TE AsylGH Beschluss 2008/08/14 S10 400987-1/2008

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Veröffentlicht am 14.08.2008
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Spruch

S 10 400.987-1/2008-2Z

 

B E S C H L U S S

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde des S.U., geb. 00.00.1988, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2008, Zahl: 08 02.412 - EAST OST, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

1. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 22.07.2008, GZ: 08 02.412 - EAST OST, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers (in der Folge BF), ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 (AsylG) als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (Dublin II VO) Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

2. Der nähere erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

Der BF stellte am 11.03.2008 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes zurückgewiesen wurden.

 

Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des PI Traiskirchen - EAST am 12.03.2008 gab der BF an, seinen Heimatort am 13.02.2008 gemeinsam mit Gattin und Tochter mittels LKW verlassen zu haben. Von Brest seien sie mit dem Zug nach Polen gefahren, wo sie in Terespol von der Polizei kontrolliert und nach Dembak gebracht worden seien, wo man ihnen die Fingerabdrücke abgenommen habe. Ein Tschetschene im Flüchtlingslager habe ihn zu einem LKW gebracht, mit welchem er ohne Gattin und Tochter am 19.02.2008 in Österreich angekommen sei. Seinen Antrag auf internationalen Schutz habe der Beschwerdeführer erst einen Monat später eingebracht, weil er auf seine Frau hätte warten wollen.

 

Am 20.03.2008 wurde dem BF das Führen von Konsultationen mit Polen mitgeteilt, wobei sich die polnischen Behörden am selben Tag gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO zur Führung des gegenständlichen Asylverfahrens für zuständig erklärt haben.

 

Bei der Einvernahme am 09.07.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost wurde im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

 

Im Bundesgebiet habe der BF eine Schwester und einen Bruder, beide seien anerkannte Flüchtlinge, in Bregenz wohnhaft und seit ungefähr sechs Jahren in Österreich aufhältig. Im Heimatland hätte er ca. einmal in der Woche telefonischen Kontakt mit den Geschwistern gehabt. Beide wären verheiratet und hätten Kinder. In Lebensgemeinschaft lebe er mit Gattin und der Tochter.

 

Zur geplanten Überstellung nach Polen meinte der BF, wäre er alleine, könnte er nach Polen fahren, wegen seiner Familie aber hätte er Angst, dass ihnen in Polen etwas passiere. Seine Gattin habe dort Drohanrufe bekommen, man wisse, wo sie sich aufhalten würden. Auch habe er in Polen jemanden gesehen, der im Heimatland bei der Behörde gearbeitet hätte. Er wisse es nicht, nehme aber an, dass diese Anrufe auch von der Behörde gekommen seien.

 

Befragt, ob er in Polen jemals persönlich bedroht worden sei, verneinte er dies und meinte, er habe den Mann in Polen nur gesehen und sei geflüchtet, persönlichen Kontakt mit ihm habe er nicht gehabt. Er sei zwei Tage in Polen gewesen, habe sich dort nicht sicher gefühlt und habe das dortige Asylverfahren nicht abgewartet, da er diesen Mann gesehen und zu seinen Geschwistern nach Österreich gewollt hätte.

 

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde wurden die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, die Durchführung eines inhaltlichen Asylverfahrens und die Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung beantragt. In der Begründung dazu wurden Ausführungen zur Judikatur des EGMR, zum Asylverfahren in Polen und zu familiären Bindungen in Österreich getroffen. Der Erstbehörde wurde Mangelhaftigkeit des Verfahrens insbesondere durch oberflächliche Befragung des Beschwerdeführers vorgeworfen, wie auch dass die in Österreich lebenden Geschwister gar nicht befragt worden seien. Die Ermittlung zur Feststellung des Sachverhaltes seien nur äußerst oberflächlich durchgeführt worden.

 

Der Beschwerde wurde ein psychotherapeutischer Kurzbericht von Herrn E.K., Psychotherapeut, vom 04.05.2008 beigelegt, in welchem beim Beschwerdeführer ein posttraumatisches Stress-Syndrom und eine Retraumatisierungsgefährdung angenommen werden.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz am 11.03.2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG idgF zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 37 Abs. 1 AsylG hat der Asylgerichtshof einer Beschwerde gegen eine mit einer zurückweisenden Entscheidung (§§ 4 und 5 AsylG oder § 68 Abs. 1 AVG) verbundene Ausweisung binnen einer Woche ab Beschwerdevorlage die aufschiebende Wirkung zuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die Ausweisung lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Nach der Literatur ist hier auch Art. 8 EMRK maßgeblich (Vogl/Taucher/Bruckner/Marth/Doskozil, Fremdenrecht 6. Anm. zur - analogen - Regelung des § 37 Abs 1 AsylG, 155, Frank/Anerinhof/Filzwieser AsylG 2005, K3 zu § 37 Abs 1 AsylG, 512 und K8 zu § 38 AsylG, 522f; vgl auch Fahrner/Premiszl, Das Fristensystem im "Dublin-Verfahren" nach dem Asylgesetz 2005, Migralex 2/06, 69f).

 

Gemäß § 37 Abs. 2 AsylG ist bei der Entscheidung, ob einer Beschwerde gegen eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung nach § 5 verbunden ist, die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, auch auf die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Art. 19 Abs. 2 und 20 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II VO) und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts Bedacht zu nehmen ("effet utile").

 

2. Die unter I. 2. genannten Aspekte sind noch nicht hinreichend geklärt; beim derzeitigen Stand des Verfahrens ist daher bei einer sofortigen Durchsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung des Beschwerdeführers eine Verletzung der in der EMRK gewährleisteten Rechte nicht auszuschließen.

 

Nachdem den Beschwerden der Gattin des BF, B.L., wie auch der minderjährigen Tochter, S.T., bereits die aufschiebende Wirkung (durch den Unabhängigen Bundesasylsenat) zuerkannt worden ist, ist dem Rechtsmittel des Beschwerdeführers schon im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des in Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens ebenfalls die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

 

Bis zur Entscheidung des Asylgerichtshofes erscheint die Anwesenheit des Beschwerdeführers in Österreich für den Fall der Notwendigkeit weiterer Befragungen seiner Person vorteilhaft. Aufgrund der dem Asylgerichtshof hier zur Entscheidung zukommenden knappen Entscheidungsfristen liegt im konkreten Fall derzeit auch keine unzulässige Beeinträchtigung des "effet utile" der Dublin II VO vor.

 

Der Asylgerichtshof war im daher Ergebnis gehalten, gemäß § 37 Abs. 1 AsylG vorzugehen.

 

Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG entfallen.

Schlagworte
aufschiebende Wirkung, Familienverfahren
Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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