TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/24 E7 243984-0/2008

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Veröffentlicht am 24.07.2008
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Spruch

GZ: E7 243.984-0/2008-9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. NIKOLAS BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde des S. S., geb. 1979, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.06.2003, 02 26.828 BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.03.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 und 8 AsylG 1997 idF BGBl. 126/2002 als unbegründet abgewiesen.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: BF) stellte am 18.09.2002 einen Asylantrag gemäß § 3 AsylG an der Außenstelle Linz des Bundesasylamtes.

 

Als Identitätsnachweis legte er im Zuge dessen die Kopie eines türkischen Personalausweises, ausgestellt 2002 von der zuständigen Behörde in S., Istanbul, vor.

 

2. Am 27.03.2003 fand an der Außenstelle Traiskirchen des Bundesasylamtes eine niederschriftliche Einvernahme des BF statt.

 

Er brachte im Zuge dessen auf Befragen in türkischer Sprache vor, er sei in der Türkei, geboren, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, Moslem, und ledig. Sein Vater S. A. H. und seine Mutter S. Z.n würden in Istanbul, zwei Schwestern sowie drei Brüder des BF in Istanbul bzw. A. leben. Ein Onkel des BF sei als Gastarbeiter in Österreich aufhältig.

 

In der Provinz A. habe er zwischen 1985 und 1990 die Grundschule besucht. Beruflich sei er zwischen 1995 und 1999 sowie von 2001 bis August 2002 in Istanbul als Kellner tätig gewesen.

 

Seinen Militärdienst habe er von 1999 bis 2001 in Ankara absolviert. Zuletzt vor der Ausreise aus der Türkei am 15.09.2002 habe er in Istanbul gewohnt.

 

Auf weiteres Befragen gab er an, er habe bis zu seinem 14. Lebensjahr bei seinen Eltern in C. gelebt, 1994 sei er alleine zu Verwandten nach Istanbul verzogen, 1998 seien dann seine Eltern nachgezogen und hätte er in der Folge gemeinsam mit ihnen in einem kleinen Haus in Istanbul gelebt. Er sei illegal und schlepperunterstützt von Istanbul aus in einem LKW bis Österreich gereist, wofür er 4.000 Euro aufwendete.

 

Auf Befragen, warum er den Herkunftsstaat verlassen habe, verwies der BW auf die allgemeine Lage der Kurden in der Türkei, deren Rechte von den staatlichen Behörden eingeschränkt würden ("weil dort die Kurden unterdrückt werden"). Darüber hinaus sei es in A., wo der BF gewohnt habe, des Öfteren "zu Auseinandersetzungen gekommen".

 

Weiters führte er aus, vor seinem Militärdienst habe er selbst keine Probleme gehabt. Während desselben in Ankara sei er "jedoch immer gegen Demonstranten eingesetzt worden". Im Jahr 2000 sei er einmal im Stadtteil K. eingesetzt worden, er sei Mitglied einer Gruppe von Soldaten gewesen, die eine Wohnung durchsuchen musste. Der dort anwesende Familienvater sei dabei, nachdem die Tür gewaltsam geöffnet worden war, im Angesicht seiner Angehörigen vom leitenden Offizier misshandelt worden. Dies weil ein Sohn des Misshandelten an den damaligen Hungerstreiks teilgenommen habe. Der BF sei schockiert gewesen und habe den Offizier aufgefordert dies einzustellen. In der Kaserne sei der BF dann genau deshalb von einem Offizier beschimpft und ebenfalls misshandelt worden, anschließend sei ein einwöchiger Arrest über ihn verhängt worden.

 

Nach dem Militärdienst habe er bei seinen Eltern in A. gelebt. Am 17.02.2001 habe er ein Begräbnis eines ehemaligen Häftlings beobachtet, der an den Folgen seines Hungerstreiks verstorben war. Ein Onkel des BF habe damals die Familien der Hungerstreikenden besucht und für sie Spenden gesammelt. Die meisten hätten eben in A. gewohnt. Der BF habe seinen Onkel dabei unterstützt. Dieser sei schließlich 15 Tage nach der Ausreise des BF aus der Türkei ermordet worden. Er sei zuvor ständig von der Polizei beobachtet und des Öfteren festgenommen worden. Der BF selbst sei einmal mit seinem Onkel in dessen Auto gesessen und habe der BF dabei bemerkt, das er fotografiert worden sei.

 

Nach persönlichen Problemen befragt, verwies der BF zuvor auf Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche nach dem Militärdienst, man habe ihm dabei seine kurdische Volksgruppenzugehörigkeit vorgehalten. Im Weiteren legte er dar, dass am 05.11.2001 mehrere Häuser in A. von türkischen Sicherheitskräften durchsucht wurden. Eines der Häuser, in welchem sich Hungerstreikende befunden hätten, sei dabei in Flammen aufgegangen, auch seien Schüsse gefallen. Der BF habe damals sein eigenes Haus verlassen um zu sehen was geschehen war. An diesem Tag sei er selbst auch zu Hause festgenommen und für 20 Tage in Istanbul in einem Polizeigefangenenhaus festgehalten und täglich einer Befragung unterzogen worden. Man habe ihm dabei vorgeworfen die Hungerstreikenden zu unterstützen. Auch sei ihm vorgehalten worden der "illegalen politischen Partei" HADEP anzugehören und mit "ausländischen Staaten in Verbindung zu stehen, die diese Hungerstreiks unterstützen würden". Nach diesen 20 Tagen sei er wieder freigelassen worden, "da man ihm nichts nachweisen konnte".

 

Befragt, was man von ihm genau wissen wollte bzw. was er genau mit den Hungerstreiks zu tun hatte, erwiderte der BF, er habe diesen Menschen in A., die Verwandte von Häftlingen in den sogen. F-Typ-Gefängnissen waren, nur geholfen, indem er bei ihrer Versorgung half. Konkret habe er eigentlich nur einer Frau namens F. geholfen, diese sei schließlich auch verstorben, glaublich im Oktober oder November 2001.

 

Befragt, weshalb die Polizei gerade ihn verhaftet habe bzw. weshalb er der Polizei angeblich bekannt gewesen sei, erwiderte der BF, er sei zum einen ja mit seinem Onkel fotografiert worden und zum anderen sei er "mit anderen offensichtlich vom Hubschrauber aus gefilmt worden", als er Sandsäcke gegen die Polizeifahrzeuge aufgestellt habe, die entsprechenden Aufnahmen seien ihm auch gezeigt worden.

 

Befragt legte der BF weiter dar, dass die erwähnte F. bereits mit ihrem Hungerstreik begonnen hatte, als er noch beim Militärdienst war. Ihr Begräbnis sei dann im Oktober 2001 gewesen. Auf Vorhalt, dass diese F. demnach zumindest 9 Monate lang - sein Militärdienst endete im Februar 2001 - im Hungerstreik gewesen sei, was aber angesichts dieser langen Dauer unplausibel sei, weil sie wohl nicht so lange durchgehalten hätte, erwiderte der BF, sie sei zumindest ein Jahr lang im Hungerstreik gewesen. Zuvor gab er in diesem Zusammenhang auch an, er habe sie zuletzt im Oktober 2001 am Tag ihres Todes gesehen, sie sei aber nie in stationärer medizinischer Betreuung gewesen. Dem BF wurde dabei auch vorgehalten, dass er auf Befragen deren Familiennamen nicht angeben konnte, obwohl er sie angeblich täglich betreut habe und auch bei deren Begräbnis gewesen sei. Insgesamt sei daher unglaubwürdig, dass er tatsächlich diese Frau während eines Hungerstreiks betreut habe.

 

Auf Befragen gab der BF weiter an, er sei nicht vorbestraft oder einem Verfahren unterworfen worden, von den Sicherheitsbehörden sei er - neben seinem Arrest beim Militär - nur das erwähnte Mal im Jahr 2001 angehalten bzw. inhaftiert worden.

 

Befragt, was denn nun der konkrete Anlass für die Ausreise im Jahr 2002 gewesen sei, erwiderte der BF, es habe keinen konkreten Grund für seine Ausreise im September 2002 gegeben, "er habe die Situation einfach nicht mehr ausgehalten, er wollte einfach nicht mehr unter solchen Bedingungen leben". Er habe auch ständig Angst gehabt festgenommen zu werden, da 2002 die Polizei in A. ständig Ausweiskontrollen und Hausdurchsuchungen durchführte. Er habe sich damals einen neuen Personalausweis ausstellen lassen (vgl. oben). Neuerlich verwies er auch darauf, dass sein Onkel von Unbekannten ermordet worden sei, was ihm auch Angst vor einer Rückkehr mache.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Asylantrag unter Hinweis auf § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II).

 

Begründend wurden - im Gefolge der Wiedergabe der erstinstanzlichen Einvernahme - von der erstinstanzlichen Behörde die Angaben des BF zur Nationalität und Volksgruppenzugehörigkeit der Entscheidung zugrunde gelegt. Diese wurden als nachvollziehbar und glaubwürdig erachtet.

 

Seinem übrigen Vorbringen zu seinen Ausreisegründen sei aber die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Stichhaltige Gründe für die Annahme einer Gefährdung iSd § 57 FrG im Falle der Abschiebung in die Türkei habe er ebenso nicht glaubhaft gemacht.

 

Beweis würdigend wurde im Einzelnen dargelegt, dass der BW in seinen Abgaben zu seinen Anhaltungen unglaubwürdig, weil zum einen vage und unkonkret und zum anderen unplausibel gewesen sei. (Auf die entsprechenden Ausführungen im bekämpften Bescheid auf S. 14 und 15 wird verwiesen.)

 

Eine sogen. Gruppenverfolgung von Kurden sei in der Türkei im Lichte der länderkundlichen Feststellungen der belangten Behörde (S. 11 bis 13 des Bescheides) ebenso nicht gegeben.

 

Darüber hinaus sei auch bei hypothetischer Annahme der Richtigkeit der Angaben des BF zu seinen Ausreisegründen festzustellen, dass kein zeitlicher und sachlicher Konnex zwischen den behaupteten Ereignissen in den Jahren 2000 und 2001 und der Ausreise des BF im September 2002 bestehe, weshalb auch von daher im Lichte der Rechtsprechung mangels eines kausalen Zusammenhangs eine Asylgewährung ausscheide. Verwiesen wurde dabei insbesondere auch auf die Behauptung der folgenlosen Freilassung aus der polizeilichen Anhaltung in 2001 sowie auf die Ausstellung eines neuen Personalausweises im August 2002, woraus sich Anhaltspunkte für eine Verfolgung des BF zum Zeitpunkt der Ausreise schon nicht ableiten ließen.

 

In der Gesamtsicht dessen sei daher nicht glaubhaft, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung drohe und sei daher der Asylantrag abzuweisen.

 

Im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in die Türkei stellte die Behörde fest, dass in der Türkei keine allgemeine Gefahrenlage vorherrsche, durch die praktisch jeder der Gefahr iSd § 57 FrG ausgesetzt wäre. Es lägen daher keine Gründe für die Annahme vor, dass der BF im Falle der Abschiebung einer solchen Gefahr unterworfen wäre. Die Abschiebung sei daher gem. § 8 AsylG zulässig.

 

Der erstinstanzliche Bescheid wurde vom BF am 29.10.2003 an der Außenstelle des Bundesasylamtes persönlich übernommen.

 

4. Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerecht mit 11.11.2003 gegen beide Spruchpunkte erhobene Berufung des BF, mit der die erstinstanzliche Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit gerügt und die Abänderung des bekämpften Bescheides im Sinne der Asylgewährung, in eventu der Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung beantragt wurde.

 

Im Weiteren wiederholte der BF über diese Anfechtungserklärung hinaus lediglich in umgangssprachlicher Form und sinngemäß seine erstinstanzlichen Ausführungen.

 

5. Das gg. Verfahren wurde mit 25.01.2006 wegen längerfristiger Erkrankung des vormals zuständigen Mitglieds des Unabhängigen Bundesasylsenats als Berufungsbehörde dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Richter des Asylgerichtshofs zugeteilt. 6. Dieser führte am 26.03.2008 eine mündliche Verhandlung in der Sache des BF durch. Die belangte Behörde war entschuldigt nicht erschienen. Anwesend war auch als Vertrauensperson die Gattin des BW.

 

Eingangs legte der BF neben seinen nunmehrigen Familienverhältnissen (siehe unten Pkt. 7.) dar, dass er seit 5 Monaten nach der Einreise in das Bundesgebiet legal erwerbstätig sei.

 

Zum bisher behaupteten Sachverhalt führte der BF auf Befragen ergänzend aus, dass er als kleines Kind seinen Geburtsort T. gemeinsam mit seinen Eltern nach A. verließ, danach sei man nach S. verzogen. Als er bereits die dritte Klasse der Volksschule besuchte, sei die Familie nach C. verzogen. Während der folgenden Zeit sei sein Vater zwischenzeitig für 2 Jahre in Deutschland gewesen. In C. habe die Familie in einem kurdischen Viertel gelebt, wo es ständig Kämpfe zwischen Kurden und der Polizei gegeben habe. Im Alter von 14 Jahren sei der BF deshalb zu seinem Schutz alleine nach Istanbul zu Verwandten geschickt worden, etwa vier Jahre später sei seine Familie nachgezogen. Dort in der Ortschaft lebten hauptsächlich Kurden, weshalb diese unter polizeilicher Beobachtung stand.

 

Seine Eltern leben aktuell noch am besagten Wohnsitz in A., daneben auch die Tante, zu der der BF 1994 gezogen war, sowie vier Geschwister des BF, von denen zwei in einem Restaurant erwerbstätig seien, ein Bruder besuche die Universität, eine Schwester bereite sich auf die Studienberechtigungsprüfung vor, diese beiden wohnen bei den Eltern. Eine verheiratete Schwester des BF lebe in C.. Das Haus der Eltern sei sehr klein. Sein Vater sei Pensionist, zusätzlich aber auch erwerbstätig, seine Mutter sei Hausfrau.

 

Der BF selbst sei, mit Unterbrechung durch den Militärdienst, in Istanbul in verschiedenen Lokalen erwerbstätig gewesen, es habe aber Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche gegeben, auch aus diesem Grund sei er schließlich ausgereist. Einen neuen Personalausweis habe er am 20.08.2002 erhalten, weil neue Identitätsnummern einen Umtausch des alten erforderlich machten.

 

Die Ausreise aus der Türkei habe er bereits einige Zeit vorher wegen der allgemeinen Vorfälle in A. im Zusammenhang mit dem sogen. damaligen Todesfasten und wegen seiner 20-tägigen polizeilichen Anhaltung beschlossen. Er sei im Übrigen auch Alevite, das Alevitentum sei in der Türkei "strafbar".

 

Seinen Militärdienst habe er ab 1999 für 18 Monate in Ankara abgeleistet. Bei Demonstrationen seien diese Soldaten auch zur Unterstützung der Polizei eingesetzt worden, etwa um die Demonstranten zurückzudrängen. Neben der erstinstanzlich erwähnten Disziplinarstrafe im Jahr 2000 sei er als Kurde und Alevite während des Militärdienstes auch in anderer Weise diskriminiert und schikaniert worden, etwa durch die Zuteilung schlechter oder schwerer Arbeiten und durch verbale Demütigungen und Schläge. Im Februar 2001 habe er den Wehrdienst regulär beendet.

 

In der folgenden Zeit habe es in A. das erwähnte Todesfasten mehrerer Leute gegeben, eine Frau namens F. sei dabei verstorben, an deren Begräbnis er auch teilgenommen habe. Dabei seien Fotos und Filmaufnahmen gemacht worden. Wann dieses gewesen sei, könne er nicht angeben. Er habe generell große Probleme sich genaue Daten zu merken, er habe deshalb auch schon vor seiner erstinstanzlichen Einvernahme zu Hause in der Türkei angerufen um dadurch bestimmte Daten zu seinem Vorbringen in Erfahrung zu bringen. Es habe kurze Zeit nach dem erwähnten Begräbnis eine Razzia gegeben, dabei sei es zu Schüssen und einem Brand gekommen. Als er nach draußen kam, sei der Vorfall bereits vorüber gewesen.

 

Nach seiner Beteiligung am sogen. Todesfasten befragt, legte der BF im Wesentlichen dar, dass er mit den Betroffenen sympathisierte und diese deshalb mit Decken und gesammelten Spenden unterstützte. Es habe damals ständig Polizeikontrollen gegeben, anlässlich einer solchen sei er einmal von Beamten wegen eines Stockes, der sich im Fahrzeug seines Vaters befand, geschlagen und beschimpft worden.

 

Nach seinem erstinstanzlich erwähnten Onkel befragt, legte der BF im Wesentlichen dar, dass dieser bereits seit längerem als Mitglied der HADEP in die Ereignisse in A. involviert war. 15 Tage nach der Einreise des BF in Österreich habe dieser erfahren, dass der Onkel in Istanbul tot aufgefunden worden sei. Während der 20-tägigen Anhaltung habe man dem BF Fotos gezeigt, die ihn bei den Sandsackbarrieren in A. und im Fahrzeug seines Onkels zeigten, sowie Aufnahmen aus einem Helikopter.

 

Nach den Umständen seiner Verhaftung 2001 befragt legte der BF dar, er sei an seinem Wohnsitz abgeholt und zu einer Polizeidienststelle gebracht worden, wo ihm verschiedene Fragen zur Unterstützung der Mitwirkenden am Todesfasten, zu seinem Onkel und zu ihm unbekannten Personen gestellt wurden. Befragt, weshalb er sich denn so genau erinnere, wie lange er festgehalten wurde, andererseits aber so große Erinnerungsschwierigkeiten habe, erwiderte der BF, auch dies habe er telefonisch von seinem Vater in Erfahrung gebracht. Am Ende der Anhaltung sei er jedenfalls ohne Weiters freigelassen worden, man habe ihm seine Sachen zurückgegeben und ihm die Tür gewiesen.

 

Nach der Freilassung sei er nach Hause zurückgekehrt, er habe nicht mehr gearbeitet und sich auch nicht um Arbeit bemüht, sondern Freunde sowie den alevitischen Verein besucht. Sein Vater habe ihn während dieser Zeit materiell unterstützt, denn seine Familie habe stets Angst um ihn gehabt wegen der ständigen Polizeikontrollen in der Nacht, wenn er früher von seiner Arbeit nach Hause gekommen sei. Sie habe daher gar nicht mehr gewollt, dass er Arbeit suche, sein Vater wollte ihn deshalb schließlich auch im Gefolge der erwähnten Festnahme 2001 illegal ins Ausland schicken. Befragt, ob es während des letzten Jahres vor der Ausreise etwaige weitere konkrete Vorfälle gegeben habe, verneinte der BF, es habe zwar polizeiliche Kontrollen des Wohnsitzes gegeben, das sei aber normal gewesen.

 

Befragt, ob die Verwandten des BF in den jüngsten Jahren Probleme mit türkischen Behörden hatten, erwiderte der BF, es gäbe noch immer polizeiliche Kontrollen bei den Eltern und werde dabei auch nach dem BF gefragt. In A. gäbe es generell nach wie vor Zwischenfälle und Polizeikontrollen. Dies habe er von seinen Eltern anlässlich ihres Besuches bei der Hochzeit des BF 2007 erfahren. Auf Befragen behauptete der BF schließlich, dass während der letzten sechs Jahre einmal monatlich nach ihm gefragt und die Wohnung der Eltern durchsucht worden sei.

 

Als aktuelle länderkundliche Informationsquelle dem gg. Verfahren zugrunde gelegt und zum Akt genommen sowie mit dem BW erörtert wurde von der erkennenden Behörde:

 

Dt. Auswärtiges Amt, Bericht zur aktuellen Lage in der Türkei vom 25.10.2007.

 

7. Mit Telefax vom 14.06.2006 wurde der Berufungsbehörde mitgeteilt, dass den BF betreffend beim AMS OÖ ein Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung eingebracht wurde, in gleicher Weise mit Schreiben vom 13.06.2007. Einer Mitteilung des AMS OÖ vom 03.07.2007 zufolge wurde dem BF eine Beschäftigungsbewilligung von 2007 bis 2008 erteilt.

 

Der BF ist seit 2007 mit einer österr. Staatsbürgerin verheiratet. Mit dieser hat er einen 2006 geborenen Sohn, ein weiteres gemeinsames Kind wird voraussichtlich Ende August 2008 geboren werden. Entsprechende urkundliche Nachweise legte der BF im Verlauf der Berufungsverhandlung vor, die in Kopie zum Akt genommen wurden.

 

II. Der zur Entscheidung berufene Richter des Asylgerichtshofs hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt und der gg. Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zur Person des Berufungswerbers:

 

Die persönlichen Angaben des BF zu seiner Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und regionalen Herkunft sowie zu seinen familiären Verhältnissen im Herkunftsstaat sowie in Österreich werden in der von ihm erstinstanzlich sowie in der Berufungsverhandlung dargelegten und oben wiedergegebenen Form der gg. Entscheidung zugrunde gelegt.

 

1.2. Zu den vom BF vorgebrachten Ausreisegründen wird festgestellt:

 

1.2.1. Das Vorbringen des BF zu seinem Militärdienst zwischen August 1999 und Februar 2001 und der damals im Jahr 2000 gegen ihn verhängten Disziplinarstrafe sowie verschiedentlich erfahrener Schlechterbehandlung und Diskriminierung wird zwar an sich als glaubwürdig erachtet. Aus diesem Vorbringen ließ sich jedoch weder ein Verfolgungsszenario bis zur Ausreise im September 2002 noch für den Fall der gegenwärtigen Rückkehr in den Herkunftsstaat ein individuelles Bedrohungsszenario den BF betreffend ableiten.

 

Soweit er behauptete, dass er im November 2001 im Zuge der allgemeinen Ereignisse in seinem früheren Wohnviertel in Istanbul für 20 Tage in Polizeihaft genommen worden sei, wird dieses Vorbringen mangels hinreichender Glaubwürdigkeit nicht der gg. Entscheidung zugrunde gelegt. Darüber hinaus ist diesbezüglich festzustellen, daß selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung dieses Vorbringens eine zielgerichtete Verfolgung des BF durch türkische Behörden im Weiteren bis zur Ausreise im September 2002 jedenfalls nicht feststellbar war.

 

Ebenso wird das im Rahmen der Berufungsverhandlung behauptete fortgesetzte Interesse der Polizei am BF seit der Ausreise 2002 mangels Glaubwürdigkeit nicht der gg. Entscheidung zugrunde gelegt.

 

1.2.2. Im Hinblick auf die bloße kurdische Volksgruppenzugehörigkeit und das erst zweitinstanzlich in den Raum gestellte Alevitentum des BF war angesichts der allgemeinen Lage der Kurden sowie der Aleviten in der Türkei in Verbindung mit der Tatsache, dass auch im Herkunftsstaat des BF ein großer kurdischer sowie alevitischer Bevölkerungsanteil einschließlich mehrerer Verwandter des BF lebt, die offenkundig keiner systematischen Verfolgung ausgesetzt sind, eine asylrelevante Gefährdung des BF nicht feststellbar.

 

1.2.3. Im Lichte dieser Feststellungen war insgesamt eine begründete Furcht des BF vor Verfolgung aus den von ihm behaupteten oder aus anderweitigen Gründen im Falle einer Rückkehr in die Türkei nicht feststellbar.

 

1.3. Der BF kann sich im Falle der Rückkehr auf seine bereits vor der Ausreise gezeigte Selbsterhaltungsfähigkeit stützen. Darüber hinaus verfügen die verschiedenen Angehörigen des BF, nämlich seine Eltern und Geschwister, in seiner Heimat über offenbar hinreichende Existenzmöglichkeiten. Ihm steht auch eine zumutbare Unterkunft bei seinen Angehörigen zur Verfügung. Allenfalls kann er bei anfänglichen materiellen Schwierigkeiten nach der Rückkehr auf die neuerliche Unterstützung seiner Verwandten zurückgreifen. Er hat demnach, soweit es die notwendigen Existenzgrundlage für sich angeht, in diesem Fall - auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage in der Türkei - keine Situation zu gewärtigen, die eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK darstellen würde.

 

1.4. Zur Lage in der Türkei:

 

Im Hinblick auf die aktuelle Situation in der Türkei wird auf die aktuellen Feststellungen im oben angeführten länderkundlichen Bericht verwiesen. Im Hinblick auf das Vorbringen des BF ist dahin gehend von Bedeutung, dass es bei einem dzt. Anteil der Kurden von etwa einem Fünftel an der Gesamtbevölkerung der Türkei, d.h. etwa 14 Mio. Kurden, der sich auf die gesamte Türkei verteilt und zum größten Teil in die türkische Gesellschaft integriert ist, zu keinen systematischen und weit verbreiteten Repressionen gegen Staatsbürger kurdischer Herkunft kommt. Desgleichen sind keine systematischen oder weit verbreiteten Repressionen gegen Staatsbürger, die sich zum Alevitentum bekennen, bekannt bzw. Gegenstand der Berichterstattung. Das bloße Bekenntnis zum Alevitentum stellt jedenfalls keinen strafbaren Tatbestand dar, auch wenn der alevitische Glaube als solcher in der Türkei offiziell nicht anerkannt ist.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Als Beweismittel wurden herangezogen:

 

Das erstinstanzliche Verfahrensergebnis

 

Die persönlichen Angaben des BF vor der Berufungsbehörde

 

Die oben angeführten länderkundlichen Feststellungen anhand der angeführten Informationsquelle

 

2.1. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich nach Maßgabe folgender Erwägungen:

 

2.1.1. Die Feststellungen zur Situation in der Türkei bzw. in der früheren Heimat des BF stützen sich auf die Feststellungen der Erstbehörde zum Zeitraum bis 2002 und die länderkundlichen Feststellungen des Asylgerichtshofs selbst die aktuelle Lage in der Türkei betreffend. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität dieser Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.

 

2.1.2. Die Feststellungen zur Identität, ethnischen und regionalen Herkunft des BF ergeben sich aus dem Akteninhalt und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, ebenso die Feststellungen zu den genaueren Lebensumständen des BF vor der Ausreise und denen seiner Angehörigen und Verwandten damals wie heute.

 

Soweit der BF erstmals in der Berufungsverhandlung auf seinen alevitischen Glauben verwies, so kann diese Behauptung ohne weitere Erörterung und Feststellung dazu dahingestellt bleiben, weil sich weder aus dem Vorbringen des BF selbst noch aus dem Amtswissen eine mögliche Gefährdung des BF wegen dieses Glaubens ergeben hätte.

 

2.1.3. Die Feststellungen unter 1.2.1. zu den vom BF behaupteten Ausreisegründen gründen sich auf das entsprechende Vorbringen des BF über die gesamte Verfahrensdauer hinweg.

 

Der Asylgerichtshof schließt sich im Lichte desselben den Erwägungen der erstinstanzlichen Behörde an, dass der BF nicht glaubhaft darlegen konnte, dass er im November 2001 tatsächlich einer 20-tägigen polizeilichen Anhaltung unterlegen wäre. Diesbezüglich blieb der BW in seinen Schilderungen dieser Anhaltung bis zuletzt in der Berufungsverhandlung nur vage, in seiner Begründung der Anhaltung teils spekulativ und teils auf Allgemeinplätze beschränkt, und vermochte er dieses Szenario nicht mit hinreichend konkreten und plausiblen Details zu versehen. Sein Verweis auf generelle Erinnerungsprobleme vermochte diesbezüglich angesichts derart an sich gravierender Ereignisse auch nicht zu überzeugen, wie sich auch an der Antwort des BF auf Befragen in der Berufungsverhandlung, weshalb er denn angesichts dessen überhaupt genaue Zeitangaben machen könne, zeigte, dass er nämlich die entsprechenden Daten telefonisch von seinem Vater erfahren habe.

 

Hinzu kommt, dass der BF zwar behauptete, über eine Dauer von 20 Tagen hinweg täglich befragt worden zu sein, wobei er seinen Aussagen nach über Allgemeinplätze hinaus keine konkreten Antworten von behördlichem Interesse auf diese Fragen geben habe können. Aus Sicht des erkennenden Richters erscheint es jedoch nicht als hinreichend plausibel und sinnhaft, dass man einen Häftling, der offenkundig über keinerlei Informationen von Interesse für die Behörden verfügte und keine Person mit besonderem Profil für die Behörden war, wie der BF selbst darlegte, über eine solche Dauer hinweg täglich befragen sollte. Hierzu fügt sich die eigenartige Behauptung des BF, dass man ihn schließlich nach 20 Tagen einfach zur Ausgangstür verwiesen habe. Im Lichte dieses unplausiblen und nicht hinreichend nachvollziehbar geschilderten Geschehens erweist sich die bloße und ebenso vage Behauptung des BF, er sei deshalb festgenommen worden, weil er zuvor bei mehreren Gelegenheiten fotografiert worden sei, auch als Schutzbehauptung.

 

Der Asylgerichtshof schließt sich darüber hinaus auch den Ausführungen der erstinstanzlichen Behörde in ihrer Entscheidungsbegründung insoweit an, als diese bereits auch die Involvierung des BF in das Todesfasten in der Form der Unterstützung bestimmter Personen angesichts mangelnder Einzelheiten im Vorbringen bzw. von Erinnerungslücken auf Seiten des BF als unglaubwürdig erachtete, zumal der BF auch in der Berufungsverhandlung diesbezüglich keine wesentlichen weiterführenden Angaben machte.

 

In entscheidungswesentlicher Hinsicht war darüber hinaus festzustellen, dass schließlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieses Vorbringens des BF ein fortgesetztes behördliches Interesse an ihm zwischen diesen behaupteten Ereignissen und der Ausreise im September 2002 bzw. bis dahin nicht festzustellen war. Derlei hat der BF nämlich weder erstinstanzlich in den Raum gestellt noch hat er diesbezüglich auf Befragen in der Berufungsverhandlung anders lautende Angaben gemacht. Vielmehr hat er im Rahmen dessen in ausführlicher Weise dargelegt, dass er bis zur Ausreise unbehelligt an seinem ständigen Wohnsitz in A. lebte, sich in normaler Weise am sozialen Leben beteiligte und schließlich auf Anraten seines Vaters, der angesichts der allgemeinen Zustände in A. in dieser Zeit in genereller Sorge um seinen Sohn war und die Ausreise deshalb in die Wege leitete, die Türkei verließ. Hierzu fügte sich die vom BF dargelegte anstandslose Neuausstellung seines Personalausweises wenige Wochen vor der Ausreise.

 

Aus diesem Sachverhalt war letztlich - wie auch bereits die Erstbehörde feststellte - kein asylrelevantes aktuelles Bedrohungsszenario zum Zeitpunkt der Ausreise und damit auch für den Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat den BF betreffend abzuleiten.

 

Das erstmals am Ende der Berufungsverhandlung behauptete fortgesetzte Interesse der Polizei am BF seit der Ausreise 2002 in Form monatlicher Hausdurchsuchungen bei den Eltern des BF bis zuletzt konnte deshalb mangels Glaubwürdigkeit nicht der gg. Entscheidung zugrunde gelegt werden, weil sich schon bereits aus dem eben dargelegten fehlenden behördlichen Interesse am BF bis zur Ausreise ein darüber hinaus gehendes Interesse bis in die Gegenwart als nicht plausibel erweist, noch dazu in der vom BF behaupteten Form einer jahrelangen und zusätzlich auch von daher unplausiblen Suche nach ihm am Wohnsitz der Eltern. Diesbezüglich ist auch das in Anbetracht der Schilderungen des BF fehlende Profil des BF als eine für die Behörden nachhaltig interessante, weil politisch exponierte oder ehemals in wichtiger Position oder durch gravierende Aktivitäten in das Visier der Behörden geratene Zielperson in Betracht zu ziehen. Das entsprechende Vorbringen war demzufolge aus Sicht des erkennenden Richters als bloße Schutzbehauptung ohne hinreichende Glaubwürdigkeit zu bewerten.

 

2.1.4. Die Feststellungen oben zur fehlenden Rückkehrgefährdung - in Form eventueller Ermangelung einer hinreichenden Lebensgrundlage - stützen sich auf das eindeutige Ermittlungsergebnis in Form der persönlichen Darstellung des BF.

 

III. Rechtlich folgt:

 

1. Gemäß § 75 (1) AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005, sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG idF BGBl I Nr. 101/2003 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Der Berufungswerber hat seinen Asylantrag am 02.10.2002 gestellt. Das gegenständliche Verfahren ist somit nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) zu führen.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005, diesem hinzugefügt durch Art. 2 Z. 54 Asylgerichtshofgesetz AsylGHG 2008, sind am 1.Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Gem. § 75 Abs. 7 Z. 1 haben Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofs ermannt wurden, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in den bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen. Im gg. Fall war daher vor dem Hintergrund des oben dargestellten Verfahrensverlaufs der unten zeichnende Richter des Asylgerichtshofs als Einzelrichter zur Fortsetzung des vor dem 1. Juli 2008 begonnenen Verfahrens und zur Entscheidung über die gg. Anträge des BF berufen.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

3. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zu Grunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sei, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011; VwGH 21.09.2000, 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

 

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, und ist ihm dort die Inanspruchnahme inländischen Schutzes auch zumutbar, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/01/0352; 15.3.2001, 99/20/0134; 15.3.2001, 99/20/0036). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

 

3.1. Vor dem Hintergrund der oben getroffenen Feststellungen zur aktuellen Situation in der Türkei war den BF betreffend angesichts der zu seinem Vorbringen getroffenen Feststellungen (vgl. oben) aus den folgenden Gründen keine aktuelle begründete Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat feststellbar:

 

Dem BF gelang es aus den oben dargelegten Gründen nicht glaubhaft darzulegen, dass er vor der Ausreise einer asylrelevanten Verfolgung in der Türkei unterlegen war noch dass er einer solchen bei einer Rückkehr in die Türkei unterliegen würde, weshalb eine Subsumierung des Vorbringens unter die Verfolgungstatbestände der GFK nicht möglich war. Auch eine eventuell aus anderen Gründen bestehende aktuelle Verfolgungsgefahr war aus Sicht der Behörde im Lichte der aktuellen länderkundlichen Feststellungen nicht feststellbar.

 

Das Beschwerdebegehren war daher hinsichtlich Spruchpunkt I abzuweisen.

 

4. Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat nach § 57 Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75/1997 (FrG), zulässig ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

 

Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten; am 1.1.2006 ist gemäß § 126 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge: FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verwiesen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Demnach wäre die Verweisung des § 8 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechende Bestimmung" des § 50 FPG zu beziehen.

 

Gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, die Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde, oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 GFK), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative.

 

Da sich die Regelungsinhalte beider Vorschriften (§ 57 FrG und § 50 FPG) nicht in einer Weise unterscheiden, die für den vorliegenden Fall von Bedeutung wäre, lässt sich die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich - unmittelbar oder mittelbar - auf § 57 FrG bezieht, insoweit auch auf § 50 FPG übertragen.

 

Zur Auslegung des § 57 FrG ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum inhaltsgleichen § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Berufungswerber betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

4.1. Eine mögliche Gefährdung des BF iSd des § 50 Abs. 2 FrG im Herkunftsstaat ist vor dem Hintergrund der Feststellungen oben zur Frage der Asylrelevanz des Vorbringens jedenfalls zu verneinen.

 

Ausgehend vom Vorbringen des BF sowie auch von der Lageeinschätzung des Asylgerichtshofs auf der Grundlage der eingesehenen Berichte sind darüber hinaus derart exzeptionelle Umstände, die eine Rückführung im Hinblick auf innerhalb oder außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen lassen könnten, im Falle des BF ebenfalls nicht ersichtlich (vgl. zu Art. 3 EMRK z.B. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

 

Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund der vom BF selbst dargestellten Lebensverhältnisse seiner Verwandten in der Türkei sowie der eigenen früheren Lebensumstände und Fähigkeiten auch nicht ersichtlich ist, dass er bei einer Rückführung in den Herkunftsstaat in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie etwa Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden oder ausweglosen Situation ausgesetzt wäre.

 

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Annahme des Bundesasylamtes, es lägen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG (respektive § 50 FPG) vor, als mit dem Gesetz in Einklang stehend, und geht auch der Asylgerichtshof in der Folge von der Zulässigkeit der Abschiebung des BF in die Türkei gem. § 8 AsylG aus.

 

5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ehe, Glaubwürdigkeit, Lebensgrundlage, mangelnde Asylrelevanz, Schwangerschaft, Sicherheitslage, soziale Verhältnisse, Unterkunft
Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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